Protokoll der Sitzung vom 16.10.2008

Wir haben Biografien nicht hinreichend gewürdigt und in das neue Deutschland einbezogen. Das fängt bei meiner Partei an. Wir haben Fehler gemacht. Das geht aber auch in das Gesellschaftliche hinein. Wir haben es 1990/91/92 nicht hinreichend verstanden - vielleicht konnten wir es nicht hinreichend verstehen, das will ich gar nicht bewerten -, dass es sinnvoll gewesen wäre, im Prozess der Vereinigung zwischen dem zu trennen,

was in der DDR gut gemacht, gut ausgedacht, gut umgesetzt wurde an Strukturen, an Ideen, und dem ideologischen Beipack, den man wegnehmen musste, um die vernünftigen Dinge zu erkennen. Wie ist es anders zu erklären, dass wir Polikliniken mit Händen und Klauen verteidigen mussten, kaum konnten, und heute, nach 15 Jahren stehen sie im Gesundheitsreformgesetz? Wie konnte es sonst sein - ich kann mich an Debatten erinnern -, dass ich im Südwesten Deutschlands Kinderkrippen verteidigen musste vor Begrifflichkeiten, die ich hier gar nicht wiedergeben will, und beinahe den Eindruck gewinnen musste, man habe eine strafbare Handlung begangen, wenn man sein Kind früher in die Krippe gebracht hat? Wie stehen wir heute in Gesamtdeutschland in dieser Diskussion? Wie konnte es sonst sein, dass man noch vor vier/fünf Jahren Ganztagsschulen fast als etwas Aussätziges bezeichnet hat, typisch Osten - so ungefähr? Heute sieht man das anders.

Diese Wege hätten wir uns einfacher gestalten können, wenn wir im Zuge der Vereinigung nicht alles nur von einer Seite auf die andere herübergenommen hätten, sondern die andere Seite die Fähigkeit gehabt hätte zu sagen: Gucken wir einmal, vielleicht können wir auch etwas lernen. Vielleicht geben wir den 17 Millionen auf der anderen Seite ein Stück mehr Selbstwertgefühl, wenn wir auch etwas von ihrer Lebensleistung lernen, von dem, was sie in den Jahren als Ärzte, als Ingenieure, als Arbeiter, als was auch immer in der DDR geleistet haben.

(Beifall bei SPD und bei der Fraktion DIE LINKE)

Ich glaube, das müssen wir nüchtern sehen, denn es spielt eine Rolle, wenn wir heute zu solchen Befunden kommen.

Ich warne auch so manchen westdeutschen Kollegen vor dieser und jener Hochnäsigkeit, wenn gesagt wird: Ihr im Osten kommt mit der Demokratie nicht klar. - Ich bitte dann immer darum, wenigstens Folgendes zu berücksichtigen: Wer 45 Jahre Demokratieerfahrungen gesammelt hat, in denen es immer und immer aufwärts ging, in denen es immer und immer besser wurde, der hat ein anderes Fundament, auf dem er stehen kann, wenn er sagt, er sei Demokrat, als eine Gesellschaft, die 18 Jahre schwierige Umbrüche erlebt hat, manches erlebt hat, was sie vorher nicht kannte, und wo auch nicht jeder mitgenommen werden konnte. Da gibt es ein anderes Demokratieverständnis.

Unsere Aufgabe muss es sein - das ist, ich habe es neulich schon hier im Landtag gesagt, eine schwierige Aufgabe, und sie wird in den nächsten Jahren eher schwieriger -, mit aller Kraft und mit guten Ideen schon in den Schulen ganz klar dafür zu werben, dass es zum demokratischen Miteinander von Menschen auf dieser Welt keine Alternative gibt.

(Beifall bei SPD und CDU)

Es gab sie nicht, und es gibt sie nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich sage an der Stelle auch und weiß, dass man sich damit bei der Stimmungslage nicht beliebt macht: Ich habe im Kommunalwahlkampf an vielen Stellen den Satz gehört: Ich bin stolz, in keiner Partei zu sein. - Meine Damen und Herren - das sage ich jetzt nicht für meine Partei, sondern für demokratische Par

teien in diesem Land -, ich finde diesen Satz mit jedem Jahr falscher.

