Protokoll der Sitzung vom 24.01.2008

Deshalb rufen wir mit unserem Antrag ein Thema auf, das wir wiederholt, zuletzt im Oktober vergangenen Jahres, zur Diskussion gestellt haben. Wir mussten leider immer wieder zur Kenntnis nehmen, dass die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen mit der Funktionalreform, also der gezielten Übertragung von Verwaltungsaufgaben von oben nach unten, wenig - um nicht zu sagen, gar nichts - am Hut haben.

Sie haben mit großem Druck die Gemeindegebietsreform durchgesetzt. Seit 2003 haben wir wesentlich größere und leistungsstärkere Gemeinden als vorher. Aber die damit zu verbindende Funktionalreform schieben Sie vor sich her.

Fakt ist, dass wir in dieser wichtigen Frage weit hinter anderen Bundesländern zurückliegen. Der immer wieder beschworene Reformeifer der Landesregierung hat ausgerechnet an dieser Stelle eine massive Blockade.

Trotz der Selbstverpflichtung der Koalition, in dieser Wahlperiode deutliche Fortschritte erreichen zu wollen, hat sich so gut wie nichts getan.

Bisher konnten Sie das noch mit den laufenden Arbeiten der 2004 eingesetzten Projektgruppe Funktionalreform kaschieren. Aber jetzt liegt der Zwischenbericht dieser Projektgruppe vor. Allein der Umgang mit diesem Zwischenbericht ist exemplarisch für die Beziehung der Landesregierung zu dem Thema insgesamt. Alles läuft nach dem Motto: Gut Ding will Weile haben.

Es hat länger als ein Jahr gedauert, bis wir mit dem Bericht, der wiederum auch nur auf unser Drängen hin erstellt worden ist, umgehen konnten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Koalition hat eindeutig versagt. Das gilt nicht nur gemessen an den hohen Maßstäben, die wir anlegen.

Ich erinnere daran, dass Sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung 1999 festgelegt haben, nach Abschluss der Gemeindegebietsreform die Arbeit an der Funktionalreform fortzuführen. Sie wollten bereits bis zum Ende der Legislaturperiode 2004 einen umfassenden Katalog erarbeiten und abstimmen, welche Aufgaben vom Land auf die Landkreise und kreisfreien Städte und von den Landkreisen auf die kreisangehörigen Gemeinden übertragen werden können. Zugleich sollte eine Verständigung über die finanziellen und personellen Auswirkungen herbeigeführt werden, um in der folgenden - also der noch laufenden Legislaturperiode eine umfassende Verwaltungsstrukturreform durchführen zu können.

Weil das bis 2004 nicht geleistet worden ist und weil es offensichtlich so schön war, haben Sie zu Beginn der nachfolgenden Legislaturperiode wortgleich den Text von 1999 übernommen und in Ihrer Koalitionsvereinbarung noch einmal die gleiche Zielstellung wie fünf Jahre zuvor aufgemacht. Wir nehmen Sie bei Ihrem eigenen Wort - nicht mehr und nicht weniger -, müssen aber feststellen, dass auch in dieser Wahlperiode kein spürbarer Fortschritt erreicht worden ist. Bisher haben Sie uns damit vertrösten wollen, dass es mit der im Jahre 2004 eingesetzten interministeriellen Arbeitsgruppe zur Weiterführung der Funktionalreform ein Instrument gebe, mit dem das Notwendige und Mögliche geleistet würde.

Aber all das, was aus dieser Arbeitsgruppe zu hören war, erweckt wenig Optimismus. Bereits der Ausgangspunkt stimmte nicht, denn die IMAG beschäftigte sich lediglich mit den Vorschlägen, die auf der Basis einer Umfrage von der kommunalen Ebene gemacht worden sind. Diese bezogen sich auf 82 Aufgaben. Hier setzt unsere Kritik schon an; denn es sind keine Anstrengungen unternommen worden, um eine systematische Erfassung des Aufgabenbestandes hinsichtlich seiner Übertragbarkeit vorzunehmen.

Insofern konzentrierte sich die Arbeit der Projektgruppe von vornherein auf ein eher zufällig zusammengestelltes Konglomerat. Deshalb war es von vornherein auch nicht möglich und

beabsichtigt, konkrete Handlungsvorschläge zur Weiterführung der Funktionalreform zu machen, wie es das entsprechende Konzept der Landesregierung von 2003 vorsah.

