Protokoll der Sitzung vom 16.10.2008

„so geheim gehalten, dass selbst dem Politbüro nur nummerierte Exemplare für die Dauer der Sitzung zur Verfügung gestellt wurden.“

Ein zweites Gutachten, das nicht einmal dem Politbüro zugänglich gemacht wurde, legt dar, dass die Kreditwürdigkeit der DDR im Westen auf Finanzmanipulation beruhte, also vorgespielt war.

„Hans Modrow war am 1. November 1989 ein Memorandum übergeben worden, in dem es hieß, 1991 werde Zahlungsunfähigkeit der DDR eintreten. Als Lothar de Maizière ein halbes Jahr später sein Amt als Ministerpräsident antrat, lautete die Auskunft der DDR-Fachleute, ohne Wiedervereinigung werde der Staatsbankrott der DDR noch in diesem Jahre eintreten.“

Meine Damen und Herren, den Zusammenbruch hat die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion verhindert. Das wissen wir, und das war gut so. Aber die Kehrseite ist, dass viele unserer Bürger sich über die wahre wirtschaftliche Lage damals nicht im Klaren waren. Die DDR war praktisch bankrott und hatte abgewirtschaftet.

Aber darüber hinaus lag vieles im normalen Leben so im Argen, dass die Leute gesagt haben, wir wollen einfach nur raus. Andere haben gesagt: Hier muss sich prinzipiell etwas ändern, und wir haben jetzt den Mut.

(Zuruf des Abgeordneten Jürgens [DIE LINKE])

Es waren die Mangelwirtschaft und die Engpässe in allen Bereichen, ob bei Wohnungen - wer gebaut hatte, wusste, dass es ein Abenteuer war - oder Ersatzteilen.

Der Bildungsweg war nicht frei. Weniger als 10 % der Schüler konnten damals auf dem ersten Bildungsweg das Abitur machen - weniger als 10 %!

Ein weiterer Punkt: die Militarisierung der Gesellschaft. Ich gehörte zu der ersten Schülergeneration, die Ende 1970 Wehrkundeunterricht hatte. Während der Lehre musste ich, um einen Lehrabschluss zu bekommen, vormilitärische Ausbildung machen. Wissen Sie, mir dreht sich heute der Magen um, wenn ich im Kommunalwahlkampf durch meinen Ort fahre und lese: „Friedensfest der Linken“. Die DDR war so durchmilitarisiert, das war schon schlimm.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU - Zuruf von der Fraktion DIE LINKE)

Die Infrastruktur und das Erscheinungsbild der Städte und Dörfer waren schlimm.

Und die Umweltbelastung! Wer weiß eigentlich heute noch, dass es Erhebungen gibt, wonach damals im Raum Bitterfeld aufgrund der katastrophalen Umweltverschmutzung die Lebenserwartung der Menschen um etwa fünf Jahre unter dem DDR-Durchschnitt lag?

(Unruhe bei der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, wenn gestern die Finanzkrise beklagt wurde, muss ich sagen: Ja, in der Marktwirtschaft gibt es von Zeit zu Zeit Krisen - das ist wie im wirklichen Leben -, die wir bewältigen müssen und die wir bewältigen werden. Die DDR und ihre Planwirtschaft war eine Dauerkrise. Das kann keiner wieder wollen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU - Frau Mächtig [DIE LINKE]: Dann tun Sie doch endlich was!)

Meine Damen und Herren, wenn wir also heute über 18 Jahre deutsche Einheit sprechen, müssen wir uns stets den Ausgangs

punkt vergegenwärtigen. Verglichen mit den damaligen Lebensumständen haben sich die neuen Bundesländer und hat sich auch Brandenburg hervorragend entwickelt. Wer damals, 1990, mit dem Wissen, das hier vorherrschte, durch die alten Bundesländer fuhr, dem fiel dort die schmucke Infrastruktur auf, die Häuser farbig, die Straßen in Ordnung. Wenn man heute von Brandenburg nach Berlin fährt - im Norden, im Süden oder im Westen -, dann kann man das teilweise kaum noch unterscheiden. Es hat sich in 18 Jahren viel verändert und zum Positiven bewegt.

