Da aber die CDU das Vorschlagsrecht für die heutige Aktuelle Stunde hatte, reden wir also über den Kinderschutz und nicht über die aktuelle Abzockerei an den Tankstellen. Der Kinderschutz muss verbessert werden - darin dürften wir uns alle einig sein -, denn immer mehr Kinder sind Misshandlung und Verwahrlosung ausgesetzt. Oftmals wird dies ziemlich spät erkannt, manchmal auch zu spät, wie der Fall Dennis zeigt.
Einiges hat man sich einfallen lassen, um unsere Kinder besser vor Verwahrlosung und Misshandlung zu schützen. Unter anderem soll künftig kein Kind mehr durch das Netz der Vorsorgeuntersuchungen fallen. Deshalb möchte man jetzt die Kontrollen beizeiten ansetzen. Dazu wurde unter anderem das Gesetz für den öffentlichen Gesundheitsdienst geändert, das wir heute Nachmittag noch sehr ausführlich diskutieren werden.
Meine Damen und Herren, wie können wir als Politiker, als Mitglieder dieser Gesellschaft wirkungsvoll verhindern, dass Eltern ihre Kinder verwahrlosen lassen bzw. ihre Kinder misshandeln? Soll der Staat zum Wohle des unmündigen Kindes mehr Eingriffsrechte haben? Oder gehen die in der Verfassung garantierten Rechte der Eltern über alles? Seit langem wird über diese Problematik diskutiert. Doch Reden ersetzt ja bekanntlich nicht Handeln, und in der Zwischenzeit steigt die Zahl der überforderten jungen Eltern drastisch.
Die Gründe für die moralische und soziale Verwahrlosung in Teilen unserer Gesellschaft sind sehr vielfältig. Doch eine der Hauptursachen für Gewalt und Verwahrlosung in der Familie ist die hohe Arbeitslosigkeit und der damit verbundene niedrige soziale Status. Immer mehr Kinder leben in Familien, in denen die Eltern keine Zukunftsperspektive mehr für sich und ihre Kinder sehen.
„Doch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und einer häufig angespannten wirtschaftlichen Situation von Familien ist die Möglichkeit größer, dass Kinder vernachlässigt werden.“
So äußerte sich die Fachberaterin beim Kinderschutzbund Nordrhein-Westfalen gegenüber den Medien. Wenn man sich die an die Öffentlichkeit gelangten Brandenburger Fälle von Kinderverwahrlosung ansieht, kann man diese Aussage nur bestätigen. Hier gilt es nach Meinung der DVU-Fraktion zuerst anzusetzen. Doch solange wir nur über die Symptome und deren Auswirkungen diskutieren und nicht über deren Hauptursachen, so lange wird sich hier nicht wirklich etwas ändern.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Artikel 6 Absatz 2 unseres Grundgesetzes heißt es:
„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“
Dieses Recht und diese Pflicht haben ganz wunderbare Seiten, können aber auch erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Das war den Müttern und Vätern unseres Grundgesetzes bewusst. Daher heißt es im zweiten Satz folgerichtig:
Häufig fühlen sich Eltern mit ihren Erziehungsaufgaben überfordert. Wenn die Überforderung so weit geht, dass sie erhebliche Folgen für die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes hat, muss der Staat im Interesse des Kindeswohls eingreifen. Dabei kommt es darauf an, nicht nur frühzeitig Gefährdungssituationen zu erkennen, sondern auch die richtigen Hilfen anzubieten. Deshalb hat die Landesregierung im Sommer 2006 Empfehlungen zum Umgang und zur Zusammenarbeit bei Kindervernachlässigung und Kindesmisshandlung erarbeitet, die einen Überblick über die beteiligten Bereiche wie Jugendhilfe, Schule, Gesundheit, Justiz und Polizei bieten und
eine bessere Kooperation anregen sollen. Trotzdem gibt es noch erhebliche Unsicherheiten über die Frage, wann eine Kindeswohlgefährdung anzunehmen ist und mit welchen Maßnahmen man ihr am besten begegnet.
