Protokoll der Sitzung vom 13.09.2006

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei.PDS, Sie wissen es genauso gut wie wir: Die Kommunen und die Wohlfahrtsverbände wissen seit sehr langer Zeit, was die Landesregierung vorhat, was wir gemeinsam vorhaben, nämlich die Kommunalisierung. Die Kommunalisierung der Eingliederungshilfe ist überhaupt nicht strittig; alle wollen diese Kommunalisierung.

(Frau Kaiser [Die Linkspartei.PDS]: Richtig! Aber die Bedingungen sind strittig!)

Es ist nur gut, dass der Bundesgesetzgeber endlich die sachliche und finanzielle Zuständigkeit zusammengeführt hat. Das hat der Bundesgesetzgeber nämlich schon getan, das müssen wir - Gott sei Dank! - nicht mehr tun. Damit ist auch der Anreiz bezüglich der spannenden Frage „ambulant vor stationär“ gegeben. Ich weiß sehr wohl, wovon ich rede. Ich habe diese Trennung als Dezernentin sehr oft beklagt. Ich bin sehr froh, dass wir dies jetzt alles zusammenführen. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Landkreise, unsere örtlichen Sozialhilfeträger - dazu gehören auch die kreisfreien Städte - sehr wohl in der Lage sein werden, dieses umzusetzen.

Während des Beitrags der Linkspartei.PDS habe ich so für mich gedacht: Eigentlich ist es gut, dass die Entwicklung auch manchmal ein Stück weit an uns vorbeigeht. Denn wenn ich an Diskussionen teilnehme, kann ich - ich gebe zu, erst in den letzten Wochen; zu Beginn des Jahres war es ganz anders - feststellen - und ich bin froh darüber -, dass in diesem Bereich mittlerweile eine sehr sachliche und fachliche Diskussion geführt wird.

Wie gesagt, waren bei der gestrigen Veranstaltung der Arbeiterwohlfahrt alle Vertretungen des Landes Brandenburg anwesend. Es ging sachlich, fachlich, einfach toll zu. Die Diskussion war zielführend. Die Träger bereiten sich auf die neuen Gegebenheiten vor. Ich habe Diskussionen in Landkreisen geführt und kann Ihnen nur sagen: In den Landkreisen ist man mittlerweile unter Umständen viel weiter als bei den kommunalen Spitzenverbänden selbst. Da hat man sich bereits zusammengetan. Nach meinen Informationen werden sich die Landkreise in Gänze zusammentun. Vielleicht gibt es ein oder zwei, die es nicht tun, aber auch da wird die Zeit entsprechende Entwicklungen bringen.

Frau Lehmann, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Einen kleinen Moment; ich möchte den Gedanken noch zu Ende führen.

Bitte.

Ich denke, dass die Landkreise sich zusammentun und dort eine kommunale Struktur schaffen werden, um dann zu gewährleisten, dass die Eingliederungshilfe für den stationären Bereich, für den teilstationären Bereich und für den ambulanten Bereich wirklich in allen Landkreisen nach einheitlichen Maßstäben umgesetzt wird.

Bitte schön, jetzt kann die Nachfrage gestellt werden.

Sehr geehrte Frau Kollegin, ich stelle nicht in Abrede, dass die Landkreise das Problem lösen. Aber ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, dass die Vertreter der Landkreise auch auf der entsprechenden Beratung mit dem Staatssekretär des zuständigen Ministeriums gerade die kritischen Fragen, die meine Kollegin Kolodzeike soeben zum Gesetzentwurf gestellt hat, ausdrücklich unterstützt haben und dass es vor diesem Hintergrund sehr problematisch sein wird, den beabsichtigten Zeitplan einzuhalten?

