Protokoll der Sitzung vom 24.01.2008

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wird Sie nicht verwundern, dass wir, ohne lange darüber nachdenken zu müssen, den Antrag der LINKEN ablehnen werden.

(Zuruf des Abgeordneten Sarrach [DIE LINKE])

Ich möchte Ihren Vorwurf zurückweisen, dass die aktuelle Diskussion allein Wahlkampfgetöse sei; denn es gab einen aktuellen Anlass. Ein Rentner wurde von zwei Jugendlichen ohne Grund brutal zusammengeschlagen. Ich habe kein Wort dazu gehört, wie Sie zu dem Opfer stehen und dass Sie des Opfers gedenken.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der DVU - Jür- gens [DIE LINKE]: Beifall von ganz rechts; ganz toll!)

Dieser Fall wäre wahrscheinlich nur eine kleine Meldung in einer Zeitung gewesen - in der Boulevardpresse vielleicht eine etwas größere -, wenn es nicht die Macht der bewegten Bilder gewesen wäre, die viele Leute aufgerüttelt hat. Die Bilder haben gezeigt, dass wir in der Tat ein Problem haben.

(Zuruf der Abgeordneten Funck [CDU])

Es ist richtig, dass die Jugendkriminalität nicht zugenommen hat, jedoch - nehmen Sie es doch bitte zur Kenntnis - ist die Zahl der Delikte im Bereich der Jugendgewaltkriminalität signifikant, nämlich um 15 %, gestiegen. Wir dürfen nicht nur auf die Brandenburger Zahlen schauen; wir reden hier über ein Bundesgesetz. Ein Up oder Down in einzelnen Bundesländern ist nicht von Relevanz.

(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Nee, nee, nee!)

Das Denkverbot, das Sie uns auferlegen wollen, weise ich strikt zurück. Die Darstellung der Forderungen bzw. das Bild, das Sie zeichnen wollen, ist nicht korrekt. Sie tun so, als ob wir für alle Straftaten eine Höchststrafe von 15 Jahren fordern. Das ist falsch. Das gilt allenfalls für Tötungsdelikte bzw. Mord. Ich kann mich sehr gut an eine Debatte hier im Landtag erinnern, als es um den Mord in Potzlow ging. Wir alle waren unzufrieden, als wir hörten, dass die Täter mit einer Höchststrafe von womöglich nur zehn Jahren zu rechnen hätten.

(Holzschuher [SPD]: Lebenslang!)

Was den „Warnschuss-Arrest“ angeht - Herr Sarrach, Sie haben es selbst gesagt -, so muss die Strafe der Tat auf dem Fuße folgen. Jemand, dessen Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird, verlässt den Gerichtssaal mit dem Gefühl, er sei nicht bestraft worden.

(Jürgens [DIE LINKE]: Er muss erst mal in den Gerichts- saal gelangen!)

Wenn wir den „Warnschuss-Arrest“ einführen, wird es keine Pflicht geben, dieses Mittel anzuwenden, sondern dies liegt im Ermessen der Richter. Ich habe großes Vertrauen, dass die Richter dieses Instrument sehr sorgfältig anwenden werden.

Auch bezüglich unserer Forderung, Heranwachsende nach Erwachsenenstrafrecht zu bestrafen, haben wir in Brandenburg ein sehr gutes Beispiel. Auf 60 % der Heranwachsenden wird das Erwachsenenstrafrecht angewandt. Ich glaube nicht, dass die Brandenburger Heranwachsenden anders sind als die in Schleswig-Holstein, wo 90 % der Heranwachsenden nach Jugendstrafrecht behandelt werden. Da kann doch an der Systematik etwas nicht stimmen!

(Holzschuher [SPD]: Dann brauchen wir ja auch keine anderen Gesetze!)

