Protokoll der Sitzung vom 23.02.2006

(Beifall bei der DVU - Unruhe bei der Linkspartei.PDS)

- Ist ja gut. Ich weiß, dass Berlin in der Nähe liegt. Da geht es schneller.

Meine Damen und Herren, ich gebe zu: Auch wir wünschten uns manchmal erheblich mehr Bundeskompetenzen im Bil

dungsbereich. Stellen Sie sich nur einmal vor, Franz Josef Strauß wäre 1980 Bundeskanzler geworden und Leute wie Herr Zehetmair hätten die Bildungspolitik in Deutschland maßgeblich beeinflusst. Dann hätten alle deutschen Bundesländer bei PISA vordere Plätze eingenommen. Kein Ausbildungsbetrieb brauchte sich heute Sorgen zu machen, dass seine Auszubildenden möglicherweise nicht lesen, schreiben und rechnen können. Eine verstärkte Bundeskompetenz auf Bildungsebene hätte sich segensreich ausgewirkt. - Bekanntlich wurde Strauß aber nicht Bundeskanzler.

Wenn ich mir die Leistungen der Bildungspolitiker in sozialdemokratisch regierten Bundesländern ansehe, bin ich sogar ausgesprochen froh darüber, dass Bildungspolitik Ländersache ist. So wurde nämlich verhindert, dass die ganzen linken Reformen die Schulsysteme in allen Bundesländern so zerstören konnten wie beispielsweise in Berlin und in Brandenburg. Das ist zwar irgendwie ungerecht gegenüber den Kindern, die nicht in Bayern oder in Baden-Württemberg zur Schule gehen können, sondern unter sozialdemokratischen Schulexperimenten leiden müssen; aber so wurde wenigstens verhindert, dass ganz Deutschland bildungspolitisch den Bach hinunterging.

Meine Damen und Herren, was derzeit als „Föderalismusreform“ verkauft wird, ist nur eine Fortsetzung der Machtspielchen, die den bundesdeutschen Föderalismus zerstört haben. Auch sind die Parteien, die die Reform erst nötig gemacht haben, die gleichen, die jetzt den Föderalismus reformieren wollen. Dabei kann nichts Sinnvolles herauskommen. Das Ergebnis dieser Kungeleien ist wirklich nicht das, was Deutschland braucht. Da stimme ich den Kollegen von links außen freimütig zu. Aber die Vorschläge der PDS zur Föderalismusreform im Bildungsbereich laufen darauf hinaus, das gesamte bundesdeutsche Bildungssystem auf dem niedrigstmöglichen Nenner zu vereinheitlichen.

Ein Weiteres ist unklar: Auf der einen Seite soll der Landtag eine Reform des Föderalismus im Gesamtbereich der Bildungspolitik begrüßen; so steht es in Ihrem Antrag. Also ist man für diesen Föderalismus im Bildungsbereich. Auf der anderen Seite möchten die Genossen die Kleinstaaterei zu Recht abschaffen. Was denn nun, werte Genossen? Föderalismus im Bildungsbereich, ja oder nein? Ihr Antrag ist vielleicht gut gemeint. Doch wie heißt es so schön: „Gut gemeint“ ist noch lange nicht „gut gemacht“.

Einer Ausschussüberweisung hätten wir zustimmen können. Den Antrag in der vorliegenden Form müssen wir leider ablehnen.

(Beifall bei der DVU)

Es spricht der Abgeordnete Senftleben.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Überraschung aller bin ich heute etwas pünktlicher am Rednerpult.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich verspreche Ihnen, dass das in Zukunft die Regel sein wird.

(Bochow [SPD]: Wir sind begeistert!)

Erstens: Die Notwendigkeit der Reform des föderalen Systems in Deutschland wird auch in diesem Hause niemand bestreiten können. Eine klare Kompetenzaufteilung und die Kooperation der Bundesländer untereinander sind nicht mehr in dem Maße vorhanden wie vielleicht noch am Anfang der Republik. Es geht um Entflechtung, um klare Verantwortlichkeiten, und, wie von meiner Kollegin Frau Geywitz soeben gesagt, um die Beschleunigung von politischen Entscheidungsprozessen. Es geht aber auch um Wettbewerb um die besten Lösungen. Dieser Wettbewerb betrifft auch den Bildungsbereich. Wir müssen heute feststellen, dass die 16 Bundesländer bei PISA mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen abgeschnitten haben. Das Niveau von Bildung, Bildungsleistungen und Bildungsqualität unterscheidet sich also von Land zu Land erheblich.

Nach dem „PISA-Alarm“, um den Titel eines gleichnamigen Buches zu zitieren, hat die Konferenz der Kultusminister in Deutschland gehandelt und trotz Kulturhoheit der Bundesländer, die noch immer existiert, Bildungsstandards eingeführt. Sie gelten in jedem Bundesland und haben verbindlichen Charakter. Wir werden sie, wie alle anderen Länder auch, im Schulgesetz des Landes Brandenburg fest verankern.

Zweitens verweise ich auf die zentralen Prüfungen in Brandenburg. Sie sind ein Kernelement dessen, was an Vergleichbarkeit im Bildungsbereich möglich ist.

