- Die Turbulenzen in der - von mir aus gesehen - linken Ecke haben einen berechtigten Grund, nämlich den Geburtstag unserer Kollegin Margitta Mächtig. Frau Mächtig, ich gratuliere Ihnen im Namen aller Abgeordneten ganz herzlich und wünsche Ihnen noch viel Freude an der parlamentarischen Arbeit hier im Landtag.
Vor Eintritt in die Tagesordnung begrüße ich als unsere Gäste ganz herzlich 18-jährige Schülerinnen und Schüler vom Humboldt-Gymnasium Cottbus, die gemeinsam mit unserem wiedervereinten Deutschland Jahr für Jahr mitwachsen. Bei beidem, sowohl dem Besuch hier als auch dem weiteren Mitwachsen, wünsche ich euch viel Freude und Erfolg!
Obwohl es gestern schon angekündigt worden ist, will ich heute daran erinnern, dass wegen unseres kürzer als erwartet ausfallenden Zeitplans der Parlamentarische Nachmittag der Wirtschaftsjunioren bereits ab 15 Uhr stattfindet. Ich kann Sie nur ermutigen und motivieren, dort zahlreich zu erscheinen. Die Wirtschaftsjunioren suchen noch Partner für ihren Know-how-Transfer.
Gibt es zur vorliegenden Tagesordnung noch Änderungs- oder Ergänzungswünsche? - Das ist offenbar nicht der Fall. Ich lasse über die Tagesordnung abstimmen. Wer ihr Folge leisten möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall. Somit verfahren wir nach der Tagesordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 14. Oktober 1990, also vorgestern vor 18 Jahren, fanden die ersten freien Wahlen zum Landtag Brandenburg nach der friedlichen Revolution statt. Elf Tage zuvor, am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, war Brandenburg wiedergegründet worden.
Der 14. Oktober, der Tag der ersten freien Wahlen zum Landtag Brandenburg, war ein bedeutender, emotionaler Tag. 14 Abgeordnete hier im Saal können das ganz besonders nachempfinden, denn sie waren damals dabei: von uns Beate Blechinger, Dieter Helm und Frank Werner, aber auch einige Kollegen von der SPD, zum Beispiel Christoph Schulze
Bis wir unser Land Brandenburg und unser frei gewähltes Parlament wiederhatten, war es ein langer Prozess. Er begann im Frühjahr 1989, als die Unzufriedenheit, die schon lange gegenwärtig gewesen war, etwas deutlicher nach außen getragen wurde. Ich habe noch heute hohen Respekt vor denjenigen, die im Mai 1989 nachschauten, ob bei den Kommunalwahlen alles mit rechten Dingen zuging. Damals wurden erstmals Wahlfälschungen nachgewiesen.
Im Sommer 1989 ging es weiter mit der Fluchtwelle über Ungarn, als viele Hundert junge Leute aus der DDR diese verließen. Ab September behinderten die ungarischen Behörden die Ausreise nicht mehr, und man konnte frei raus. Mehr als 50 000 - zumeist junge - Menschen nutzten damals diesen kleinen Spalt im Eisernen Vorhang, der sie von der Freiheit trennte, um die DDR zu verlassen. Sie kehrten damals einem System den Rücken, das ihnen die Freiheit verwehrte, das schlechte Lebensbedingungen bot und keinen Widerspruch duldete.
Ich selbst war einer der jungen Menschen, die damals rauswollten. Ich bin im Frühjahr 1989 weg. An das Gefühl, das ich damals hatte, erinnere ich mich noch sehr genau: In diesem Staat, der DDR, wirst du alt. Am Ende wird immer noch alles grau in grau sein. Nichts wird sich bewegt haben. Das kann es nicht gewesen sein.
Auf eine Wohnung hat man Jahre gewartet. Viele haben geheiratet, um schneller an eine Wohnung zu kommen.
- Ich habe nach der Wende geheiratet. - An interessante, insbesondere politische Literatur zu kommen, war kaum möglich. Ich erinnere mich, dass mir ein Freund sagte: Du kannst in die amerikanische Botschaft in Berlin gehen und dort den „Spiegel“ lesen. - Ich bin dann dort hingegangen und war ganz überrascht, dass man einfach so in die Botschaft konnte; na gut, man wurde vorher von der DDR-Polizei fotografiert. Den „Spiegel“ habe ich dann regelrecht verschlungen.
Die DDR-Zeitungen konnte man nicht lesen. Das war ödes Nachdrucken von zensierten Texten und nicht zu ertragen. Die Infrastruktur war kaputt, insbesondere die Straßen. Die Gebäude verfielen zunehmend. Nicht einmal 10 % der Menschen hatten einen Telefonanschluss. Dass man als DDR-Bürger interessante Teile der Welt sehen konnte, zum Beispiel New York, London oder Paris, war gänzlich außerhab der Vorstellungskraft. Der einzige Blick in den Westen war über das Fernsehen möglich.
Deswegen hatte ich das Gefühl: Hier sollst du alt werden? Das ist alles so trostlos. Das kann es nicht gewesen sein. Nur raus!
Auch ich habe es nicht für möglich gehalten, dass sich alles so schnell auflöst und das System zusammenbricht.
Warum erzähle ich Ihnen das alles, obwohl ich weiß, dass die meisten von Ihnen ebenso empfunden haben.
- Sie scheinen das sehr lustig zu finden, meine Damen und Herren von den Linken; ich finde, das ist es nicht.
