Protokoll der Sitzung vom 20.11.2008

Meine Damen und Herren! Es ist Punkt 10 Uhr. Ich eröffne die heutige Sitzung. Ich begrüße als unsere Gäste Schülerinnen und Schüler der Otto-Tschirch-Oberschule aus der Mutter der Mark, aus dem schönen Brandenburg. Herzlich willkommen bei uns!

(Allgemeiner Beifall)

Ich habe Ihnen vor Eintritt in die Tagesordnung Folgendes mitzuteilen. Tagesordnungspunkt 10, Wahl der Vorsitzenden und der Mitglieder des Medienrates, wird auf die Landtagssitzung im Dezember verschoben. Hier gibt es offensichtlich noch Abstimmungsbedarf.

Gibt es zur vorliegenden Tagesordnung Bemerkungen? - Das ist nicht der Fall. Ich lasse über die Tagesordnung abstimmen. Wer nach ihr verfahren will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Beides ist nicht der Fall.

Wir müssen heute leider wieder auf Herrn Minister Schönbohm und Frau Ministerin Ziegler verzichten. Beide werden aber würdig vertreten.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Die Auswirkungen der sich abzeichnenden Weltwirtschaftskrise auf die Brandenburger Wirtschaft

Antrag der Fraktion der DVU

Wir beginnen mit dem Redebeitrag der Abgeordneten Hesselbarth für die DVU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist ein großer Tag für die DVU-Fraktion hier in diesem Haus.

(Beifall bei der DVU - Lachen bei SPD und CDU)

Die DVU-Fraktion hat diese Aktuelle Stunde beantragt, weil die Weltwirtschaftskrise uns alle betrifft. Wir freuen uns wirklich ehrlichen Herzens, Herr Wirtschaftsminister, dass wir seit gestern in den Medien nachlesen können, dass Sie darauf reagiert haben und endlich für die kleinen und mittelständischen Brandenburger Unternehmen ein Hilfspaket auflegen wollen. Sie haben aber nicht gesagt, wie dieses Konzept im Einzelnen aussehen soll. Deswegen haben Sie hier heute die große Chance, weil wir Ihnen diese Plattform bieten, dieses Konzept ganz aktuell vorzustellen.

(Oh, oh! bei SPD und CDU)

Da ich denke, dass Sie diese Chance wohl nicht nutzen werden, haben Sie eine zweite Chance, nämlich heute Nachmittag unse

rem Antrag - Auflegung eines „Rettungspaketes“ für die Brandenburger Wirtschaft - zuzustimmen. Wir denken, das ist ein gangbarer Weg für Ihr Hilfsprogramm.

(Beifall bei der DVU)

Von der Finanzmarkt- zur Wirtschaftskrise: Am Anfang waren sich alle einig. Die Finanzmarktkrise bleibt vor allem eine Finanzmarktkrise und wird kaum Folgen für die reale Wirtschaft haben. Die Realität jedoch sieht ganz anders aus. Mit voller Wucht hat die Finanzmarktkrise auf alle Bereiche der Realwirtschaft durchgeschlagen. Alle Industrieländer sind davon betroffen. Die Auswirkungen lassen sich auch von Wirtschaftsexperten schlecht vorhersagen. Aber in einer Einschätzung sind sich alle Experten einig: Je länger die Krise andauert, umso größer werden die Auswirkungen auf Konjunktur, Beschäftigung und auf den Staatshaushalt.

Wir merken das am deutlichsten an der deutschen Automobilindustrie. Finanzkrise und Kaufzurückhaltung haben dazu geführt, dass der Markt zutiefst erschüttert wurde und so stabile Unternehmen wie Mercedes-Benz, BMW und vor allem Opel zu Kurzarbeit und vorgezogenem Urlaub übergehen mussten.

Aber nicht nur die Automobilindustrie und andere Wirtschaftszweige, die als Konjunkturindikatoren anzusehen sind, haben massive Auftragsrückgänge zu verzeichnen. Auch im Bereich der mittelständischen Wirtschaft findet ein teils massiver Auftragseinbruch statt. Besonders betroffen davon sind natürlich die im Export tätigen Firmen.

Die Frage, ob wir hier in eine Rezession gelangen könnten, ist geklärt: Wir sind in einer Rezession und werden mit deren Folgen voraussichtlich bis 2010 zu kämpfen haben. Die Binnennachfrage ist stark zurückgegangen, unter anderem weil die Bürger dieses Landes das Vertrauen in die Politik verloren haben und die Preisanstiege nicht durch bessere Entlohnung von Arbeit kompensiert werden konnten. Den Rest besorgten die Gesetze des freien Marktes: Wenn weniger konsumiert wird, investieren die Firmen weniger, weil sie weniger verkaufen können, was die Konjunktur abbremst und im schlimmsten Fall dazu führt, dass Arbeitskräfte massenhaft freigesetzt werden.