(Beifall bei SPD, CDU und bei der Fraktion DIE LINKE)

Unser Grundgesetz, unsere parlamentarische Demokratie, fußt darauf, dass Parteien die Meinungen bündeln, dass Parteien die Konzepte erstellen und in diese parlamentarische Demokratie in Kreistage, in Landtage, in den Bundestag einspeisen. Wer bitte sollte diese Funktion, wenn wir eine parlamentarische Demokratie haben wollen, denn wahrnehmen? Lockere Bündnisse? Ich habe Respekt vor jeder Initiative, vor jedem Bündnis für oder gegen etwas, aber hier geht es um politische Gestaltungsansprüche mit generalistischem Anspruch für alle Lebensbereiche. Mir muss erst einmal einer sagen, welche Idee besser ist, als das innerhalb eines Parteiensystems zu machen.

Wir sollten nicht hinnehmen, dass Parteien generell denunziert werden. Es ist schwierig, dieses Leben friedlich und demokratisch zu organisieren. Günter Mittag hat übrigens etwas weitergehend als Günter Baaske gesagt: Noch ein Jahr DDR ohne Wiedervereinigung und wir hätten Mord und Totschlag gehabt. - Das war nämlich sein Zitat, nachzulesen bei Hosfeld. Wenn wir all das nicht haben wollen, dann sollten wir uns davor hüten, Parteien schlechtreden zu lassen - bei allen Schwächen, die sie haben. In ihr sind keine besseren oder schlechteren Menschen als sonst in der Gesellschaft auch.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und CDU)

Meine Damen und Herren, mir macht Mut, deutlich Mut, dass wir in unserem Land Indikatoren haben, die darauf hindeuten, dass sich unsere Gesellschaft formiert. Bei allem, was wir gestern und heute besprochen haben: Das Ehrenamt nimmt zu. Auch da haben wir nach 1990 eine Delle gehabt. Das ist alles nachvollziehbar.

Ich freue mich, dass immer mehr Menschen das erkennen, was uns Regine Hildebrandt als Vermächtnis hinterlassen hat: Kinder, vergesst nicht, der eigentliche Sinn des Lebens liegt im Miteinander. - Das greift in unserem Land wieder mehr Raum, und das ist gut so. Unsere wirtschaftliche Aufstellung ist - anders als vor zehn Jahren - durch mehr Vielfalt geprägt, sodass wir Hoffnung haben können, auch die kommende Rezession besser zu überstehen, weil wir nicht mehr nur verlängerte Werkbank sind, die gleich zusammenbricht, wenn es irgendwo eine Krise gibt, sondern weil wir ein vielfältigeres Gefüge haben, das aus sich heraus zu leben beginnt.

Ich glaube - es klang vorhin bereits an -, dass es auch Mut machen kann, dass es inzwischen eine ausgeprägte Brandenburger Identität gibt. Mancher Berliner sagt: Dieses Ziel ist euch zu gut gelungen. - Aber die größte märkische Stadt gehört ja im weitesten Sinn auch dazu. Ich bin froh über diese Identität, weil Menschen auch Hüsung und Heimat brauchen. Sie müssen auch in schwierigen Zeiten wissen, wohin sie gehören, wo sie gut aufgehoben sind und wo sie wissen: Gemeinsam kriegen wir das hin. - Ich freue mich auf die nächsten 18 Jahre und denke, es werden gute 18 Jahre. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU sowie bei der Fraktion DIE LINKE)

Für die Linksfraktion erhält die Abgeordnete Kaiser das Wort.

(Zuruf von der SPD: Wir wollen Heinz!)

- Hier gibt es einen Antrag aus der SPD-Fraktion. Sie möchte, dass Heinz Vietze spricht.

(Heiterkeit)

Das ist unzulässig.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident! Herr Baaske, die Linke in diesem Landtag - das wissen Sie - steht nicht für Zurück, sondern für den demokratischen Weg. Der klare Strich, Herr Ministerpräsident, ist gezogen worden - auch das kennen Sie -; symbolisch steht er für das Referat von Michael Schumann auf dem Sonderparteitag 1989: Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System.

