Protokoll der Sitzung vom 26.04.2007

ob ein Mindestlohn eingeführt wird, sondern der Deutsche Bundestag. Die Koalitionäre dort befinden sich in Verhandlungen. Dabei ist vieles zu bedenken. Am Ende wird es eine vernünftige Lösung geben.

Meine Damen und Herren, dieser Antrag ist nur dazu gedacht, in die Koalition zwischen den Fraktionen der CDU und SPD im Landtag Brandenburg einen Keil zu treiben.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Klocksin [SPD] - Zurufe von der Linkspartei.PDS)

Wir sind uns darüber einig: Das wird mit diesem Antrag nicht gelingen, meine Damen und Herren.

Ein Weiteres kommt hinzu: Der Antrag wurde 1 : 1 von einem Flugblatt unseres Koalitionspartners abgeschrieben. Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, auch nur im Geringsten darauf einzugehen, wie die Situation in Brandenburg ist, wie viele Betroffene es gibt und was es für die Unternehmen und für unsere konkrete Lage bedeutet. An der Grenze im Osten liegt Polen als großes osteuropäisches Nachbarland mit einem völlig anderen Lohnniveau.

(Zurufe von der Linkspartei.PDS)

Sie haben nichts dergleichen berücksichtigt. Sie haben 1 : 1 abgeschrieben. Ich sage Ihnen: Es entspricht nicht der Bedeutung dieses Themas und wird den Betroffenen nicht gerecht, wenn Sie den Antrag von einem Flugblatt 1 : 1 - ergänzt um einen einzigen Satz - abschreiben, dann in den Landtag einbringen und darüber abstimmen lassen. Auf eine solch billige Art und Weise Kapital schlagen zu wollen wird der Bedeutung des Themas nicht gerecht. Auf diese Weise auf dem Rücken der Betroffenen zu handeln ist unverschämt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Es ist richtig, dass die Fraktionen der Union und der SPD bezüglich des Mindestlohns nicht die gleichen Vorstellungen haben. Selbst in der Union ist der Meinungsbildungsprozess dazu noch nicht abgeschlossen. Es kann jedoch nicht sein, dass jemand, der Vollzeit arbeitet und den gesamten Tag schuftet, am Ende nicht genug übrig hat, um davon leben zu können und damit auszukommen. Das kann niemand wollen.

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [Die Linkspartei.PDS])

Herr Lunacek, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich würde meine Rede zunächst einmal gern zu Ende führen.

Welche Auswirkungen hat es, wenn der Staat per Gesetz vorschreibt, dass ein bestimmter Lohn zu zahlen ist? - Ein Unternehmer - jemand, der im Bereich von Gebäudedienstleistung tätig ist - sagte mir, dass er natürlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, denen er einen bestimmten Lohn - dieser liegt deutlich unter dem, was derzeit als Mindestlohn diskutiert wird - zahlt. Sollte der Staat per Gesetz festschreiben, was ge

zahlt werden muss, würde ein Teil dieser Arbeitsplätze wegfallen.

Wenn wir wollen, dass Menschen, deren Gehalt am unteren Ende der Einkommensskala liegt, mehr verdienen, müssen wir Entscheidungen treffen, die sicherstellen, dass dies umgesetzt wird. Es hat keinen Zweck, eine Entscheidung mit dem Effekt zu treffen, dass ein Teil derjenigen, die wenig verdienen, dann mehr verdient, dafür aber ein anderer Teil seinen Arbeitsplatz verliert. Das führt nicht zum Ziel.

(Beifall bei der CDU)

Es ist richtig, dass innerhalb der Europäischen Union die Mehrheit der Staaten einen Mindestlohn eingeführt hat. Jedoch gelten in der Mehrheit dieser europäischen Staaten auch andere Rahmenbedingungen. Ich empfehle Ihnen: Schauen Sie sich einmal die Situation in Großbritannien an! Großbritannien hat unter anderem bei den Kündigungsschutzbedingungen viel weniger scharfe Regelungen als Deutschland. Damit ist es natürlich möglich, Arbeitsverhältnisse, die das Geforderte nicht einbringen, entsprechend wieder zu lösen. In Großbritannien erreicht der festgesetzte Mindestlohn nicht einmal 2 % aller Arbeitnehmer; das sind sehr viel weniger, als es in Deutschland bei den Zahlen, die hier in der Diskussion sind, der Fall wäre. Zudem haben die Arbeitnehmer in Großbritannien am Ende netto mehr in der Tasche. Unser Problem in Deutschland ist doch, dass zwischen brutto und netto ein großer Unterschied besteht. Das ist eines der großen Probleme.

