Protokoll der Sitzung vom 25.01.2006

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor wenigen Tagen wurde in Brandenburg die aktuelle Jugendstudie 2005 mit einem sehr mutigen Signal veröffentlicht: Für knapp 90 % der Jugendlichen Brandenburgs stehen die Familie und die Familiengründung im Mittelpunkt ihres Lebens, denn diese Jugendlichen haben selbst erfahren, dass unser Land ohne Kinder arm wäre und ohne das Strahlen der Kinderaugen dunkler.

Im selben Zeitraum konnte ich folgenden Satz in dem uns heute vorliegenden Antrag lesen:

„Nachweislich haben aber gerade Kinder von erwerbslosen Eltern oft Entwicklungsdefizite und bedürfen dringend einer qualifizierten Kindertagesbetreuung.“

Meine Damen und Herren von der PDS, dieses unwürdige Bild arbeitsloser Eltern aufzuzeigen ist eine soziale Ungerechtigkeit Ihrerseits. Ich hoffe, dass Sie diesen Weg nicht weiter gehen werden. Das, denke ich, ist ein wichtiger, ja entscheidender Punkt.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte einige Zahlen nennen, um klarzumachen, worüber wir eigentlich reden. Wir hatten im Bereich von Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren im Jahre 2000 51 000 Betreuungsplätze zur Verfügung. Im Jahre 2004 wurden ca. 62 000 Kinder in einer Kindertagesstätte betreut.

Der Landeszuschuss in Höhe von ehemals 510 Euro wurde für das Jahr 2004 auf ungefähr 570 Euro erhöht. Das hat die große Koalition im Land Brandenburg auf den Weg gebracht, beschlossen und diskutiert. Deswegen werden wir uns von Ihnen diesen Weg auch nicht anders darstellen lassen.

(Beifall bei der CDU)

Familie ist der Ort, wo Kinder Geborgenheit, Vertrauen und Liebe finden, aber auch Streit, Toleranz und Versöhnung kennen lernen. Die Familie legt den Grundstein dafür, dass Menschen Bindungen dauerhaft eingehen können. Richtig ist aber auch, dass gerade junge Menschen, Familien mit Kindern ihren Lebenssinn und ihr Lebensglück in einer gelungenen Kombination von Familie und Beruf finden.

Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Nein. - Unser Aufgabengebiet ist es deshalb, familienstärkende Entwicklungen mit Ideenreichtum und mit Blick auf Realitäten zu begleiten. Zuallererst sind die Familien Partner ihrer Kinder und niemand anderes. Dies bleiben sie auch dauerhaft.

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir uns mit der Kita-Landschaft in Brandenburg befassen, stellen wir Folgendes fest: Erstens haben wir - laut OECDStudie - ein gutes bis sehr gutes Kita-Angebot. Zugleich haben wir aber eine schwache Bildungsförderung in diesen Einrichtungen. Zwei Drittel der Einrichtungen haben laut dieser Studie nur mäßige Ergebnisse, wenn es um die Bildungsförderung geht.

Deshalb muss unser Anspruch sein: Wir wollen das qualitativ beste Kita-Netz haben. Das muss auch der Anspruch des Landtages Brandenburg sein, den wir umzusetzen haben. Deshalb werden wir als erstes die Auswirkungen des uns aktuell vorliegenden Kita-Gesetzes in Bezug auf die Betreuung von Kindern arbeitsloser Eltern untersuchen. Wir werden dies als Arbeitskreis aus SPD und CDU gemeinsam bearbeiten.

Frau Lehmann, ich hoffe, dass Sie nicht auf Ihrem Bettvorleger

ausrutschen werden, sondern wir beide diesen Weg standhaft weitergehen können.

(Zurufe von der SPD)

Zweitens werden wir das Thema Bildungsplan für Kinder aufgreifen, um den Kompetenzerwerb im Bereich von Sprache, Musik, Bewegung, logische Verknüpfungen und Erfassen von Mengen zu verbessern.

Herr Baaske, wer austeilt, muss auch einstecken; das verstehen Sie.

Drittens brauchen wir eine aktive Debatte über die Vorschule. Wir werden mit Eltern, Experten, aber auch mit den Einrichtungen darüber diskutieren müssen, eine Grundlage dafür zu finden, die Absicht der Bundesregierung, eine kostenlose Vorschule einzurichten, auch hier in Brandenburg umzusetzen. Unsere Erfahrungen werden dabei mit Sicherheit auch eine Rolle spielen.

