Sie können gern den Weg mit uns gemeinsam gehen. - Meine Damen und Herren, die Europäische Union, die Kultusminister, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, soziale Einrichtungen, freie Träger, auch hier in Brandenburg - es gibt darüber nichts zu lachen - haben es erkannt. Aber Erkennen ist noch keine Reaktion. Deswegen müssen wir Veränderungen einleiten. Ich nenne nun einen Teil der Veränderungen und weiß, es wird hier im Landtag, auch bei Einzelnen, gleich richtig zur Sache gehen.
Wir brauchen unter anderem eine deutliche Stärkung der Lesekompetenz. Sie alle haben die Unterlagen auf dem Tisch liegen. Wissen wird nach wie vor größtenteils über Texte zugänglich gemacht. Lesen ist laut PISA nun einmal ursächlich für Erfolg oder Misserfolg von Schule verantwortlich. Obwohl wir feststellen können, dass es bei einer vergleichbaren Lesefreude von Jungen und Mädchen keine Leistungsunterschiede gibt, ist doch feststellbar, dass gerade einmal 26 % der Mädchen, aber fast zwei Drittel der Jungen nicht gern lesen. Also müssen wir Jungen besser zum Lesen motivieren. Das kann man schaffen, indem man bereits in der Grundschule anfängt, die Interessen
der Jungen bei der Literaturauswahl stärker zu berücksichtigen. Frau Lehmann, das ist ein Ergebnis aus dem Bericht von Bildungsminister Holger Rupprecht, SPD, wozu Sie sicherlich gemeinsame Auffassungen haben.
Ein zweiter Punkt: Jungen brauchen mehr männliche Ansprechpartner, und zwar brauchen sie diese im schulischen Alltag. Es wird immer der Blick nach München, nach Bayern gerichtet. Dort wird es vorgemacht. Es gibt in Bayern mittlerweile Jungenbeauftragte an den Schulen, weil das Problem anscheinend akut ist.
Die wissenschaftliche Erkenntnis dazu heißt ganz einfach: Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Fehlen männlicher Vorbilder und mangelnder Leistungsfähigkeit der Jungen in der Schule. Deswegen können wir den Wunsch nach mehr männlichen Lehrern an den Schulen nachvollziehen. Es wird aber ein Wunsch bleiben. Deswegen fordern wir, Jungenbeauftragte an den Schulen, an denen es Bedarf dafür gibt, zu installieren.
Ich komme zum dritten Punkt, einem wichtigen Thema: Öffnen wir uns auch der Realität, die bereits in Berlin und anderswo angeführt worden ist, nämlich der der zeitweiligen Trennung von Jungen und Mädchen beim Unterricht. Aktuelle Schulforschung hat es belegt: Es gibt verschiedene Verhaltensmuster und Verhaltensweisen von Jungen und Mädchen beim Erlernen von neuen Dingen. Mädchen sind etwas vorsichtiger und gleichmäßiger, Jungen etwas risikofreudiger.
Deswegen haben die Experten gesagt: Bei unterschiedlichen Leistungsniveaus beim Erlernen neuer Inhalte, gerade auch bei Sprachen, kann man am Anfang durch eine Trennung ein gutes Verhaltensmuster für Jungen und Mädchen entwickeln und somit die Leistungserwartungen und entsprechend auch die Motivation steigern. Es gibt auch einen Sachzusammenhang dafür. Jungen suchen ihre Rolle im Alltag, also auch im schulischen Alltag, mehr über ihre Umwelt und damit eher über ein dominantes Verhalten, als Mädchen, die eher personenbezogen sind, es an den Tag legen.
Ein letzter Punkt: Der soziale Zusammenhang in der Gesellschaft ist eines der wichtigsten Themen, die wir uns bewahren sollten. Wenn die Bundesinitiative, initiiert von der damaligen Bundesbildungsministerin - SPD -, „Neue Wege für Jungen“ heißt, und sie gesagt hat, dass wir bei den Jungen stärker ausgeprägte soziale Kompetenzen brauchen, dann halte ich das für eine richtige Sichtweise. Wenn wir in der heutigen Zeit davon reden, dass wir einen größeren Praxisanteil in den Schulen brauchen, dann kommt der soziale Anteil dabei meiner Ansicht nach zu wenig vor. Deswegen ist es sinnvoll, über soziale Praxisstunden nachzudenken und diese stärker zu berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, ich habe festgestellt, dass anscheinend nicht alles, was ich hier gesagt habe, sofortigen Anklang gefunden hat.
- Frau Schröder, ich kenne Ihre Reaktion; das haben wir im Wahlkampf alles durchgemacht. - Aber eines ist klar: Das, was ich heute hier gesagt habe, ist aus dem verteidigten Konsens in Deutschland heraus entwickelt worden. Deswegen bitte ich darum, dass wir uns gemeinsam vielleicht weniger lächelnd, dafür etwas bestimmter diesem Thema inhaltlich widmen. Frau Tack, Sie haben ja genügend Lebenserfahrung, dass wir den Prozess gemeinsam voranbringen können.
Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fort. Es spricht die Abgeordnete Große.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich glaube ich inzwischen auch, dass wir Jungenförderung brauchen. Irgendwie war das gerade der Beweis dafür, Herr Kollege.
Eigentlich hat der Kollege Senftleben wirklich Glück gehabt. Vor einem Jahr hat er hier in diesem Hause in der Fragestunde eine Frage gestellt. Der laut Antwort des Ministers an das Haus gegebene Auftrag war zu der Zeit bereits in Arbeit und sollte uns laut Minister Rupprecht zeitnah zur Verfügung gestellt werden. Nun ist es so weit. Die Medien, vor allem die großen Journalistenjungs, haben sich dankbar darauf gestürzt. So entstehen aktuelle Themen aus Jahrhundertstoffen, und wir werden immer mal beglückt mit Büchern wie „Wie Männer richtig ticken“, Männer-Versteh-Büchern, „Warum die Männer im Kühlschrank die Butter nicht finden“ und ähnlichen wunderbaren Themen.
Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Schule wundert sich. Eine Kollegin in der Fraktion hat mir gerade zugeflüstert, sie habe es immer ziemlich bedenklich gefunden, dass so viele Pädagogen im Parlament sind. Aber wenn sich Parlamentarier auf diese Art in Schule einmischen, ist das, glaube ich, auch ziemlich bedenklich.
Solange, meine sehr geehrten Damen und Herren der CDUFraktion und Herr Kollege Lunacek, der Anteil der Männer in Ihrer Fraktion noch so ist, wie er ist, solange die Anzahl der Minister und Staatssekretäre, der Professoren, der Manager, der Chefs diverser Firmen, der Schulleiter, der Jungs in den Leistungs- und Begabungsklassen so ist, wie sie ist, sollten wir einmal darüber nachdenken. Solange auch die Zusammensetzung der Studierenden so ist, wie sie ist, müssen wir uns noch
Sorgen müssen wir uns machen - jetzt komme ich dazu, Herr Lunacek und Herr Senftleben - um eine noch relativ kleine Gruppe von Jungen, die aber bedauerlicherweise immer größer wird, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft, ihrer Verankerung im bildungsfernen Milieu schlechtere Startschancen bekommen, in deren Familien, in der Kita, in der Schule, in den Einrichtungen außerhalb von Schule erworbene Defizite nicht ausgeglichen, sondern noch verstärkt werden. Das ist ein Dilemma, und das ist ein deutsches Dilemma.
Dafür braucht es politische Lösungen, und zwar wirklich und zeitnah. Insofern kann die Aktuelle Stunde ja auch hilfreich sein. Der vorgelegte Bericht ist es allemal. Die dort erfolgte Analyse, die wirklich vorsichtigen Erklärungsversuche, der Hinweis auf den noch vorhandenen Forschungsbedarf und die in diesem Bericht umrissenen Handlungsoptionen sind zumindest als Impuls gut zu gebrauchen. Daraus müssen wir dann konkrete Politik entwickeln. Da bin ich sehr gespannt auf die heutigen Angebote. Von Ihnen, Herr Senftleben, habe ich kein wirkliches Angebot gehört.
Leider wird in dem Bericht die soziale Geschlechterrolle losgelöst von den Aufwachs- und Sozialisationsbedingungen von Kindern und damit auch losgelöst vom Problem der Kinderarmut betrachtet. Das ist ein deutlicher Mangel auch dieses Berichts. Wir fordern daher die Landesregierung auf, die im Bericht angekündigte Selbstverpflichtung einzulösen, Statistiken künftig nicht nur nach Genderprinzipien zu erfassen, sondern unbedingt diese um die Frage nach dem sozialen Status zu erweitern. Nur so wird das Bild rund. In Hamburg macht man das übrigens auch.
Eine Ursache für das existierende Jungenproblem wird in der zunehmenden Feminisierung der Professionen gesehen. Herr Kollege Senftleben hat das gerade noch einmal dargestellt. Das klingt ja immer ziemlich bedrohlich. Es stellt sich aber die Frage, warum so wenige Männer Erzieher in der Kita werden wollen, warum so wenige Männer Grundschullehrer werden wollen. Da sind wir ganz schnell bei dem Problem der Vergütung, da sind wir ganz schnell bei den geringen Einstellungschancen, da sind wir ganz schnell bei den geringen Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb dieser Berufe. Was nützen uns denn die 18 in Cottbus über ESF-Mittel qualifizierten Erzieher, die vorher arbeitslose Maurer oder Elektriker waren - das Programm ist richtig -, wenn sie dann keine Stelle bekommen? Das ist doch die Frage. Unsere Forderung heißt hier ganz klar, dass es eines gesonderten Einstellungskorridors für männliche Lehramtsanwärter bedarf, und eben nicht nur an den Gymnasien, wo sich die Männer im Übrigen ohnehin schon als Lehrer tummeln, was allerdings dennoch nicht dazu führt, Herr Kollege Senftleben, dass Jungs bessere Abiturnoten haben oder dass sie weniger Ehrenrunden am Gymnasium drehen. Unsere Forderung heißt hier also Einstellungskorridor.
dass es kaum Fortbildungsangebote bezüglich der Genderproblematik gibt. Ich bin weit entfernt davon, hier Kampagnen einzufordern. Aber alles, was mit Qualifizierung zu besserer individueller Förderung zu tun hat, ist eben ein Genderproblem.
