Protokoll der Sitzung vom 23.02.2006

Sie, verehrte Kollegin Geywitz, haben am Freitag vergangener Woche bei einer SPD-Veranstaltung zum neuen Schulgesetz in Oranienburg den größten Beifall vom SPD-dominierten Publikum bekommen, als Sie die Kleinstaaterei in der Bildungspolitik Deutschlands kritisierten.

(Vereinzelt Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Dank unseres Antrages haben wir heute Gelegenheit, dem Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der SPD die Haltung dieses Parlaments mit auf den Weg zu geben. Am 10. März soll das Gesetzespaket im Bundestag und im Bundesrat auf den Weg gebracht und bis zur Sommerpause verabschiedet werden. Am 6. März ziehen die Ministerpräsidenten schon die Reißleine. Merkwürdigerweise wird das hiesige Kabinett erst danach einen Beschluss fassen. Eine Befassung im Parlament hat die Koalition unseres Landes für unnötig erachtet.

Dabei hätten wir durchaus Hilfreiches anzumerken. Ich kann an dieser Stelle nur schlaglichtartig Probleme benennen, die Deutschland auch wegen der derzeitigen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern hat und an deren Lösung gerade Brandenburg ein erhebliches Interesse haben müsste. Ich erinnere auch an die Worte des Fraktionsvorsitzenden der SPD Baaske, der sich noch einmal deutlich zur Bildungspolitik positioniert hat.

Zu den Schlaglichtern:

Erstens: Während alle Industrienationen, die mit Deutschland auf dem Weltmarkt konkurrieren, die Bildungsbeteiligung bei hoher Bildung - Universitäten, Fachschulen - ausgebaut haben, schließen in Deutschland immer noch nur 19 % eines Jahrgangs ein Hochschulstudium ab. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 32 %.

Zweitens: Es gibt bisher kein schlüssiges Angebot der Kultusministerkonferenz, dieses schweren Tankers, wie Chancengleichheit in Deutschland hergestellt werden kann. Noch immer ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsbeteiligung sowie dem Bildungserfolg größer als in allen anderen OECD-Ländern.

Drittens: Die Qualität schulischer Bildung wird 16-fach mit immens hohem finanziellem Aufwand und wenig Abstimmung der zuständigen Institute - IQB, neu gegründet, 15 Qualitätsagenturen der Länder, Landesinstitute - ineffizient gestaltet.

Viertens: Die Schulabbrecherquote scheint von der KMK auf 10 % festgeschrieben worden zu sein.

Fünftens: Die Mobilität der Lehrkräfte ist wegen der unterschiedlichen Schulstrukturen und der unterschiedlichen Lehrerausbildung eingeschränkt. Dies wird ab 2011, wenn wir in Brandenburg einen jährlichen Bedarf von 1 100 Lehrkräften haben werden, neben den Beamtenbesoldungsproblemen Herr Kollege Appel, Sie hatten das schon angesprochen - für uns eine nicht mehr zu beherrschende Problematik sein.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Sechstens: Die Mobilität der Familien ist erheblich eingeschränkt. Es gibt unterschiedliche Strukturen, unterschiedliche Pflichtschulzeiten, unterschiedliche Stundentafeln, einen unterschiedlichen Beginn der Fremdsprachenausbildung, unterschiedliche Lehrplaninhalte, unterschiedliche Abschlüsse, Unterschiede ohne Ende. Noch immer muss ein Brandenburger Schüler, der mit seinen Eltern nach Bayern zieht, in der Schule dort ein Jahr wiederholen,

(Frau Kaiser [Die Linkspartei.PDS]: Unglaublich!)

ehe er einigermaßen klarkommt.

Siebentens: Deutschlands Bildungspolitik ist nicht europafähig.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Achtens: Der Einfluss Deutschlands auf die Reformen in Europa ist äußerst gering.

Neuntens: Wenn sich der Bund nun auch noch aus der Bildungsplanung verabschiedet, ist das bundesstaatliche Rechtsgut gleichwertiger Lebensverhältnisse noch mehr als bisher gefährdet.

Die Problembeschreibung ließe sich fortsetzen. Vor allem in den neuen Bundesländern sind die Bürgerinnen und Bürger ob der Situation verzweifelt.