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [Die Linkspartei.PDS] und Dr. Klocksin [SPD])

Meine Damen und Herren, sollte ein Mindestlohn oder eine Regelung, die dem sehr nahe kommt, eingeführt werden - in bestimmten Bereichen, wie zum Beispiel dem Entsendegesetz, gibt es dies bereits - müssten wir bedenken, dass es sehr viele Möglichkeiten gibt - dies wird bereits massiv betrieben -, diese zu umgehen. Ein Bauunternehmer sagte mir Folgendes: Im Baubereich gibt es nach dem Entsendegesetz ein Lohnniveau von etwa 10 Euro. Was geschieht in der Praxis? - Wir haben Arbeitnehmer aus Osteuropa, die als Selbstständige auftreten und für bestimmte Projekte bezahlt werden. Am Ende arbeiten sie nicht einmal für 5 Euro. Das weiß jeder. Wir wollen auch keinen Treibsatz für die Schwarzarbeit schaffen. Das wird dem Problem am Ende nicht gerecht.

(Dr. Klocksin [SPD]: Das sind Nebenkriegsschauplätze!)

- Nein, das sind reale Probleme, Herr Klocksin. Ansonsten würde darüber nicht so kontrovers diskutiert werden.

Ich sage Ihnen noch etwas: In Brandenburg gibt es 100 000 Langzeitarbeitslose. 100 000 Langzeitarbeitslose! Deutschlandweit ist die Situation so, dass die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen gering qualifiziert ist bzw. zum Teil keinen Berufsabschluss hat. In Brandenburg ist die Zahl zwar etwas geringer, jedoch immer noch ziemlich erheblich. Zwingen Sie Unternehmen dazu, einen Mindestlohn zu zahlen, dann bewirken Sie, dass ein bestimmter Teil dieser Menschen einfach keine Chance mehr hat. Wenn ein Mindestlohn gewollt ist, dann müssen sich die Gesellschaft und der Staat auch dazu bekennen, einen entsprechenden Zuschuss - entweder durch einen Kombilohn oder durch eine negative Einkommensteuer,

wie sie in anderen Ländern üblich und durchaus realistisch ist zu zahlen. Das sind intelligente Modelle, die bei dem Problem vielleicht Abhilfe schaffen. Darüber muss sachlich diskutiert werden.

Herr Abgeordneter, ich kann Sie leider nicht mehr fragen, ob Sie Zwischenfragen zulassen, denn Sie haben Ihre Redezeit schon um eine Minute überschritten.

Lassen Sie mich noch zwei Sätze sagen. - Meine Damen und Herren, ich kann mir sehr gut vorstellen, dass eine Sittenwidrigkeit von Löhnen bei einem Lohnniveau festgeschrieben wird, das wirklich einer Ausbeutung entspricht und absolut inakzeptabel ist. Das wird auf Bundesebene sehr ernsthaft diskutiert. Eines aber können wir nicht machen, nämlich hier über einen solchen Antrag abstimmen, der ein abgeschriebenes Flugblatt ist, ergänzt um einen Satz. Das wird dem Problem nicht gerecht, das wird den Betroffenen nicht gerecht, und das wird auch der Würde dieses Hauses nicht gerecht. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Wir setzen mit dem Beitrag der Landesregierung fort. Es spricht Frau Ministerin Ziegler.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie reden der SPD-Seite der Regierung und den Abgeordneten der SPD ein schlechtes Gewissen ein und sagen, wir würden uns hier herausreden, weil wir ein schlechtes Gewissen hätten. Das war O-Ton aus Ihrer Ecke. Es ist immer noch besser, ein schlechtes Gewissen zu haben als gar keines - wie Sie.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich weiß, dass Sie den CDU-Abgeordneten in Teilen Unrecht tun, weil auch sie sich in Richtung eines existenzsichernden Lohnes bewegen. Herr Lunacek hat sich gerade mit dem Kombilohnmodell, mit der negativen Einkommensteuer und mit all dem, was längst in der Diskussion ist, ernsthaft auseinandergesetzt. Hier im Plenum habe ich es erstmals erlebt, dass Sie eine bundesdeutsche Debatte in den Landtag ziehen, um die Koalition zu spalten.

(Vietze [Die Linkspartei.PDS]: Wenn Sie ein Gewissen haben, warum sammeln Sie dann Unterschriften?)

- Sie verstehen immer noch nicht, und Sie wollen auch nicht verstehen, worum es hier geht.

