Protokoll der Sitzung vom 29.05.2008

Meine letzte Bemerkung: Das Thema ist in der Tat zu ernst, als dass die Bevölkerung, die von uns eine Reaktion erwartet, den Eindruck gewinnen dürfte, wir arbeiteten uns ein bisschen aneinander ab, und dann passiert wieder nichts. Deshalb könnte

ich mir vorstellen, Frau Kollegin Tack und Frau Kollegin Wehlan, dass wir uns in der nächsten Sitzung des Ausschusses für Infrastruktur und Raumordnung des Themas annehmen, um zu beraten, wie wir den Dialog in diesem Prozess weiterführen und zu Ergebnissen kommen können. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Debatte zum Tagesordnungspunkt 8 angelangt. Ich lasse über den Antrag in der Drucksache 4/6224 abstimmen. Wer ihm Folge leisten möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Antrag ist bei einer Enthaltung mit deutlicher Mehrheit abgelehnt worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 8 und rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:

Folgen einer Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG für Brandenburg

Antrag der Fraktion DIE LINKE

Für die Linksfraktion eröffnet die Abgeordnete Tack die Debatte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Teilprivatisierung wird im Eilzugtempo durchgewunken. Meine Fraktion Sie werden sich erinnern - hat stets davor gewarnt, die Deutsche Bahn AG, eine hundertprozentige Tochter des Bundes, mit einem Gewährleistungsauftrag zur Sicherung der Daseinsvorsorge zu privatisieren. Die Mehrheit des Deutschen Bundestages wird morgen, so heißt es, eine Teilprivatisierung von 24,9 % beschließen.

Die Brandenburger Landesregierung - das bedauern wir sehr hat sich leider zu keinem Zeitpunkt wie wir gegen eine Privatisierung der Bahn ausgesprochen. Gelegenheit, dies zu tun, haben wir Ihnen oft geboten. Es gab eine Große Anfrage zur Zukunft des Schienenverkehrs. Wir haben über einen Antrag zur Ablehnung der Privatisierung der Deutschen Bahn diskutiert und auch eine Aktuelle Stunde gemeinsam bestritten. All das haben wir getan. Sie sind dieser Intention leider nicht gefolgt. Alle Risiken und Negativentwicklungen, die nun folgen, haben ihre Ursachen in dieser Privatisierung. Das wissen Sie genau.

Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten so viel Courage gehabt, Herr Minister, gemeinsam mit Ihren Kollegen Verkehrsministern aus den anderen Ländern das Gutachten, das Sie gemeinsam in Auftrag gegeben haben, auch selbst ernst zu nehmen. Darin war deutlich zu lesen und herauszufiltern, dass eine Bahnprivatisierung unter keinen Umständen zu akzeptieren sei, denn sie sei grundgesetzwidrig und bedeute Ausverkauf öffentlichen Eigentums.

Bahnchef Mehdorn - das wissen wir alle - hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich der Daseinsvorsorge nicht ver

pflichtet fühlt. Das haben wir, Kollegen Klocksin, Schrey und ich, in der letzten Woche zum sogenannten Ländergespräch beim Bahnvorstand erst wieder erfahren: Da lässt die Bahn keine Luft ran.

Die Teilprivatisierung ermöglicht eine Fortsetzung der Privatisierung der Bahn. Was die Kanzlerin auch sehr deutlich gemacht hat und was Ihre Bundestagskollegen schon als erstrebenswertes Ziel unterstrichen haben, ist, dass es bei weitem nicht bei den 24,9 % bleibt.

Meine lieben Kollegen von der SPD, was Sie in Sachen Bahnprivatisierung für Purzelbäume geschlagen oder eingesprungene Sitzpirouetten gedreht haben, das war schon sehr verwunderlich. Jähe Wendungen haben Sie vollzogen. Ich erinnere das darf ich wohl tun, ich verfolge das aufmerksam - an den Hamburger SPD-Parteitag, auf dem Sie das Volksaktienmodell für die Bahnprivatisierung beschlossen haben, was wir damals schon als Luftnummer bezeichnet haben. Jetzt haben Sie das Modell 24,9 % sozusagen als kleinsten gemeinsamen Nenner in der großen Koalition - oder was es auch immer für eine sein möge - gepuscht, um Ihren SPD-Chef Beck zu retten. Unter dieser Maßgabe wird Politik gemacht - das halten wir für falsch -, und das tun Sie wider besseres Wissen. So sollten Sie, meine Damen und Herren, wirklich nicht regieren.