Im Bildungsbarometer vom Zentrum für empirische pädagogische Forschung wurden die Ergebnisse einer Befragung vom März 2005 veröffentlicht. Bis zu 90 % der 1 200 Befragten wünschten sich die Zuständigkeit des Bundes bei den Bereichen Pflichtschulzeit, Bildungsinhalte, Schulstruktur, Ausbildung, duales System, Rechtschreibung, berufliche Bildung. Einzig die Zuständigkeit für Modellversuche wurde den Ländern zugeschrieben. Ich kann mir vorstellen, dass das Ergebnis in Brandenburg noch eindeutiger wäre.

Wenn Sie, verehrter Herr Ministerpräsident, nicht an Ihrem Volk vorbei regieren wollen, dann versuchen Sie, die Bildung zunächst noch einmal auszuklammern! Hören Sie auf Ihren Parteikollegen und Bundestagsabgeordneten, den Bildungspolitiker Jörg Tauss, der die hundertprozentige Kapitulation seiner Parteifreunde in Sachen Föderalismusreform beklagt! Hören Sie auf Ihre ehemalige Ministerin Bulmahn! Hören Sie auf die Fachpolitiker Ihrer Partei, auf die Gewerkschaften, die Verbände, den Bundeselternrat! Hören Sie auf sich selbst und Ihre innere Stimme; bleiben Sie bei der!

Schauen Sie, verehrter Herr Ministerpräsident, und Sie, verehrte Abgeordnete der Koalitionsfraktionen, in die Schweiz, ein Land, das ein noch viel innigeres Verhältnis zum Föderalismus hat als wir! Dort hat man sich vom Bildungsföderalismus auch als Konsequenz aus den PISA-Ergebnissen verabschiedet. Die Schweiz ist vom Nationalrat als einheitlicher Bildungsraum definiert worden. Dem Bund wird eine größere Entscheidungskompetenz zugebilligt. Die noch ausstehende Volksabstimmung wird zeigen: In der Schweiz hat man verstanden.

Ich werbe eindringlich für unseren Antrag.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Herzlichen Dank. - Das Wort erhält die SPD-Fraktion. Bitte, Frau Abgeordnete Geywitz.

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Frau Große, ich finde es auf der einen Seite sehr gut, dass Sie diesen Antrag eingebracht haben, weil er uns die Gelegenheit gibt, über dieses Thema zu sprechen. Auf der anderen Seite möchte ich darauf hinweisen,

dass Sie damit zwei Probleme berühren. Das erste Problem ist inhaltlicher und das zweite eher verfahrenstechnischer Natur. Ich möchte auf diese beiden Punkte eingehen.

Gerade in Ostdeutschland besteht sowohl innerhalb der Parteien als auch innerhalb der Bevölkerung eine hohe Affinität zu sagen: Wir finden es gut, dass für das Bildungssystem bundesweit Standards gesetzt werden. Niemand in unseren Reihen hat gesagt, das Ganztagsschulprogramm des Bundes sei Teufelswerk, so wie das in einigen westlichen Bundesländern geäußert wurde. Dort hieß es: Das ist unsere Zuständigkeit und dafür nehmen wir noch nicht einmal Geld geschenkt.

Das ist bei uns auf keinerlei Verständnis gestoßen. Auch in der ersten Föderalismuskommission waren es die östlichen Bundesländer, die gesagt haben: Wir können uns sehr gut vorstellen, dass im Bildungssystem Standards national festgelegt werden.

Wir mussten aber auch feststellen, dass es gerade in Ländern wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen sehr starken Widerstand gibt. Sie wissen um die ideologische Auseinandersetzung. Das Bildungssystem in Westdeutschland hat jahrzehntelange Tradition und es ist eine heilige Kuh, weil die Ministerpräsidenten befürchten, dass ihnen damit eine Kernkompetenz und damit auch ein Teil der Legitimation von Landespolitik verloren geht.

Das war bei der ersten Föderalismuskommission der Knackpunkt. In dem Moment, in dem die Bildungspolitik auf den Tisch kam, ist diese Kommission gescheitert.