Wir haben inzwischen die Infrastruktur fast angeglichen. Unsere Brandenburger Wirtschaft ist leistungsfähig und technologisch in einigen Bereichen sogar führend. Zum Beispiel wird jedes dritte Solarmodul, das in Deutschland gefertigt wird, hier in Brandenburg produziert. Wir sind führend in der Biotechnologie und mit den hier gefertigten modernen Triebwerkstechnologien ganz vorn dabei. Gerade beim Export verzeichnen wir zweistellige Wachstumsraten. Das gibt den Menschen Arbeit.

Die Senkung der Arbeitslosigkeit ist eine wirkliche Leistung. In den letzten fünf Jahren konnten wir sie um fast ein Drittel auf nur noch gut 12 % senken.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und Beifall des Abgeord- neten Schulze [SPD])

Im Umweltschutz hat sich Entscheidendes verändert, besonders auf dem Gebiet der Abfallwirtschaft.

Die wilden Deponien am Rande der Dörfer sind im Wesentlichen saniert.

Wer bei uns die Qualität der Luft sieht, wer sieht, dass die Seen und Flüsse in der Regel wieder Trinkwasserqualität haben, erkennt, dass sich hier in den letzten 18 Jahren Wesentliches bewegt hat.

Wir haben ein dichtes soziales Netz, in dem Menschen aufgefangen werden, die entweder wegen Krankheit oder aus anderen unverschuldeten Gründen ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können. Das ist gut, und das kann sich sehen lassen.

Auch die Versorgung mit Kinderkrippen und Kindertagesstätten war in den letzten 18 Jahren gleichbleibend gut.

Brandenburg hat attraktive Hochschulen und mit der Viadrina eine Europa-Universität in Stiftungsform.

Das alles ist für uns Alltag, Gewohnheit und Selbstverständlichkeit. Brandenburg ist damit ein ganz normales Bundesland geworden, auf Augenhöhe mit den anderen Bundesländern.

In diesen Wochen erreicht eine Generation, die die deutsche Teilung nicht mehr kennt, die Volljährigkeit, wie Sie, die Schülerinnen und Schüler, die heute im Landtag zu Gast sind. Darüber bin ich froh.

Wenn ich mit meinen Kindern im Auto über die Grenze fahre, sei es nach Berlin oder nach Niedersachsen, kommen mir jedesmal die Erinnerungen und die Emotionen. Wenn ich unserer Ältesten - sie ist neun Jahre alt - erkläre: Hier stand einmal eine Mauer, hier wurde geschossen, die Menschen durften nicht rüber, dann sehe ich die großen Augen. Dann sehe ich, sie versteht es intellektuell, aber emotional versteht sie es nicht. Ich

finde, das ist eine Riesenchance; denn für diese Generation ist Hannover genau so wie Magdeburg, Rostock genau so wie Kiel. Und das ist wichtig.

Für diese Generation ist die deutsche Einheit eine Selbstverständlichkeit.

Ich finde, wir brauchen mehr gemeinsame Identitäten.

Ich finde es bemerkenswert, wie zum Beispiel zur Fußballeuropameisterschaft und Fußballweltmeisterschaft die Identifizierung mit der deutschen Nation ganz selbstverständlich und unbefangen nach außen getragen wurde.

Wir sollten auch zulassen, dass wir stolz sind - auf unser Heimatland Brandenburg und auf unsere Nation. Jeder Mensch möchte auf etwas stolz sein. Wir wissen um die Vergangenheit, aber wir leben heute und leisten heute etwas. Ich finde, dass wir diesen Stolz auf unser Heimatland Deutschland nicht denen ganz rechts außen überlassen dürfen. Jeder Mensch will auf etwas stolz sein. Das sollten wir auch zulassen, und zwar im positiven Sinne.

