Protokoll der Sitzung vom 25.11.2004

Sie werden sich vielleicht daran erinnern - vor allem die Abgeordneten, die schon länger dabei sind -, dass die Koalition der letzten Legislatur die Illusion hegte, bis zum Jahre 2002 ohne neue Schulden auszukommen. Der Traum ist geplatzt. Sie haben in den letzten fünf Jahren die Schulden des Landes von 12,5 auf mindestens 17,5 Milliarden Euro erhöht. Das sind im Durchschnitt fast 1 Milliarde Euro pro Jahr neue Schulden, die nicht durch Einnahmen gedeckt werden konnten.

(Schippel [SPD]: Ihr wart doch für die Kreditaufnahme!)

Das ist rekordverdächtig. Dazu fallen mir all Ihre kritischen Bemerkungen - Herr Lunacek, Sie haben mir fast das Wort gegeben - in Wahlkampfzeiten ein. Als ich das las, hatte ich manchmal das Gefühl, dass Sie von 1999 bis 2004 Oppositioneller gewesen sind. Sie haben gesagt, dass es mit der Neuverschuldung so nicht weitergehen könne, und haben Vorschläge unterbreitet, wie das zu ändern sei. Ich gebe Ihnen Recht. So kann es nicht weitergehen. Manche Ihrer Vorschläge fand ich nicht schlecht. Ich frage mich aber: Warum haben Sie die letzten fünf Jahre nicht genutzt, um diese Vorschläge einzubringen?

(Beifall bei der PDS )

Warum fordern Sie den Abbau der Bürokratie und sind dabei zum Beispiel mit Harz IV -, diese neu zu schaffen bzw. im großen Stil wieder aufleben zu lassen? Das nur nebenbei.

(Beifall bei der PDS - Schulze [SPD]: Hartz IV - da ha- ben Sie es wieder!)

Unser Thema ist heute - das ist viel wichtiger -: Wie geht es in diesem Land weiter?

Neben der Koalitionsvereinbarung gab es das öffentliche Versprechen des Ministerpräsidenten - anders ist eine Regierungserklärung nicht aufzufassen -, dass es im Landeshaushalt jährlich 175 Millionen Euro weniger Schulden geben soll. Das soll bis zum Jahr 2010 - hinsichtlich des Zeitraums ist man etwas vorsichtiger geworden - auf null reduziert werden. 2010 ist übrigens das Jahr nach dieser Legislaturperiode; somit kann man das schon nennen.

Man möchte in der Nettoverschuldung auf null kommen. Auf welcher Grundlage entstehen solche Zahlen? Wir alle wissen, dass Einnahmen - hausgemacht und bundespolitisch von RotGrün so gewollt - stagnieren und zurückgehen, dass Ausgaben scheinbar sinken, nach wie vor aber Millionen im märkischen Sand ohne Wachstumseffekt versinken, dass es steigende Zinslasten gibt, die gedeckt werden müssen, und dass uns gemeinsame Ausgabeposten - zum Beispiel die Pensionslast - ins Haus stehen, die sich der Höhe der Wirtschaftsförderung des Wirtschaftsministeriums nähern.

So kann es also nicht weitergehen. Es hilft uns auch nicht, dass Kredite im Haushalt versteckt werden, zum Beispiel eine gegenseitige Deckung von Personal- und Investitionsmitteln legitimiert wird und Vermögensnachweise nicht vollständig vorliegen bzw. ausgespart werden.

Es hilft uns auch nicht, wenn Teile der Ministerialverwaltung ausgelagert und zu Landesbetrieben umorganisiert werden, die den Steuerzahler dann noch teurer zu stehen kommen. Das ist alles nur Schein.

Es kann deshalb nur darum gehen, die eigenen Spielräume real einzuschätzen, bundespolitische Rahmenbedingungen zugunsten öffentlicher Kassen zu verändern und wirkliche Prioritäten zu setzen. Ich will in Regierungserklärungen nicht länger die Träume von Ministerpräsident Platzeck und einiger seiner Kabinettskolleginnen und -kollegen hören, sondern wissen, auf welcher Grundlage dieses Land noch Entwicklungschancen hat.