Drittens: Wir haben Qualitätskriterien festgelegt, die einen Vergleich zum Beispiel zwischen Bayern und Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen oder Thüringen und Berlin ermöglichen.

Der Vorschlag der PDS, über ein Bildungsgesetz auf Bundesebene zu diskutieren, würde mit Sicherheit nur Ihnen, Herr Vietze, die Möglichkeit bieten, über Strukturfragen zu reden. Es ist nicht die Zeit, Strukturdebatten zu führen. Die Schülerinnen und Schüler brauchen nicht mehr, sondern weniger Debatten über Strukturen.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen einen Satz aus der PISAStudie vorlesen, der Ihnen vielleicht bekannt ist:

„Für das lebenslange Lernen und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist die erreichte Kompetenz ausschlaggebend und nicht die besuchte Schulart.“

Das ist auch das Motiv der Diskussion in den Bundesländern, wenn es darum geht, soziale Gerechtigkeit zwischen den Schulformen zu erreichen. Deswegen sollten wir an dem Bereich so festhalten, wie er momentan besteht. Ich verschweige nicht, dass es sinnvoll wäre, hinsichtlich der Vergleichbarkeit und damit der Überschaubarkeit der Elemente des Bildungssystems in Deutschland weitergehende Vereinbarungen zu treffen.

Ich begrüße es, dass die große Koalition in Berlin einen wichtigen Bereich herausgegriffen hat, den sie gemeinsam mit allen Ländern voranbringen will. Unter der Leitung von Frau von der Leyen soll die frühkindliche Bildung und Entwicklung ver

bessert werden. Das liegt im Interesse einer guten Bildung unserer Kinder.

Ich komme auf die aktuelle Realität zurück. Herr Vietze, Ihre Partei darf in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern Regierungskraft sein; Gott sei Dank ist das auf zwei Länder beschränkt. Sie haben also im Bereich der Bildung etwas zu sagen. Mir ist nicht bekannt, dass Berlin und MecklenburgVorpommern es geschafft hätten, über den von der KMK vorgegebenen Rahmen hinaus gemeinsame Beschlüsse zu fassen. Was Sie jetzt einfordern, schaffen Sie also nicht einmal in den Ländern unter Ihrer Führung.

(Frau Große [Die Linkspartei.PDS]: Wir haben zum Bei- spiel ein gemeinsames Qualitätsinstitut!)

Die Idee der gemeinsamen Lernmittel kommt, trotz unserer Kritik, eher aus Brandenburg als aus Berlin oder MecklenburgVorpommern. Insoweit hatte Herr Reiche, der jetzt im Bundestag sitzen darf, die Vorreiterrolle übernommen. Wir kritisieren heute noch, dass die Südländer zu wenig einbezogen worden sind. Auch wenn der Vorschlag nicht aus unseren Reihen gekommen ist, lassen wir es nicht zu, dass Sie ihn sich auf Ihre Fahnen schreiben. Es ist schon etwas zweifelhaft, wenn Sie von anderen etwas einfordern, was Sie selbst nicht geschafft haben. Auch deswegen werden wir Ihrem Antrag unsere Zustimmung verwehren.

Ich darf es noch einmal deutlich sagen: In der Begründung Ihres Antrags heißt es, man beziehe sich immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Akteure. Was glauben Sie denn, was bei 16 Orchestermitgliedern als kleinster gemeinsamer Nenner herauskommen könnte?

Ich nenne Ihnen auch ein gutes Beispiel. Sie haben kritisiert, dass die große Koalition in Brandenburg mit der Einführung der Oberschule eine wichtige Strukturreform umgesetzt habe. Wir haben das in knapp 50 Tagen geschafft und haben gerade heute gehört: Es war eine sinnvolle und richtige Reform. Da sind SPD und CDU gemeinsam über ihren Schatten gesprungen und haben etwas Sinnvolles gemacht. Aber Sie sitzen heute noch in der Ecke, um es zu kritisieren.

(Zuruf von der Linkspartei.PDS: Sie nehmen die Realität gar nicht zur Kenntnis!)

Machen Sie lieber bei den Reformvorschlägen, die wir sinnvollerweise auf den Tisch gelegt haben, mit, statt ständig nach Strukturfragen zu gucken.

Was glauben Sie denn, Herr Abgeordneter, warum ich das Lämpchen eingeschaltet habe?

Ich habe mich von der Farbe Rot extra weggewendet.

Trotzdem muss ich Sie darauf hinweisen, dass Ihre Redezeit zu Ende ist.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, auch Ihnen, Herr Bischoff. Wir werden Ihren Antrag natürlich ablehnen. Ich meine, wir werden noch genügend Zeit haben, auch über solche Fragen zu diskutieren. - Ich werde jetzt das Rednerpult verlassen.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal auf Folgendes hinweisen: Herr Senftleben wendet sich vom roten Lämpchen ab, andere nehmen es nicht zur Kenntnis. Wenn wir Redezeiten miteinander vereinbart haben, dann gehe ich davon aus, dass sie von den Abgeordneten auch akzeptiert werden. Das Lämpchen, das hier leuchtet, signalisiert Ihnen, dass Sie zum Ende Ihrer Rede kommen müssen.