Inhaltlich stimmen wir überein. Es wäre wünschenswert, wenn man bundesweit etwas regeln könnte. Hier wird nach der Reform auf die KMK sehr viel an Koordinationsarbeit zukommen. Ich bedauere sehr, dass die Bundesregierung dann weniger Kompetenzen haben wird, auch im Bereich der Hochschulpolitik. Die Abschaffung der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau gemäß Artikel 91 a des Grundgesetzes ist nicht unbedingt das, was ich mir als Hochschulpolitikerin gewünscht habe.

Kommen wir zur taktischen Frage. Glauben Sie ernsthaft, dass Ihr Antrag in der jetzigen Debatte auch nur ein wenig hilfreich ist? Sie haben gesagt: Im März erreicht der Kompromiss, der Teil der Koalitionsverhandlungen war und jetzt in Form von Gesetzesentwürfen vorliegt, den Bundestag und den Bundesrat. Sie sprechen sich dafür aus, dieses eine zentrale Thema wieder herausnehmen und darüber extra zu verhandeln und den Rest zu verabschieden. Für wie wahrscheinlich halten Sie das? Die Wahrscheinlichkeit ist gleich null.

(Vietze [Die Linkspartei.PDS]: Sie sollten die Ausfüh- rungen von Herrn Struck von heute lesen - ganz wichtige Mitteilungen!)

- Wenn man die Bildungspolitik ausklammert, Herr Vietze, dann wird es keine Einigung in den anderen Feldern geben. Demzufolge kommt Ihr Antrag Monate zu spät. Leider muss man das so feststellen.

(Lachen bei der Linkspartei.PDS - Zuruf des Abgeordne- ten Dr. Scharfenberg [Die Linkspartei.PDS])

- Herr Scharfenberg, es wäre unrealistisch, unseren Ministerpräsidenten zum jetzigen Zeitpunkt in das Rennen zu schicken.

(Vietze [Die Linkspartei.PDS]: Lesen, was abgelaufen ist!)

- Herr Vietze, Sie brauchen mir nicht zu sagen, was da abgelaufen ist. Sie können davon ausgehen, dass die SPD-Fraktion in Brandenburg zu einer der am besten informierten Fraktionen gehört und wir sehr gut in der Lage sind, nachzuvollziehen, was auf Bundesebene gesprochen wird.

Damit die Diskussion hier nicht ausufert, möchte ich jetzt nur noch sagen:

Wir können Ihnen inhaltlich insoweit folgen, dass es wünschenswert wäre, wenn das eine oder andere deutschlandweit geregelt würde. Das ist im Konzert der Länder aber nicht durchsetzbar. Ein entsprechender Vorstoß zum jetzigen Zeitpunkt würde die Reform insgesamt gefährden. Dabei braucht Deutschland in vielen Bereichen eine Politikentflechtung. Sie wissen, welche Blockaden regelmäßig vor Bundestagswahlen aufgebaut werden. Das müssen wir überwinden. Deswegen ist die Föderalismusreform an sich sinnvoll und notwendig für Deutschland.

(Bischoff [SPD]: Sie ist ein Kompromiss!)

Das Ausklammern der Bildungsfrage ist erstens unrealistisch und würde zweitens das Gesamtvorhaben scheitern lassen. Herr Bischoff hat es richtig gesagt: Der Kompromiss ist die Seele der Politik. Manchmal bekommt man eben nicht alles, was man sich wünscht.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Herzlichen Dank, Frau Geywitz. - Jetzt spricht die Abgeordnete Fechner.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute über einen Antrag, der bereits vorige Woche Donnerstag im Bundestag besprochen wurde. Dort hatten nämlich die Berliner Genossen einen Antrag mit selbigem Inhalt eingebracht. Wir befassen uns heute also nicht nur mit der Landtagsdrucksache 4/2524, sondern gleichzeitig mit der Bundestagsdrucksache 16/647. Nicht, dass wir den Eindruck hätten, die Brandenburger Genossen seien von ihren Berliner Genossen ferngesteuert;

(Beifall bei der DVU)

diesen Eindruck haben wir nicht.

(Vietze [Die Linkspartei.PDS]: Das hat damit zu tun, dass sich Bundestag und Bundesrat damit beschäftigen! Das lernen Sie noch!)

- Sehr schön, Herr Vietze. - Ich finde es bemerkenswert, dass vorgefertigte Anträge der Bundestagsfraktion der Linkspartei hier im Landtag Brandenburg debattiert werden.