Das sehen wir nicht nur bei den großen Automobilkonzernen, die ihre Produktion auf Kurzarbeit einstellen oder teils völlig aussetzen, sondern hier in Brandenburg in der Stahl- und Holzbranche. Während Brandenburgs größtem Stahlwerk in Eisenhüttenstadt eine zeitweilige Schließung droht, ist für Hennigsdorf Kurzarbeit angedacht. Bei den Hennigsdorfer Elektrostahlwerken sind aktuell alle 730 Mitarbeiter auf Kurzarbeit gesetzt.

Der Motorradproduzent BMW in Berlin-Spandau macht bereits Fertigungsurlaub. Beim Daimler-Motorenhersteller in Berlin-Marienfelde wird die Belegschaft eine Woche früher in den Weihnachtsurlaub geschickt. Viele der dortigen Mitarbeiter kommen aus Brandenburg.

BASF will weltweit 20 000 Stellen streichen. Das betrifft natürlich auch Schwarzheide. Selbst die Firmen, die investieren wollen, sehen sich Problemen gegenüber, weil ihnen die Banken nicht mehr die nötigen Kredite bereitstellen - entweder, weil sie die finanziellen Mittel selbst nicht mehr haben, oder aus Angst hinsichtlich deren Rückzahlung. Auf dem Arbeits

markt sagt das renommierte Kieler Institut für Weltwirtschaft für das Jahr 2009 einen erneuten Anstieg der Arbeitslosenzahlen um 200 000 voraus.

Der Export - der letzte Faden, an dem die deutsche Wirtschaft noch hängt, nachdem der Inlandskonsum bereits vorher in die Miesen abrutschte - bricht derzeit im zweistelligen Zahlenbereich weiter ein.

Während Sie, Herr Minister Junghanns, noch vor einem halben Jahr die steigende Exportquote der Brandenburger Wirtschaft in den höchsten Tönen priesen, mussten Sie während der letzten Wirtschaftsausschusssitzung kleinlaut zugeben, wie gut es sei, dass die Exportquote der Brandenburger Wirtschaft doch noch so gering sei.

(Minister Junghanns: Völliger Quatsch!)

- Das haben Sie so gesagt.

(Minister Junghanns: Ach, völliger Quatsch!)

- Aber Sie sitzen jetzt auch links.

(Beifall bei der DVU)

Jetzt wird sich zeigen, meine Damen und Herren, ob das neue Leitbild und Ihre Art der neuen Förderpolitik, nur noch die sogenannten Wachstumskerne zu fördern, diese Krise überstehen werden. Beim derzeitigen Krisenverlauf wird es diese Zentren treffen, bei denen massive Schäden - anders, als es bei einer dezentralen Anordnung der Wirtschaftsstrukturen überhaupt möglich wäre - angerichtet werden.

Die gegenwärtige Situation auf unserem Binnenmarkt ist ebenfalls ein hausgemachtes Problem. Zum einem ist es das fehlende Vertrauen der Menschen in die Politik, zum anderen ist es die Einkommensstruktur in diesem Land, die sich derzeit am Markt so drastisch auswirkt. Dazu kommt die härteste Steuererhöhung für den Bürger: die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte bei gleichzeitigen Steuererleichterungen für Großkonzerne.

Millionen von Menschen in Deutschland und vor allem in Brandenburg wurden in prekäre Arbeitsverhältnisse gezwungen, die so gering entlohnt werden, dass es kaum zum Leben reicht. Konsum ist für viele Brandenburger schon fast ein Fremdwort geworden. Viele Bürger müssen das Bedürfnis nach Konsum und Kultur durch das Bedürfnis zum Überleben ersetzen, weil der Verdienst einfach nicht mehr ausreicht. Hartz IV ist das Schicksal von mehr als 6 Millionen Menschen in Deutschland. In Brandenburg sind davon mehr als 200 000 Menschen betroffen.

Speziell die Familien mit Kindern und alleinerziehende Mütter werden regelrecht per Gesetz in die Armut getrieben. Wenn man sich den Andrang bei den vielen Tafeln in Brandenburg ansieht, weiß man, wie ernst die Lage ist. Diese Lage haben die Regierungen in Brandenburg seit 1990 selbst verschuldet. Brandenburg ist auch heute wesentlich schlechter aufgestellt und für diese Krise gerüstet als andere Bundesländer.

