und zweitens bei den amerikanischen Freunden dafür, dass deren Armee nicht ständig grundlos unschuldige Völker und deren Staaten angreift. Ansonsten setzen Sie sich dem Vorwurf der Heuchelei aus. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schuldt, mit dem Versuch, Verbrechen zu relativieren, sie in andere Kontexte zu stellen und mit Begrifflichkeiten wie „so genannte Intellektuelle“, genau damit, wurde damals das geistige Umfeld für die Entwicklung dieser Jahre bereitet.
Vor fast genau 60 Jahren, am 27. Januar, erreichten Truppen der Roten Armee auf ihrem Vormarsch nach Westen das deutsche Vernichtungslager Auschwitz westlich von Krakau. Jahrelang waren dort Menschen systematisch gefoltert und - eben
einzigartig in der Geschichte der Menschheit - mit fabrikmäßiger Präzision ermordet worden. Die meisten von ihnen waren Juden, doch auch Polen, Sinti und Roma, geistig Behinderte und Homosexuelle, sowjetische Kriegsgefangene und Häftlinge vieler anderer Nationalitäten waren in diese deutsche Mordmaschine geraten und sie alle wurden Opfer des nationalsozialistischen Rassen- und Vernichtungswahns.
Als die sowjetischen Soldaten an jenem 27. Januar das Konzentrationslager Auschwitz erreichten, fanden sie den Ort des Grauens jedoch bereits weitgehend stillgelegt und verlassen vor. Zehn Tage zuvor war das Lager überhastet evakuiert worden, die SS-Wachmannschaften hatten sich aus dem Staub gemacht und nur etwa 7 000 entkräftete und geschwächte Gefangene wurden zurückgelassen. Die übrigen - viele Zehntausende noch lebende Lagerinsassen - waren kurz vorher noch auf Gewaltmärsche, auf Todesmärsche geschickt worden. Was sich allein auf diesen Märschen abgespielt haben muss, entzieht sich jeglicher Vorstellungskraft.
Seit 1996 begehen wir deshalb in der Bundesrepublik den 27. Januar als Tag des Gedenkens an alle Opfer des Nationalsozialismus. Es war der damalige Bundespräsident Roman Herzog, von dem die Anregung hierzu ausging. Es sei wichtig, so erklärte Herzog in seiner Proklamation des Gedenktages, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll, so Herzog weiter, Trauer ausdrücken, Trauer über Leid und Verlust, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und vor allen Dingen jeder Gefahr einer Wiederholung entgegenwirken.
In der Tat, so symbolhaft wie kein anderer Ort steht für den wahnhaften nationalsozialistischen Terror und den Vernichtungswillen das Konzentrationslager Auschwitz. Dennoch sollte nicht verschwiegen werden, dass seit der Begründung dieser Gedenktradition des 27. Januar auch Bedenken gegen die Auswahl dieses Tages laut formuliert wurden, unter anderem auch von jüdischen Publizisten.
Warum, so ist kritisch angefragt worden, wurde ausgerechnet der 27. Januar ausgewählt? Warum nicht der 10. November 1938, als viele Deutsche daneben gestanden und zugeschaut haben, als die Entwicklung ganz deutlich wurde in ihrer Richtung, in ihrer Ausrichtung, warum nicht der 1. September 1939, der Beginn des Zweiten Weltkrieges, warum nicht der 20. Januar 1942, der Tag der Wannseekonferenz, als die systematische Vernichtung des jüdischen Volkes beschlossen wurde, oder der 8. Mai 1945, der Tag der Befreiung nicht nur eines Konzentrationslagers, sondern der Tag der Befreiung Europas insgesamt? Ja, warum keiner von diesen anderen Tagen?