Diese Kritikpunkte sind bekannt. Dazu haben wir zwei Fachtagungen durchgeführt,

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [Die Linkspartei.PDS])

und sie sind dort natürlich vorgetragen worden. Das ist keine Frage. An einigen Stellen haben wir den Gesetzentwurf bereits nachgebessert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun bleiben wir doch ganz ruhig und lassen bitte die Durchführung des Anhörungsverfahrens zu. Ich bin davon überzeugt, dass die unterschiedlichen Auffassungen darin noch einmal vorgetragen werden. Ein Anhörungsverfahren wird auch durchgeführt, um an der einen oder anderen Stelle den Gesetzentwurf eventuell noch etwas nachbessern zu können. Ich sehe noch nicht, dass hier bereits Schluss sein soll. Ansonsten bräuchten wir den Gesetzentwurf nicht in den Fachausschuss einzubringen.

(Zurufe von der Linkspartei.PDS)

In diesem Bereich ist in der Tat viel in Bewegung gekommen. Im Lande werden sich Strukturen ändern. Ich sprach bereits davon, dass sich Landkreise zusammentun und ihre eigene

Struktur schaffen werden. Das begrüße ich sehr. Jedoch wurde auf der gestrigen Tagung der Arbeiterwohlfahrt sehr deutlich das haben die Träger längst erkannt -, dass auch die Träger ihre Strukturen überdenken müssen, um den neuen Herausforderungen in der Eingliederungshilfe gerecht zu werden.

Frau Abgeordnete, es gibt eine weitere Zwischenfrage. Sind Sie bereit, auch diese zu beantworten?

Bitte schön.

Habe ich es richtig verstanden, dass Sie bereit sind, Änderungen am Gesetzentwurf vorzunehmen, wenn aus der Anhörung heraus entsprechende Vorschläge kommen?

Herr Domres, ich hatte, so hoffe ich doch, deutlich gesprochen. Ich habe das so gesagt, natürlich. Wenn die Argumente überzeugend sein sollten, warum eigentlich nicht?

Meine Damen und Herren, Sie merken auch hier und heute, dass dieses Gesetz noch lebhaft zu diskutieren ist. Ich freue mich insofern auf das nunmehr folgende Anhörungsverfahren und hoffe, dass wir im November das Gesetz - mit welcher Detailformulierung auch immer - hier im Landtag beschließen können. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Recht herzlichen Dank. - Für die DVU-Fraktion erhält die Abgeordnete Fechner das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bundessozialhilfegesetz wurde zum 31. Dezember 2004 weitgehend außer Kraft gesetzt. Lediglich § 100, in dem die grundsätzliche sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe bestimmt wurde, tritt erst zum 31. Dezember dieses Jahres außer Kraft.

Ab 1. Januar 2007 gibt es neue gesetzliche Grundlagen. Deshalb wurde dieses uns vorliegende Gesetz konzipiert. Wie fast alle Gesetzentwürfe, die von dieser Landesregierung kommen, sorgt auch dieser Entwurf für viel Aufregung und Verärgerung. Die Landkreise laufen Sturm gegen die künftige Finanzierung der stationären Pflege und befürchten Millionenverluste. Der Geschäftsführer des Landkreises kündigte bereits an, dass mehrere Kreise eine Beschwerde beim Landesverfassungsgericht erwägen.

Worum geht es bei der ganzen Aufregung? - Das Kabinett hatte vor geraumer Zeit entschieden, den Landkreisen die finanzielle Verantwortung für die stationäre Pflege zu übertragen und dafür bis zum Jahr 2009 einen Festbetrag zu zahlen. Mit dieser Neuerung setzt das Land eine Änderung des SGB XII um. Bis zum Jahr 2009 will das Land dafür jährlich 312 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Denn letztendlich geht es ums Geld.

Das Ministerium ist der Meinung, dass dieser Betrag ausreichend sei. Er liege sogar um 26 Millionen Euro über den Kosten, die die Kommunen im vergangenen Jahr für diese Aufgabe angemeldet hätten. Das sehen aber leider nicht alle Beteiligten so. Die Liga der Spitzenverbände hat dem Landtag bereits eine Stellungnahme zum Gesetzentwurf zugeleitet. In ihr wird sehr ausführlich dargelegt, warum nach Meinung der Spitzenverbände der Geldbetrag in keiner Weise ausreichend sein wird.