(Beifall bei der PDS)

Vor dieser Wahrheit kann niemand von uns die Augen verschließen. Deshalb fordern wir die Regierung auf, dem Parlament den geforderten Bericht zu übergeben. Ich gehe davon aus, dass auch Herr Speer diesen Überblick hat. Schließlich muss es Gründe dafür geben, dass er den bisher ausgearbeiteten Haushalt sprichwörtlich in den Papierkorb wirft und nächste Woche in einer Haushaltsklausur neue Festlegungen treffen will.

Wir wollen und müssen die Haushaltsdebatte auf der eindeutigen Grundlage, die uns dieser Bericht bieten soll, führen können. Wir müssen wissen, was wir uns leisten können, und die Mittel dann sozial gerecht verteilen. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Bischoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen von der PDS, Sie fordern einen Kassensturz. Sie arbeiten damit einen Punkt Ihres 100-Tage-Regierungsprogramms ab.

(Zuruf von der PDS: Bingo!)

Vielleicht ist Ihnen jedoch entgangen, dass nach einer sehr langen Oppositionszeit die Übernahme von Regierungsverantwortung gewöhnlich mit einem Kassensturz beginnt, um sich einen Überblick über den Haushalt mit all seinen Winkeln zu verschaffen.

Meine Damen und Herren von der PDS, vielleicht muss ich Sie, auch wenn es Sie persönlich sehr schmerzt, daran erinnern: Sie sind nicht in der Regierung. Prompt glauben Sie, Ihr 100-Tage-Programm abarbeiten zu müssen. Sie holen ganz alte und verstaubte Hüte heraus: Erst gestern haben wir über millionenschwere Forderungen für Konversion gesprochen. Vor zehn Minuten ging es darum, die Jagdsteuer zu kompensieren. Jetzt kommt der Kassensturz hinterher. Das einzig Zuverlässige an Ihrer Politik ist das sehr beherzte „Sowohl-als-auch“.

(Beifall bei SPD und CDU)

Was soll ich von Aussagen der Vorsitzenden des Finanzausschusses, Kollegin Kerstin Osten, halten, die in einem Zeitungsinterview vom 18.11.2004 fragt, wie viel Geld tatsächlich investiert wurde und welches Vermögen überhaupt vorhanden ist? Liebe Frau Kollegin, so viel sollte Ihnen bekannt sein: In einem kameralistischen Haushalt bemisst sich die Summe der Investitionen nach dem Mittelabfluss in den investiven Haushaltstiteln; nachgewiesen in der Haushaltsrechnung.

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Lassen Sie mich bitte erst zu Ende reden. - Im Jahr 2003 waren es exakt 1,8 Milliarden Euro, nachzulesen auf Seite 82 des aktuellen Landesrechnungshofberichts, den Sie ja gerade zitiert haben. Ich bin ziemlich sicher, dass Sie dies als Vorsitzende des Finanzausschusses auch sehr genau wissen; das ist ja schon angeklungen. Welches Vermögen dieses Land besitzt, werden wir so lange nicht exakt wissen, wie wir keine Aufstellung einer Landesvermögensbilanz durchführen. Die SPD-Fraktion setzt sich übrigens schon längere Zeit dafür ein, dass dies bis zum Ende dieses Jahrzehnts tatsächlich geschieht.

(Zuruf von der PDS: Das glaube ich Ihnen nicht! )

Mir ist allerdings an keiner Stelle und in keiner Debatte aufgefallen, dass sich die PDS-Fraktion für dieses Thema der Haushaltsmodernisierung in irgendeiner Phase engagiert bzw. sogar eigene Anträge eingebracht hätte. Umso mehr verwirren mich einige Aussagen.

Fast amüsant ist Ihre im genannten Interview geäußerte Befürchtung, Frau Kollegin Osten, dass das Land im Jahr 2008 nur noch 7,5 Milliarden Euro zur Verfügung haben könnte. Heute sind es knapp 10 Milliarden Euro. Liebe Frau Kollegin,

diese Befürchtung können wir ganz schnell in eine Gewissheit umwandeln. Nicht im Jahr 2008, sondern im Jahr 2019 wird das Jahreshaushaltsvolumen exakt 7,5 Milliarden Euro betragen. Damit nicht genug. Schon heute stehen Ausgaben in Höhe von 10 Milliarden Euro knapp 9 Milliarden Euro Gesamthaushaltsvolumen gegenüber. All diese Fakten sind Ihnen hinlänglich bekannt.