Ich glaube, wir sollten die Frage ernst nehmen, ob der Gedenktag 27. Januar nicht der Gefahr unterliegt, ein allzu fernes Datum zu sein, ein Datum in einem anderen Land. Allein, meine Damen und Herren, jene im Lager zurückgelassenen 7 000 gedemütigten Menschen waren es also, die diesen Tag ganz persönlich als den Tag der Befreiung wahrnehmen konnten. Besteht nicht die Gefahr, dass wir uns, wenn wir diesen Tag als Gedenktag begehen, zumindest indirekt auf die Seite der Siegermächte, vielleicht sogar auf die Seite der Opfer stellen?
Ich meine, die in diesen Fragen enthaltene Kritik, die genau so geäußert wurde, wäre berechtigt, wenn wir es tatsächlich darauf abgesehen hätten, mit dem Gedenken des 27. Januar von
deutscher Täterschaft ablenken zu wollen, von deutscher Verantwortung für das Grauen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Genau das ist aber nicht der Fall. Wir gedenken an diesem Tag der Millionen von Menschen, die durch das nationalsozialistische Regime entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet wurden.
Aber gerade, meine Damen und Herren, weil diese Erinnerung, wie Roman Herzog zu Recht gefordert hat, nicht enden darf, weil sie auch künftige Generationen zur Wachsamkeit immer wieder - das ist eine tägliche Aufgabe - neu mahnen muss, genau deshalb werden wir auch über den 27. Januar hinaus nach neuen Wegen und Gelegenheiten suchen und suchen müssen, um hier bei uns die Erinnerung wach zu halten. Dabei beschäftigen uns mit zunehmendem Abstand zu den Ereignissen der Jahre 1933 bis 1945 immer weniger die Fragen der persönlichen und individuellen Schuld.
Bei Christa Wolf heißt es: Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist noch nicht einmal vergangen. - Das bleibt auch heute noch richtig. Doch von Jahr zu Jahr mehr müssen wir später Geborenen zugleich damit zurechtkommen, dass immer weniger Zeitzeugen noch am Leben sind, die durch ihr eigenes Mitleiden, durch ihre eigene Zeitzeugenschaft und ihr authentisches Erinnern an den nationalsozialistischen Terror und den Holocaust als lebendige Mahnung dafür wirken können, dass sich solche Verbrechen niemals mehr wiederholen.
Die große Philosophin Hannah Arendt, selber aus Deutschland geflüchtet, zunächst nach Frankreich und dann in die Vereinigten Staaten, hat das vergangene Jahrhundert, das 20., als das grausamste Jahrhundert der überlieferten Geschichte der Menschheit beschrieben. Ich meine, das ist keine Übertreibung und verbietet jegliche Relativierung.
Aber gerade weil das vollständige Grauen jener Zeit unser heutiges Vorstellungsvermögen bei weitem übersteigt, ja übersteigen muss, müssen wir umso intensiver dafür arbeiten, dass das Geschehene niemals in Vergessenheit gerät. Intensiver deshalb, weil - das spüren wir - mit dem zunehmenden zeitlichen Abstand zu den Ereignissen die reale Gefahr wächst - Steffen Reiche ist vorhin darauf eingegangen -, dass Jüngere das tatsächlich Geschehene nur noch für unmöglich, ja unglaublich, vielleicht auch für unwahrscheinlich halten.
Gewiss, manche tun dies nur deshalb, weil sie es nicht besser wissen; andere, weil sie es nicht besser wissen wollen. Wir alle wissen: Auch bei uns in Brandenburg sind noch heute - und heute wieder! - Menschen unterwegs, denen es darum geht, die schreckliche historische Wahrheit zu verdrehen und auf den Kopf zu stellen. Für sie war es nicht Adolf Hitler, der den Zweiten Weltkrieg vom Zaun gebrochen hat. Für sie sind die beispiellosen Verbrechen des Naziregimes eigentlich nicht der Rede wert. Für sie waren die Täter Helden; für deren Opfer haben sie nichts als Verachtung übrig.
