Protokoll der Sitzung vom 17.09.2008

Drucksache 4/6678

1. Lesung

Es wurde beschlossen, darüber keine Debatte zu führen. Das Präsidium empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs der Landesregierung, der Ihnen in der Drucksache 4/6678 vorliegt, an den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie. Wer dem Folge leisten möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall. Damit ist dieses Gesetz überwiesen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 13 und rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

Kommunale Selbstverwaltung im Land Brandenburg

Große Anfrage 39 der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 4/6218

Antwort der Landesregierung

Drucksache 4/6596

Die Debatte wird mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE eröffnet. Der Abgeordnete Dr. Scharfenberg erhält das Wort.

1 Gemäß § 49 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Landtages gilt damit der zuvor gestellte Änderungsantrag - Drucksache 4/6734 - der DVU-Fraktion als mitüberwiesen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jörg Schönbohm sagte am 24. April 1999 auf der Bürgermeisterkonferenz der CDU in Diedersdorf Folgendes:

(Schulze [SPD]: Eine ältere Kamelle haben Sie nicht ge- funden?)

- manches kann man nicht oft genug wiederholen -:

„Man glaubt immer, dem der Herr gibt ein Amt, dem gibt er Verstand. Das gilt meistens, aber es gilt nicht in der Verwaltung, dass man sagen kann: Die höherwertige Verwaltung ist intelligenter als die, die weiter unten ist.“

Herr Schönbohm, ich denke, Sie wussten damals als Oppositionspolitiker gar nicht, wie richtig Sie mit dieser Aussage gelegen haben.

(Zuruf von Minister Schönbohm)

Leider handeln Sie als verantwortlicher Minister nicht danach. In der täglichen Praxis wird eher nach dem Grundsatz gehandelt: Wir hier oben wissen besser, was für euch da unten gut ist.

Wir wollen mit unserer Großen Anfrage eine grundsätzliche Diskussion zum Stand der kommunalen Selbstverwaltung im Land Brandenburg befördern, wobei die heutige Debatte nur ein Auftakt sein kann. Dafür ist aber die Antwort der Landesregierung, für die ich mich trotzdem bedanken möchte, nur zum Teil geeignet. Nicht zuletzt haben die Statements der Koalitionsfraktionen und der Landesregierung in der Aktuellen Stunde gezeigt, dass man der Selbstgefälligkeit von SPD und CDU dringend ein klares Problembewusstsein zur kommunalen Realität entgegensetzen muss.

Wir müssen leider immer wieder feststellen, dass die Kommunen nur das fünfte Rad am Wagen der Landespolitik sind. Die kommunale Selbstverwaltung ist für die Landesregierung das nach Artikel 97 Abs. 1 Satz 1 Landesverfassung eingeräumte Recht, sich selbst zu verwalten. Damit hebt die Landesregierung positiv hervor, dass sie selbst das Ziel verfolgt und den Anspruch hat, jederzeit sicherzustellen, dass die Gemeinden und Gemeindeverbände im Land nach ihrer Verwaltungskraft und Leistungsfähigkeit in der Lage sind, kraftvoll kommunale Selbstverwaltung auszuüben.

Die Kommunen haben das Aufgabenfindungsrecht, also das Recht, sich neuen Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft zuzuwenden. Die Landesregierung will dabei angemessene Handlungs- und Gestaltungsspielräume für die Gemeinden und Gemeindeverbände sichern, sodass nur maßvoll von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, ihnen Landesaufgaben zu übertragen. Das klingt gut und vernünftig. Schaut man aber genauer hin, heißt das nichts weiter, als dass die Funktionalreform nicht weitergeführt werden soll - und das vor allem vor dem Hintergrund, dass die Gemeinden und Gemeindeverbände Handlungs- und Gestaltungsspielräume bräuchten. Das widerspricht den von der Landesregierung in der Vergangenheit formulierten Zielstellungen, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Gemeindegebietsreform.

Auffällig ist, dass die Landesregierung kommunale Selbstver

waltung und kommunale Selbstbestimmung gleichsetzen will. Nach Auffassung der Landesregierung würde kommunale Selbstbestimmung suggerieren, dass es in der föderal aufgebauten Bundesrepublik neben dem Bund und den Ländern eine dritte eigenständige Staatsebene geben würde. Beide Begrifflichkeiten in einen Topf zu werfen zeigt ein Verständnis der Landesregierung, das wir nicht teilen.