Zu den sogenannten Erziehungscamps: Sie unterstellen, es seien Bootcamps gefordert worden. Das hat niemand getan. Erziehungscamps, wie ich sie mir vorstelle, haben einen pädagogischen Mehrwert. Ich denke an die Einrichtung in Frostenwalde bzw. Landhaus Liepe und einige Einrichtungen außerhalb von Brandenburg. Das ist die Intention. Die CDU hat in ihrer Wiesbadener Erklärung ganz klar gesagt, dass es mehrere Bestandteile gibt: Vorbeugen, Hinsehen und Eingreifen; und nicht

nur, wie Sie es uns unterstellen wollen, reine Repressalien und Sanktionen.

Was den zweiten Punkt Ihres Antrags angeht, muss ich sagen, sind Sie sehr rückwärtsgewandt. Ich sehe keinen einzigen positiven Aspekt. Sie akzeptieren es nicht, dass sich Justizministerin Blechinger dafür eingesetzt hat, gerade im Jugendstrafvollzug 14 zusätzliche Stellen zu schaffen. Es handelt sich dabei um Pädagogen, Psychologen und Ausbilder und nicht etwa um Bedienstete, die nur dafür sorgen, dass alle ihr Essen bekommen und den Tag irgendwie überstehen.

(Beifall bei der CDU)

Sie sehen nicht die Initiative mit der Aufrechterhaltung von Frostenwalde, mit der Einrichtung von Liepe. Gerade heute hat der Sprecher des Ministeriums erklärt, dass die Plätze hier noch ausgebaut werden sollen, weil sich hier doch - auch wenn es sie noch nicht so lange gibt - eine recht gute Tendenz zeigt.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Das ist aber keine Prävention!)

- Es ist auch eine Prävention, wenn darauf geachtet wird, dass zukünftig Straftaten nicht mehr begangen werden.

Auch hier ist Brandenburg Vorreiter: Das vereinfachte Jugendverfahren wird in Brandenburg viel häufiger angewandt als in allen anderen Bundesländern. Das hat auch damit zu tun, dass die Justizministerin mit den entsprechenden Stellen - mit der Polizei, mit dem Jugendamt, mit dem Gericht, mit den Staatsanwaltschaften - Gespräche darüber führt, dass das besser verzahnt wird. Denn die Strafe muss in der Tat der Tat auf dem Fuße folgen, damit es hier wirklich vorangeht.

(Beifall bei der CDU)

Bei Ihrer Sichtweise müssen Sie doch bitte eines akzeptieren die Forderung, eine Evaluierung zu machen, ist immer so negativ gedacht -: So wie es keine allgemeingültige Ursache dafür gibt, dass jemand kriminell wird, gibt es leider auch kein Allheilmittel, wie man es verhindern könnte. - So glaube ich nicht, dass uns Ihre Evaluation letztlich weiterbringen würde.

Ein Punkt noch zum Schluss, Herr Sarrach, weil Sie mich ja vorhin keine Zwischenfrage stellen ließen. Sie sagten, Prof. Farke, Präsident des Oberlandesgerichts, bedauere, dass es bei Jugendgerichtsverfahren nicht genug Zeit gebe, um die Probleme oder die Persönlichkeit des Jugendlichen zu erfassen. Wir haben das schöne Institut der Jugendgerichtshilfe, und ich hätte Sie in dem Zusammenhang gefragt, was Sie von der Jugendgerichtshilfe halten. Ich möchte jetzt hierzu aus einem Buch zitieren, das „Durch die Wüste - ein Antirepressionshandbuch für die politische Praxis“ heißt und zu dem die Junge Linke in Nordrhein-Westfalen ein Vorwort geschrieben hat, in dem es über das Buch unter anderem heißt, es sei eine lohnende Investition in die eigene Sicherheit.