Es geht abschließend darum, Gerechtigkeit bei den Bildungschancen zu erreichen, sodass sich jedes Kind in Brandenburg entsprechend seiner Entwicklung entfalten kann. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. - Jetzt spricht Herr Minister Rupprecht zu uns. Zuvor begrüße ich Schülerinnen und Schüler des Marie-CurieGymnasiums Ludwigsfelde. - Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf beabsichtigt, Gutes noch besser zu machen. Gegen dieses Ziel kann man vernünftigerweise nichts einwenden, außer der Anmerkung, dass man sich auch leisten können muss, was man sich leisten will.

Daher will ich daran erinnern, dass die Einschränkung des Rechtsanspruchs für die zwei- bis dreijährigen Kinder nicht vorgenommen wurde, weil irgendjemand im Landtag oder in der Landesregierung dies für fachlich wünschenswert hielt. Der damalige Regelungsrahmen für diese Einschränkungen war das Gesetz zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben vom 4. Juni 2003. Ich befürchte bzw. bin sicher, diese Entlastungsnotwendigkeit besteht heute wie damals.

Trotz der angespannten Haushaltslage im Land und bei den Kommunen halten wir in Brandenburg ein umfangreiches, bundesweit vorbildliches Kindertagesbetreuungsangebot für notwendig. Auch wenn es schon oft erwähnt wurde, wiederhole ich es: Mit Sachsen-Anhalt gemeinsam haben wir im Land Brandenburg den weitestgehenden Rechtsanspruch. Wir liegen auch im internationalen Vergleich im Spitzenfeld. Dieser Ausstattungsgrad ist kein Luxus, den wir uns zu Unrecht leisten. Er ist aus verschiedensten Gründen eine Notwendigkeit, die andere Länder auch anstreben.

Unabhängig von einer fachlichen Wertung des Gesetzentwurfs müssen wir diese Frage in grundsätzliche Überlegungen der Haushaltsplanung einbringen. Derzeit erscheint mir eine isolierte Behandlung nicht sinnvoll, weil das Land die gewünschte Ausweitung des Rechtsanspruchs bezahlen müsste. Ich verweise auf das Stichwort Konnexität in Artikel 97 Abs. 3 unserer Landesverfassung.

Als hochverschuldetes und so genanntes Nehmerland im Länderfinanzausgleich würde der Rechtsanspruch im Bundesvergleich über der Spitzenposition liegen. Obwohl ich mich nicht für eine Ausweitung des Rechtsanspruchs in Ihrem Sinne positioniere, weise ich darauf hin, dass mir persönlich vor allem das Problem der Unterbrechung der Betreuung bei vorübergehendem Wegfall der Rechtsanspruchsgrundlagen am Herzen liegt, zum Beispiel deshalb, weil Eltern noch nicht dreijähriger Kinder ihre Arbeit verloren haben. Wenn in solchen Fällen die Verträge gekündigt werden und dadurch Kinder aus ihren vertrauten Beziehungen zu Erzieherinnen und Kindern gerissen werden, ist dies mit dem Wohl der Kinder kaum vereinbar. Um solche Fälle künftig zu vermeiden, müssen wir - da stimme ich zu - nach geeigneten Lösungen suchen.

Ausdrücklich nicht zustimmen kann ich dem Vorschlag der Linkspartei.PDS, die alternativen Betreuungsformen zurückzudrängen. Im Gegenteil, ich bin der Auffassung, dass diese Angebote qualifiziert auszubauen sind. Sie sind nicht nur eine im Wortsinne preiswerte Angebotsform. Sie können in bestimmten Fällen durchaus den unterschiedlichen Bedarfen der Kinder und ihrer Familien besser entsprechen.

Die vom Gesetz ausdrücklich genannten Spielkreise und integrierten Angebote von Schul- und Kindertagesbetreuung werden schon in etlichen Orten praktiziert. Die Erfahrungen damit ermutigen.

Diese Entwicklung der Differenzierung der Kindertagesbetreuung sollte nicht zerstört werden. Der vorliegende Gesetzentwurf bedarf also zumindest weiterer intensiver Beratungen. Mit populistischen - ich sage nicht: aktionistischen - Schnellschüssen kommen wir nicht weiter. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank, Herr Minister. - Ich gebe Frau Große das Wort. Bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Populistisch“, „aktionistisch“ und „diffamierend“ bezogen auf die Bewertung von Eltern ist starker Tobak. Sie müssen schon ganz schön angeschossen sein. Der Anspruch auf die Betreuung von Kindern ab zwei Jahre ist Beschlusslage der SPD-Bundespartei. Ich weiß nicht, inwiefern man uns diesbezüglich Populismus vorwerfen kann.