Deshalb begrüße ich es sehr, dass sich auch die Bundesregierung dieses wichtigen Themas angenommen hat. Das Bundesministerium der Justiz hat eine Expertenarbeitsgruppe gegründet, an der auch Brandenburg aktiv beteiligt war. Auf der Grundlage des Abschlussberichts der Arbeitsgruppe brachte die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls ein. Ziel des Entwurfs ist es, dass Familiengerichte nicht erst dann eingeschaltet werden, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen und die Gefährdungslage nur noch durch den Entzug des Sorgerechts abzuwenden ist. Dazu müssen die Hürden für das Eingreifen des Familiengerichts gesenkt werden.
Eine wichtige Hürde stellt der Begriff des Erziehungsversagens der Eltern als Voraussetzung für ein Tätigwerden des Familiengerichts dar. Im Entwurf des Gesetzes wird die Gefährdung des Kindeswohls in den Mittelpunkt gestellt, ohne die Klärung der Frage, wer schuld an der Gefährdung ist, dem Gericht aufzuerlegen. Das Gericht muss nur feststellen, ob die Eltern gewillt und in der Lage sind, die Gefährdung abzuwenden. Das halte ich für eine ganz wichtige Sache. Denn gerade die Feststellung des Erziehungsversagens stellt natürlich sofort eine erhebliche Konfrontation mit den Eltern dar und senkt die Bereitschaft zur Mitwirkung auf den Nullpunkt. Auch wenn es sozusagen eine „kleine“ Formulierung ist, so halte ich sie doch für außerordentlich bedeutsam.
Zur Klärung der Frage, ob die Eltern gewillt und in der Lage sind, die Gefährdung abzuwenden, soll unter anderem ein Erörterungsgespräch mit den Eltern dienen, an dem das Kind nach Möglichkeit - in Abhängigkeit vom Alter - teilnehmen soll. In § 1666 Abs. 3 BGB werden beispielhaft Maßnahmen aufgezählt, die die Bandbreite der Gestaltungsmöglichkeiten unterhalb der Schwelle der Sorgerechtsentziehung verdeutlichen. Aus der gerichtlichen Praxis ist hierzu der Einwand erhoben worden, dass die dort aufgeführten Maßnahmen auch nach der derzeitigen Rechtslage bereits möglich sind. Das ist zutreffend. Aber in der Praxis - das hat die Arbeitsgruppe durch Anhörungen und Untersuchungen festgestellt - herrscht häufig noch die Fehlvorstellung, dass das Familiengericht im Rahmen eines Verfahrens nach § 1666 BGB nur das gesamte Sorgerecht oder Teile davon entziehen könne. Das hat zur Folge, dass sich die Mitarbeiter der Jugendhilfe oft erst bei massiven Sorgerechtsverletzungen an die Familiengerichte wenden und nicht schon bei ersten Anzeichen, wenn die Eltern noch mit niedrigschwelligen Angeboten zu ihrer Elternverantwortung zurückgeführt werden können. Das ist natürlich das vordringliche Ziel.
Es ist auch wichtig, dass die Familiengerichte verpflichtet werden, nach einer gewissen Zeit zu überprüfen, ob die Maßnahme - bzw. das Nichteinleiten von Maßnahmen - richtig war, ob sich also ihre Einschätzung auf Dauer aufrechterhalten lässt, weil viele Fälle manchmal durch den Rost fallen, wenn sich die Situation nach einiger Zeit verschlechtert hat.
Wichtig ist aus meiner Sicht auch die Neufassung des § 1631 b BGB, mit dem die Voraussetzungen für eine geschlossene Unterbringung konkretisiert werden. Damit ist keine Verschärfung des geltenden Rechts verbunden, sondern es geht darum,
die Voraussetzungen zu konkretisieren. Leider ist das Thema „geschlossene Unterbringung“ wie kaum ein anderes geeignet, die Gemüter zu erhitzen. Das konnte ich erst kürzlich auf einer Veranstaltung feststellen. Vielfach wird dieser Begriff noch mit bloßem Wegsperren assoziiert. Ich kann mir niemanden vorstellen, der so etwas möchte.