Hinzu kommt, dass die Arbeitsweise der Projektgruppe - gelinde gesagt - sehr zögerlich war. Die ursprünglich vorgesehene Leitung durch den Innenstaatssekretär ist flugs dauerhaft auf den Leiter der Kommunalabteilung delegiert worden. Auch die Vertreter der einzelnen Ressorts hatten nicht die entsprechende Anbindung.

Die kommunalen Spitzenverbände, insbesondere der Städteund Gemeindebund, haben nachdrücklich auf die Defizite aufmerksam gemacht, ohne die beabsichtigte Wirkung zu erreichen. Mit dem im November vom Kabinett zur Kenntnis genommenen Zwischenbericht hat sich all das bestätigt, was die ganze Zeit unter der Decke gehalten und bagatellisiert werden sollte.

Jetzt wird eingeschätzt, dass es besonderer Anstrengungen bedarf, um das ohnehin unzureichende Programm bis Mitte dieses Jahres abzuarbeiten. Nach meiner Kenntnis soll eine Beschleunigung jetzt dadurch erreicht werden, dass künftig im Umlaufverfahren entschieden werden kann. Das heißt, nachdem schon der übergroße Teil der zu prüfenden Aufgaben als nicht kommunalisierbar eingestuft wurde, soll die Ablehnung nun noch beschleunigt werden. Damit erleben wir eine stille Beerdigung des Funktionalreformansatzes aus den 90er Jahren.

Sie wollen raus aus dieser kommunalfreundlichen Orientierung, auf die Sie sich festgelegt hatten, und wollen sich alle Optionen für die kommende Wahlperiode offenhalten. Das hat überhaupt nichts mehr mit dem Ziel einer konsequenten Kommunalisierung zu tun, wie es in der ersten Hälfte der 90er Jahre festgeschrieben wurde. Es vereinbart sich auch nicht mehr mit dem Auftrag aus Artikel 96 Abs. 1 der Landesverfassung, wonach Aufgaben, die von nachgeordneten Verwaltungsbehörden zuverlässig und zweckmäßig erfüllt werden können, diesen auch zuzuweisen sind.

Im Zwischenbericht der IMAG wird festgestellt, dass sich die Rahmenbedingungen gegenüber den ursprünglichen Erwartungen des Jahres 2003 zu einer umfassenden Funktionalreform entschieden geändert hätten. Mit Bezug auf die Wechselwirkungen der Funktionalreform zu anderen Reformprozessen verbiete es sich, den Fokus isoliert auf die Funktionalreform zu richten. Aber, meine Damen und Herren von der Landesregierung, warum haben Sie das nicht eher festgestellt und entsprechend reagiert? Warum haben Sie sozusagen mit wenig Eifer Dienst nach Vorschrift und Beschäftigungstherapie gemacht?

Wir fordern mit dem vorliegenden Antrag, dass der Landtag die Vogel-Strauß-Politik der Landesregierung nicht einfach hinnimmt, sondern sich positioniert. Der Zwischenbericht ist ein Alarmsignal, aus dem wirksame Schlussfolgerungen gezogen werden müssen. Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, die Anstrengungen zur Weiterführung der Funktionalreform zu verstärken. Wir sind uns darüber im Klaren, dass die Zeit über eine Enquetekommission oder Ähnliches hinweggegangen ist, und wir sind in diesem Sinne auch bescheiden geworden. Dazu muss die Arbeitsweise der interministeriellen Arbeitsgruppe wenigstens grundsätzlich überprüft werden.

Um die IMAG aufzuwerten, schlagen wir vor, dass der Innenminister die Leitung übernimmt und eine entsprechende Anbindung der Vertreter der einzelnen Ressorts gesichert wird. Außerdem soll das Parlament unmittelbar beteiligt werden, indem die Fraktionen einen Vertreter entsenden können. Wichtig ist, dass die Arbeitsgruppe sich unverzüglich der Aufgabe stellt, eine systematische Erfassung der zu übertragenden Aufgaben vorzunehmen, und nicht nur innerhalb des gegenwärtigen Rahmens tätig wird. Das hätte schon viel früher passieren müssen. Zudem soll der Ausschuss für Inneres vierteljährlich über die Ergebnisse informiert werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns darüber im Klaren, dass eine solche Vorgehensweise mit einem erheblichen Kraftakt verbunden ist. Aber wenn wir uns und Sie von der Koalition sich selbst ernst nehmen wollen, führt an einer solchen Anstrengung kein Weg vorbei.