Für viele Menschen, auch für mich selbst, wie Sie wissen, war die Debatte der letzten 19 Jahre damit verbunden, eigene Fehler zu erkennen und auch zu korrigieren. Durch Einsicht in Fehler, durch Erfahrungen habe ich persönlich in meinem Leben gelernt - und dabei bleibe ich auch -: Die Grundrechte, Freiheitsrechte und sozialen Rechte sind nicht teilbar. Was die Linke und ich erreichen wollen ist soziale Gerechtigkeit, demokratische Teilhabe, ein Leben in Freiheit und Würde für alle. Das vereinbart sich nicht mit staatlicher Gängelung und ideologischer Bevormundung. Kein Zweck heiligt die Mittel. Niemals!

(Vereinzelt Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Dann sind wir bei der Frage: Was kann man politisch tun, was muss man politisch tun, wie kommt man auf diesen Weg, Herr Baaske, damit alle Menschen gut, ohne Angst und allgegenwärtige Kontrolle in diesem Land leben und arbeiten können? Lassen Sie uns nach diesem Weg suchen. Lassen Sie ihn uns gestalten. Aber dann - wir haben es erlebt - erfordern Wege manchmal eine Umkehr, und der Weg in Brandenburg, von dem mehr als zwei Drittel sagen: Das Land ist auf einem guten Weg -, erfordert vielleicht eine Korrektur, was die soziale Ausrichtung der Politik betrifft, denn: Auch 80 % der Leute sagen nach der gleichen Umfrage, Herr Ministerpräsident, dass der Aufschwung der letzten Jahre bei ihnen nicht angekommen ist. Dann bleiben wir dabei, beim Recht der Bürgerinnen und Bürger, zwischen Alternativen zu wählen, und das bedeutet auch, eine soziale Alternative zur Debatte zu stellen. Wir bleiben bei den Themen, die Umverteilung zu stoppen, die Verdopplung der Armut, gerade der Kinderarmut - gestern war hier davon die Rede, Sie haben es selbst beklagt -, seit Beginn dieses Jahrtausends zu stoppen und umzukehren, sie vermeiden.

Das heißt auch, das Thema Mindestlohn wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Wir konnten in diesen Tagen hören, dass

durch einen gesetzlichen Mindestlohn 1 bis 1,5 Milliarden Euro eingespart...

(Zuruf des Abgeordneten Lunacek [CDU])

Herr Lunacek, hören Sie einmal zu. Lassen Sie uns bitte sofort die Regelsätze, Kinderregelsatz, erhöhen. Das ist seit einem Jahr einstimmiger Auftrag der Sozialminister der Länder. Lassen Sie uns die Regelsätze erhöhen!

Die „Frankfurter Rundschau“ sagt, dass mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von etwa 1 bis 1,5 Milliarden Euro eingespart werden könnten. Hintergrund ist laut Bericht der stark gewachsene Niedriglohnsektor mit weit über 1 Million Menschen, die trotz einer Berufstätigkeit auf Hartz IV angewiesen sind. An dieser Stelle sagen wir: Alternativen sind machbar, wir brauchen eine sozialere Korrektur, und es wäre gut, wenn sich mehr Menschen für eine solche Politik, einen Weg, den sie mitgestalten, auch wieder engagieren.

(Vereinzelt Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Dafür gab es gute Beispiele wie die Volksinitiative.

(Zuruf von der SPD: Wir haben sie viel besser gemacht!)

Herr Baaske, es mag sein, dass manche Hartz-IV-Empfänger ein Auto haben, aber das Thema Bahnfahrkarte hatten wir auch in diesem Landtag. Sie waren gegen die Volksinitiative. Sie waren sehr knauserig und haben dann einen kleinen Schritt in Richtung Mobilitätsticket gemacht. Wir sagen Ihnen: Wir bleiben dabei, auch hier muss sozial nachgesteuert werden.