Meine Damen und Herren! Heute findet die 1. Lesung dieses Entwurfs statt. Das heißt, dass dieser Entwurf demnächst in den zuständigen Fachausschüssen beraten wird und Anhörungen dazu stattfinden werden. Vielleicht wird es diesbezüglich doch noch die eine oder andere Änderung geben, und zwar Änderungen, mit denen dann alle Beteiligten einigermaßen zufrieden sein können. Die Hoffnung stirbt bekanntermaßen zuletzt.

(Beifall bei der DVU)

Herzlichen Dank. - Für die CDU-Fraktion erhält die Abgeordnete Schier das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Änderung des SGB XII oder die Kommunalisierung der Eingliederungshilfe beschäftigt uns erst richtig seit Januar dieses Jahres. Im Januar haben wir gemeinsam mit der Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege und den Vertretern der Kreise hier im Landtag über die Eckpunkte des Gesetzes und die damit verbundene Änderung des Finanzausgleichsgesetzes gesprochen. In der damaligen Pressemitteilung waren wir uns darüber einig, dass es zu wenige ambulante Betreuungsmöglichkeiten gibt.

Nicht wenig erstaunt war ich über die Aussage des Sprechers der Liga, dass von den 7 200 stationär untergebrachten Behinderten etwa ein Drittel ambulant betreut werden könnte. Aufgrund dessen muss man sich die Frage stellen: Warum wurden nicht schon vorher ambulante Strukturen aufgebaut?

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [Die Linkspartei.PDS])

Als der Gesetzentwurf vorlag, gab es im Juni dieses Jahres wiederum eine Tagung. Der Inhalt ist schnell wiedergegeben: Wir haben zu wenige ambulante Betreuungsmöglichkeiten und es gibt zu wenig Geld. - Das heißt, in einem halben Jahr hat jeder geschaut, was noch geändert wird. Alle haben eine Wartestellung eingenommen. Dabei sind die Interessenlagen völlig unterschiedlich. Die Betreiber der stationären Behinderteneinrichtungen wollen ihr Betreuungsniveau beibehalten und die qualitativ gute Arbeit in gewohnter Weise fortsetzen. Die Kreise haben die Befürchtung, dass sie zum Beispiel mit den neuen Aufgaben, die das LASV bisher erledigt hat, überfordert sind.

Ich will versuchen, meine Gespräche in einigen Einrichtungen zusammenzufassen: Erstens: Die Forderung „ambulant vor stationär“ ist richtig und gewährt den Menschen mehr Teilhabe am Leben. Zweitens: Die unterschiedlichen Zuwächse der einzelnen Kreise - immerhin zwischen 2 und 57 % - versetzen einige Kreise in die Situation, dass sie die Leistung wie 2005 nicht mehr gewährleisten können. Das ist, glaube ich, der Knackpunkt. Drittens. Die Kreise müssen sich darauf einigen, die Kostensätze - einheitliche Kosten und Standards - zu verhandeln. Das empfehlen jedenfalls die Träger der Einrichtungen.

Die Kollegin Lehmann hat ausgeführt, dass es einen Zusammenschluss der Kommunen geben wird. Nur dürfen wir uns der Tatsache nicht verschließen, dass die Gewinnerkreise im Moment ganz stillhalten und diejenigen, die wenig bekommen, sagen: Es muss Verhandlungen geben.

