Protokoll der Sitzung vom 24.11.2004

Meine Damen und Herren! Ich möchte auf einige Punkte gesondert eingehen. Zunächst zur Mischfinanzierung! Hier muss die Eigenständigkeit der Länder gestärkt werden. Ein sehr großer Teil der Investitionsmittel in unseren Haushalten ist durch Vorgaben des Bundes im Rahmen der Gemeinschaftsfinanzierung bereits gebunden. Dadurch wird der Handlungsspielraum der Länder eingeschränkt. Trotz Veränderungen muss es allerdings auch zukünftig einen solidarischen Ausgleich von gesamtstaatlich nicht hinnehmbaren strukturellen Unterschieden geben. Durch die Reform darf kein Land finanziell schlechter gestellt werden als bisher. Das ist für uns außerordentlich wichtig.

In der Reformdebatte wird gelegentlich die Auffassung vertreten, dass ein Systemwechsel hin zu einem Wettbewerbsföderalismus

unabdingbar

„Wettbewerbsföderalismus“ ist in der Vergangenheit stark strapaziert worden. Wir als wirtschaftlich eher schwächeres Land in Deutschland brauchen diesen Begriff nicht zu fürchten, wenn sich alle Beteiligten auf die Selbstverständlichkeit

verständigen,

Chancengleichheit bei den Startbedingungen gehört. Chancengleichheit ist unabdingbar, um zu vernünftigen, tragbaren Ergebnissen kommen zu können. Davon sind wir noch weit entfernt.

Meine Damen und Herren! Die Landesregierung wird in der Kommission durch den Ministerpräsidenten vertreten, dieser wiederum durch Finanzminister Speer. Wir haben uns im Hauptausschuss mehrfach über den Stand der Verhandlungen unterrichten lassen und darüber diskutiert. Demzufolge sind die politischen Intentionen der verschiedenen Kräfte eingeflossen. Hinzu kommt, dass die Kommission ihre Verhandlungen weitgehend abgeschlossen hat und die beiden Vorsitzenden der Kommission, Franz Müntefering und Ministerpräsident Edmund Stoiber, bereits am 17. Dezember einen Beschlussvorschlag unterbreiten wollen.

Wir halten es nicht für sinnvoll, dass die Vertreter Brandenburgs in der Kommission durch feste Beschlüsse des Landtages gebunden werden; wir halten es für sinnvoller, darüber zu diskutieren und ihnen Intentionen mit auf den Weg zu geben. Aus diesem Grunde werden wir für die Über

weisung des Antrags in den Hauptausschuss votieren. - Herzlichen Dank!

Der Herr Ministerpräsident spricht für die Landesregierung.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Vietze, obwohl von der Überweisung des Antrags in den Ausschuss ausgegangen werden kann, will ich noch einige Sätze dazu sagen.

Wir teilen den Geist, der Ihrem Antrag zugrunde liegt - das haben wir während der gesamten Verhandlungsphase getan - , nämlich für gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen des Bundesgebietes zu sorgen. Ich gehe davon aus, dass insoweit über die Grenzen aller demokratischen Fraktionen dieses hohen Hauses hinweg Konsens herrscht.

Ein zweiter wichtiger Punkt hat sich in unterschiedlichen Spielarten durch alle Verhandlungsphasen gezogen - Kollege Lunacek ist soeben darauf eingegangen - : Wettbewerbsföderalismus. Zahlreiche Aspekte, die sich auch in Ihrem Antrag finden, münden in die Aussage: Wenn ihr dem Bund an manchen Stellen mehr Zuständigkeiten gebt, wollen wir mehr Zuständigkeiten für Landesparlamente und Landesregierungen! - Das sagt sich schön, das hört sich gut an; fast alle Fraktionen und viele Experten argumentieren so.

Ich bin insoweit eher auf der skeptischen Seite - dazu stehe ich weiterhin - ; denn diese Entwicklung beginnt für uns in Teilen gefährlich zu werden. Mit einem Mehr an Zuständigkeiten ist immer verbunden, dass andere sich zurückziehen. Einige wollen das ganz gern, insbesondere wenn es um die viel geschmähten Gemeinschaftsaufgaben geht. Insoweit befinden wir uns in einer Zange: Da sind zum einen die starken Südwestländer, die aus historischen Gründen - vieles ist dort schon passiert; manches ist nicht mehr so nötig wie bei uns - nicht mehr einen so hohen Anspruch an die Gemeinschaftsaufgaben haben. Aber auch der Bund argumentiert mit Vorliebe - etwas verkürzt und nicht ganz sachgerecht - : Dann seht mal zu!

Wir haben keine so schlechten Erfahrungen mit der bisherigen Entwicklung gemacht. Aber Herr Lunacek hat Recht, wenn er sagt: Chancengleichheit an der Startlinie ist im Hinblick auf diese Aufgaben noch nicht gewährleistet.

Zweiter Punkt! Ich glaube nicht so sehr an die im wissenschaftlichen Rahmen diskutierte und von manchen vermeintlich untermauerte Aussage, die Entwicklung ließe sich für die nächsten 10, 20 Jahre dynamisiert und finanziell untersetzt darstellen. Wir alle wissen: Wenn eine solche Aufgabe erst einmal weg ist, hat man vielleicht noch in den nächsten zwei, drei Jahren die Chance, die damit verbundenen Mittel zu bekommen; aber wie das in fünf oder fünfzehn Jahren aussieht, weiß niemand.