Gestern haben wir uns darüber ausgetauscht, wie die Bevölkerung möglicherweise reagieren wird. Sie sprechen sich mit der Bahnprivatisierung gegen den Willen einer großen Mehrheit, nämlich von zwei Dritteln, der Bundesbürger aus. Genau diese große Mehrheit will, dass die Bahn eine öffentliche Einrichtung bleibt und nicht an die Börse geht.

(Vereinzelt Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, Sie können parteipolitisch alles machen, was Sie wollen, nur haben wir die Folgen Ihrer Politik gemeinsam zu tragen. Das ist meines Erachtens sehr verantwortungslos.

Eine Teilprivatisierung der Bahn AG macht den Weg frei für eine renditeorientierte Börsenbahn. Das wissen wir gemeinsam. Es gibt jetzt schon dramatische Beispiele dafür, was für Auswirkungen die Börsennotierung eines Unternehmens haben kann. Bei den Bahnkunden wird es - so sagt es das Gutachten und so sagen es die Experten - zu höheren Preisen kommen. Weitere Bahnbeschäftigte werden ihren Arbeitsplatz verlieren oder künftig mit Niedriglöhnen zurechtkommen müssen. Es werden geringere Löhne gezahlt. Auch das hat der neue Direktor Hansen schon wissen lassen, dass Gesellschaften ausgegründet werden sollen. Die Interessen der Fahrgäste werden ignoriert, und mit weiteren Abbestellungen von Bahnstrecken ist zu rechnen. Es kommt hinzu, dass in diesem Prozess die Länder kaum Mitspracherechte haben. Der Fern- und der Regionalverkehr unterliegen den Kapitalverwertungsinteressen.

Zu den Peinlichkeiten gehört - ich habe es schon angesprochen -, dass uns der vormalige Transnet-Chef und künftige Bahndirektor Hansen genau zeigt, wohin der Zug rollen soll. Das Geld fließt in die eigene Tasche, und die Transnet-Mitglieder gucken in die Röhre. Damit - das will ich an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich sagen - hat SPD-Hansen den Gewerkschaften in dieser Republik einen Bärendienst erwiesen.

Aber das werden Sie mit ihm klären. Wir werden uns ebenso damit auseinandersetzen.

Bei der Teilprivatisierung sollen die Bahnhöfe und das Netz vollständig im Besitz des Bundes bleiben. Es wird Herrn Dellmann freuen, dass nicht alles an die Börse geht. Für dieses Zugeständnis wurde aber ein sehr hoher Preis gezahlt, meine Damen und Herren: Der Personennahverkehr wird in die Privatisierung einbezogen. Das ist Fakt, und daran ist offensichtlich nicht mehr zu rütteln.

Für Brandenburg wird das sehr wahrscheinlich bedeuten, dass die vollständige Abkopplung vom Fernverkehr stattfinden wird, dass künftig höhere Fahrpreise und auch Trassenpreise zu bezahlen sind und dass möglicherweise weitere Strecken abbestellt werden. Es gibt ein sogenanntes KCW-Gutachten. Es zeigt auf, was das in der Konsequenz für Brandenburg bedeuten könnte. Ich habe es gerade kurz angesprochen; ich kann auf die Einzelheiten hier nicht eingehen. Es wird zu gravierenden Auswirkungen kommen. Die im Gutachten beschriebenen negativen Folgen hält auch Verkehrsminister Dellmann für sehr wahrscheinlich.

Welche konkreten Auswirkungen dieses Vorhaben für Brandenburg haben wird, welche Strategie Sie dagegensetzen, damit es nicht zu Einbrüchen und gravierenden negativen Veränderungen beim Bahnverkehr kommen wird, das möchten wir in einem Bericht erfahren. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt und bitten Sie sehr, ihn zu unterstützen. Um des lieben Friedens willen, obwohl wir ursprünglich eine Direktabstimmung wollten, beantragen wir die Überweisung des Antrags in den Ausschuss für Infrastruktur und Raumordnung. Dort können wir weiter darüber diskutieren. Aber wir alle wissen: Der Zug ist nun einmal längst abgefahren. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Es spricht der Abgeordnete Klocksin für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin aufgrund des eigenen Lebenshorizonts in einer Situation, in der ich sage: Es gibt Fälle - möglicherweise ist diese Lebenserfahrung noch nicht an Sie, Frau Tack, herangetreten -, in denen man sich a) nicht durchsetzt und b) keine Mehrheiten organisieren kann. Diesen Fall kennen Sie offenbar nicht.

Ich habe es gerade im Fall der Bahnprivatisierung erlebt. Ich bin nicht glücklich darüber, daraus mache ich keinen Hehl. Nur halte ich es auch für wenig hilfreich, die Schlachten der Vergangenheit zu schlagen. Deshalb ist für mich in der Tat die Frage: Welche Konsequenzen sind mit dem, was wir gerade erlebt haben, verbunden?

Ich sehe übrigens auch noch nicht, dass wir uns in einem Zustand befinden, in dem der Prozess abgeschlossen ist. Ich darf nur darauf verweisen, dass sowohl innerhalb der Koalitionsregierung im Bund als auch auf der Ebene der Länder sehr wohl darüber diskutiert wird, wie diese vielleicht nicht in allen Bereichen nachvollziehbare Entscheidung zur Teilprivatisierung konkret umgesetzt werden soll. Das soll konkret heißen: Wie

wird die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung organisiert? Wie ist der Kapitalfluss gesichert? Wie können die 24,9 %, die privatisiert werden sollen, begrenzt werden?

Ich möchte eine Passage vorlesen, vielleicht auch ein bisschen, um mich schützend vor unseren Koalitionspartner, die Christlich-Demokratische Union, zu stellen.

(Zuruf von der CDU: Das ist nicht nötig!)

- Das ist nicht nötig, aber es ist für uns Ehrensache. Ich weiß nicht, ob das für Sie, Frau Tack, so vorstellbar ist. Aber schenken Sie mir noch einen Moment der Aufmerksamkeit. Ich zitiere:

„Die Privatisierung einer Zwischenholding für Verkehr und Logistik birgt eine Reihe von Risiken für den Schienenverkehr und die Qualität der Infrastruktur...“

„Bei einer Privatisierung des Fernverkehrs ist zu beachten, dass der Renditedruck der Investoren bei der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage der Fernverkehrssparte zu einer Lastenverschiebung auf die Länder kommen kann, indem wichtige Großstädte und Oberzentren vom Fernverkehr entkoppelt werden.“

Das hat nicht der Wirtschaftsminister aus Berlin, sondern der Verkehrsminister aus Sachsen-Anhalt geschrieben, und dessen dankenswerte Initiative im Bundesrat in der vergangenen Woche weist genau in die richtige Richtung. Die Bundesländer haben möglicherweise auch strukturell andere Interessen als der Bund, und wir werden diese in der Diskussion mit dem Bundesverkehrsminister und in der konkreten Ausgestaltung der rechtlichen Rahmensetzung um die Privatisierung der Bahn wahrzunehmen haben. Deshalb schlägt der Antrag des Landes Sachsen-Anhalt zum Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung von Eisenbahninfrastruktur und Fernverkehrsangebot Maßgaben vor, die den Einfluss der Länder sichern und die Bahnausstattung nicht in eine Abwärtsspirale bringen.

Dass wir im Land Brandenburg davon betroffen sind, wenn die Deutsche Bahn nach Renditegesichtspunkten geführt wird, haben wir an dieser Stelle verschiedentlich diskutiert. Gerade heute lesen wir in der Zeitung von der Diskussion um den Verkauf des Bahnhofs Werder, den die Stadt über viele Jahre hätte kaufen wollen. Die Bahn hat ihn verrotten lassen, und heute sind die Aufwendungen so groß, dass es sich für die Stadt nicht mehr lohnt. Wenn jetzt irgendein Fabrikant dort hineingeht, wäre es schon eine Rettung für das Stadtbild. Das ist aus den Empfangsstätten einer Zeit geworden, wo die Bahnhöfe die Visitenkarte der Kommunen waren. Oder fahren wir einmal die Strecke nach Doberlug-Kirchhain. Wie die Bahnhöfe dort aussehen, das ist eine Katastrophe.

