Protokoll der Sitzung vom 28.02.2008

Diesem Termin stimmt meine Fraktion aus den folgenden fünf Gründen zu:

Erstens: Infolge der konjunkturellen Belebung in Deutschland, die wir seit Mitte 2006 wahrnehmen, sind die Rahmenbedingungen für die Öffnung des Arbeitsmarktes günstig. Dies gilt insbesondere für unseren östlichen Nachbarn, für den polnischen Arbeitsmarkt. Dort ging die Arbeitslosenquote innerhalb des letzten Jahres überproportional zurück. Seit dem Beitritt zur EU 2004 reduzierte sich in Polen die Arbeitslosigkeit von 20,4 % auf 8,6 % im November 2007.

Zweitens: Die geltenden Übergangsregelungen sind aus unserer Sicht bürokratisch und werden aus verschiedenen Gründen seit drei Jahren nur in geringem Maße in Anspruch genommen. So nutzten 2006 nur 500 ausländische Spitzenkräfte die Sonderregelung für Hochqualifizierte. Von der Regelung, wonach Beschäftigte aus den Beitrittsländern für eine Tätigkeit in Deutschland zugelassen werden können, für die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung Voraussetzung ist und keine „bevorrechtigte“ deutsche Arbeitskraft - so heißt es im Geset

zestext - zur Verfügung steht, machten im Jahr 2006 bundesweit nur 1 148 Personen Gebrauch.

Was den dritten Grund angeht, so verweise ich auf die Fachkräftediskussion. Auch wenn in diesem Haus bereits mehrfach über die Verantwortung der einheimischen Wirtschaft bezüglich der Qualifizierung und Ausbildung gesprochen wurde, möchte ich noch mal darauf hinweisen: Wir sollten Fachkräfte aus den Beitrittsstaaten, die in Deutschland eine berufliche Perspektive sehen, nicht weitere zwei Jahre warten lassen. Denn inzwischen arbeiten bereits ca. 500 000 Polen in Großbritannien und Irland.

Viertens: Zu den Erfahrungen der 15 „alten“ EU-Mitgliedsstaaten, die die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit bereits hergestellt haben. Nach einem Bericht der EU-Kommission ist die Beschäftigungsquote in diesen Ländern gestiegen. Anzeichen für eine Verdrängung einheimischer Arbeitskräfte durch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Beitrittsländern seien nicht ersichtlich. Im Bericht der bereits erwähnten Ad-hoc-Arbeitsgruppe, die die Wirtschaftsministerkonferenz eingesetzt hat, heißt es in diesem Zusammenhang:

„... berichten Großbritannien (Mindestlohn gegenwärtig: 8,20 Euro) und Irland (Mindestlohn gegenwärtig: 8,65 Eu- ro), dass die Zuwanderung nicht zu einem spürbaren Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt hat, was von verschiedenen Simulationsergebnissen unterstützt wird.“

Fünftens: Warum ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit bis 2009, wenn sie denn so kommt, besonders wichtig für die deutschpolnische Grenzregion? Im Bericht der Arbeitsgruppe wird festgestellt: Für die deutschen Grenzregionen ist es enorm wichtig, ihre bisherige Randlage und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Nachteile durch die Schaffung grenzüberschreitender Arbeitsmärkte in einen Standortvorteil zu verwandeln. Eine Aufrechterhaltung der Beschränkungen erschwert diese Bemühungen. - Die Unternehmensverbände - Sie kennen das Schreiben an die Fraktionen -, aber auch die Gewerkschaften sehen diese Impulse ebenfalls.

Meine Damen und Herren, die Frage nach dem Wann ist aus unserer Sicht mit guten Gründen beantwortet. Wichtiger ist aber die Frage nach dem Wie. Damit zum Inkrafttreten der Arbeitnehmerfreizügigkeit weder Lohndumping noch der Abbau von arbeitsrechtlichen Standards neue Urständ feiern können, gilt die Forderung, die wir in unserem Antrag formuliert haben: Das Ja zur Arbeitnehmerfreizügigkeit im Jahr 2009 muss mit dem Ja zum gesetzlichen Mindestlohn einhergehen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Herzlichen Dank. - Das Wort erhält Frau Abgeordnete Dr. Schröder.

Ich bitte Sie, verehrte Abgeordnete, herzlich: Wenn Sie unbedingt Gespräche miteinander führen müssen, gehen Sie bitte vor die Tür, sodass Sie den Anwesenden die Chance geben, den Redner zu verstehen. - Ich bedanke mich.

