Protokoll der Sitzung vom 14.11.2007

(Schulze [SPD]) : Es muss Mindeststandards und einen Mindestlohn geben!)

Abschließend möchte ich sagen: Kinder sind unsere Zukunft. Wir sollten alles für eine gedeihliche Entwicklung unserer Kinder tun. Wenn Eltern versagen, muss der Staat eingreifen und handeln. Wir sollten Fehlentwicklungen zu verhindern versuchen. Ich möchte dafür werben: Lassen Sie uns das gemeinsam tun!

(Beifall bei der CDU)

Während Frau Abgeordnete Wöllert für die Fraktion DIE LINKE ans Pult tritt, begrüße ich unsere Gäste von der Otto-TschirchOberschule Brandenburg an der Havel. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Jetzt weiß ich ganz genau, was uns, Herr Abgeordneter Werner, bei der Thematik, die Sie heute vorgelegt haben, unterscheidet. Der fundamentale Unterschied zwischen uns ist, dass wir nicht warten wollen, bis Eltern oder andere versagen. Wir möchten im Interesse des Kindeswohls vorher wirksam tätig werden.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE - Zuruf von der CDU: Sie haben nicht zugehört!)

- Ich habe zugehört und auch Ihre Rede von „pathologischen Familienbeziehungen“ vernommen. Ich muss Ihnen sagen: Das, was Sie hier dargelegt haben, ist Stammtischniveau.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Im November 2006 hat eine von der Bundesjustizministerin eingesetzte Expertenarbeitsgruppe den Bericht „Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls“ vorgelegt. Kein Zweifel, die Familiengerichte sind im Zusammenhang mit dem Kinderschutz außerordentlich wichtig. Wir sollten aber eine Verengung des Blickwinkels auf familiengerichtliche Maßnahmen allein vermeiden. Der Auftrag an die Arbeitsgruppe stammt aus dem Koalitionsvertrag und lautet, verkürzt wiedergegeben: Es gibt schwerwiegend verhaltensauffällige und straffällige Kinder und Jugendliche. Auf diese Kinder und Jugendlichen muss erzieherisch eingewirkt werden. Erforderlichenfalls sind sie unterzubringen, und die dafür notwendigen Voraussetzungen sind zu schaffen.

Meine Damen und Herren, von tragischen Fällen der Kindesmisshandlung und -vernachlässigung, die wir leider auch in Brandenburg immer wieder erleben mussten, bis zur geschlossenen Unterbringung Jugendlicher ist es doch ein recht weiter Bogen. In dem zitierten Auftrag wird das Problem sehr verkürzt dargestellt. Gerade angesichts dieses etwas befremdlichen Auftrags nehmen sich die Vorschläge der Arbeitsgruppe doch recht ausgewogen und überlegenswert aus.

Die zentrale Frage ist für mich: Wie nehmen die Eltern, die aus welchen Gründen auch immer Schwierigkeiten mit der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder haben, die durchaus vorhandenen Hilfen an? Noch besser: Wie kann man ihnen diese Hilfen nahebringen?

Die Jugendämter sind in keiner beneidenswerten Lage. Sie sollen Angebote unterbreiten und mit den Eltern eine möglichst vertrauensvolle Zusammenarbeit suchen. Sie geraten aber in harte Konfrontation zu den Eltern, wenn sie Sanktionen wie den Entzug des Sorgerechts beantragen müssen. Möglicherweise schrecken sie manchmal davor zurück, weil damit die Grundlage einer Zusammenarbeit wegbrechen und die Konfrontation noch deutlicher zutage treten würde.

Der Vorschlag der Arbeitsgruppe, gerichtliche Maßnahmen unterhalb der Schwelle des Sorgerechtsentzugs konkreter zu formulieren, kann in einer solchen Situation durchaus hilfreich sein. Ähnliches gilt für die Erörterung des Kindeswohls als Maßnahme des Familiengerichts.

Da dies alles aber schon nach derzeitiger Rechtslage möglich ist, muss man sich fragen, warum es nicht gemacht wird. Anders gefragt: Welche Gründe gibt es für Richter, nicht schon jetzt die richtigen Maßnahmen zu ergreifen? Liegen die Probleme vielleicht eher beim Gesetzesvollzug als bei der Gesetzgebung, wie der Deutsche Richterbund meint?