In dem Buch heißt es:

„Die Institution der Jugendgerichtshilfe ist ein ausgefeiltes System des Repressionsapparates, dich wieder in die Gesellschaft zurückzuholen oder zu verhindern, dass du weiterhin an deinen Aktivitäten und deiner Haltung fest

hältst, die dir den Ärger mit dem Gericht eingebracht haben. Es ist nicht auszuschließen und kam auch schon vor, dass die Ergebnisse der Ermittlungen der Jugendgerichtshilfe dem Verfassungsschutz als Grundlage dienen, mit diesem Persönlichkeitsprofil Anquatschversuche zu starten. Eine gewisse Distanz zu Vertretern der Jugendgerichtshilfe kann also nicht schaden.“

Ich muss sagen, wenn man so mit dem Rechtsstaat umgeht, mit unseren Gerichten und auch mit dem Institut der Jugendgerichtshilfe, die in diesen Verfahren eine sehr gute Einrichtung ist, dann - das tut mir leid - ist das keine Diskussionsgrundlage. Wir lehnen Ihren Antrag ab.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält Ministerin Blechinger.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat dürfen generalpräventive Erwägungen, also solche, die rein der Abschreckung dienen, im Jugendstrafrecht nicht berücksichtigt werden. Sehr wohl berücksichtigt werden können hingegen spezialpräventive Maßnahmen, die erzieherische Wirkung haben und dazu führen sollen, dass Jugendliche und Heranwachsende ein Leben ohne Straftaten führen. Deswegen sind Maßnahmen im Jugendstrafrecht an den wesentlichen Leitlinien, dem Erziehungsgedanken, dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit und dem Grundsatz der Subsidiarität zu messen.

Wenn also darüber nachgedacht wird, ob eine von der Rechtsprechung anerkannte Maßnahme wie der Arrest zukünftig neben einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verhängt werden darf, was gegenwärtig nicht zulässig ist, so halte ich diese Diskussion für legitim. Ich habe Ihnen dazu ja heute früh meine Auffassung schon dargelegt.

Viele Praktiker halten einen erzieherisch ausgestalteten Arrest neben der Aussetzung einer Strafe für eine wirksame erzieherische Maßnahme, um den jungen Täter zur Auseinandersetzung mit seiner Straftat anzuhalten und ihn für einen begrenzten Zeitraum aus einem Umfeld herauszulösen, das seine Delinquenz nicht verhindern konnte. Das ist kein unzulässiger Strafzweck, sondern der Versuch einer spürbaren erzieherischen Einwirkung.

Wenn Sie, Herr Abgeordneter Sarrach, zum Beweis für Ihre Auffassung Prof. Mitsch zitieren, dann sage ich: Hätten Sie in der Presseschau eine Seite weiter geblättert, wären Sie auf die Aussagen des Sozialarbeiters Voehse getroffen, der sagt, er halte die aktuelle Gewaltdiskussion auch in Potsdam für angebracht, und der die Frage, ob die Hemmschwelle gesunken ist, eindeutig bejaht.

Sie sehen, es kommt immer auf die Auswahl der Zitate an. Darin, diese so auszuwählen, dass sie das breite Meinungsspektrum nicht wiedergeben, haben Sie ja gewisse Übung.

(Bochow [SPD]: So sind die Juristen!)

Die Frage, ob auf Heranwachsende Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht angewendet wird, hat der Gesetzgeber bereits in § 105 Abs. 1 Jugendgerichtsgesetz beantwortet. Danach kommt die Anwendung des Jugendstrafrechts nur dann in Betracht, wenn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters ergibt, dass er zum Zeitpunkt der Tat noch einem Jugendlichen gleichstand oder es sich bei der Tat um eine Jugendverfehlung handelt. Die Strafrechtspraxis versteht dies in Brandenburg ganz überwiegend so - in 60 % der Fälle; der Abgeordnete Holzschuher hat es ausgeführt -, dass die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts bereits nach geltendem Recht die Regel und die Anwendung von Jugendstrafrecht die Ausnahme ist.

Auch die Landesregierung will an der Grundausrichtung des geltenden Rechts, wonach dem Jugendrichter vom Gesetzgeber weder eine zwingende Anwendung von Jugendstrafrecht noch von Erwachsenenstrafrecht vorgegeben wird, nichts ändern. Für uns in Brandenburg stellt sich daher die Frage einer eigenen Gesetzesinitiative nicht, weil hier bereits das geltende Recht zutreffend umgesetzt wird.

Unterschiedliche Auffassungen gibt es lediglich bei der Frage, ob wir andere Bundesländer, die diesen Stand durch eine Gesetzesänderung erreichen wollen, unterstützen sollen.