Das wäre auch eine Diskriminierung der hervorragenden Einrichtungen in Brandenburg, die sich mit der ganz kleinen Gruppe ganz schwieriger Kinder befassen. Ich halte es für problematisch, wenn ein Bundesland keine geschlossene Unterbringung vorsieht und bei einem wirklich intensiven Problemfall dann still und heimlich schaut, in welchem Bundesland es das betreffende 13-jährige Kind unterbringen könnte.
Der Aufbau einer Beziehung braucht einen Rahmen. Erziehung ohne Beziehung ist nicht möglich. Bei Kindern oder Jugendlichen, die immer wieder weglaufen, weil sie noch keine verlässlichen Beziehungen erlebt haben oder immer wieder enttäuscht wurden, muss dieser Rahmen für einen begrenzten Zeitraum durch eine verbindliche Unterbringung geschaffen werden. Auch in der Begründung zum Gesetzentwurf wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Grenzen zwischen geschlossenen, halbgeschlossenen und offenen Heimen inzwischen fließend sind.
Meine Damen und Herren, neben den Vorschlägen, die zu dem bereits erwähnten Gesetzentwurf der Bundesregierung geführt haben, sind im Bericht der Arbeitsgruppe weitere Handlungsoptionen aufgeführt, die mit Sorgfalt erwogen werden müssen. Besonders intensiv wurde in diesem Rahmen diskutiert, inwieweit die Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen wie Jugendhilfe, Gesundheitsbehörde und Justiz verbessert werden kann. Letztlich hat die Arbeitsgruppe eine gesetzliche Regelung im SGB VIII vorgeschlagen, die wie folgt lautet:
„Die Träger der örtlichen Jugendhilfe sollen die Bildung von ständigen Arbeitskreisen mit den Familiengerichten anstreben. In den Arbeitskreisen soll die Zusammenarbeit insbesondere in Fragen der elterlichen Sorge und des Umgangsrechts fallübergreifend erörtert und abgestimmt werden. Zu den Arbeitsgruppen können auch andere Institutionen und Personen hinzugezogen werden.“
Dieser Vorschlag konnte aus Gründen der Gesetzgebungskompetenz nicht im Gesetzentwurf der Bundesregierung umgesetzt werden. Gleichwohl zeigt er, wie wichtig der Expertengruppe die Bildung von Arbeitsgruppen war. Auch ich halte sie für ein geeignetes Mittel, die Zusammenarbeit der Institutionen zu verbessern; denn der Vorteil einer institutionellen Zusammenarbeit liegt darin, dass die Beteiligten nicht nur ihre unterschiedlichen Aufgaben und Rollen kennen und besser verstehen lernen, sondern auch gemeinsame Regeln für Kinderschutzfälle erarbeiten. Nicht zuletzt geht es um die persönliche Kontaktaufnahme aller Beteiligten, die die Zusamenarbeit im konkreten Fall sehr erleichtern kann.
