Protokoll der Sitzung vom 17.05.2006

Meine Damen und Herren, ich eröffne die 31. Plenarsitzung.

Zu Beginn begrüße ich eine Gruppe der Oberschule Sachsenhausen sowie sechs weitere Jugendliche aus Finsterwalde als unsere Gäste. - Ich wünsche Ihnen einen interessanten Vormittag.

(Allgemeiner Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Tagesordnung für die heutige Sitzung liegt Ihnen vor. Sie ist um die Punkte 16 und 17 ergänzt worden, die wir sozusagen von der morgigen Tagesordnung herübergezogen haben, wobei die vorgesehenen Redezeiten beibehalten werden.

Von 11.45 Uhr bis 14.30 Uhr ist der Ministerpräsident nicht anwesend, aber zu den spannenden Punkten wird er wieder hier sein. Minister Junghanns ist ganztägig abwesend. Ich freue mich, dass unser Bauminister nahezu genesen wieder unter uns ist, und wünsche ihm Stärke und Kraft, wie es ihm Energie Cottbus vorgemacht hat.

(Beifall bei SPD, CDU und der Linkspartei.PDS)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Kommunale Selbstverwaltung im Land Brandenburg - Anspruch und Wirklichkeit

Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS

Für die antragstellende Fraktion beginnt die Debatte der Abgeordnete Dr. Scharfenberg, der, wie ich gerade sehe, vom Abgeordneten Theel vertreten wird.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Abschluss der Gemeindegebietsreform im Oktober 2003 hat die Landesregierung eine erhebliche Vergrößerung der Kommunen durchgesetzt. Es sollten bürgernahe, professionelle, effiziente Strukturen im Lande entwickelt werden. Leistungsstarke, zukunftsfähige Gemeinden und Städte sollten nun in der Lage sein, die Aufgaben von heute zu erfüllen, und gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern auch künftigen Herausforderungen gewachsen sein. Zugleich wurde die Erwartung geweckt, dass die finanziellen Möglichkeiten zur Ausgestaltung der politischen Ziele in den Kommunen größer würden. Der Gemeindegebietsreform im Lande musste deshalb zwangsläufig eine Reform der Gemeindefinanzen folgen. Die Hoffnungen richteten sich dabei auf die Weiterentwicklung des Gemeindefinanzierungsgesetzes zu einem Finanzausgleichsgesetz. Das ist notwendig und wird künftig dringend notwendig sein.

Damals prägte der Innenminister den erkenntnisreichen Satz, dass es dem Land nur so gut gehen kann wie seinen Kommu

nen. Wenn ich diesen Satz heute zitiere, erhalte ich als Reaktion überall im Lande nur ein müdes Lächeln. Die Hoffnungen sind enttäuscht worden. Heute haben die brandenburgischen Kommunen den seit Jahren höchsten Schuldenstand. „Die Haushaltslage ist zum bestimmenden Moment der Politik geworden.“ Dies ist die Einschätzung ausgerechnet des Landrats des leistungsstärksten Landkreises der Bundesrepublik, Peer Giesecke, Teltow-Fläming. Die Kommunen geraten unverschuldet in einen Teufelskreis. Abbau von Leistungen und Reduzierung von Personal als vermeintlich einziger Ausweg stößt irgendwann an Grenzen, und diese sind bereits erreicht.

Sicherlich gab es mit dem FAG Veränderungen. Eine wichtige Neuerung war die unmittelbare Zuweisung der Investitionspauschale auch an die kreisangehörigen Gemeinden. Allerdings wird dieser positive Effekt von Ihnen in den Reihen der Koalitionsfraktionen regelmäßig infrage gestellt, indem die Rückkehr zu dem von den Gemeinden nicht akzeptierten alten Prinzip, von den Kreisen Prioritätenlisten vorgesetzt zu bekommen, gefordert wird. Die mit Stolz verkündete Erhöhung des kommunalen Finanzausgleichs durch das FAG im Jahre 2005 um 245 Millionen Euro reduzierte sich bei Gegenrechnung auf null. Unter dem Strich kann von erhöhten Zuweisungen bzw. einem höheren Finanzausgleich im Jahre 2005 keine Rede sein.

Schon das Landesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die Rücksichtnahme auf die Landesfinanzen ihre Grenzen in dem Recht auf kommunale Selbstverwaltung findet, das nicht ausgehöhlt werden darf. Ein Beleg für die Richtigkeit dieses Richterspruchs ist das aktuelle Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung mit dem so genannten Symmetriebericht.

Die vom Landesverfassungsgericht geforderte regelmäßige Überprüfung, ob die Verbundquote dem tatsächlichen Finanzbedarf der Gemeinden gerecht wird, ergab, dass der Gleichmäßigkeitsgrundsatz nicht eingehalten wurde. Die parallele Entwicklung der Landeseinnahmen nach Abzug der Zuweisungen an die Kommunen und der kommunalen Gesamteinnahmen ist also nicht beachtet worden.