Noch einmal an Frau Lehmanns Adresse: Ablehnung der KitaGesetz-Änderung im Jahre 2000, Antrag auf Einberufung eines Runden Tisches Kita 2000,

(Schippel [SPD]: Wenn wir uns das leisten können?)

Unterstützung der Volksinitiative für unsere Kinder im Jahr 2000 mit 150 000 Unterschriften, Große Anfrage zur Auswirkung der Änderung des Kita-Gesetzes im Mai 2001, Ablehnung der Kürzung im Haushalt 2003, Antrag auf Auswertung der Ergebnisse des Modellprojektes Sprechverhalten und Sprachförderung in der Kita März 2003, Ablehnung der Änderung des Kita-Gesetzes mit dem Rechtsanspruch im Rahmen des Entlastungsgesetzes usw. Es ist also wahrlich keine aktionistische Geschichte von uns, sondern permanenter Bestandteil der Politik der Linkspartei.PDS, sich für die Rechte der Kinder auf Bildung, Betreuung und Erziehung einzusetzen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Und zwar nicht nur in Kindertagesstätten, wie Sie uns unterstellen, Herr Minister. Es geht uns genau um jene Bindungen, Herr Kollege Senftleben, die Sie hier angesprochen haben. Wenn der Minister wenigstens darüber nachdenkt, die Unterbrecher im Alter von zwei bis drei Jahren auffangen zu wollen, dann bitte! Mit diesem Gesetz könnten Sie es tun.

Ich werbe noch einmal für die Überweisung des Antrags. All die wunderbaren anderen Geschichten, die Sie sich vorgenommen haben, können wir gemeinsam auf den Weg bringen. Uns hätten sie dabei im Boot.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Herzlichen Dank, Frau Große. - Wir kommen zur Abstimmung. Die Fraktion der Linkspartei.PDS beantragt die Überweisung des Antrags in der Drucksache 4/2371 - Gesetz zur Änderung des Kindertagesstättengesetzes - an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport - federführend - und an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen. Wer der Überweisung zustimmt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Stimmenthaltungen? - Die Mehrheit des Hauses hat dagegen gestimmt.

Im Falle der Ablehnung des Überweisungsantrages hat die Linkspartei.PDS namentliche Abstimmung beantragt. Wir beginnen mit der Verlesung der Namen.

(Namentliche Abstimmung)

Der Abgeordnete Dr. Klocksin möchte eine persönliche Erklärung zu seinem Abstimmungsverhalten abgeben. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Geschäftsordnung des Landtages sieht vor, dass am Schluss der Debatte über einen Beratungsgegenstand jeder Abgeordnete eine mündliche Erklärung zu seinem Abstimmungsverhalten, die nicht länger als drei Minuten dauern darf, abgeben kann.

Ich habe soeben mit Nein gestimmt und möchte in zwei Sätzen meine Beweggründe zur Kenntnis geben und darauf hinweisen, dass ich möglicherweise nicht der Einzige derer in diesem Saal bin, die mit Nein gestimmt haben, der eine solche Motivation hat.

Erstens möchte ich mich in meinem Grundverständnis als Sozialdemokrat von Ihnen, meine Damen und Herren der Links

partei.PDS, hinsichtlich sozialpolitischer Fragen und Fragen der Kinderbetreuung im Land Brandenburg nicht vorführen lassen. Auf diesem Gebiet sind in der Tat große Leistungen erbracht worden; dies sollte man erst einmal feststellen, wenn man darüber redet.

Die zweite Bemerkung richtet sich an die Koalition, in der sich die SPD befindet. Wir haben willentlich einem Koalitionsvertrag zugestimmt, in dem wir bestimmte Usancen des Umgangs festgelegt haben. Dazu gehört auch die Einheitlichkeit des öffentlichen Auftritts, wie gerade eben geschehen. Gleichwohl wünsche ich mir - dieser Anlass ist sachbedingt vielleicht auch ein Grund dafür -, dass sich der Koalitionspartner CDU von seinem aus meiner Sicht nicht zeitgemäßen parlamentarischen Verhalten verabschiedet, Vorgänge dieser Art nicht überweisen zu wollen, sondern abzulehnen. Ich glaube, der demokratischen Kultur in diesem Hause und in diesem Lande wäre es angemessener, mehr die Diskussion zu führen, als sie zu verhindern. - Danke schön.