Meine Damen und Herren, Kinderschutz geht uns alle an. Was wir heute versäumen, kann uns später teuer zu stehen kommen. Als Justizministerin weiß ich, wie teuer es werden kann. Viele jugendliche Gewalttäter stammen aus zerrütteten Familienverhältnissen und sind im Kindesalter in der einen oder anderen Form selbst Opfer von Gewalt oder Vernachlässigung geworden. Dies bleibt nicht ohne Folgen. Persönlichkeitsstörungen,
die später in kriminelles Verhalten münden können, entwickeln sich sehr früh; denn die wesentlichen Prägungen eines Menschen erfolgen in den ersten sechs Lebensjahren. Fehlt es Kindern an Zuwendung, an Liebe, fehlen sichere Bezugspersonen und Vorbilder, können sie weder ein stabiles Selbstwertgefühl noch die Fähigkeit zu Mitgefühl entwickeln. Psychische Schäden, die durch Vernachlässigung und gar Gewaltanwendung in den ersten Jahren der Persönlichkeitsentwicklung hervorgerufen werden, sind schwerwiegend und manchmal sogar irreparabel. Deshalb sage ich: Nur durch eine intensive Zusammenarbeit, ständige Weiterbildung und die Einbeziehung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse können Jugendämter und Familiengerichte in Kooperation mit anderen Beteiligten das im Grundgesetz niedergelegte Wächteramt des Staates erfolgreich ausfüllen. Das kostet Geld und personelle Ressourcen. Aber wir alle stehen in der Verantwortung, unseren Kindern ein gewaltfreies und gesundes Aufwachsen zu ermöglichen. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gegen Gewalt an und Vernachlässigung von Kindern muss alles getan werden. Uns treibt die Sorge um, für das Wohl der Kinder gemeinsam Maßnahmen zum verbesserten Schutz gefährdeter Kinder zu finden. Auf Bundesebene wird der bereits besprochene Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls beraten. Im Wesentlichen ist dieser Gesetzentwurf aus Sicht der LINKEN begrüßenswert und auch zustimmungsfähig; denn er rückt das Problem nicht ausreichend miteinander kooperierender Institutionen wieder mehr ins Blickfeld der Politik. Wir wissen aber auch, dass Gesetze einzelne tragische Fälle von Versagen von Ämtern und Gerichten leider auch künftig nicht verhindern können.
In dem Entwurf der Bundesregierung sind Vorgaben an die Justiz zur beschleunigten Durchführung bestimmter Verfahren sowie weitere Vorgaben, die zu einem Mehraufwand bei den Familiengerichten und bei den Jugendämtern führen werden, enthalten. So sollen Verfahren, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, sowie Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls beschleunigt durchgeführt werden. Konkret soll in solchen Verfahren spätestens binnen eines Monats ein Erörterungsgespräch stattfinden. Zudem soll das Familiengericht im Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls unverzüglich den Erlass einer einstweiligen Anordnung prüfen. Die Voraussetzungen zum Eingriff des Familiengerichts bei der Gefährdung des Kindeswohls sollen erleichtert werden, und das Familiengericht wird zur Überprüfung ablehnender Entscheidungen binnen drei Monaten, wenn es um eine Gefährdung des Kindeswohls geht, verpflichtet.
Die Vorschläge stellen allerdings weitgehend in der Tat nur eine Präzisierung der geltenden Rechtslage dar, beklagte beispielsweise der Deutsche Richterbund. Das kann nicht scha
den, doch entgegen der Überschrift findet sich im Gesetzentwurf kaum eine Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Kindeswohlgefährdung. Das ist auch nicht verwunderlich, da die Intensivierung des Schutzes gefährdeter Kinder eben kein Problem der Rechtsetzung, sondern der Rechtsanwendung ist. Ich kenne keinen Familienrichter, dem die Beschleunigung der Sorge- und Umgangsrechtsverfahren nicht am Herzen läge. Nur schnelle Entscheidungen können das Kind effektiv schützen. Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot macht also nur Sinn, wenn auch die entsprechenden Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die Kürzung von Personal- und Sachmitteln bei den Gerichten, aber auch bei anderen für den Jugendschutz verantwortlichen Stellen ist sicher nicht geeignet, die Interessen der Kinder besser zu schützen. Das ist das Problem. Die Umsetzung der gewollten neuen gesetzlichen Vorgaben wird nicht zum Nulltarif zu haben sein.