Wie das praktisch aussieht, können wir seit fünf Jahren zum Beispiel im Zusammenhang mit den Streitigkeiten über die Festlegung des Verwaltungssitzes für die Gemeinde Groß Kreutz verfolgen, die übrigens auch ein Ergebnis eines zwangsweisen Zusammenschlusses im Rahmen der Gemeindegebietsreform ist.

Seit 2003 werden die Beschlüsse der Gemeindevertretung für den Verwaltungssitz im Ortsteil Groß Kreutz ignoriert. Entscheidende Rollen spielt dabei die Intervention der Landesregierung, die den goldenen Zügel von Zuwendungen aus dem Ausgleichsfonds als Druckmittel nutzt. Ich fordere die Landesregierung auf, endlich den Weg für die Umsetzung der selbstbestimmten Entscheidung der Gemeindevertretung über den Verwaltungssitz freizumachen - eigentlich eine selbstverständliche Angelegenheit der kommunalen Selbstverwaltung -, um diese eulenspiegelreife Posse möglichst noch vor der Kommunalwahl zu beenden.

Die Darstellung der derzeit wahrgenommenen Aufgaben auf kommunaler Ebene ist nicht brauchbar. Seit 1997 bis 2008 - also innerhalb von elf Jahren - sind 33 Aufgaben vom Land auf die Landkreise übertragen worden, vom Land auf die Ämter und amtsfreien Gemeinden waren es im gleichen Zeitraum ebenfalls 33 Aufgaben, von den Landkreisen auf die Ämter und amtsfreien Gemeinden waren es nur neun Aufgaben.

Sehr auffällig ist, dass lediglich sehr kleinteilige Aufgaben zur Kommunalisierung anstehen. Es wird immer wieder deutlich, dass die gegenwärtige Konzeption zur Weiterführung der Funktionalreform, die insbesondere mit der interministeriellen Arbeitsgruppe verfolgt wird, nicht trägt. Das wissen Sie auch. Das liegt vor allem daran - hier kann ich nur die bekannte Kritik der Fraktion DIE LINKE bestärkend wiederholen -, dass die Landesregierung keine Bereitschaft zu einer systematischen Betrachtung und Bewertung des Aufgabenbestandes zeigt. Dazu kommt, dass die Landesregierung die kommunalen Spitzenverbände gegeneinander ausspielt, statt die Kompetenzen zu bündeln und zu nutzen.

Ziel müsste es sein, sämtliche Verwaltungsaufgaben im Zuge der Funktionalreform zu kommunalisieren, sodass sich die Landesregierung auf die Wahrnehmung ihrer Regierungsfunktionen konzentrieren kann. Dass das funktioniert, zeigt das Beispiel Baden-Württemberg.

Die Landesregierung suggeriert, dass die letzte Novellierung des Gemeindewirtschaftsrechts für eine Stärkung der Wettbewerbsstellung der kommunalen Unternehmen gesorgt habe. Weit gefehlt. Das geht weit an den kommunalen Realitäten vorbei. Die massive Kritik des Städte- und Gemeindebundes und des Landkreistages an der neuen Kommunalverfassung und die klaren Forderungen nach einer verbesserten rechtlichen Regelung sind bekannt, und sie werden sogar noch bekräftigt.

Eine Kommunalverfassung muss die kommunalwirtschaftlichen

Handlungsoptionen stärken und darf sie gerade nicht beschneiden. Dazu gehört für die Linke nicht nur die Öffnung des Örtlichkeitsprinzips und die Streichung des Subsidiaritätsprinzips. Es ist bezeichnend und spricht für die Qualität des Gesetzes, dass Kommunen wie die Landeshauptstadt mit Verweis auf die ab 28.09. geltenden neuen Regelungen sozusagen in Torschlusspanik versuchen, jetzt noch Entscheidungen zu kommunalen Unternehmen zu treffen, um die sich verschlechternden Bedingungen zu umgehen. Was ist das für eine Regelung, die noch gar nicht in Kraft ist?

