Protokoll der Sitzung vom 24.01.2008

(Beifall bei der SPD sowie vereinzelt bei der Fraktion DIE LINKE)

Bevor Herr Görke für die antragstellende Fraktion noch einmal das Wort erhält, begrüße ich als Gäste eine Gruppe Auszubildender vom Internationalen Bund Potsdam. Ich wünsche euch einen interessanten Vormittag bei uns!

(Allgemeiner Beifall)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Gäste! Ich komme nicht umhin, einige wenige, aber dafür klare Sätze zu Ihren unsäglichen Ausführungen, Herr Nonninger, zu machen. Parolen sind keine Antworten auf gesellschaftliche Entwicklungen. Sie haben wieder versucht, mit den Nöten der Brandenburger zu spielen und vor allen Dingen die Karte zu ziehen, mit EU-Beiträgen aus Deutschland würden Konkurrenzarbeitsplätze in Polen geschaffen. Ich hatte von Ihnen allerdings auch keine anderen Ausführungen erwartet.

Apropos polnische Arbeitskräfte: Vielleicht können Sie sich entsinnen, dass Ihre Gesinnungsfreunde von der sächsischen NPD in Polen Druckerzeugnisse in Auftrag gegeben haben. Nur so viel zu Ihrer Heuchelei in Bezug auf die Förderung der einheimischen Wirtschaft!

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE und der SPD - Zu- ruf von der DVU: So viel Dummheit!)

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, wir haben uns darüber gefreut, dass Sie vorhin - sicherlich auch in Ihrer Funktion als Ostbeauftragter der SPD - das Wort ergriffen haben. Ich bedanke mich für Ihre grundsätzlichen Bemerkungen. Leider stand ein Thema gar nicht auf Ihrer Agenda - Kollege Bochow hat es nur ganz kurz angesprochen -: die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Dieses Thema wird im Sommer nächsten Jahres für Brandenburg durchaus eine wichtige Problemstellung sein.

Die Ausgestaltung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist in der Region diesseits und jenseits der Oder mit einer Weichenstel

die schamlos und erbarmungslos antipolnische Ressentiments schürt, um darauf ihr humoristisches Süppchen zu kochen.

Es ist ebenso verwerflich und überflüssig - der Ministerpräsident hat es eben angesprochen -, wenn die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung missbraucht werden, um aus Angst oder Unsicherheit Vorbehalte entwickeln zu lassen, wie wir es gerade in der Diskussion um den Beitritt zum Schengenraum erlebt haben. Auch hier werden Ressentiments geschürt. Ich will überhaupt nicht kommentieren, was der Ableser der in München geschriebenen Redetexte eben hier noch einmal verbreitet hat. Auch das sind die Klassiker der unterschwelligen Vorurteile,

(Beifall bei der SPD und bei der Fraktion DIE LINKE)

die dazu beitragen, dass vielleicht etwas kleinere Hirne meinen, diesem Wort das schlagkräftige Argument folgen zu lassen. In diesem Sinne ist der Täter manchmal auch der Redner. Daran sollten die von der Rechtsaußenfraktion immer wieder denken, wenn sie sich hier vor uns äußern.

Deshalb: keine Scheinheiligkeit, keine politischen Süppchen auf Kosten derer, die unsere Nachbarn sind. Im Übrigen: Dass das immer wieder geschieht, haben wir gerade in den letzten Wochen in Hessen erlebt. Am Wochenende werden sicherlich die Bürgerinnen und Bürger in Hessen deutlich machen, dass sie da nicht mitmachen. Auch dies ist ein großer Wunsch, den wir hier wahrscheinlich alle haben.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und bei der Fraktion DIE LINKE)

Die Aktuelle Stunde hatte die Frage gestellt: Was ist eigentlich seitens des Parlaments machbar? Ich glaube, selbstbewusst, wie wir sind, braucht es nicht erst die Ermutigung, unseren Verfassungsauftrag wahrzunehmen. In der Tat arbeiten wir, Frau Kollegin Kaiser - die Mitglieder im Europaausschuss werden es Ihnen berichtet haben -, sehr wohl daran, unsere Zusammenarbeit auszubauen, um das, was auf der Verwaltungsebene erfolgreich stattfindet, zusehends parlamentarisch zu untersetzen. Angesprochen wurde das Weimarer Dreieck, die Kooperation zwischen Paris-Île-de-France, unserer Region Berlin-Brandenburg und der Region Masowien-Warschau. Zu diesem trilateralen Kontext eine parlamentarische Unterlegung vorzunehmen wäre eine große Aufgabe, ein großes Ziel, allerdings keineswegs allein auf den Ausschuss für Europapolitik und Entwicklungsangelegenheiten beschränkt. Europapolitik ist auch eine Querschnittsaufgabe, ebenso wie die deutsch-polnische Kooperation eine Querschnittsaufgabe für andere Fachpolitiken in diesem Hause ist und sein muss. Nur so kann ein Durchwirken der Kontakte funktionieren, und nur so kann eine breite Kontaktaufnahme umgesetzt werden.