Was ist die Folge? Die Zuweisungen an die brandenburgischen Gemeinden wurden von 2002 bis 2004 stärker zurückgeführt, als dies in den anderen ostdeutschen Ländern insgesamt und auch in den westdeutschen Nehmerländern der Fall war. Während die Summe der laufenden und investiven Zuweisungen im ostdeutschen Durchschnitt um 50 Euro pro Kopf zurückging, betrug der Rückgang in Brandenburg 231 Euro pro Kopf, war also fast fünfmal so hoch.

Die Einnahmen der Länder aus Zuweisungen des Bundes verringerten sich in dem gleichen Zeitraum in wesentlich geringerem Maße. In Brandenburg sind diese Einnahmen um lediglich 8 Euro gesunken. Daran möge erkannt werden, wie das Ungleichgewicht zwischen Kommunen und Land aussieht.

Allein dieser Vergleich zeigt ganz deutlich, dass sich die Landesregierung auf Kosten der Kommunen gesundzusparen versucht. Während den Kommunen das Wasser bis zum Hals steht, verschafft sich das Land finanzielle Spielräume, die nicht im Sinne der Kommunen genutzt werden.

Die Linkspartei.PDS hat die fragwürdigen Rechenexempel der Landesregierung immer wieder infrage gestellt. Wir sehen uns durch das vorliegende Gutachten und die dargestellte Notwendigkeit einer Nachzahlung an die Kommunen in Höhe von 216 Millionen Euro, welche wir im Rahmen des FAG beantragt haben, bestätigt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das alles lässt den Pauschalabzug der 50 Millionen Euro jährlich aus der Verbundmasse in einem anderen Licht erscheinen. Obwohl die dramatische kommunale Haushaltslage der Landesregierung seit langem bekannt ist, bedient sie sich schamlos an den den Kommunen zustehenden Geldern, um die eigene Haushaltslage des Landes mit „fremdem Geld“ zu konsolidieren.

(Zuruf von der Regierungsbank: Schamlose Polemik!)

- Wenn der Vergleich 8 Euro zu 231 Euro nicht ausreicht, um das zu begründen, weiß ich nicht, welche Argumente wir noch nennen sollen, zumal das Gutachten nicht von uns stammt. Sie haben dieses Gutachten in Auftrag gegeben.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Schippel [SPD]: Eben!)

Wer ein Gutachten in Auftrag gibt und es bezahlt, verwirft es hinterher oder versucht, seine Handlungen darauf einzustellen. Angesichts dieses unverhältnismäßigen Teilens ist das so und deshalb darf ich das sagen.

Dieses Gutachten enthält einen Satz von grundsätzlicher Bedeutung: Kein anderes Land in der Bundesrepublik beteiligt seine Kommunen so wenig an den Einnahmen wie das Land Brandenburg. Wir stehen an letzter Stelle!

(Zuruf von der SPD: Quatsch! - Zuruf von der CDU: Die anderen Bundesländern beteiligen sie an den Schulden!)

- Vielleicht haben die anderen Bundesländer etwas besser gewirtschaftet und holen so das Geld über die Kommunen herein. Nur vom Sparen allein wird man nicht reich, sondern durch Arbeiten und Schaffen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

In dem DIW-Gutachten wurde ebenfalls festgestellt, dass die Kommunen hinreichend über eigenbestimmte Steuereinnahmen verfügen müssen, um ihre Aufgaben voll umfänglich wahrnehmen zu können. Die freiwilligen Aufgaben sind heute schon sehr stark zurückgefahren worden. Eine Kommune, die noch freiwillige Aufgaben im Haushalt ausweist, muss damit rechnen, dass die Aufsichtsbehörden einen ungenügenden Willen zum Sparen unterstellen.

Die Investitionsausgaben in den Kommunen sind stark zurückgegangen. Die Gründe dafür sind bekannt: Die Kommunen haben kein entsprechendes Eigenkapital, um mögliche Förderung abzurufen. Eine Kofinanzierung durch Kredite kommt überhaupt nicht mehr infrage, weil die Kommunen die erforderlichen Bedingungen für eine Genehmigung durch die Kommunalaufsicht längst nicht mehr erfüllen.

Wenn den Kommunen nicht die Chance eingeräumt wird, auch künftig über Mittel für Infrastruktur, Freizeiteinrichtungen,

Sport, die Ausstattung der freiwilligen Ortsfeuerwehren und andere Einrichtungen zu verfügen, werden sie kaum noch Einfluss darauf nehmen können, die Fluktuation besonders in den berlinfernen Räumen zu stoppen.

(Zuruf: Das ist ein Herbeireden!)

- Dazu gibt es Zahlen. Wir brauchen nichts herbeizureden.