Es spricht jetzt Minister Rupprecht.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde die Redezeit einhalten, versprochen. Dabei werde ich nach diesen emotionalen Ausbrüchen versuchen, die Sache relativ sachlich zu Ende zu bringen. Zunächst einmal möchte ich das Thema benennen, um das es eigentlich geht.

Nach mehrjährigen Vorarbeiten und dem zwischenzeitlichen Scheitern wird die Föderalismusreform in den kommenden Wochen den Weg in das Gesetzgebungsverfahren finden. Davon können wir wohl ausgehen. Ziel ist es, das Handeln der beiden staatlichen Ebenen - Bund und Bundesländer - zu entflechten und ihre Gestaltungsspielräume zu weiten. Dies soll insbesondere zu einer Stärkung der Länderparlamente führen. Sie erhalten bei der Verwirklichung der Reform mehr Gesetzgebungskompetenz als bisher. Zugleich aber verzichten sie auf die Gestaltungsmöglichkeiten im Bundesrat, da die Zahl der zustimmungsbedürftigen Gesetze verringert wird. Darüber hinaus soll die Föderalismusreform über eine Rückführung der Gemeinschaftsaufgaben, die Zuweisung von Steuergesetzgebungskompetenzen an die Länder und die Zusage von Bundesmitteln für einen Zeitraum bis 2013 bzw. 2019 eine transparentere Verteilung von Verantwortlichkeiten mit sich bringen. - So weit noch einmal zu der Frage, um die es geht.

Das zeigt aber, so meine ich, bereits, dass die Reform nur dann gelingen kann, wenn sie in dem nunmehr avisierten gesamten Umfang den Weg durch das Gesetzgebungsverfahren nimmt. Ein Herausbrechen eines Teilaspekts, wie von der Linkspartei beabsichtigt, würde unweigerlich - das ist meine Überzeugung zum Scheitern der Reform führen. Ein solches Scheitern kann indes - das kann jeder nachvollziehen - angesichts der hieraus resultierenden politischen Flurschäden niemand ernsthaft wollen.

Es dürfte der Linkspartei im Übrigen nicht entgangen sein, dass gerade die Bildungspolitik von der Mehrzahl der Bundesländer als ureigene Länderaufgabe angesehen wird. Es ist deshalb deren Anliegen, auf diesem Politikfeld weitere Kompetenzen zu erhalten. Daher war völlig absehbar, dass der erste Versuch, die Föderalismusreform über die Arbeit der 2003 eingerichteten Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung zu verwirklichen, gerade an der Weigerung des Bundes

gescheitert ist, sich im Bildungsbereich aus der Gesetzgebungskompetenz zurückzuziehen. Der damalige Versuch des Bundes, Bildungs- und Umweltfragen zunächst auszuklammern und das Gesamtpaket ohne eine Einigung auf diesen Politikfeldern zu erreichen, blieb vorhersehbar erfolglos. Ein gleiches Schicksal, Frau Große, würde ein entsprechender Vorstoß Brandenburgs, der von Ihnen gewünscht wird, im Bundesrat erneut erleiden. Davon bin ich überzeugt.

Ich verhehle nicht - das ist auch meine persönliche Meinung -, dass auch die Landesregierung die weitgehende Verdrängung des Bundes aus der Gesetzgebungskompetenz zugunsten der Länder mit einer gewissen Skepsis sieht. Das haben auch Frau Geywitz und der Chef der Staatskanzlei hier deutlich gemacht.

Ein Scheitern der angestrebten Reform aus diesen Gründen ist jedoch nicht wünschenswert. Unsere Anstrengungen sollten vielmehr darauf gerichtet sein, gemeinsam mit dem Landtag und den anderen Bundesländern auf einen verantwortungsbewussten Umgang mit der zugewiesenen Gesetzgebungskompetenz hinzuwirken, der den länderspezifischen Besonderheiten etwa im Bereich des Bildungswesens Rechnung trägt und gleichzeitig - das ist auch mein großer Wunsch - den Rückfall in die bildungspolitische Kleinstaaterei verhindert. Ich glaube, das ist möglich. - Danke.

(Beifall bei SPD und CDU)

Herzlichen Dank, Herr Minister. Sie haben Ihr Versprechen gehalten. - Für die Fraktion der Linkspartei.PDS spricht der Abgeordnete Jürgens. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich ein Zufall der Geschichte, dass ausgerechnet heute in der „Süddeutschen Zeitung“ unser Thema Föderalismus unter der Überschrift „Mehr Bund, weniger Land“ kommentiert wird. Ich zitiere daraus:

„Deutschland ist nicht gemacht für diese Welt. Seine Verfasstheit hält nicht Schritt mit den Erfordernissen des 21. Jahrhunderts. Während diese Welt sich atemberaubend verändert hat, klammert sich Deutschland an seine kleinstaatlichen Strukturen.“

Schöner kann man es kaum sagen.