Ich leugne an dieser Stelle nicht, dass die Diskussion, die wir im Europaausschuss und in den Fraktionen geführt haben, von einem nicht unmaßgeblichen Wermutstropfen getrübt wird. Eine Reise nach Polen, die wir gern unternehmen möchten, würde etwas beschwert durch die Mitnahme von Rechtsextremisten, deren Auftritt dort ein Deutschenbild herstellte, welches ins Bilderbuch, aber nicht in die aktuelle Welt gehört.

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund sind wir sehr darum bemüht, entsprechende Wege zu finden, vielleicht

lung verbunden. Sie kennen sicherlich die sogenannte 2+3+2Regelung. So hat Rot-Grün für Deutschland zunächst für zwei Jahre, bis 2006, und danach Schwarz-Rot für weitere drei Jahre, bis 2009, die Arbeitnehmerfreizügigkeit eingeschränkt. Ob eine weitere Option gezogen wird, ist noch in der Diskussion.

Das Meinungsspektrum zu dieser Frage ist vielfältig. Ihr stellvertretender Ministerpräsident - ich komme noch auf ihn zurück - hat in einer sogenannten Neujahrsbotschaft im Januar schon etwas dazu gesagt. Vorher hatten sich schon die ostdeutschen IHKs in der sogenannten Leipziger Erklärung an die Landtagsfraktionen in diesem Hause gewandt und dafür geworben, die Arbeitnehmerfreizügigkeit schnellstmöglich, ab dem Sommer 2009, herzustellen. Dabei mahnten die Kammervertreter an, den Erfordernissen der Sicherung des Fachkräftebedarfs zu entsprechen. Gleichzeitig lehnten sie eine Kopplung der vorzeitigen Arbeitnehmerfreizügigkeit an die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland ab.

(Bochow [SPD]: Ich habe etwas anderes gesagt!)

In diesem Zusammenhang möchten wir als LINKE insbesondere vor unrealistischen Erwartungen warnen. Die Gewährung der Arbeitnehmerfreizügigkeit kann nur eine von mehreren Rahmenbedingungen sein, um dem drohenden Fachkräftebedarf in der Bundesrepublik und damit auch in Brandenburg entgegenzutreten. Das hat jüngst auch die Bertelsmann Stiftung in ihrer Studie „Neue Strategien gegen den Fachkräftemangel“ festgestellt. Demnach kann der Fachkräftebedarf nicht allein durch die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw. durch Zuwanderung gedeckt werden. Als vordringliche Maßnahmen werden Investitionen in die Ausbildung bzw. Qualifizierung von Jugendlichen und Erwachsenen empfohlen. Das deckt sich mit den Forderungen der LINKEN, die wir in diesem Hause schon mehrmals erhoben haben.

Das bedeutet, dass in den Unternehmen und den öffentlichen Verwaltungen Brandenburgs ein Mehr an betrieblicher Ausbildung notwendig ist. Solange in Brandenburg auf 100 Ausbildungsplatzsuchende nur 37 betriebliche Ausbildungsplätze kommen, klingt der Ruf der Wirtschaftsverbände nach Fachkräften nicht sehr überzeugend. Auch in einem Europa der Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt: Wer Fachkräfte will, muss sie ausbilden und an sein Unternehmen binden.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren! Die Wirtschaftsministerkonferenz hat sich im November 2007 mit deutlicher Mehrheit darauf verständigt, die Arbeitnehmerfreizügigkeit für die 2004 der EU beigetretenen Länder zum Sommer 2009 herzustellen. Die Fraktion DIE LINKE war nicht überrascht, dass Brandenburg nicht zu den Ländern wie Bremen, Berlin, Rheinland-Pfalz und Sachsen - CDU-regiert! - gehört, die zu Protokoll gaben, „dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit insbesondere an die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes sowie an die Ausweitung der Arbeitnehmerentsenderichtlinie gebunden sein muss“.

(Dr. Kocksin [SPD]: Zum Thema, Herr Görke!)

- Das ist Thema diesseits und jenseits der Oder. Es wird unsere Region betreffen, weshalb es in diese Aktuelle Stunde gehört. Das wissen Sie.

Wir waren allerdings überrascht, dass der gleiche Minister von der CDU, der das Protokoll - sicherlich wegen der Mindestlohnforderung - nicht unterzeichnet hat, am 7. Januar in der „Morgenpost“ im Zusammenhang mit der Forderung nach vollständiger Arbeitnehmerfreizügigkeit erklärte, Großbritannien habe aus der frühzeitigen Gewährung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit massiven Nutzen gezogen. Herr Wirtschaftsminister, offensichtlich haben Sie vergessen oder verdrängt, dass Großbritannien schon zu jenem Zeitpunkt einen gesetzlichen Mindestlohn hatte; dieser beträgt aktuell 8,25 Euro.

Aber es wird noch widersprüchlicher. In derselben Woche, in der die Wirtschaftsministerkonferenz tagte, kamen auch die Arbeits- und Sozialminister zusammen. Auch dort wurde über dieses Thema gesprochen, das Brandenburg beschäftigt und noch beschäftigen wird.