Interessant und wichtig sind uns die Aussagen der Landesregierung zu Bürgerhaushalten und Bürgerkommunen. Hier wird deutlich, dass es bisher relativ wenige Beispiele dafür gibt, dass sich Kommunen dieser Herausforderung stellen. Wir betrachten das als eine große Herausforderung.

Wir unterstützen die Entwicklung von Bürgerhaushalten und Bürgerkommunen, weisen aber darauf hin, dass es hierbei kein formales Herangehen geben darf. Ich möchte das mit der Aufforderung an die Landesregierung verbinden, hier eine koordinierende Funktion wahrzunehmen, denn dieser Prozess ist fördernswert. Das sollte mit allen Kräften getan werden. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Herr Abgeordneter Gujjula spricht für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Ich möchte mich bei der Fraktion DIE LINKE recht herzlich bedanken, dass sie das Thema aufgegriffen und die Landesregierung mit 136 Fragen bombardiert hat. Daraus ist ein großes Werk entstanden. Ich bedanke mich dafür, dass wir heute, wenn auch mit Problemen behaftet, durchaus über eine Erfolgsgeschichte sprechen können.

Kommunale Selbstverwaltung: Die Landesregierung verbindet mit dem Begriff der kommunalen Selbstverwaltung das Gemeinden und Gemeindeverbänden nach Art. 97 Abs. 1 Landesverfassung eingeräumte Recht, sich selbst zu verwalten.

Allzuständigkeit und Subsidiaritätsprinzip: Wenn man zurückblickt und sich fragt, ob diese Dinge inzwischen realisiert worden sind oder nicht, müsste man sich selbst ein Urteil darüber bilden. Die Landesregierung verfolgt das Ziel und hat den Anspruch, jederzeit sicherzustellen, dass die Gemeinden und Gemeindeverbände im Land nach ihrer Verwaltungskraft und Leistungsfähigkeit in der Lage sind, kraftvolle kommunale Selbstverwaltung auszuüben.

Ich möchte auf einen Punkt zu sprechen kommen, der in der Funktionalreform eine große Rolle gespielt hat, nämlich auf die Gemeindegebietsreform. Ganz am Anfang war ich dagegen. Ich selbst war 15 Jahre lang ehrenamtlicher Bürgermeister und Fraktionsvorsitzender in einer Gemeinde. Ich kann von meinem Standpunkt aus sagen: Am Anfang hatte ich sehr viele Ängste. Heute, nach 15 Jahren, kann ich kurz vor der Kommunalwahl einen Schlussstrich ziehen und sagen: Gott sei Dank, dass es so passiert ist, dass Altlandsberg zusammen mit fünf

kleineren Gemeinden eine größere Einheit gebildet hat. Wir alle sechs haben davon profitieren können.

In Bezug auf die Gemeindegebietsreform muss man wissen: Die kommunalen Spitzenverbände sind zu allen wichtigen Punkten immer gefragt und zur aktiven Beteiligung aufgefordert worden. Selbst wenn man nicht einer Meinung war, sind auch diese Punkte mit erwähnt worden. Es ist für mich ganz wichtig, dass hier eine praxisnahe Arbeit geleistet worden ist.

Wenn man fragt, was zum Schluss dabei herausgekommen ist und ob man etwas sparen konnte, so sind die Zahlen ganz eindeutig. Betrachtet man die Anzahl der Beschäftigten in den kreisfreien Städten, so ergibt sich folgendes Bild: 1993 gab es 14 429 Beschäftigte, im Jahre 2007 5 610 - eine Reduktion um fast 50 %. In den Landkreisen gab es 1993 17 974 Beschäftigte, heute sind es 11 666, und in den Gemeinden und Ämtern waren 47 727 Menschen beschäftigt. Heute sind es 22 391. Das zeigt schon, wofür diese Gemeindegebietsreform gut war. Man konnte hier etliche Reserven mobilisieren bzw. die Kräfte bündeln.

Es geht auch um die Weiterführung der Funktionalreform. Die Opposition hat den Fortschritt zunächst bekämpft, später stillschweigend nachvollzogen. Beispiel: Umstellung der Wirtschaftsförderung. Sie waren am Anfang dagegen und wollten später plötzlich noch weiter gehen.

Beispiel Kommunalreform: Sie haben uns anfangs Stöcker in die Speichen gesteckt und beschweren sich nun, dass das Rad nicht schneller läuft. Ich finde es gut, dass die Kommunalreform, wie heute in der Zeitung zu lesen ist, erst einmal um ein Jahr verschoben worden ist und wir in der nächsten Legislaturperiode weiter darüber diskutieren werden. Ich sage es einmal so: It’s never too late. Wenn man es schon macht, muss man es auch richtig machen. Man sollte die schlechten Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommen nicht im Land Brandenburg wiederholen.

Es gibt noch ein paar Punkte, die ich erwähnen möchte. Es gibt reiche und arme Gemeinden; das wird sicher immer so sein. Das hat vielfältige Gründe und Ursachen; sie stehen im Bericht, ich brauche sie nicht zu wiederholen. Dennoch: Es gibt einiges, was man hätte vermeiden können. Es gab vor 10 oder 15 Jahren großzügige Planungen, größere Gewerbegebiete und Ähnliches. Man hat noch heute darunter zu leiden. Es sind jedoch keine ewig begleitenden Symptome, sondern die Fehler lassen sich heilen.

Kollege Schippel hat heute die 11 000 ehrenamtlich tätigen Kommunalpolitiker erwähnt. Die Zahl der Kandidaten zur Kommunalwahl hat sich um 16,5 % erhöht. Das sind gute Werte. Herr Domres, vertrauen Sie den Bürgerinnen und Bürgern, den mündigen Menschen in unserem freien Land, dass sie selbst wissen, was gut für sie ist. Insofern war Ihre Erläuterung der Wahlplakate heute Morgen, wie manches andere auch, überflüssig.

Letzten Endes haben wir - im Innenausschuss wurde Anfang des Jahres darüber diskutiert - insgesamt 60 Millionen Euro verteilt. An meinen Wahlkreis Märkisch-Oderland gingen 2,8 Millionen Euro. Wir konnten mithilfe dieser Mittel manches sanieren; das war gar nicht so schlecht. Gleichzeitig sollte

die Kritik des Landkreistages berücksichtigt werden, ob es nicht besser wäre, ab 2010 die Summe von Anfang an an die Kreise zu verteilen. Das wird vom Landkreistag empfohlen. Darüber müsste man nochmals reden.

Es gibt viel zu tun, aber man kann nicht alles mit Geld messen. Wir haben heute viel über Geld gesprochen. Ich möchte den Blick lieber auf etwas anderes richten, und zwar auf die Bürger und ihr Engagement. Wenn ich betrachte, was sie in meinem Wahlkreis Märkisch-Oderland bzw. Altlandsberg in den letzten 15 Jahren getan und erreicht haben, dann muss ich sagen, wir können uns sehen lassen und mit Stolz sagen: Das war eine gute Sache. Die Kommunalpolitik ist gut. Das wurde von den Bürgern und von den Abgeordneten sehr gut genutzt. - In unserem Landkreis gibt es heute so viele Vereine wie nie zuvor. Früher gab es keinen Heimatverein, keinen Vereinsklub usw. All diese Dinge spielen heute eine größere Rolle. Altlandsberg bzw. der Kreis Märkisch-Oderland stehen bezüglich der Jugendkriminalität in der Statistik des gesamten Landes ganz weit unten. All diese Erfolge sind darauf zurückzuführen, dass wir gute Kommunalpolitik machen. Die Grundlage dessen ist, dass die 1990 eingeführte kommunale Selbstverwaltung von den Menschen und den Kommunalpolitikern angenommen und umgesetzt worden ist.

Die wesentlichen Kritikpunkte, die die Linkspartei heute erwähnt hat, kann man mit Fakten und Zahlen widerlegen. Das hat mein Vorredner bereits getan, und ich möchte sie nicht wiederholen. Allein die Zuweisungen sind trotz der angespannten Situation, wie der Finanzminister heute gesagt hat, von 1,25 Milliarden Euro auf 1,6 Milliarden Euro erhöht worden. Das zeigt doch, dass die Zuweisungen an die Gemeinden trotz der schwierigen Bedingungen nicht gesunken sind und sich deren Lage verbessert hat.