Nachdem sie an irgendwelche englischen Investoren verkauft worden sind, die das ja auch nicht aus karitativen Gründen getan haben, hat sich das Bild auch nicht gravierend geändert. Da haben wir eine ganze Menge zu tun, und wir haben, wie ich meine, da auch eine ganze Menge Verantwortung.

Demhingegen soll nun Schenker in China fahren, und zwar als Staatskonzern, also mit einer Beteiligung der Bundesrepublik

Deutschland von immerhin 75 %. Ich kann nicht nachvollziehen, warum der Bund in China Güterverkehr betreiben soll. Aber das ist eine andere Diskussion.

Deshalb ist der Zug, entgegen dem, was Frau Tack in ihrem Schlusssatz sagte, vielleicht doch noch nicht abgefahren. Ich bin sehr davon überzeugt, dass es nach der Bundestagswahl im Jahr 2009 eine neue Diskussion über die Konditionen und den Umfang der Privatisierung der Bahn geben wird, und zwar auch in dem Zusammenhang mit Diskussionen über die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen insgesamt. Wir haben ja auch Erfahrungen dahin gehend gemacht, dass Privatisierung als solche nicht per se gut, sinnvoll oder ein Erfolg ist. Was hier gemacht wird, sollte also angemessen sein.

Ich freue mich darüber, dass wir den Antrag an den Ausschuss für Infrastruktur und Raumordnung überweisen können. Vieles von dem, was gerade gesagt worden ist, gehört in die konkrete Diskussion im Ausschuss. Ich würde mich auch freuen, wenn wir uns als Land Brandenburg darauf einstellen, wie wir auch auf möglicherweise schlechtere Rahmenbedingungen gemeinsam reagieren können. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Die Abgeordnete Hesselbarth setzt für die DVU-Fraktion fort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass auch die DVUFraktion gegen die Privatisierung der Bahn und auch gegen eine Teilprivatisierung ist, ist in diesem Haus hier bekannt. Ich will noch auf einen Aspekt hinweisen, der hier noch nicht zur Sprache gekommen ist, und zwar auf den Aspekt, dass es sehr viele negative Erfahrungen mit Bahnprivatisierung gibt. Unter anderem in Japan, in Großbritannien, den USA und Schweden, aber auch in den Ländern Afrikas und Südamerikas wurden öffentliche Bahnen privatisiert. In all diesen Ländern zeigen sich auch ähnliche Folgen, nämlich: Das einheitliche Bahnsystem wurde zerschlagen, Arbeitsplätze wurden abgebaut und Löhne gesenkt, Komfort und Service wurden schlechter, zum Beispiel durch Bahnhofs- und Schalterschließungen, Regionalverbindungen verschwanden zugunsten von Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen Metropolen, die Zuschüsse der öffentlichen Hand an das Bahnsystem stiegen, die Bahn wurde widerstreitenden Interessen von Autoindustrie, Busgesellschaften und Verkehrslobbys - Zugverkehrslobbys - ausgesetzt.

(Dr. Klocksin [SPD]: Das ist kein richtiges Deutsch!)

- Herr Dr. Klocksin, hören Sie doch bitte einmal damit auf! Sie haben sich wohl noch nie versprochen?! Was Sie hier machen, ist echt unmenschlich.

(Dr. Klocksin [SPD]: Sehr unmenschlich - für Volksver- hetzer wie Sie!)

Bahnhöfe verloren ihre Funktion als Portale von Stadt und Verkehr, Bahnimmobilien wurden zu Spekulationsobjekten.

Beispiel Neuseeland: Dort kündigte kürzlich die Regierung die Wiederverstaatlichung des 1993 privatisierten Bahnver