(Bochow [SPD]: Machen wir!)

Es ist viel Zeit verloren worden, noch ist aber genügend Zeit vorhanden, um in dieser Wahlperiode den notwendigen und versprochenen Vorlauf zu schaffen. Deshalb fordern wir Sie auf, nicht nach neuen, unglaubwürdigen Ausreden zu suchen, sondern endlich klare Entscheidungen zu treffen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Schippel.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Berichte der Landesregierung sollen einen realen Sachstand darstellen. Der Zwischenbericht der Landesregierung erfüllt diese Erwartung. Wenn die Erwartungshaltung der LINKEN dabei nicht erfüllt wird, liegt das weniger an dem Bericht, als vielmehr daran, dass die LINKE krampfhaft ein innenpolitisches Thema sucht, um ihre Oppositionsrolle darstellen zu können.

(Görke [DIE LINKE]: Das ist ein bisschen billig!)

Da Sie sonst in der sachgerechten Innen- und Kommunalpolitik der Koalition kaum einen Ansatz finden, soll es nun immer wieder die Funktionalreform sein, die als oppositioneller Anlass herhalten soll.

(Frau Stobrawa [DIE LINKE]: Das grenzt schon an Ver- leumdung!)

Mit Verlaub, verehrte Kolleginnen und Kollegen der LINKEN, lieber Kollege Scharfenberg, das Verfahren zum Bericht sowie dessen Inhalt zeigen, dass Sie hier allein auf weiter Flur stehen.

(Görke [DIE LINKE]: Das stimmt aber nicht!)

Nicht nur, dass kaum Nennenswertes seitens der kommunalen Spitzenverbände zu diesem Thema benannt wurde, stand dieses Wenige oftmals noch völlig gegensätzlich zueinander. Sie hätten schon die Redlichkeit haben müssen, Herr Kollege Scharfenberg, hier nur mal an einem Beispiel zu sagen, wo denn die

ser dringende Reformbedarf ist. Nicht ein einziges Beispiel haben Sie hier genannt!

Die Unterbrechung einer Funktionalreform bedeutet doch nicht automatisch den Stillstand notwendiger Veränderungen in einzelnen Bereichen. Ich möchte nur an den Bereich Brandschutz erinnern und an das Beispiel der integrierten Leitstellen und der Stützpunktfeuerwehren. Unter Beteiligung von Land, Gemeinden, Landkreisen mit unterschiedlichen Aufgabenebenen ist hier viel Positives geschehen.

Wir sollten ohne diesen hehren Anspruch Funktionalreform dieses Beispiel auch heranziehen, um in anderen Bereichen die eine oder andere notwendige Veränderung herbeizuführen. Ich habe von Brandschutz geredet; Veränderungen stehen auch im Katastrophenschutz unmittelbar bevor. Aber hier ist der Bund mit im Boot. Also auch das nicht unbedingt ein Thema für die Kommunalreform, aber sicherlich dem demografischen Wandel geschuldet, und wir werden diese Dinge nicht vergessen.

Für mich ist das Genannte ein klarer Beweis dafür, dass es bei den gegenwärtigen Verwaltungs- und Gebietsstrukturen keinen Handlungsbedarf für eine sogenannte Funktionalreform gibt.

Nur in einem Paket aus Verwaltungsstruktur, funktionaler und kreislicher Gebietsreform ist ein weiterer Fortschritt denkbar. Eine solche umfassende Reform bedarf einer komplexen und längeren Vorbereitung und - Herr Scharfenberg, Sie haben Recht - ist frühestens in der nächsten Legislaturperiode realistisch. Darum, lieber Jürgen Scharfenberg, verehrte Kollegen der Fraktion DIE LINKE, legen Sie Ihren Antrag bzw. die Anträge zur Funktionalreform endgültig auf Wiedervorlage 2009/10.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE)

Alles andere ist für die Öffentlichkeit gegebenenfalls schon Wahlkampfgetöse. Aus diesem Grunde lehnen wir Ihren Antrag ab.

(Beifall bei der SPD)

Für die DVU-Fraktion spricht der Abgeordnete Claus.

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Kommunalisierungspotenzial und Leistungsfähigkeit von Kommunen gehen im Land Brandenburg immer noch weit auseinander. Mit dem vorliegenden Zwischenbericht des Ministeriums sollten wir jedoch zumindest eine Grobstruktur der Evaluierung von Effekten der Aufgabenverlagerung auf Landkreise, kreisfreie Städte sowie auf Ämter und amtsfreie Gemeinden erhalten.