Ich kann an dieser Stelle nur meiner Hoffnung darüber Ausdruck verleihen, dass unsere Freude über das aufgelegte Hilfs

paket des Wirtschaftsministers nicht getrübt wird, weil noch viele Fragen zu klären sind, unter anderem woher die 400 Millionen Euro tatsächlich kommen sollen oder ob es dann vielleicht sogar noch mehr werden müssten.

Geklärt ist weiterhin nicht, dass der Koalitionspartner SPD - mit dem Ministerpräsidenten an der Spitze - ein Hemmschuh ist. Ich bin gespannt, wie das Hilfspaket - falls es das Kabinett passiert - ausgeführt wird und ob es tatsächlich so abgestimmt wird, wie es sich derzeit anfühlt.

Zum Abschluss ist noch Folgendes - das ist, denke ich, das Wichtigste - zu sagen: Wenn wir in unserem Land keine funktionierende Wirtschaft haben, dann können wir auch keine Geschenke machen.

(Bischoff [SPD]: Fröhliche Weihnachten! - Beifall bei der DVU)

Für die Koalitionsfraktionen spricht der Abgeordnete Karney.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach drei guten Jahren des konjunkturellen Aufschwungs, voller Auftragsbücher und sinkender Arbeitslosigkeit steht die deutsche Wirtschaft nun vor einer schweren Belastungs- und Bewährungsprobe.

In einem Punkt sind sich alle führenden Wirtschaftsinstitute einig: Die Finanzmarktkrise greift auf die reale Wirtschaft über. Die Effekte treten bereits in diesem Jahr auf und werden sich im Jahr 2009 noch verstärken. Alle Institute senken daher bereits ihre Prognosen sowohl für das laufende als auch für die kommende Jahr. Für das Jahr 2009 liegt die Wachstumsvorhersage nur noch zwischen 0 und 1 %. Auch in der Brandenburger Industrie sind bereits die ersten Auswirkungen der internationalen Finanzmarktkrise sichtbar. Vor allem der deutliche Rückgang der Auslandsaufträge ist dafür verantwortlich, was für ein exportierendes Land wie Brandenburg nicht ohne Folgen bleiben kann.

Meine Damen und Herren, auf diese schwierige Situation hat die Politik nur sehr begrenzte Einflussmöglichkeiten. Zudem sollten wir uns vor der Vorstellung hüten, der Staat könne die Wirtschaft wie eine Maschine steuern, eine künstliche Nachfrage stimulieren oder angeschlagene Unternehmen retten. Ganz im Gegenteil. Vor allem Brandenburg und dessen Landeshaushalt stehen in den nächsten Jahren vor sehr schwierigen finanziellen Herausforderungen, wenn die Solidarpaktmittel abschmelzen und sinkende Steuereinnahmen die Einnahmenseite des Landes zusätzlich belasten.

Der Rettungsschirm für den Finanzsektor war die einzig richtige Reaktion und hat seine Wirkung auch schon gezeigt. Die Finanzmärkte haben sich etwas beruhigt, und die großen Ängste der Menschen um ihre Ersparnisse wurden abgemildert. Auch das Konjunkturpaket der Bundesregierung kam zum richtigen Zeitpunkt und setzt sinnvoll wirtschaftspolitische Akzente. Nun gilt es, in Brandenburg die Inhalte dieses Konjunkturpaketes zügig umzusetzen.

Wie sich jedoch die wirtschaftliche Lage in den kommenden

Monaten konkret entwickeln wird, ist trotz all dieser Maßnahmen und aller Prognosen sehr unsicher. Noch sind vielerorts die Auftragsbücher gefüllt, aber die Auftragslage im kommenden Jahr wird nicht mehr so gut sein wie im Jahr 2008. Wie stark der Rückgang genau sein wird, kann heute allerdings noch niemand sagen.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, DIW, sagt für das Jahr 2009 noch ein Wachstum in Höhe von 1 % voraus, während andere von einer Rezession sprechen. Das Thema der Aktuellen Stunde ist daher heute nicht nur verfrüht, sondern absolut unpassend; denn über die weiteren Auswirkungen für Brandenburg kann derzeit nur spekuliert werden.

(Lachen bei der DVU)

Meine Damen und Herren von der DVU-Fraktion, wir sollten in diesen Zeiten wilde Spekulationen vermeiden. Dies verunsichert die Menschen und weckt falsche Erwartungen. Wirtschaft ist zu 50 % Psychologie. Durch falsche Kommunikation oder Panikmache - so, wie sie die DVU-Fraktion hier betreibt - kann ein Problem rasch zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden.