Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Wöllert, ich hatte das Gefühl, dass Sie bei der Kinderarmutskonferenz, die Sie am Wochenende durchgeführt haben, schon viel weiter waren. Ihre Rede heute habe ich ein wenig als Rückfall empfunden. Schauen wir einmal, wie sich die Diskussion miteinander weiterentwickelt.
Armut ist in den letzten Jahren generell gestiegen. Kinderarmut war schon immer höher als die Armut in der Gesamtbevölkerung. Die Umstellung auf Hartz IV im Jahre 2004 hat keinen nennenswerten Einfluss auf die Armutsentwicklung gehabt. In der Tat scheinen die hohe Arbeitslosigkeit und die gebremste Lohnentwicklung die wichtigsten Einflussfaktoren zu sein. So jedenfalls sehen es die Wissenschaftler Geishecker und Klasen von der Georg-August-Universität in Göttingen.
Im Herbst werden wir in diesem Hause über den Lebenslagenbericht diskutieren. Er kommt nicht zu spät, wie Sie es sagen, Frau Kaiser. Im Gegenteil, er wird auf aktuelle Daten aufgebaut sein und uns somit eine hervorragende Diskussionsgrundlage über die derzeitige Situation im Lande bieten, und er wird Möglichkeiten für weitere Perspektiven aufzeigen. Das ist mir, ehrlich gesagt, lieber als die derzeitige Debatte zum Armutsund Reichtumsbericht der Bundesregierung, in der wir uns die Köpfe heiß reden über Dinge, die vor drei Jahren relevant waren. Solche Scheindebatten sind nun wirklich ein Schmarrn und helfen nicht wirklich weiter.
Also: Die Verschiebung des Lebenslagenberichts in den Herbst ist kein politisches Manöver. Wir möchten lediglich ein reales Bild als Grundlage für politisches Handeln. Aber auch neue Erkenntnisse bzw. sich bestätigende Ansätze, die sich aus der Beantwortung und Diskussion der hier vorliegenden Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE ergeben, werden in den Bericht der Landesregierung mit Sicherheit einfließen; denn die Thematik Kinderarmut gewinnt in der öffentlichen und politischen Diskussion zunehmend an Bedeutung.
Je länger wir darüber diskutieren - wir tun das in Brandenburg schon eine ganze Weile -, desto mehr verstärkt sich die Erkenntnis, dass Armut nicht nur auf die finanzielle Situation der Familie, sprich: die Einkommenssituation, abstellt, sondern eben auch die Einkommensressourcen, die zur Befriedigung der notwendigen Bedürfnisse erforderlich sind, Faktoren wie Schulden, Vermögen, Gesundheit, Bildung, Erwerbslosigkeit oder Wohnungslosigkeit berücksichtigt.
Wenn der Aufruf des Paritätischen Landesverbandes und des Arbeitslosenverbandes zu einer Landesarmutskonferenz, der ursprünglich schwerpunktmäßig auf die Einkommensverteilung abstellte, auf dem Fachtag am 30. Mai dieses Jahres zur Vorbereitung der Landesarmutskonferenz um solche Faktoren wie Bildung, Gesundheit, Erwerbsbiografien ergänzt wurde, ist das für uns alle ein großer Zugewinn. Ich bin davon überzeugt: Für die weitere Diskussion wird das hilfreich sein, und es wird der Landesarmutskonferenz in der fachlichen und inhaltlichen Auseinandersetzung guttun.
Auch die Partei DIE LINKE hat auf ihrer Konferenz „Kinderarmut in Brandenburg“ an diesem Wochenende einige Facetten von Armut beleuchtet und damit auch erkannt, dass neben der Einkommensarmut vor allem auch Bildungsarmut und Krankheit zu Benachteiligungen führen können.
Ihre Große Anfrage entspricht diesem Erkenntnisgewinn vom Wochenende leider noch nicht ganz. Leider - das muss man so sagen - verkürzen Sie hier die Betroffenheit von materieller Armut auf das soziokulturelle Existenzminimum und wählen den steigenden Anteil von Kindern, die auf dem Niveau von Hartz IV leben, als Einstieg in die Große Anfrage.