Das Bundesjustizministerium weist in dem Entwurf darauf hin, dass die vorgenannten Verfahren vorrangig und notfalls auf Kosten anderer Verfahren durchzuführen sind. Was das bedeutet, ist uns Rechtspolitikern aus Strafverfahren bekannt. Dort führte das Beschleunigungsgebot bei Haftsachen dazu, dass andere Strafsachen bis zum Termin länger liegen blieben. Es reicht eben nicht, den Mangel nur zu verteilen.
Die neuen gesetzlichen Regelungen dürfen nicht dazu führen, dass Verfahren, in denen es nicht unmittelbar um den Schutz des Kindes und um dessen Belange geht, nicht mehr in angemessener Zeit erledigt werden können. Auch hier haben die Parteien ein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht, dass auch Scheidungsverfahren nicht verzögert werden und dass auch in Unterhaltsverfahren eine zeitnahe Lösung gefunden wird; denn das dient ebenfalls dem Kindeswohl.
Niemand im politischen Raum soll also später sagen dürfen, er habe nicht gewusst, dass Familiengerichte mit diesem Entwurf auch mit den neuen Aufgaben der Erziehungsberatung, die nicht zur Kernaufgabe justizieller Tätigkeit gehören, betraut werden und so neue Tätigkeitsfelder für die Justiz gesucht wurden, Tätigkeitsfelder, für die die Richter nicht aus- und fortgebildet sind und die uns etwas kosten werden. Wobei klar sein muss, dass Familiengerichte Maßnahmen der Familien- und Jugendhilfe nicht ersetzen können. Die Aufgaben der Jugendhilfe und der Familiengerichte müssen klar abgegrenzt bleiben.
Von der Landesregierung erwartet DIE LINKE, dass sie vorlegt, wie die geplanten Vorschläge im Land organisatorisch, fachlich und personell umgesetzt werden sollen. Ansonsten, Frau Ministerin Blechinger, Herr Minister Speer, sind das Vorstellungen, die Erwartungen wecken, die dann nicht erfüllt werden. Wir müssen verhindern, dass die Reform in dem Gesetzentwurf lediglich zu programmatischen Absichtserklärungen verkommt. Schon jetzt arbeiten die Amtsgerichte, bei denen die Familiengerichte angesiedelt sind, mit einer Mangelquote richterlicher Überbelastung. Ziehen wir also daraus Konsequenzen; denn schon heute kommen wir in Brandenburg der Justizgewährungspflicht nur unzureichend nach. Sonstige Familienverfahren vor brandenburgischen Amtsgerichten dauerten in den letzten Jahren durchschnittlich acht bis elf Monate. Das waren stets noch zwei Monate über dem Bundesdurchschnitt. Legen Sie also vor dem Landtag dar, wie Sie mit welchem Personal die Familien- und Sorgerechtsverfahrenzeiten in Brandenburg verkürzen wollen, sonst bleiben wir von den Ansprüchen des Gesetzentwurfes weit entfernt. Nicht alle Proble
me können allein durch Kooperation von Jugendhilfe, Schule, Gesundheit, Justiz und Polizei gelöst werden.
Ich habe noch eine Bitte an den Kollegen Werner, an die CDUFraktion und an Frau Ministerin Blechinger. Verquicken Sie bitte nicht länger diese wichtige Debatte zum Schutz von Kindern mit der Forderung nach vermehrter geschlossener Unterbringung verhaltensauffälliger krimineller Jugendlicher. Verhaltensauffällige und missbrauchte Kinder gehören so nicht zusammen behandelt. Sie wissen, die Expertenkommission stellte fest, dass es so gut wie keine Befunde über die positive und negative Wirkung einer geschlossenen Unterbringung gibt, und sich deshalb keine Kriterien einer Indikation angeben lassen; dass die zehn Bundesländer, die keine geschlossenen Heime haben, die Unterbringungsmöglichkeiten in anderen Bundesländern sehr viel weniger Anspruch nehmen - erst das Angebot hat also die Nachfrage geschaffen -; dass die geschlossene Unterbringung nicht zu strafrechtlichen Sanktionszwecken missbraucht werden darf, weil sie eine Maßnahme bei Kindeswohlgefährdung ist; und dass sich die Grenze zwischen offener und geschlossener Unterbringung in der Praxis deutlich relativiert hat. Äußerungen, dass es zu wenige geschlossene Heime gebe oder dass man mehr Kinder in Heime einweisen müsse, sind nicht zielführend.