Ich möchte einen Satz aus dessen Stellungnahme zitieren:

„Der Deutsche Richterbund meint daher, dass die Präzisierung von Vorschriften nicht schaden kann. Viel wichtiger wäre es aber, wenn die Familienrichter mehr Zeit hätten, sich schneller und intensiver um gefährdete Kinder kümmern zu können.“

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Auf die Probleme beim Gesetzesvollzug wird mein Kollege Sarrach noch näher eingehen. Ich möchte den Blick stattdessen gern etwas über den Justizbereich hinaus richten. Meine Frak

tion sieht noch deutlich Defizite im Hinblick auf präventive Möglichkeiten. Das ist ein sehr weites Feld von Handlungsansätzen. Es reicht von der Schwangerschaftskonfliktberatung bis hin zur Sozialarbeit an Schulen, von lokalen Bündnissen für Familie bis hin zu sinnvollen Freitzeitangeboten. Es wäre schon hilfreich, wenn solche präventiven Angebote auf nachhaltige Unterstützung setzen könnten und nicht ständig unter Finanzierungsdruck stünden.

(Vereinzelt Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, wir werden heute an anderer Stelle noch über das Gesundheitsdienstgesetz reden. Dabei geht es unter anderem um die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder bzw. darum, dass die Quote der Inanspruchnahme der Untersuchungen möglichst hoch ist. Ich denke, das ist zwischen uns auch gar nicht streitig. Ich gehe deshalb schon an dieser Stelle kurz auf diesen Gesetzentwurf ein, weil uns die Vorsorgeuntersuchungen immer wieder als Mittel feilgeboten werden, um Misshandlungen oder Vernachlässigungen zu erkennen oder vorzubeugen. Ein solches Mittel stellen sie aus unserer Sicht nicht dar, wie auch der Verband der Kinderärzte betont hat. Die eigentliche Aufgabe dieser Vorsorgeuntersuchungen ist rechtzeitiges Erkennen gesundheitlicher Defizite oder von Entwicklungsrückständen mit dem Ziel, möglichst früh zielgenau zu heilen und zu fördern.

Wir sollten den Menschen im Land weder etwas vormachen, noch die Ärzte in eine falsche Rolle drängen. Der Vorsitzende des gemeinsamen Bundesausschusses hat kürzlich unmissverständlich erklärt:

„Zuverlässige, wissenschaftlich gesicherte Testverfahren für das systematische Aufspüren von vorliegender oder drohender Kindesmisshandlung, die im Rahmen der Kinderfrüherkennungsuntersuchungen angewandt werden und zu einem verbesserten Kinderschutz führen könnten, sind derzeit nicht verfügbar.“

Neben Prävention brauchen wir mehr Kooperation und Vernetzung. Nicht zuletzt brauchen wir vermehrte Anstrengungen zur stetigen Qualifizierung aller, die mit Kindern und mit möglicher Kindeswohlgefährdung zu tun haben. Das sind insbesondere Erzieher, Lehrer, Sozialarbeiter, Mitarbeiter der Jugendämter etc.

(Frau Schier [CDU]: Das ist in erster Linie die Familie!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem Satz aus dem Bericht der Arbeitsgruppe schließen, weil man es nicht besser sagen kann; ich hoffe, wir erzielen hier Übereinstimmung.

„Ausgangspunkt aller Überlegungen war die Erkenntnis, dass eine frühzeitige Prävention das beste Mittel zum Schutz von Kindern ist.“

- Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank. - Wir setzen mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Es spricht der Abgeordnete Holzschuher.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das heutige Thema gibt mir wieder einmal Gelegenheit, etwas Grundsätzliches zur Fundamentalnorm unseres Staates und unserer Kultur zu sagen, zu Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Die Würde jedes einzelnen Menschen, jeder Frau, jedes Mannes und natürlich jedes Kindes! Auch die Würde des Kindes ist unantastbar. Sie zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das steht in Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz über allem anderen, was in unserer Rechtsordnung Geltung hat. Aus dieser Grundnorm kann alles hergeleitet werden: der Anspruch des Kindes auf Schutz vor Misshandlung, vor Vernachlässigung, vor Ausbeutung, vor Armut, das Recht des Kindes auf ein unbeschwertes Spiel - Astrid Lindgren wäre heute 100 Jahre alt geworden -, das Recht auf Bildung und viele andere Rechte. All das folgt aus dieser Fundamentalnorm unseres Staates.

In Artikel 1 Grundgesetz steht nichts von den Rechten der Eltern, und da steht auch nichts von Subsidiarität. Im Gegenteil, die Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde, zum Schutz der Würde der Kinder ist die oberste Aufgabe des Staates, die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und damit Verpflichtung für uns alle,

(Vereinzelt Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

denn die Staatsgewalt geht vom Volke aus.