Es macht mich traurig und betroffen, dass seit einigen Jahren eine zunehmende Verklärung und Relativierung, ja sogar eine Beschönigung des Sozialismus stattfindet. Es werden Loblieder auf die „Errungenschaften“ der DDR gesungen und Legenden gebildet, was angeblich besser war. Dabei scheint das Prinzip zu gelten: Je weiter man vom Sozialismus entfernt ist, desto schöner wird er. - Er war es aber nicht. Jeder, der sich wirklich erinnert, weiß es.
Denn man muss sich fragen: Wenn angeblich vieles besser war, warum sind dann so viele Menschen, denen damals eine Reise nach Westdeutschland erlaubt wurde, dort geblieben? Warum hat die DDR immer nur einen aus jeder Familie fahren lassen, während die anderen dableiben mussten, quasi als Pfand, damit der eine aus der Familie auch wieder zurückkommt? Warum gab es die Mauer, die faktisch unüberwindlich war und die einen vom Westen vollkommen abtrennte? Gerade als junger Mensch hatte man keine Chance, einmal hinzufahren.
Vor wenigen Monaten veröffentlichte der Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin eine Studie über das DDR-Bild von heutigen Schülern, auch von Brandenburger Schülern. An vielen Schulen wurden Befragungen durchgeführt.
Die Ergebnisse sind erschütternd. Die Mehrheit der Ostdeutschen lobt die „soziale Seite“ der DDR, 25 % sind der Ansicht, dass die DDR keine Diktatur war, 26 % geben sich neutral. Das heißt, mehr als die Hälfte weiß es nicht oder sagt sogar explizit, nein, sie sei keine Diktatur gewesen.
41 % sehen Recht und Ordnung in der DDR besser verwirklicht als heute. 42 % sind der Ansicht, dass die Umwelt in der DDR sauberer war als heute.
20 % vermuten bei der Umwelt gleiche Verhältnisse, 18 % geben keine Einschätzung ab. Wenn Sie das addieren, kommen Sie zu dem Ergebnis, dass 80 % der Schüler sagen: Wir wissen es nicht, oder die Umwelt war besser bzw. sauberer.
Ich empfinde diese Ergebnisse als katastrophal und bin der Überzeugung, dass wir hier schwere Fehler machen, wenn wir nicht entschlossen gegensteuern. Wir versündigen uns an uns selbst, wenn wir dieses Bild nicht korrigieren. Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn sich das politische Koordinatensystem verschiebt, wenn wir eine solche unerträgliche Legendenbildung zulassen, meine Damen und Herren.
Mir ist klar, dass dieses Bild zum Großteil in den Familien entsteht. Aber wir als Abgeordnete des brandenburgischen Landtages tragen Verantwortung dafür, was in unseren Schulen gelehrt wird. Ich denke, wir sollten dieser Verantwortung gerecht werden und hier für Bewegung sorgen.
Unsere Fraktion hat den Vorschlag unterbreitet, den 18. März 1990 - den Tag der ersten freien Volkskammerwahlen in der DDR - zum Gedenktag der parlamentarischen Demokratie zu erklären. Wir hoffen, dass sich unser Koalitionspartner diesem Anliegen nicht verschließt. Ich bin der Überzeugung, die SPD als staatstragende Volkspartei wird sich diesem Anliegen auch nicht verweigern.
Meine Damen und Herren, wenn man die Leistungen von 18 Jahren deutscher Einheit betrachten möchte, dann muss man noch einmal klipp und klar aufzeigen, was die DDR - jenseits der politischen Dimension - am Ende ihrer Existenz gewesen ist: ein herabgewirtschafteter Staat, und das in nahezu allen Bereichen. Die DDR war wirtschaftlich bankrott, sie war faktisch bankrott.
Ich möchte Ihnen aus einem Buch von Richard Schröder, damals Chef der SPD-Volkskammer-Fraktion, über die deutsche Einheit zitieren. Er schreibt über das Gutachten, das der DDRPlanungschef Schürer, ein SED-Genosse, gemeinsam mit anderen im Oktober 1989 für Egon Krenz gefertigt hat. Dort liest man, dass über die Hälfte der Maschinen und der Infrastruktur verrottet war, weil notwendige Investitionen seit 1970 unterblieben waren. Die Arbeitsproduktivität lag 40 % unter der westdeutschen. Wir wissen inzwischen, dass sie noch wesentlich niedriger war. Der hohe Reparaturbedarf bedingte einen viel zu hohen Anteil manueller Tätigkeiten in der Industrie. Von 1970 bis 1989 stieg die Auslandsverschuldung - in Devisen - von 2 Milliarden auf 49 Milliarden DM. Der jährliche Schuldendienst betrug 150 % der jährlichen Deviseneinnahmen der DDR.
Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis: Allein ein Stoppen der Verschuldung der DDR würde im Jahr 1990 eine Senkung des Lebensstandards um 25 bis 30 % erfordern und die DDR unregierbar machen.
Außerdem liefert das Papier Grundzüge der notwendigen Wirtschaftsreformen wie drastischer Abbau von Verwaltungs- und Bürokräften, bedeutende Einschränkung von Arbeitsplätzen, grundlegende Veränderungen der Subventions- und Preispolitik usw.
„Das Gutachten ist ausschließlich von SED-Genossen erstellt worden, sage ich ausdrücklich in Richtung PDS“,
„so geheim gehalten, dass selbst dem Politbüro nur nummerierte Exemplare für die Dauer der Sitzung zur Verfügung gestellt wurden.“