Was die sogenannten Erziehungscamps anbelangt, so sind Namen ja Schall und Rauch. Entscheidend sind die Inhalte. Wenn in solchen Erziehungscamps tatsächlich Erziehung stattfindet, wie es der Name suggeriert, halte ich sie für sinnvoll. Denn Erziehung hat natürlich nichts mit Drill und Demütigung zu tun, sondern mit dem genauen Gegenteil. Erziehung soll das Selbstwertgefühl stärken und zu eigenverantwortlichem Handeln befähigen. In Brandenburg gibt es verschiedene Einrichtungen, die mit großem Erfolg das Prinzip der verbindlichen Erziehung umsetzen.

Schließlich verlöre auch die Frage, ob das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende von 10 auf 15 Jahre erhöht werden sollte, an Dramatik, wenn in anderen Bundesländern ähnlich wie in Brandenburg - Heranwachsende überwiegend nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt würden. Die Landesregierung wird daher wie bisher im Einzelfall entscheiden, welche Gesetzesänderungen aus Brandenburger Sicht erforderlich sind und welche nicht.

Soweit in dem Antrag von Stellenkürzungen im Jugendstrafvollzug ausgegangen wird, ist bereits die Prämisse des Antrags unzutreffend. Wie sich schon in der Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE zur Situation der Justiz im Land gezeigt hat, hat es im Justizvollzug in den Jahren 1998 bis 2007 keine nennenswerte Personalreduzierung gegeben. Allerdings steht in den nächsten Jahren, bis 2012, ein solcher Personalabbau bevor; er wird jedoch gerade nicht im allgemeinen Vollzugsdienst des Jugendstrafvollzugs stattfinden. Bei einem so deutlichen Rückgang der Gefangenenzahlen wie in Brandenburg - die Jahresdurchschnittsbelegung ist von 2 292 im Jahre 2003 auf 1 991 im Jahre 2007 gesunken - kann man den Strafvollzug natürlich nicht von Stellenkürzungen ausnehmen.

Was die vom Abgeordneten Sarrach angeführten Phantasiebelastungszahlen anbelangt, weiß ich nicht, aufgrund welcher Statistiken er diese Zahlen hier genannt hat.

Nach unseren Zahlen ergeben sich solche Belastungen nicht.

Evaluationen sind im Übrigen nur dann sinnvoll, wenn sie Hinweise auf die Verbesserung der Prävention geben, die praktikabel sind. Beispielsweise ist bereits eine wissenschaftliche Untersuchung des Rauhen Hauses für soziale Arbeit in Hamburg zur Jugendhilfeeinrichtung Frostenwalde durchgeführt worden, die veröffentlicht wurde. Sie dokumentiert durchweg die positive Bewertung der Praxis und die Praktikabilität des Konzepts dieser Einrichtung. Außerdem wird in meinem Hause gegenwärtig eine Untersuchung zu Intensivtätern in Brandenburg durchgeführt.

Schließlich schreibt das neue Jugendstrafvollzugsgesetz in § 97 die Evaluation des Jugendvollzugsgesetzes nunmehr ausdrücklich vor. Die im Haushalt 2008/2009 auch insoweit erhöhten Sachmittel werden demgemäß dafür genutzt werden, die Wirksamkeit der in den Einrichtungen freier Träger in Liepe und Guben zur Anwendung gebrachten Maßnahmen mit dem Resozialisierungserfolg des klassischen Jugendstrafvollzugs zu vergleichen. So hoffen wir, auf längere Sicht belastbare Erkenntnisse zur effektiven Rückfallvermeidung in diesem Sektor zu gewinnen.

Wir können in Zeiten knapper Kassen wissenschaftliche Forschung nur unterstützen, wenn sie zukunftsorientiert ist und uns Erkenntnisse im Sinne von Best Practice bringt. Teure, zeitraubende und rückwärtsgewandte Evaluationen können und wollen wir uns nicht leisten.

Der Antrag der Fraktion DIE LINKE ist daher abzulehnen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.