Nicht bekannt ist hingegen, dass die PDS in den vergangenen Jahren realistische Vorschläge unterbreitet hätte. Vorschläge von Ihnen gibt es wie Sand am Meer; das weiß jeder, auch die Presse -, jedoch keine, die geeignet wären, dieses Defizit zu verringern.

(Widerspruch bei der PDS)

Ganz im Gegenteil: Noch vor wenigen Wochen haben Sie gefordert, man möge doch die Planung für die Nettokreditneuaufnahme nicht auf das Jahr 2010, sondern auf das Jahr 2020 ausdehnen. Das war Ihre Forderung im Wahlkampf zur Landtagswahl 2004. Unverantwortlich kann man das nur nennen.

Ich bin allerdings meilenweit davon entfernt, etwas zu beschönigen. Mir ist klar, dass wir eine Bilanz des Landesvermögens benötigen. Mir ist auch klar, dass wir eine andere Form des Haushalts benötigen, die eine Steuerung über Zielvereinbarungen mit diesem Landesparlament erlaubt. Leider trägt Ihr Antrag zu alledem nichts bei und ist daher schlicht unbrauchbar. Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Für die DVU-Fraktion spricht die Abgeordnete Hesselbarth.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen im Land Brandenburg von einem Finanzierungsproblem in Höhe von 1 Milliarde Euro und wir sprechen im Land Brandenburg von sinkenden Steuereinnahmen, und zwar wegen selbst verschuldeter schlechter Wirtschaftsentwicklung. Es ist keine positive Entwicklung in Sicht.

Ich bin ebenfalls der Meinung, dass diese Landesregierung den Staatshaushalt nie und nimmer in den Griff bekommen wird. Das, was die PDS-Fraktion hier fordert, Frau Osten, sind all jene Forderungen, die wir - schon seit längerem - auch aufgemacht haben. Deshalb werden wir Ihrem Antrag zustimmen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Für die CDU-Fraktion spricht die Abgeordnete Funck.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, zuerst mein Erstaunen über den Antrag der PDS zum Ausdruck zu bringen. Ehrlichkeit und Offenheit sind parlamentarische Tugenden. Dieser Antrag ist ehrlich. Er legt

nämlich offen, dass die Kollegen der PDS ein Informationsdefizit bezüglich der Eckwerte der brandenburgischen Finanzsituation haben. Unkommentiert können wir das natürlich nicht zur Kenntnis nehmen; Sie haben ja auch Redezeit beantragt.

Meine Damen und Herren von der PDS, Sie wollen also über die aktuelle Finanzsituation informiert werden.

(Zuruf von der PDS: Ja, genau! )

Ich frage mich, wie Sie im Wahlkampf für sich in Anspruch nehmen konnten, ein haushaltspolitisches Konzept für das Land zu haben. Worauf beruht dieses Konzept, wenn Sie sich heute nach der Verschuldung, der Nettokreditaufnahme und anderen für ein finanzpolitisches Konzept unverzichtbaren Eckdaten erkundigen?

(Beifall bei CDU und SPD)

Sie haben kein Konzept. Das ist die Botschaft Ihres Antrags. Das nehmen wir zur Kenntnis. Die Eckdaten sind im Wesentlichen bekannt und transparent.

Frau Enkelmann, wenn Sie, wie angekündigt, die PDS im Laufe der nächsten Jahre zu einer ernst zu nehmenden Oppositionspartei entwickeln wollen, möchte ich Ihnen doch empfehlen: Legen Sie uns Anträge vor, die uns die Chance zu einer ernsthaften Auseinandersetzung geben.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Ich erinnere an unsere ges- tern gestellten Entschließungsanträge!)

Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, dass der Finanzminister Ihren Wissensdurst in seinem Beitrag stillen wird. Ich verzichte an dieser Stelle darauf.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vietze?

Gern.