Die Liste der Übertragungsvorschläge in Anlage 7 ist indes sehr mager ausgefallen. Lediglich zwölf Kompetenzbereiche sind von der interministeriellen Arbeitsgruppe für eine Übertragung positiv bewertet worden. Aber 45 Übertragungsvorschläge sind noch immer in Bearbeitung. Ein fundiertes Zwischenergebnis sehe auch ich hier nicht, meine Damen und Herren.

Die in Anlage 4 aufgelisteten Betrachtungen der Verwaltungsstrukturreformen in anderen Bundesländern zeigen in einem

Überblick, dass dort vieles wesentlich weiter gediehen ist als in Brandenburg. Man betrachte Baden-Württemberg oder auch Hessen. Davon sind wir natürlich noch weit entfernt, betrachtet man die in Anlage 6 aus lediglich sieben Spiegelstrichen bestehende Grobstruktur der Evaluierung der Effekte von Aufgabenübertragungen.

Auch darüber, ob man für die haushalterische Auswirkung der bislang wenigen als positiv bewerteten Übertragungsaufgaben durch die Landkreise erst die Zeit nach Einführung der Doppik abwarten muss und damit eine Kostenermittlung erst im Rahmen des Jahresabschlusses 2008/09 durchführen kann, lässt sich natürlich streiten. Das alles sieht zumindest nach einem sehr zähen Evaluierungsprozess aus. Entsprechend erleben wir im Innenausschuss regelmäßig die Zurückhaltung des Innenministeriums, die dem Arbeitsergebnis entspricht.

Mir erschließt sich jedenfalls nicht, meine Damen und Herren, warum Aufgaben wie Namensänderung, Vollzug des Waffengesetzes, die Durchführung des Heimgesetzes sowie die Festsetzung von Messen nicht auf Landkreise und kreisfreie Städte übertragen werden sollen. Dass sich ganze 15 Übertragungsvorschläge wie der Umgang mit Ordnungswidrigkeiten wegen unerlaubter Handwerkertätigkeiten, die Ausstellung von Fischereischeinen oder die Futtermittelüberwachung durch gesetzliche Neuregelungen selbst erledigen, ist zwar eine Folge des Prozesses der Verwaltungsreform, die sich manchmal auch durch bloßes Aussitzen ergibt; aber man kann nicht alles aussitzen.

Die Masse der infrage stehenden Übertragungsaufgaben wird das Schicksal jedoch nicht teilen. Gleichwohl, meine Damen und Herren - das habe ich bereits zur Drucksache 4/5188 gesagt -, ist die Funktionalreform eine nahezu generationenübergreifende Aufgabe, die einer sehr differenzierten Überprüfung hinsichtlich dessen bedarf, wie eine effiziente und bürgernahe Verwaltung langfristig gestaltet werden kann.

Die Bezahlbarkeit der Kompetenzverlagerung, meine Damen und Herren, ist gerade im Hinblick auf die langfristig herrschende angespannte Haushaltssituation, auch der Kommunen, ein entsprechender Faktor. Selbstverständlich hängt deren Erfolg maßgeblich von einer nachhaltigen Leistungs- und Verwaltungskraft der Landkreise und größeren Kommunen Brandenburgs ab. Dies kann natürlich nicht fruchtbar verlaufen, wenn sich der ganze Reformprozess überhaupt loslöst bzw. im Rahmen einer möglichen Gebietsneugliederung auf Landkreisebene vollzieht.

Was es zudem bringen soll - was Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE LINKE, fordern -, Mitglieder der Landtagsfraktion in die interministerielle Arbeitsgruppe aufzunehmen, ist angesichts der Kompetenz und der vorhandenen Hürde zumindest sehr spekulativ, Herr Dr. Scharfenberg. Wenn die Arbeitsgruppe bei verschiedenen Ressorts liegt, frage ich mich, was eine Entsendung aus den Fraktionen überhaupt bringen soll. Auch die von Ihnen geforderte Information des Innenausschusses durch das Ministerium des Innern erfolgt im Innenausschuss ja bereits seit langem. Es bleibt Ihnen also unbenommen, dies dort auf die Tagesordnung zu setzen, Herr Dr. Scharfenberg.

Meine Damen und Herren, insgesamt ist dieser Antrag nicht zielführend, und wir werden ihm auch nicht zustimmen. - Danke schön.