(Vereinzelt Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete der LINKEN, Sie stellen hier heute ein Thema zur Debatte, welches mehr beinhaltet als die lapidare Frage - wie Sie es formulieren -, was denn nun ein „echter europäischer Arbeitsmarkt“ sei. Vielmehr kommt es darauf an, die Grundfreiheiten in der EU - freier Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr - auch politisch mit den Grundwerten unserer Gesellschaft - Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit - zu verbinden. Das ist die große Herausforderung auf europäischer wie auf bundes- und landespolitischer Ebene.

Insofern löst der Punkt I Ihres Antrags bei mir eine gewisse Verwunderung aus ob Ihrer allein - ich betone: allein! - wirtschaftsliberalen Sicht. Sie verlangen zuerst, der Landtag solle quasi die bedingungslose Arbeitnehmerfreizügigkeit feststellen. Erst unter II formulieren Sie am Schluss den folgenden Satz:

„Um Lohndumping zu verhindern und eine wirtschaftlich faire wie sozial gerechte Wettbewerbssituation zu schaffen, ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes bzw. die Ausweitung des Mindestarbeitsbedingungs- und des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes dringend notwendig.“

Herr Görke, die Frage nach dem Wann beantworten Sie nicht in Ihrem Antrag. Ich meine jedoch, die Fragen nach dem Wann und dem Wie sind nicht zu trennen; sie sind bei diesem Thema unzertrennlich.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Dann erstellen Sie einen Änderungsantrag!)

Sie schreiben im vorliegenden Antrag nicht, wann und wie es geschehen soll. Für uns Sozialdemokraten setzt Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland jedoch eine Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn voraus, für den wir, wie Sie wissen, sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene aktiv streiten.

Die Frage nach leistungsadäquater, existenzsichernder Entlohnung, letztlich nach dem Wert von Arbeit ist für uns die Schlüsselfrage bei der Gestaltung einer Politik der sozialen Gerechtigkeit. Ihre Beantwortung entscheidet auch in Zukunft über nicht weniger als über das Sozialgefüge in Deutschland.

Nun zur aktuellen Entwicklung: Gegenwärtig geht der Bundesarbeitsminister unter Verweis auf die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit - wir nehmen die Zahlen heute wieder zur Kenntnis; es sind im Land noch immer über drei Millionen Menschen arbeitslos - eher davon aus, dass eine Verlängerung der Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit bis zum Jahr 2011 anzustreben sei. Er rechnet also mit einer schrittweisen Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Für eine weitere Beschränkung über 2009 hinaus müsste der Bund der EU jedoch eine schwere existierende oder drohende Störung am deutschen Arbeitsmarkt plausibel darlegen. Entscheidungen hierzu fallen wahrlich nicht in Potsdam, sondern auf Bundesebene ohne ein Mitspracherecht der Länder und nicht vor dem Frühjahr 2009. Der Bundesrat ist hierbei nicht gefragt. Gleichwohl bringt Brandenburg seine Vorstellungen auf Bundesebene schon heute ein. Sie wissen das; das wurde jüngst, in der Ak

tuellen Stunde am 24. Januar, ausführlich besprochen. Der Ministerpräsident hat eine klare Stellungnahme der Landesregierung abgegeben.

Aus den genannten Gründen und wegen der zeitlichen Abfolge der Entscheidungen läuft Ihr Antrag heute ins Leere. Wir bedauern, dass wir ihn ablehnen müssen; das Thema jedoch bleibt.

Wir sagen mit Augenmaß Ja zur Arbeitnehmerfreizügigkeit bei gleichzeitigem deutlichem Ja zu einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank, Frau Dr. Schröder. - Das Wort erhält Herr Abgeordneter Nonninger.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die LINKE will Brandenburger Arbeitsplätze mit osteuropäischen Arbeitslosen und Arbeitskräften besetzen.

(Frau Lehmann [SPD]: Das ist ein Ding, was?)

Das ist nicht der erste Versuch der umbenannten SED; denn bereits im Februar 2004 wurde der Versuch unternommen, den Arbeitsmarkt für EU-Osteuropäer zu öffnen. Unsere DVU-Fraktion stellte sich damals vehement gegen solche Forderungen und startete eine Aufklärungskampagne in der Brandenburger Bevölkerung; wir werden es diesmal wieder tun.