Die Vertreterin Brandenburgs gab zu Protokoll:

„Um Lohndumping zu verhindern und eine wirtschaftlich faire wie sozial gerechte Wettbewerbssituation zu schaffen, ist eine flächendeckende Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes und die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes unverzichtbar.“

Frau Ministerin, Sie haben diese Protokollnotiz zu Recht unterschrieben und bekommen dafür unsere volle Unterstützung.

(Vereinzelt Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Angesichts der unterschiedlichen Aussagen frage ich Sie, Herr Ministerpräsident: Was gilt denn nun? Ist die Auffassung Ihres Stellvertreters die offizielle Meinung der Regierung, oder ist es die der Kollegin Ziegler? Ich bitte Sie, für Klarheit zu sorgen, wenn möglich, schon heute. Die Frankfurter und die Schwedter wollen Klarheit - nicht in Bezug auf das Wann, sondern vor allen Dingen in Bezug auf das Wie der Herstellung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit hier in Brandenburg.

Deshalb kann aus unserer Sicht die Botschaft aus diesem Parlament nur lauten - Herr Ministerpräsident, ich hoffe, Sie können das unterstützen -: Das Ja zur vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit bedeutet auch ein klares Ja zum gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland.

(Bochow [SPD]: Haben Sie zugehört?)

Meine Damen und Herren der SPD-Fraktion, ich konnte vor zwei Tagen lesen, dass Sie in dieser Frage noch Beratungsbedarf haben und in Klausur gehen wollen. Weil wir mit Ihnen diesen Meinungsbildungsprozess noch verdichten wollen, halten wir es für schädlich, wenn wir zu dieser Sache heute hier mit Ihnen beraten. Deshalb werden wir im Februar diesen Antrag noch einmal einbringen, um eine fundierte Diskussion zu ermöglichen.

Für die Beratung - vielleicht auch für die Verhandlungen mit Ihrem Koalitionspartner - möchte ich Ihnen noch mitgeben: Die gesellschaftliche Akzeptanz der EU-Osterweiterung und die Vorteile der Zusammenarbeit mit den neuen Mitgliedsstaaten der EU dürfen nicht durch Szenarien eines ruinösen Wett

bewerbs untergraben werden. Deshalb gehören Arbeitnehmerfreizügigkeit und Mindestlohn zusammen und sind Thema in diesem Landtag. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE - Frau Lehmann [SPD]: Thema verfehlt!)

Der Ministerpräsident hat Bedarf, hierauf zu reagieren. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Abgeordneter Görke, während Sie geredet haben, ist mir die Geschichte von dem Biologiestudenten in den Kopf gekommen, der sich aus arbeitsorganisatorischen Gründen - und wegen ein bisschen Faulheit - nur auf das Thema Regenwürmer vorbereitet hat, aber dummerweise nach Elefanten gefragt wird. Nach zwei Vorsätzen ist er schon beim Rüssel vom Elefanten, kommt so auf den Regenwurm und spricht dann nur noch darüber. Mich hätte es nicht gewundert, wenn Sie auch noch die Wetterlage in Wladiwostok in Ihre Ausführungen einbezogen hätten. Auch diese gehört vielleicht im weitesten Sinne zum Thema Oder-Partnerschaft.

(Heiterkeit und Beifall bei SPD und CDU)

Das kann man alles machen, auch wenn es nicht sachgerecht ist.

Falls Sie mir vorhin nicht zugehört haben, lesen Sie bitte im Protokoll nach, weil die Eröffnung Ihrer Rede falsch war. Ich habe sehr klar gesagt, dass für mich die Zeit für die Arbeitnehmerfreizügigkeit gekommen ist. Sie hätten zuhören oder den Beginn Ihrer Rede umschreiben sollen.

Über den Mindestlohn ist in diesem Parlament hoch und runter diskutiert worden. Ich habe ganz deutlich gesagt, dass ich und der Wirtschaftsminister dazu unterschiedliche Auffassungen haben. Das gibt es im Leben; das wird es in jeder Koalition geben. Ich habe dem Wirtschaftsminister eine Wette angeboten das gilt; ich will hier nur noch einmal daran erinnern -, dass wir bis 2010 den gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland haben werden. Für mich hängt er auch mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit zusammen. Das wollte ich noch einmal verdeutlichen. Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Sie haben jetzt die einmalige Chance, da die Landesregierung ihre Redezeit überzogen hat, über die zurückgezogene Vorlage „Freizügigkeit und Mindestlohn“ zu debattieren. Besteht bei den Fraktionen Bedarf, diese Redezeit auszuschöpfen? - Ich sehe, dass das Gott sei Dank nicht der Fall ist.

Damit schließe ich den Tagesordnungspunkt 1.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, begrüße ich eine Gruppe von Mitarbeiterinnen des Frauenhauses in Fürs

tenwalde und wünsche einen interessanten und spannenden Vormittag hier im Landtag.

(Allgemeiner Beifall)