Die Landesregierung erkennt richtiger- und zugleich fatalerweise in dem Bericht, dass es deutliche Defizite in der Lehrerbildung zur Genderproblematik gibt, die man aber wegen der Autonomie der Hochschulen nicht beheben könne. Da ist doch ein Fehler im System, Frau Minister Wanka, wenn Uni auf solche anstehenden Probleme nicht reagieren kann.
Meine Damen und Herren der Koalition, wenn wir gesicherte Erkenntnisse dazu haben, dass es Sprach-, Sprech- und Stimmstörungen bei Jungen doppelt so häufig wie bei Mädchen im Kita-Bereich gibt, dann muss die kompensatorische Sprachförderung ein Stückchen früher ansetzen, um auch diese Jungen zu erreichen. Solche Vorschläge habe ich von Ihnen heute nicht gehört, Herr Senftleben. Da es immer auch um die Korrelation zu einem sozialen Milieu geht, weiten Sie endlich den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz wieder aus! Wenn es unter fünf- bis zehnjährigen Kindern zu 72,5 % die Jungen sind, die emotional-soziale Störungen haben, dann wird es höchste Zeit, der sonderpädagogischen Betreuung einen größeren Raum zu geben, sie zu intensivieren, männliche Schulsozialarbeiter an die Schulen zu holen, um die Jungs dort zu erreichen. Wenn im Bericht empfohlen wird, dass man zur Förderung punktuell die Koedukation aufheben, also Jungsklassen und Mädchenklassen bilden sollte, dann geht das nicht ohne Teilungsunterricht. Wir sind nicht grundsätzlich für getrennten Unterricht, aber punktuell macht es Sinn; das wird Ihnen jeder Lehrer bestätigen. Aber dazu braucht es Stunden, Herr Senftleben!
Das könnte ich jetzt fortführen. Sie kommen hier nicht weiter, ohne dass Sie den Stellenschlüssel in Kita und Schule verbessern. Stöhnen Sie nicht, sondern rechnen Sie einfach das Geld einmal gegen, welches für sehr teure Verweigerungsprojekte, für Hilfen zur Erziehung, für berufliche Warteschleifen, für Benachteiligtenmaßnahmen ausgegeben wird. Das Senken der unglaublich hohen Wiederholerquote, das sich die Landesregierung zu Recht vorgenommen hat, die Förderung von Jungen, die keinen Abschluss haben, wird nicht ohne finanzielle Aufstockung zu haben sein.
Sicher gibt es auch weiche Faktoren, die eine Linderung bringen können, wie etwa die Überarbeitung des Lektürekanons. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Es war für jede Deutschlehrerin immer ein Problem, in der 11. Klasse „Effi Briest“ zu behandeln, insbesondere mit Klassen, in denen viele Jungs waren. Da wurde ziemlich gestöhnt über dieses Buch. Trotzdem sage ich: Nach vielen Jahren haben sie es dann auch verstanden, sie konnten sich daran erinnern, dass sie es behandelt haben, und haben es vielleicht auch noch einmal gelesen. Es ist also nicht umsonst, Jungen für Texte zu interessieren, die sie möglicherweise in der Zeit, in der sie sie lesen müssen, noch nicht so interessant finden.
Auch wenn Sie, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, es nicht mehr hören mögen: Für die Linke ist der entscheidende Schlüssel dafür, dass auch Jungen besser gefördert werden
Sicher, die benannten Probleme würden auch dort nicht alle gelöst werden können. Aber lassen Sie doch einfach die kleinen pubertierenden Siebentklässler, die bastelnden, forschenden PC-Experten, die Judotrainierenden, diejenigen, die also wirklich etwas wollen, zusammen mit den Siebentklässlern, die „null Bock“ haben, lernen! Es ist doch hinlänglich bewiesen, dass die Letztgenannten dann auch wertvolle Anregungen erhalten, weniger versagen und die anderen dann trotzdem studieren können. Auch wenn der Bericht dies ausgespart hat, das Genderproblem schreit geradezu nach längerem gemeinsamen Lernen von Jungen und Mädchen, von Starken und Schwachen, von Armen und Reichen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Die CDU hat - endlich, kann man sagen - das Thema Geschlechtergerechtigkeit für sich entdeckt. Ich habe es in diesem Haus schon mehrmals festgestellt: Offenbar schreitet die Sozialdemokratisierung der Union auch in Brandenburg voran.
Die Koalition mit uns Sozialdemokraten hinterlässt offensichtlich auch beim Partner ihre Spuren. Denn ich hätte nicht gedacht, dass es die CDU einmal explizit als problematisch bezeichnen würde, wenn Kinder vor allem in Kindergarten und Grundschule von Frauen betreut werden. Aber in der Tat, die Aktuelle Stunde hat, glaube ich, sowohl die Linke als auch die Sozialdemokratie etwas überrascht.