Mein Fazit: Um die Qualität der Betreuung unserer Menschen mit Behinderung zu sichern, brauchen wir die Fachkompetenz der Träger, den Ausbau von ambulanten Strukturen und die finanzielle Ausstattung. Deshalb lassen Sie uns im Ausschuss besonders betroffene Kreise und Träger zu Wort kommen. Möglicherweise finden wir unter anderem durch die Einrichtung eines Fonds zum Aufbau ambulanter Strukturen eine Lösung; denn das ist der Knackpunkt der Kreise, die sagen: Wonach wird das Geld verteilt? Es müsste nach Einrichtungen, nach Bedürftigkeit verteilt werden. - Ich denke, darüber müssen wir eindringlich reden, wozu wir im Ausschuss die Möglichkeit haben. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Herzlichen Dank. - Frau Ministerin Ziegler möchte noch einmal das Wort ergreifen. Bitte schön.

Frau Kolodzeike, ich möchte gern auf das reagieren, was Sie hier dargestellt haben. Sie sagen, mit dem Gesetzentwurf würden die fachlichen Standards infrage gestellt. Das stimmt nicht. Es ist eine Unterstellung, wenn Sie sagen, die Kommunen brächten es nicht fertig, diese fachlichen Standards zu halten. Sie setzen kein Vertrauen in die Kreistagsabgeordneten, die darüber beschließen müssen, was tatsächlich an fachlichen Standards gegeben sein muss, und die dafür die finanzielle Ausstattung bereitzustellen haben.

Sie haben sehr wenig Vertrauen in die kommunale Ebene, dass sie ihrer Verantwortung dabei gerecht wird. Das kann ich bei der Erstellung eines Gesetzentwurfs nicht voraussetzen. Mir geht es darum, dass der Mensch im Mittelpunkt steht und ihm all das von der politischen Ebene - die dafür zuständig ist - angetragen wird, was er braucht. Sie mahnen den kommunalen Dachverband an. Es liegt aber in der kommunalen Hoheit der Landkreise, dies zu tun.

Wir haben viele Gespräche darüber geführt, welche Konstruktion die beste wäre, um die Kostensatzverhandlungen zu führen und Standards festzulegen. Letztlich sagen aber auch die Landkreise - berechtigter- oder unberechtigterweise -: Wenn wir schon die Verantwortung dafür bekommen, ist es unsere Sache, wie wir das dann regeln.

Frau Ministerin, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Ja.

Bitte schön.

Frau Ministerin, ich möchte nur fragen: Teilen Sie die Sorge der Landkreise - ungeachtet dessen, dass ich mein Vertrauen in die Kreistagsabgeordneten setze -, dass es doch angesichts der angespannten Haushaltslage und der unterschiedlichen Zuweisungen - die nun auch erfolgen sollen - ein Problem sein wird, die fachlich und für die Menschen notwendigen Angebote wirklich so zu gestalten? Wir können nicht einfach einen Schalter von stationär auf ambulant umlegen. Es wird eine bestimmte Übergangszeit - möglicherweise mehrere Jahre - geben, in der auch mehr Geld ins System kommen müsste, um diese Entwicklung anzuschieben. Genau das ist aber mit dem jetzigen Vorgehen nicht gewährleistet. Teilen Sie diese Sorge?

Natürlich teile ich diese Sorge, vor allem der Landkreise, die bisher zulasten der betroffenen Menschen in den Landkreisen die Zeit verschlafen haben. Das muss man ganz deutlich sagen. Dann kommen wir zu den Möglichkeiten, die im FAG natürlich gegeben sind und über die zu diskutieren sein wird. Das ist nicht mein Part. Dabei geht es um die Zweckgebundenheit der Mittel und um die Dynamisierung der Mittel.

Wir haben vor, einen Beirat zu bilden, der schon innerhalb der drei Jahre, also sofort nach Inkrafttreten des Gesetzes, die Zahlen genau daraufhin überprüfen wird, ob tatsächlich eine Steigerung der Fallzahlen eintritt, wie sie eintritt und ob eine Nachsteuerung notwendig ist. Wir warten noch nicht einmal die drei Jahre ab, nach denen das FAG sowieso diese Überprüfung vorsieht, sondern wollen das begleitend tun, um dieser Sorge entgegenzutreten.