Den von Ihnen hergestellten Zusammenhang verstehen wir. Hartz IV, arm und Punkt - der Wahlparole aus dem Jahre 2004 müssen Sie treu bleiben, meinen Sie. Wir meinen vielmehr, über diese Treue sollten Sie in der Tat einmal nachdenken.
Materielle Armut auf das soziokulturelle Existenzminimum zu beschränken, das im Sozialhilferecht definiert wird, greift zu kurz und ist aus fachlicher Sicht nicht akzeptabel. Der familiäre Zusammenhalt und damit die Gesamtsituation des Familienhaushalts würde dabei völlig ausgeblendet werden. Aber auch die Lebenswelt des Kindes und seine Entwicklungs- bzw. Teilhabechancen blieben unberücksichtigt.
Ihre Fragen setzen zwar bei einem weit gefächerten Armutsverständnis an, das neben der finanziellen Lage der Familie auch die Lebenssituation der Kinder in den Mittelpunkt rückt; einige Fragen jedoch machen eine detaillierte Datenerhebung erforderlich, wo Lebenslagen und die ökonomische Situation der Kinder verknüpft werden müssen.
Solche Daten - Frau Wöllert hat das hier beklagt - liegen nicht vor. Sie kommen einer Stigmatisierung gleich in Richtung „arme Kinder“ bzw. „Kinder aus sozial schwachem Elternhaus“.
Unsere Familien-, Sozial- und Jugendpolitik im Lande ist so ausgerichtet, dass wir eine derartige Stigmatisierung vermeiden und uns somit dem Wohl aller Kinder verpflichtet fühlen. Derartige Fragen konnten also nicht beantwortet werden, weil unser fachlich-inhaltlicher Ansatz eine solche Datenlage nicht hergibt.
Nein, ich möchte gern fortfahren. - Das ist keine Arroganz und auch keine Bagatellisierung dieser Probleme, wie Sie, Frau Kaiser, in der vergangenen Woche behauptet haben. Offiziell zielt Ihre Große Anfrage darauf ab, mittels einer Analyse der
Lebenssituation von Kindern, die in Armut leben, Strategien zur Prävention und zur Bekämpfung von Kinderarmut zu entwickeln. Da sind wir nun wieder nahe beieinander. Diese Herausforderung sehen wir als ein gemeinsames Ziel aller Akteure, die sich für ein Aufwachsen in Wohlergehen von Kindern einsetzen.
Die Antwort auf die Große Anfrage macht deutlich, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien größere Risiken für ihre Entwicklung haben. Generell ist festzustellen, dass Kinderarmut auf Elternarmut basiert und sich dann entwickelt, wenn den Eltern die Ressourcen fehlen, die Folgen der Armut abzufedern. Genau hier setzt unser Maßnahmenpaket zur Familienund Kinderfreundlichkeit an. Das im Jahre 2005 beschlossene Programm ist mit derzeit über 70 Einzelmaßnahmen untersetzt und zielt darauf ab, Familien zu stärken und Kindern gute Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Sozialer Aufstieg und Lebenschancen für alle sind dabei die Kernversprechen der Sozialdemokratie.
Der gleichberechtigte Zugang zu guter Bildung sowie die niedrigschwellige Unterstützung für Familien sind wichtige Voraussetzungen, dass Menschen ihr Leben aus eigener Kraft gestalten können. Bildung ist das beste Instrument für weniger Kinderarmut, für ein auskömmliches Leben und für bessere Berufschancen.
Wir haben in Brandenburg eines der besten Kita- und Krippennetze in Deutschland. Seit 2003 sind die Ausgaben des Landes allein für die Kitas um 20 % gestiegen.
Dieses sehr gute Angebot ist eine wichtige Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Seit 2007 haben auch Kinder arbeitslos werdender Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz - unterstützt mit jährlich immerhin 1,3 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt.
Das in das Gesetz zum öffentlichen Gesundheitsdienst neu aufgenommene verbindliche Einladungswesen sowie das zu schaffende Betreuungs-Controlling für Kinder mit Förderbedarf wird in puncto Vorsorge- und Reihenuntersuchung künftig alle Kinder erfassen. Die Erreichbarkeitsquote lag bislang bei 45 %.
Die qualitative Betreuung in den Kindertagesstätten wurde entsprechend den Grundsätzen elementarer Bildung und der Sprachstandsmessung und Förderung sowie der Fortbildung der Erzieherinnen und Erzieher verbessert. 4 Millionen Euro stehen im Haushalt für die Sprachstandsförderung zur Verfügung.
Wir haben den Übergang zwischen Kita und Grundschule in den letzten Jahren kampagnenmäßig landauf, landab thematisiert, damit auch verbessert und beide Systeme durchlässiger
gestaltet. Wir gewährleisten damit frühkindliche, gemeinsame Bildung bis in die sechsjährige Grundschule hinein. Die klassische Kita-Betreuung wird vorrangig in sozialen Brennpunkten und für Familien und Kinder ohne Rechtsanspruch durch Eltern-Kind-Zentren ergänzt. In dieser Wahlperiode stellen wir dafür 1,6 Millionen Euro zur Verfügung.
Im Rahmen der „Initiative Oberschule“ werden wir bis 2013 etwa 27 Millionen Euro investieren, um die Qualität gerade dieser Schulen zu verbessern. Den Schülern wird soziale Kompetenz vermittelt, es wird eine bessere Berufsorientierung organisiert, und Lehrerinnen und Lehrer werden fortgebildet.
Die „Lokalen Bündnisse für Familie“ tragen in den Kommunen zu einem Klimawandel in Richtung mehr Familienfreundlichkeit bei und vernetzen Wirtschaft, Vereine, Politik, lokale Initiativen, Verwaltungen und vieles andere mehr. Derzeit haben wir in Brandenburg über 30 „Lokale Bündnisse für Familie“, so viele wie in keinem anderen ostdeutschen Bundesland.
Mittlerweile haben wir im dritten Jahr den Familienpass aufgelegt. Er hat sich jährlich entwickelt und umfasst in diesem Jahr 390 Angebote. Der Pass gewährt dauerhafte Preisnachlässe von mindestens 20 %, kostenlose Eintrittskarten für Kinder sowie zahlreiche Coupons für einmalige Ermäßigungen in Höhe von mindestens 25 %. Man kann nur hoffen, dass der Familienpass viele Eltern und Großeltern ermuntert, gemeinsam etwas mit ihren Kindern und Enkeln zu unternehmen.
Seit 2006 entstehen in Brandenburg nach finnischem Vorbild Netzwerke „Gesunde Kinder“. Für eine Anschubfinanzierung bei der Entstehung der Netzwerke gibt das Land bis 2009 ca. 1,3 Millionen Euro. An 13 Standorten in sieben Landkreisen arbeiten derzeit derartige Netzwerke, beraten Familien und bieten Hilfen an. Wir brauchen flächendeckend arbeitende Netzwerke mit hohem qualitativem Anspruch und gesicherter Finanzierung. Heute haben wir mit dem Nachtragshaushalt das Sozialpaket, bestehend aus Schulsozialfonds und Schülerbeförderung, mit etwa 9 Millionen Euro verabschiedet.
Frau Kaiser, Ihren in der vergangenen Woche geäußerten Vorwurf, die Regierung nehme das Thema Kinderarmut nicht ernst, weise ich mit der Aufzählung all dieser Maßnahmen schlichtweg zurück. Es stimmt ganz einfach nicht! Für die von mir aufgezeigten Strukturen nimmt das Land Brandenburg zusätzlich 44 Millionen Euro in die Hand. Viele andere Maßnahmen, zum Beispiel für Ganztagsschulen oder im Bereich des Kinderschutzes, sind hier überhaupt noch nicht erfasst.
Die Aufzählung dieser Maßnahmen ist mir auch wichtig, um deutlich zu machen: Wir finanzieren bewusst in Strukturen, die die Qualität entscheidend beeinflussen und Familien und Kinder direkt und unmittelbar erreichen. Denn eine entscheidende Frage bei der Bekämpfung von Kinderarmut lautet: Was kommt bei den Kindern an?
Deshalb glauben wir, dass der eingeschlagene Weg durchaus richtig ist. Natürlich könnte alles noch besser sein, und vor allem von allem mehr. Armut hat vielfältige Facetten. Es gibt keinen Königsweg, schon gar nicht einen Weg. Auch die Partei DIE LINKE hat keine Patentrezepte. Das jedenfalls war auch ein Ergebnis ihrer Konferenz am Wochenende. - Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Armut bei Kindern und Jugendlichen ist sicherlich ein Thema, welches seit vielen Jahren allgegenwärtig ist und es auch in Zukunft sein wird. Doch was ist eigentlich Armut? Darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Einige SPD-Politiker sind der Meinung, solange ein Mensch zu essen und zu trinken habe, sei er nicht wirklich arm. Arm sind demzufolge nur Kinder in der Dritten Welt, die an Unterernährung leiden. Sicherlich kann man diese Armut nicht mit der in der Bundesrepublik Deutschland grassierenden Armut gleichsetzen. Noch - ich betone: noch - ist das soziale Netz hier in der Bundesrepublik Deutschland so dicht, dass kein Kind an Unterernährung sterben müsste.
Erwiesen ist, dass Kinder aus armen Verhältnissen einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind und schlechtere Chancen auf einen ordentlichen Schulabschluss haben. Doch, meine Damen und Herren, ist die materielle Armut ursächlich für diese Tatsachen, wie es uns die linken Genossen immer weismachen wollen? So fragen die Genossen unter anderem:
Ebenso berechtigt wäre die Frage gewesen: Bei wie vielen Kindern mit Sprachauffälligkeiten steht ein Fernseher im Kinderzimmer? - Denn mittlerweile haben sogar Studien bewiesen, was normalerweise längst bekannt ist, dass nämlich zwischen Sprachauffälligkeiten und Fernsehkonsum bei Kindern ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
Die Antwort der Landesregierung auf die Frage 61 ist auch für die Deutsche Volksunion voll nachvollziehbar. Es wurde nämlich gefragt, ob eine Erhöhung des Regelsatzes zu einer besseren Ernährung beitragen kann. Nun die nach Meinung der DVU-Fraktion nicht falsche Antwort der Landesregierung:
Genau das, meine Damen und Herren, ist das Problem. Bei immer mehr Eltern ist es leider so, dass sie nicht gelernt haben, mit Geld umzugehen. Was nützen alle finanziellen Zuwendungen, wenn es Eltern gibt, die das Geld lieber für andere Dinge ausgeben, anstatt es ihren Kindern zugutekommen zu lassen? Immer mehr junge Eltern haben nicht nur Schwierigkeiten, mit Finanzen umzugehen, nein, sie haben auch Schwierigkeiten, sich mit ihren Kindern richtig und sinnvoll zu beschäftigen.
Die Ursachen sind auch in der Gesellschaft zu suchen. Vor geraumer Zeit stand in der Zeitung „Die Welt“ ein Artikel, der sich mit der Frage befasste, ob nicht die deutsche Sozialpolitik bedürftige Mütter verleite, sich mit Kinderreichtum über Wasser zu halten. Fürwahr: Überproportional viel Kinderreichtum ist bei Familien festzustellen, die von staatlichen Leistungen leben. Doch, meine Damen und Herren, die Frage ist: Müssen diese Familien aufgrund ihrer Vielzahl von Kindern von Hartz IV leben, oder lebten diese bereits vorher von Hartz IV? Ich denke, das ist eine Frage, die ganz legitim ist.
Die Antwort auf diese Frage könnte die Weichenstellung in der Sozialpolitik maßgeblich beeinflussen.