(Beifall bei CDU und SPD sowie vereinzelt bei der Frak- tion DIE LINKE)

Wir haben noch eine Menge zu tun, das wissen wir. Der Großteil der Gehälter im öffentlichen Dienst ist zwischen Ost und West bereits angeglichen; 2010 ist dieser Prozess abgeschlossen. Wir wollen, dass die Rentensysteme zwischen Ost und West angeglichen werden. Ich finde, das gehört sich 20 Jahre nach der deutschen Einheit so. Daran arbeiten wir.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin froh, dass die Bundeskanzlerin gesagt hat, dass noch diese Große Koalition auf Bundesebene die Weichen in diese Richtung stellen wird. Wir werden die deutsche Einheit so gemeinsam bewältigen und gut zu Ende bringen. Ich bin froh und denke: Wir haben eine gute gemeinsame Zukunft. - Danke schön.

(Beifall bei CDU und SPD)

Mit dem Beitrag der Abgeordneten Kaiser von der Linksfraktion setzen wir die Debatte fort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, es war Ihnen wichtig und es ist uns wichtig -, zu 18 Jahren deutscher Einheit hier im Parlament Bilanz zu ziehen und einen Ausblick zu versuchen. Aus meiner Sicht ist bereits gestern die Ouvertüre dazu gegeben worden.

Sehr geehrter Herr Lunacek, Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die Abgeordneten der Linken übersehen, was seither im Land geleistet worden ist. Wir erkennen geleistete Arbeit, die Verdienste der Brandenburgerinnen und Brandenburger an.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeord- neten Lehmann [SPD])

- Vielen Dank, Frau Lehmann.

Auch wir freuen uns über eine gute Infrastruktur, über neue und alte Unternehmen, die existenzsichernde Arbeitsplätze bieten, über modernisierte Kitas, Seniorenheime, Innenstädte, über eine bessere Umweltsituation und eine leistungsfähige Landwirtschaft. Auch wir als Opposition sind an alledem beteiligt. Wir fühlen uns dafür mitverantwortlich.

Sie wissen sehr wohl: Uns die Verklärung der DDR zu unterstellen ist albern. Nicht erst das Leitbild der Linken für die Zukunft Brandenburgs, das wir - wie Sie wissen - seit gut zwei Jahren offen und öffentlich diskutierten, benennt präzise die Konstruktionsfehler des Realsozialismus, zum Beispiel seinen undemokratischen Charakter. Ich zitiere aus einer Broschüre, die wir nicht geheimhalten, sondern die auf den Gängen des Landtages ausliegt:

„Die Einparteienherrschaft in der DDR schnürte Freiheit und Meinungsstreit ein. Andersdenkende wurden unterdrückt und ausgegrenzt. Die Folgen waren geistige Enge, blockierte Kreativität, wirtschaftliche Ineffizienz, ökologische Rückständigkeit und zunehmende politische Konflikte.“

So steht es in unserer Leitbild-Broschüre.

(Zuruf des Abgeordneten Schulze [SPD])

Egal, wie Sie uns sehen und wie Sie uns bezeichnen, Herr Kollege Schulze - die Fakten belegen: Wir begehen den Tag der Einheit immer noch in einem Land geteilter Realitäten. Die Arbeitslosigkeit ist im Osten weiterhin doppelt so hoch wie im Westen. Mehr als zwei Drittel der ostdeutschen Arbeitslosen sind auf Hartz IV angewiesen. Vom Wohngeld sind doppelt so viele ostdeutsche wie westdeutsche Haushalte abhängig. Der durchschnittliche Stundenlohn für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Osten erreicht nur drei Viertel des Westniveaus. Der Rentenwert Ost - Sie sprachen es an - liegt unter dem Rentenwert West.

Von der Zerschlagung der ostdeutschen Industrieforschung durch die Treuhand hat sich die hiesige Wirtschaft immer noch nicht erholt. Nur jeder zehnte in der Wirtschaft Beschäftigte arbeitet für Forschung und Entwicklung. Die Aufwendungen für die Industrieforschung liegen unter 5 %. Wachstum, Wirtschaftsleistung und Exportkraft der ostdeutschen Wirtschaft liegen deutlich unter dem Stand im Westen.