Es ist selbstverständlich klar, dass eine behütete Familie der beste Ort für eine menschenwürdige Kindheit ist. Selbstverständlich darf kein Staat glauben, er könne willkürlich oder aus politischen Motiven in diese Familie eingreifen. Das wäre eine eklatante Verletzung der Würde der Kinder und natürlich auch der Eltern.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Leider gibt es Fälle, in denen Eltern dieses behütete Haus nicht bieten können, weil sie überfordert sind oder weil sie es nicht wollen. Da beginnt die Verpflichtung des Staates einzugreifen.

Das ist durchaus eine neuere Erkenntnis. Sie ist neuer als das Grundgesetz, auch wenn diese Fundamentalnorm ab 1949 in Westdeutschland - später mit ähnlichen Voraussetzungen auch in der DDR - geltendes Recht war. Die Erkenntnis ist erst einige Jahrzehnte alt. Das Bürgerliche Gesetzbuch, auf dessen Änderung sich der heutige Antrag der CDU-Fraktion bezieht, ist viel älter, nämlich etwas über 100 Jahre alt.

Die ältesten Menschen, die heute noch leben, sind in einer Zeit zur Welt gekommen, als das ganz und gar nicht selbstverständlich, sondern fast schon undenkbar war. Damals waren die Kinder - so wie leider noch heute in vielen Teilen der Welt - letztendlich ein Objekt, um die Altersvorsorge abzusichern, im Haushalt und auf den Feldern zu helfen oder in den Betrieben unterstützend einzugreifen. Sie waren ein Wirtschaftsfaktor. Sie waren natürlich auch der Entscheidungsgewalt des selbstverständlich männlichen Haushaltsvorstandes ausgeliefert. Das war die Situation, als 1900 das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft trat.

Es hat sich in der Praxis und auch in der Rechtswirklichkeit seither sehr viel geändert. Das Bürgerliche Gesetzbuch enthält seit langem viele Vorschriften zum Schutz der Kinder. Es ist trotz allem noch ein weiter Weg. Einige Schritte sind noch zu gehen, bis das Primat des Verfassungsauftrags - unbedingter Schutz der Menschenwürde und damit auch der Kinderwürde gesichert ist. Es bleibt noch viel Arbeit zu erledigen, auch für uns. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wir kommen zum Redebeitrag der DVU-Fraktion. Es spricht die Abgeordnete Fechner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Freitag der vergangenen Woche wollte sich der Bundestag mit einem Gesetzentwurf beschäftigen, der das Ziel verfolgt, den Kinderschutz zu verbessern. Das war nun der Grund für die Kollegen der CDU, dieses Thema zum Thema der heutigen Aktuellen Stunde zu machen. Doch ist ein Thema für den Brandenburger Landtag wirklich aktuell, nur weil der Bundestag sich vorige Woche damit beschäftigen wollte? Warum dieses Thema noch zum Thema der Aktuellen Stunde machen? Haben wir wirklich keine anderen aktuellen Probleme?

Beispielsweise hätten wir heute darüber reden können, wie die Mobilität der über 227 000 Brandenburger Pendler erhalten bleiben kann. Wie allen aufgefallen sein dürfte, sind die Spritpreise enorm gestiegen.

Oder wir hätten heute auch nach Möglichkeiten suchen können, den vielen sozial schwachen Brandenburger Haushalten zu helfen, die kommende Heizperiode zu überstehen. Heizöl kostet aktuell mehr als 70 Cent pro Liter, damit mehr als je zuvor.

Meine Damen und Herren der CDU, das sind aktuelle Themen! Und ich würde vorschlagen: Wenn Sie keine eigenen Ideen haben, dann fragen Sie doch einfach uns. Wir helfen Ihnen gern weiter. Oder Sie verzichten auf Ihr Vorschlagsrecht und überlassen das einer Fraktion, die mehr Sinn für Aktualität hat.

(Beifall bei der DVU)

Da aber die CDU das Vorschlagsrecht für die heutige Aktuelle Stunde hatte, reden wir also über den Kinderschutz und nicht über die aktuelle Abzockerei an den Tankstellen. Der Kinderschutz muss verbessert werden - darin dürften wir uns alle einig sein -, denn immer mehr Kinder sind Misshandlung und Verwahrlosung ausgesetzt. Oftmals wird dies ziemlich spät erkannt, manchmal auch zu spät, wie der Fall Dennis zeigt.