Dritter Punkt! In den Verhandlungsrunden gehöre ich zu denjenigen, die sehr wohl der Meinung sind - ich habe das schon vor dem Landtag ausgeführt - , dass es im verschärften globalen Wettbewerb, aber auch angesichts der fortschreitenden europäischen Integration sinnvoll und gut für den Wirtschafts- und Lebensstandort Deutschland wäre, wenn die Bundesregierung auf bestimmten Gebieten erweiterte Zuständigkeiten erhielte. Das beginnt bei der

Steuerverwaltung und hört bei der Sicherheit noch lange nicht auf.

(Beifall des Abgeordneten Bischoff [SPD])

Die Verhältnisse sind heute andere als 1949, als das Grundgesetz konzipiert wurde. Man darf nicht ganz vergessen, dass das Grundgesetz die - von alliierter Seite damals gewollte - Handschrift trägt: Die sollen nicht zu handlungsfähig werden! - Die damalige Intention kann ich angesichts der Erfahrungen der 30er und 40er Jahre nachvollziehen. Jetzt schreiben wir aber das Jahr 2004. Da sich die Welt neu sortiert hat, müssen wir einiges neu denken. Ich lasse mir insoweit gern den hin und wieder geäußerten Vorwurf gefallen, zentralistisch sozialisiert zu sein; ich glaube, dass dies in manchen Teilen unseres gesellschaftlichen Lebens durchaus Sinn haben kann.

Wenn Sie es mir gestatten, gehe ich zum Abschluss noch auf Ihren Wunsch nach dem „großen Wurf“ ein, den Sie unter Punkt 2 Ihres Antrages formuliert haben. Ohne die Ergebnisse der Sitzungen am 17. und 18. Dezember vorwegnehmen zu wollen, will ich ein bisschen Wasser in den Wein gießen. Herr Vietze und Frau Kollegin Enkelmann, in dem von Ihnen formulierten Punkt 2 kommt zum Ausdruck, dass es auf Weih- nachten zugeht: Der große Wurf für einen funktionsfähigen Föderalismus soll gelingen. Bund und Länder sollen damit einverstanden sein. Zeichen der Modernisierung sollen gesetzt, Kompetenzen neu verteilt werden.

Dann kommt der entscheidende Punkt: Die Länder sollen erweiterte Gesetzgebungskompetenzen erhalten, ohne dass das

Verfassungsziel

Gleichwertigkeit

Lebensverhältnisse tangiert wird. Sie fordern mehr Gestaltungsmöglichkeiten,

Entflechtung

Zuständigkeiten, mehr Transparenz und mehr Bürgernähe. Die Länder sollen sich besser revitalisieren können usw.

Damit überfordern Sie die Kommission! Angesichts der nun einmal so verfassten Gesellschaft sind die von Ihnen angestrebten Ergebnisse realistischerweise nicht erreichbar. Ihr Antrag ähnelt einem Wunschbriefkasten.

Darauf wollte ich vor den Debatten im Hauptausschuss noch einmal hinweisen. - Danke schön.

(Beifall bei SPD und CDU)

Für die PDS- Fraktion spricht noch einmal Herr Abgeordneter Vietze.

Herr Ministerpräsident, mich freut Ihre Bemerkung zu Punkt 2. Es handelt sich dabei um ein Zitat des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der gleichzeitig Kovorsitzender der Kommission ist.

(Ministerpräsident Platzeck: Weiß ich! Das ist aber lange her!)

- Ein gutes Jahr ist das her.

Wir haben das Thema deshalb aufgegriffen, weil wir meinen, dass darüber geredet werden muss, was praktikabel und was umsetzbar ist.

Ich will die Möglichkeit auch nutzen, um die Aussage des Kollegen, der uns vorhin unterstellt hat, wir würden in unserem Antrag für absolute Gleichwertigkeit werben, zurückzuweisen. Eine solche Unterstellung ist Quatsch; das weiß er selbst.

Herr Schuldt, eine solche Forderung steht weder im Grundgesetz noch im Antrag der PDS. Es geht darum, dass wir von Gleichwertigkeit reden und darauf verzichten, den Wettbewerbsföderalismus dem Solidarprinzip gegenüberzustellen, auch wenn das in der Öffentlichkeit häufig passiert. Der Föderalismus der Bundesrepublik kann nicht leben, wenn er sich allein auf Wettbewerb stützt. Er hat aber genauso wenig Chancen, wenn wir uns ausschließlich auf das Solidarprinzip zurückziehen. Es geht um das schöpferische Verbinden von Elementen, die in dem entsprechenden Punkt gefasst sind.

Wir wissen sehr wohl, dass der Ministerpräsident entsprechend unserer Brandenburger Verfassung über die Richtlinienkompetenz verfügt. Er soll in der Kommission auch mit Souveränität agieren. Auf der anderen Seite geht es in der Arbeit der Föderalismuskommission um Zielstellungen, die sehr wohl mit der Frage zu tun haben, über welche Kompetenzen und Rücksprachemöglichkeiten die Länder künftig verfügen und an welchen Stellen sie Zugriffs- und Einflussmöglichkeiten erhalten.

Ich sage ausdrücklich, dass ich das keineswegs nur in das kluge Verhandlungsgeschick des Ministerpräsidenten legen will; denn über die Kompetenzen eines Parlaments in der Gesetzgebung und im Umgang mit den Themen des Landes sind alle gewählten Volksvertreter verantwortlich. Insofern haben wir uns in diesen Prozess der Diskussion auch einzubringen und ich finde, entsprechend der von uns aufgegebenen Liste von Verständigungsschwerpunkten besteht dazu auch die Möglichkeit.

Ich will klar und deutlich sagen: Auch uns bewegt, dass es im Rahmen der Föderalismusreform keine Übertragung von Gesetzgebungskompetenzen auf die Länder geben darf, wenn es um Steuerfragen geht. - Damit Steuern als Wettbewerbselement

wirken