Für eine frühzeitige Öffnung des Arbeitsmarktes gibt es auch diesmal keine Notwendigkeit. Ich brauche mir nur die aktuellen Arbeitslosenquoten zur Hand zu nehmen, um die ganze Absurdität dieses Vorschlags zu erkennen.

Die neuen Bundesländer - hier insbesondere die östlichen Regionen - sind nach wie vor von einer exorbitant hohen Arbeitslosigkeit betroffen. Die offiziellen Zahlen sind immer noch, trotz statistischer Tricks, erschreckend hoch.

Leider ist es eben nicht nur die Linkspartei; nein, es sind auch Vertreter von CDU und SPD, welche eine vorzeitige Öffnung forderten bzw. fordern. Unsere DVU-Fraktion kann daher diesen unsozialen Volksvertretern nur zurufen: Das Unheil kommt noch früh genug!

(Beifall bei der DVU - Schulze [SPD]: Herr Nonninger, mit Verlaub, Sie haben sie ja nicht alle!)

Sie aber können es kaum erwarten.

Durch diesen Antrag soll der Arbeitsmarkt ohne jegliche Einschränkung und ohne jeden Vorrang für Brandenburger Arbeitnehmer und Arbeitslose freigegeben werden.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Das ist doch nicht wahr!)

Es dürfte sehr interessant werden, wie Sie das den über 400 000

offiziell registrierten Arbeitslosen der Region Berlin-Brandenburg erklären wollen.

(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Hören Sie auf zu lügen!)

In Ihrer Begründung schreiben Sie etwas schwammig, dass angeblich auch Brandenburger Grenzstädte für die Entwicklung regionaler Wirtschaftsräume gegebenenfalls die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit fordern.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Das stimmt!)

Selbst wenn dies so sein sollte, dann ist dies zu kurz gedacht, und die Bürger sollten sich beim nächsten Mal genau ansehen, wen sie da eigentlich wählen.

(Unruhe bei der Fraktion DIE LINKE)

Natürlich werden ansiedlungswillige Firmen, wenn es sie überhaupt gibt, versuchen, zu den günstigsten Bedingungen zu produzieren - am liebsten mit polnischen Arbeitskräften für 2 Euro die Stunde.

(Schulze [SPD]: So jung und schon so ein Hetzer!)

Genau dem muss gegengesteuert werden. In Ihrer Begründung schreiben Sie etwas von sozialen Mindeststandards und gesetzlichem Mindestlohn. Man höre und staune - das aus Ihrem Munde?

Unsere DVU-Fraktion hatte bereits einen Antrag zum Thema Mindestlohn eingebracht, der von einer Großen Koalition aus CDU, SPD und der ehemaligen SED abgelehnt wurde. Wie scheinheilig sind Sie eigentlich?

Was sagen denn eigentlich Ihre geliebten Gewerkschaftsvertreter dazu? Die Fachgemeinschaft Bau jedenfalls

(Baaske [SPD]: Findet es richtig, dass wir Ihre Anträge ablehnen!)

sieht es genauso kritisch wie unsere DVU-Fraktion. Sie rechnet nach Arbeitnehmerfreizügigkeit und einhergehender Dienstleistungsfreiheit mit einer erheblichen Ausweitung der Aktivitäten osteuropäischer Firmen, aber zu den in Osteuropa geltenden Arbeitskosten.

Noch ein Satz zum Schlagwort „Fachkräftemangel“, das auch von Herrn Platzeck sehr gern benutzt wird. Der Herr Ministerpräsident ging anlässlich einer Rede bei der ILB sogar so weit, davon zu sprechen, dass fehlende Fachkräfte mittlerweile das Hauptproblem für die Unternehmen in Brandenburg darstellen würden. Wenn man bei weit über 400 000 Arbeitslosen in der Region Berlin-Brandenburg von „Fachkräftemangel“ spricht, verhöhnt man diese Menschen. Wenn in Einzelfällen kein passendes Personal zu bekommen ist, dann liegt das - erstens - an den Firmen selbst, die nicht ausgebildet haben oder nicht ausbilden wollen, und - zweitens - an den Leuten, die an den Schalthebeln in der Regierung sitzen, da sie es nicht geschafft haben, Steuerungen und Anreize zu setzen, um entsprechendes Personal umzuschulen bzw. auszubilden.