Frau Ministerin Blechinger, wir als Fraktion DIE LINKE sehen, dass Sie sich leidenschaftlich für den Kinderschutz engagieren. Aber man darf nicht sporadisch, sondern muss vorausschauend handeln. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, an dem Sie mitgewirkt haben, gleicht konzeptionell einem lehrreichen, guten Bilderbuch. Bemerken Sie bitte, dass in diesem Bilderbuch jede zweite Seite fehlt, und dass wir das, gerade weil uns allen der Kinderschutz am Herzen liegt, so nicht hinnehmen können. - Ich danke Ihnen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entsetzliche und schockierende Fälle von Kindesmisshandlung, -vernachlässigung und -missbrauch haben uns in den letzten Jahren im Rahmen der Aktuellen Stunde immer wieder beschäftigt. Sie machen drastisch deutlich, dass die Kleinsten unseren besonderen Schutz verlangen und erwarten; die Aufmerksamkeit aller gesellschaftlichen Kräfte ist erforderlich.
Wir alle sind uns heute hier im Plenum weitestgehend einig, dass das Aufwachsen in einer Familie, in der die Eltern und andere erziehende Personen wie die Großeltern ihre Rechte und ihre Verantwortung gegenüber den Kindern bzw. Enkelkindern in vollem Umfang wahrnehmen, der beste Kinderschutz ist.
Aber Vorsicht: Das darf nicht zu einem familienpolitischen Tunnelblick führen. Ich danke Herrn Werner, dass er eindringlich deutlich gemacht hat, dass Familien nicht mehr in jedem Fall in der Lage sind, genau diese Ansprüche zu erfüllen. Bei diesem Thema geht es längst nicht mehr allein um die Kon
fliktlinie starke Eingriffsrechte des Staates versus Elternrechte; es geht um die Kinder. Jede andere Diskussion von dieser Stelle aus wäre zynisch.
Wir Sozialdemokraten sind mit dem Ziel angetreten, kein Kind zurückzulassen. Wir streiten und kämpfen um die Kultur des Hinschauens, für eine Gesellschaft, in der Mit- und Füreinander keine hohlen Phrasen sind. Für uns heißt Kindeswohl und Schutz vor Vernachlässigung ganz konkret: Kinder müssen in Brandenburg gesund aufwachsen können. Sie müssen frühzeitig Bildungschancen erhalten, und sie müssen vor Gewalt geschützt werden. Dafür brauchen wir die Eltern, die Großeltern, die Ämter, Lehrer, Erzieher, die Justiz und die Polizei, schlicht alle. Die Gerichte - Frau Blechinger und Herr Sarrach haben dies soeben ausgeführt - spielen eine große Rolle.
Wir haben in diesem Hause schon vieles zum Thema Kinderschutz gehört; zumeist jeweils auf einen Aspekt beschränkt: Rechtspolitik, Gesundheitspolitik, Bildungs- oder Sozialpolitik. Der von mir skizzierte und umfassende Anspruch kennt diese Ressortzuständigkeit nicht, sondern verlangt nach einer übergreifenden und stark vernetzten Politik. Genau daran haben wir gearbeitet.
Ich möchte einige Beispiele nennen. Erstens, das Programm für Familien- und Kinderfreundlichkeit. Dass Familien und Kinder in Brandenburg Vorrang haben, wurde am 18.10.2005 vom Kabinett beschlossen. Konkretisiert und finanziell untersetzt wurde dieser Beschluss mit dem am 20.12.2005 vom Kabinett verabschiedeten Maßnahmenpaket für Familien- und Kinderfreundlichkeit; Stichwort: Prävention.