(Schippel [SPD]: Es gibt einen Zusammenhang! - Zuruf des Abgeordneten Bischoff [SPD])

- Ich komme aus dem Land und weiß, was gemacht wird. Ich bin auf die Dinge, die dort gelaufen sind, sehr stolz. Im Land ist viel passiert. Es könnte noch mehr sein, wenn es eine gemeinsame Strategie des Landes mit den Kommunen und nicht gegen die Kommunen gäbe.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Dabei mussten die Kommunen keineswegs immer mit einem derart niedrigen Steueranteil auskommen. Wie Sie sehen, ist eine durchgreifende Reform der Kommunalfinanzen dringend notwendig. Das bestätigt auch Herr Dr. Vesper in seinem Gutachten. Leider macht die große Koalition in Berlin keine Anstalten in diese Richtung. Wir haben allen Grund, die Gemeindefinanzreform voranzutreiben.

Meine Damen und Herren, die Vorschläge, die Herr Dr. Vesper in dem aktuellen Gutachten aufzeigt, sollten ernsthaft diskutiert und zum Gegenstand politischer Entscheidungen gemacht werden. Das betrifft zum Beispiel die Überführung von ressortgebundenen Mitteln in die Finanzausgleichsmasse des FAG, die schon bei der Erarbeitung des FAG im Jahre 2004 diskutiert wurde. Der damalige Referentenentwurf sah vor, bis zum Jahr 2008 ca. 100 Millionen Euro in das FAG umzulenken.

Das heißt nicht, dass damit alle kommunalen Probleme gelöst wären - das liegt auf der Hand -, aber der kommunale Spielraum könnte sich dadurch erweitern. Nach meiner Kenntnis hat sich bisher nichts in dieser Richtung getan. Die Ressorts halten nach wie vor an ihren Mitteln fest.

Außerdem werden Änderungen am Ansatz des Zentrale-OrteSystems vorgeschlagen, beispielsweise die Vervielfältigung der Einwohnerzahlen erst ab einer Größenklasse von über 5 000 Einwohnern vorzunehmen. Hintergrund ist, dass sich der Zuschussbedarf wohl erst in Gemeinden mit mehr als 5 000 Einwohnern signifikant erhöht.

Solche Änderungen sollten aber im Zusammenhang mit dem Zentrale-Orte-System vorgenommen werden. Die Landesregierung will sich bisher nicht auf eine solche Funktionszuweisung an die Kommunen - das heißt auf Kriterien für eine Hierarchie im ZOS - festlegen lassen. Hinzu kommt, dass eine Verbindlichkeit der Landesplanung erst für 2008 zu erwarten ist. Eine Finanzzuweisung kann letztlich nur ausgleichend und gerecht erfolgen, wenn feststeht, was die einzelnen Hierarchiestufen vorhalten, um eine entsprechende Finanzierung erwarten zu können. Nur dann kann im Rahmen des FAG eine sinnvolle Zuordnung mit Spreizung in der Hauptansatzstaffel Klarstellung bringen.

Wir drängen mit Nachdruck darauf, bei der anstehenden Änderung des FAG noch in diesem Jahr das aktuelle DIW-Gutachten

mit seinen Lösungsansätzen unbedingt zu berücksichtigen. Ziel muss es sein, den Gemeinden mehr Mittel zur freien Verfügung bereitzustellen, damit freiwillige Aufgaben in Zukunft wieder erfüllt werden können und nicht immer an der aufgezwungenen finanziellen Freiwilligkeit scheitern. Deshalb haben wir dieses Thema zum Gegenstand der heutigen Aktuellen Stunde gemacht. Das ist nicht ohne Wirkung geblieben. Es ist sicherlich kein Zufall, dass der Finanzminister ausgerechnet gestern verkündet hat, dass die Kommunen noch in diesem Jahr 105 Millionen Euro zusätzlich erhalten werden.

Dieses „zusätzlich“ darf ich mit Gänsefüßchen versehen, denn was ich jemandem lange vorenthalten habe und ihm dann gezwungenermaßen zureiche, ist nicht zusätzlich, das steht ihm zu.

Selbstverständlich begrüßen wir es, dass nach so langer Zeit, nach über einem Jahr, diese Nachzahlung erfolgt. Aber, wie das so ist, einmalige Zahlungen sind Tropfen auf den heißen Stein. Auch die neueste Steuerschätzung für das Land Brandenburg, wonach das Land im Jahr 2006 über ein Einnahmenplus von 37,5 Millionen Euro verfügt, ändert grundsätzlich die Kritik am Finanzsystem nicht.

Meine Damen und Herren, kommunale Selbstverwaltung braucht langfristig wirkende verbindliche Kriterien der Haushaltspolitik. Kurzfristige Mehreinnahmen dürfen nicht als Argument für die Verweigerung einer längst fälligen modernen Gesetzgebung herhalten. Nehmen Sie die vielen Erkenntnisse und Vorschläge, die es dafür gibt, ernst und lassen Sie uns gemeinsam an einem solchen Konzept arbeiten, denn Sie wissen: Wie es in den Kommunen aussieht, so ist das Land. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)