Ich möchte noch einmal sagen: Bürgerliche Freiheitsrechte und soziale Menschenrechte, freier Markt und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, unternehmerische Freiheit und institutionalisierte soziale Gerechtigkeit müssen in ihrer praktischen Verwirklichung miteinander Schritt halten. Dieses Maß zu finden ist, glaube ich, unsere gemeinsame Aufgabe, wenn wir und da ist die Linke in diesem Hause dabei - in diesem Land Zukunft gestalten wollen. Wir haben gelernt: Wenn Not am Mann ist, finden sich auch die Mittel für Rettungspakete. Für Knauserei bei sozialen Maßnahmen wie kostenlosem Schulessen bis hin zur Finanzausstattung der Kommunen gibt es jetzt keine plausible Begründung mehr. Es geht also um das gleiche Schrittmaß von Freiheit und sozialen Menschenrechten. Es geht um mehr soziale Gerechtigkeit in diesem Deutschland nach 18 Jahren Einheit, und es geht damit auch, denke ich, um die Akzeptanz des Weges, der vor 19 Jahren mit den demokratischen Umwälzungen in der DDR eingeleitet wurde. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, da die Landesregierung darauf verzichtet, ihre Redezeit weiter zu überziehen, als bereits geschehen, eröffnen wir keine zweite Gesprächsrunde. Ich beende die Aussprache zum heutigen Thema.

Wir verlassen Tagesordnungspunkt 1, und ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Fragestunde

Drucksache 4/6826 Drucksache 4/6780

Wir beginnen mit der Dringlichen Anfrage 59 (Existenzsiche- rung für Rabbinerausbildung an der Universität Potsdam) in der Drucksache 4/6826. Frau Kaiser, bitte.

Nach den uns vorliegenden Informationen ist aufgrund der enormen Spendeneinbrüche in den USA und in Europa infolge der weltweiten Finanzkrise die international anerkannte Rabbinerausbildung in Deutschland gefährdet. Das Abraham Geiger Kolleg in Potsdam macht auf diesen Sachverhalt aufmerksam und bittet sowohl über die Kultusministerkonferenz als auch das Land Brandenburg um eine stärkere finanzielle Unterstützung. Die Gewährleistung dieser Rabbinerausbildung - das wissen wir alle - in Deutschland gilt weltweit als Vertrauensbeweis jüdischen Lebens.

Ich frage die Landesregierung: Welche Möglichkeiten sieht sie, die Rabbinerausbildung durch das Abraham Geiger Kolleg in der Universität Potsdam finanziell zu unterstützen und damit zu sichern?

Das wird uns Frau Ministerin Wanka sagen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kaiser, das Abraham Geiger Kolleg wurde 1999 in Potsdam gegründet und zunächst von einem Verein getragen. Das Ziel dieses Kollegs ist die Ausbildung von Rabbinern. Anfangs bestand die Intention, dies privat zu finanzieren, und so wurde auch begonnen. Als das Kolleg größer wurde - zurzeit befinden sich dort 18 Studierende in der Rabbinerausbildung und vier Studierende in der Kantorenausbildung, die neu ist -, zeigte sich, dass private Mittel nicht in ausreichendem Maße akquiriert werden konnten. Aber es konnten für das Kolleg Gelder beim Bund gewonnen werden.

Im Jahre 2006 hatte der Rektor des Abraham Geiger Kollegs, Herr Homolka, die Idee, das Kolleg über die Kultusministerkonferenz, also durch alle Bundesländer, institutionell fördern zu lassen, und er formulierte ein entsprechendes Anliegen. Dabei sind allerdings zwei große Hürden zu überwinden. Die erste Hürde kann wie folgt beschrieben werden: Auf Anregung der Finanzminister hat die Ministerpräsidentenkonferenz den Beschluss gefasst, dass die Kultusministerkonferenz keine weiteren institutionellen Förderungen, also Gemeinschaftsförderungen, aufnehmen soll. Seit vielen Jahren besteht diese Möglichkeit also nicht mehr. Im Übrigen gibt es im Osten Deutschlands überhaupt keine gemeinschaftsfinanzierte Einrichtung. Das ist die erste Hürde. Ich denke aber, dass im Falle des Abraham Geiger Kollegs aufgrund der politischen Dimension eine