(Zuruf des Abgeordneten Vietze [Die Linkspartei.PDS] - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

- Wissen Sie, Herr Vietze, was Sie leider nicht verstehen, und das befürchte ich auch, wenn wir irgendwann einmal in die Ge

legenheit oder Ungelegenheit kommen sollten, mit Ihnen regieren zu müssen? - Dass Sie Ihr Abstimmungsverhalten nach Ihrem Parteiprogramm gestalten. Das geht in einer Koalition nicht.

(Beifall bei SPD und CDU - Zuruf des Abgeordneten Vietze [Die Linkspartei.PDS])

Insofern ist eine Koalition mit Ihnen in diesem Punkt schon einmal in weite Ferne gerückt, weil wir uns auf SPD-Seite - in Regierung und im Parlament - sehr wohl merken werden, was Sie hier veranstaltet haben.

Ich sehe es völlig entspannt, dass ich als Unterbezirksvorsitzende Unterschriften sammele. Ich habe in der Arbeitsgruppe Arbeitsmarktpolitik, die gestern ihre Arbeit beendet hat, sehr stringent für einen Mindestlohn gekämpft. Wir haben bisher keine einheitliche Haltung. Im Koalitionsausschuss auf Bundesebene wird diese Frage abschließend beraten werden. Sie alle hier im Saal wissen, dass es eine Lösung geben wird. Trotzdem vermitteln Sie den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Lande, wir hätten eine gespaltene Haltung: einmal so, einmal so. Nur darum geht es Ihnen.

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [Die Linkspartei.PDS])

Es ist wirklich schrecklich, was Sie hier veranstalten. Damit kann man sich nicht einverstanden erklären. Sie haben ein Niveau des parlamentarischen Verfahrens gewählt, das wir so noch nie hatten. Das tut mir sehr leid.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort erhält noch einmal der Abgeordnete Görke von der Fraktion der Linkspartei.PDS.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Lunacek, da die CDU in der Frage existenzsichernder Mindestlöhne - wie sich hier andeutet - wahrscheinlich beratungsresistent ist und ein Bild einer modernen Industriegesellschaft von vorgestern hat, werde ich in Anbetracht meiner begrenzten Redezeit darauf gar nicht mehr eingehen. Ich empfehle Ihnen einfach, eine Anleihe bei Ihrer Unterschriftenaktion der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft zu machen.

Ich komme jetzt auf die Mehrheitsfraktion der SPD zu sprechen. Sehr geehrter Herr Kollege Baaske...

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich freue mich sehr, dass Sie die Zwischenfrage jetzt erlauben.

Herr Görke, Sie empfinden sicherlich wie ich, dass diese Debatte hier nicht zielführend ist und den Problemen der vielen Menschen im Land, die Niedriglöhne beziehen müssen und ihre Existenz davon gerade so bestreiten können, nicht gerecht wird.

Um das Niveau zu heben, frage ich Sie: Wären Sie bereit, auf die heutige Abstimmung über Ihren Antrag zu verzichten und stattdessen Ihren Antrag zu einer wirklichen Sach- und Fachberatung in den zuständigen Fachausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie zu überweisen, insbesondere die Spezifik der Brandenburger Probleme ins Auge zu fassen und parallel dazu die Entwicklungen auf Bundesebene zu verfolgen? Ist Ihre Partei, ist Ihre Fraktion dazu bereit, Ihre Abstimmung hinter ein solches Ansinnen zu stellen? Ich möchte betonen, dass auf Bundesebene derart vorgegangen wird. Auf Bundesebene wird morgen Ihr Antrag auch mit den Stimmen der SPDFraktion in den zuständigen Ausschuss überwiesen.

Sehr geehrte Frau Dr. Schröder, ich glaube nicht, dass bei uns ein Beratungsbedarf in dieser Form besteht, sondern wahrscheinlich bei Ihnen. Wenn dieser Vorschlag mit Ihrer Fraktionsführung abgestimmt ist, sind wir gern bereit, diesen Meinungsbildungsprozess im entsprechenden Ausschuss zu führen. Ich warne Sie aber, es darf keine Hängepartei werden, denn auf der Strecke bleiben die Niedriglohnempfänger hier in Brandenburg. Insofern glaube ich, Ihre Frage mit einem klaren Ja beantworten zu können.

Momentan ist es aber wahrscheinlich so, wenn ich die Diskussion hier verfolge - ich kann die Reaktion der Ministerin durchaus verstehen -, dass Ihnen die Koalitionstreue zu Ihrem Partner, der CDU, offensichtlich wichtiger ist als eine klare Positionierung heute an diesem Tag hier im Parlament.