Wie begegnen wir dieser Gefahr? Wir haben allen Grund, uns in diesem Jahr der wirklich apokalyptischen Ereignisse, insbesondere derjenigen des Jahres 1945, zu erinnern, die der End
Aber wie erreichen wir dabei jene, die zu wenig wissen und denen das Geschehene heute schlicht unbegreiflich erscheint? Wie treten wir denen entgegen, die die Verbrechen relativieren oder leugnen und die Opfer direkt oder indirekt verhöhnen? Wie gelingt es uns, den Jüngeren die Erinnerung an Untaten aus einer Zeit lebendig zu halten, die wir selbst nicht mehr bewusst oder überhaupt nicht miterlebt haben? Das sind schwierige Fragen, deren Beantwortung wir keinesfalls ausweichen dürfen.
Wir weichen ihnen nicht aus! Die Regierungspartner sind sich darin einig, dass die Bekämpfung rechtsextremen Gedankengutes, das die Verbrechen der Nationalsozialisten kleinredet oder gar leugnet, herausragende Bedeutung hat. Besonderer Stellenwert kommt dabei der Schule zu, dort insbesondere dem Geschichtsunterricht und der politischen Bildung. In jenem Rahmen müssen Fragen gestellt und Antworten gegeben werden. Auch die außerschulische Jugendarbeit trägt Verantwortung für historische und politische Aufklärung.
Ein wesentlicher Teil der Antwort liegt darin, dass wir uns die historische Wirklichkeit so vergegenwärtigen, wie sie sich hier in unserer Region ereignet hat. Dies muss so eindringlich und anschaulich wie nur irgend möglich geschehen; denn nicht nur in Auschwitz und anderswo wurden unschuldige Menschen systematisch gequält und ermordet, sondern auch bei uns in Brandenburg, quasi vor der Haustür: in den Konzentrationslagern von Sachsenhausen und Ravensbrück, im Zuchthaus Brandenburg an der Havel, in Kriegsgefangenenlagern wie denen von Luckenwalde oder Fürstenberg.
Hier bei uns in Brandenburg, von den Bunkern in Wünsdorf aus, planten und organisierten die Kommandospitzen der deutschen Wehrmacht ihren Angriffskrieg gegen die Völker Europas. Hier bei uns in Brandenburg ging das nationalsozialistische Regime mit Repression und Terror nicht nur gegen jüdische Menschen, gegen Sinti und Roma, sondern auch gegen die sorbische Bevölkerung und sorbische Organisationen vor. Hier bei uns in Brandenburg war es schließlich, wo vor genau 60 Jahren, im Winter und Frühjahr 1945, das Grauen von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg in Europa endete. Statt tausend Jahre zu überdauern, ging das nationalsozialistische Regime schon nach zwölf Jahren jämmerlich zugrunde.
In militärischer Hinsicht war der Krieg für Deutschland längst verloren, als Hitlers Zerstörungswahn vor allem in den Schlachten um die Seelower Höhen sowie im Gemetzel des Kessels von Halbe noch einmal für Tausende und Abertausende den Tod bedeutete. Deutsche und Russen, Soldaten und Zivilisten, Männer und Frauen, Flüchtlinge und Einheimische, Kinder und Alte, Schuldige und Unschuldige - sie alle starben hier in Brandenburg noch kurz vor dem Ende einen späten, grausamen und nun erst recht völlig sinnlosen Tod.
Jetzt machte Hitler endgültig wahr, was er schon im November 1941 angekündigt hatte. Er hatte damals erklärt:
„Ich bin auch hier eiskalt. Wenn das deutsche Volk einmal nicht mehr stark und opferbereit ist, sein Blut für seine Existenz einzusetzen, so soll es eben vergehen und
von einer anderen, stärkeren Macht vernichtet werden. Ich werde dem deutschen Volk dann keine Träne nachweinen.“
Vor dem Hintergrund dieses nackten Vernichtungswillens, der in keiner Richtung auszudeuten ist - es ist nackter Vernichtungswillen, sogar gegen die eigenen Leute! -, stehen gerade die Namen Seelow und Halbe nicht, wie manche glauben, für tapferen Widerstand deutscher Verteidiger. Nein, die Menschen, die hier in den letzten Wochen des Krieges starben ganz gleich, auf welcher Seite -, starben jeder für sich allein einen tragischen und völlig sinnlosen Tod. Die meisten von ihnen ersehnten längst nur noch das Ende des Gemetzels. Ganz gleich, woher sie kamen und was sie vorher getan hatten - nun fielen sie jener zerstörerischen und selbstzerstörerischen Logik zum Opfer, die das nationalsozialistische Deutschland unter Hitler seit 1933 in Gang gesetzt hatte und die bis zum bitteren Ende nicht mehr anzuhalten war.
Das Andenken dieser Toten kann deshalb auf würdige Weise nur wahren, wer sie nicht nachträglich als Märtyrer für irgendeine menschenverachtende und gescheiterte Ideologie einspannt. Die Toten können sich gegen diese Zumutung nicht mehr wehren. Hiervor sollten wir sie in Schutz nehmen!
In wenigen Tagen, am 27. Januar, werden wir der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gedenken. Doch dabei können und werden wir es nicht bewenden lassen. Im Laufe der kommenden Wochen und Monate werden wir hier bei uns in Brandenburg anlässlich zahlreicher Gedenkveranstaltungen die Gelegenheit haben und nehmen, den wirklichen historischen Zusammenhängen rund um den Untergang der NS-Diktatur auf den Grund zu gehen. Wir tun gut daran, uns selbst und so vielen anderen Menschen wie nur irgend möglich das Grauen nach 60 Jahren in Erinnerung zu rufen. Nur wer sich der Katastrophen des grausamsten Jahrhunderts der Geschichte bewusst bleibt, ist davor gefeit, sie aufs Neue zu erleben. - Ich danke Ihnen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! 60 Jahre - das ist doppelt so lange her, wie der „Dreißigjährige Krieg“, dieser doppelte Weltkrieg von 1914 bis 1945, gedauert hat. 60 Jahre und ein bisschen weise. Ja, die Erinnerung, die Aufarbeitung der Vergangenheit in mehreren großen Wellen hat Deutschland zu dem gemacht, was wir heute sind, und dorthin gebracht, wo wir heute stehen. Wir haben erinnert und aufgebaut. Wir sind ein integriertes und geachtetes Glied der Völkergemeinschaft und Exportweltmeister. Wir leben heute
viel besser als viele Völker, die wir mit in den Untergang gerissen haben, die wir um Jahrzehnte ihrer Entwicklung gebracht haben oder die wegen der Folgen des zweitens Teils des Weltkrieges über Jahrzehnte in ihrer Entwicklung gebremst wurden.
Wir waren Exportweltmeister von Tod und Leid in dem Doppelkrieg, der über 60 Millionen Menschen das Leben kostete. Heute sind wir als Exportweltmeister Nettozahler der EU und ein Motor der europäischen Integration, der Öffnung der Union für andere, die an unserer gemeinsamen Entwicklung teilhaben wollen. Das ist, denke ich, ein gutes Stück ausgleichender Gerechtigkeit.
Aber wir sind als in der Auseinandersetzung mit Geschichte so erfahrenes und als von der Geschichte mit so vielen Möglichkeiten beschenktes Volk mehr gefordert. Herr Schulze hat eben gezeigt, wie schwer es ist, sich nicht nur an alles erinnern zu wollen, sondern dabei auch Balance zu halten und Ursachen und Folgen nicht zu vermischen.
Wir müssen nicht die Toten von anderen Unrechtsregimen in der Welt, sondern unsere eigene Geschichte aufarbeiten. Das kann uns niemand abnehmen.
Herr Schulze, die Nazis waren nicht eine, sondern die größte Katastrophe, das größte Unrecht in der deutschen Geschichte.
Die Shoa, der Holocaust, ist unvergleichlich und singulär. Ja, es hat davor und danach Völkermorde gegeben, aber nicht nur zahlenmäßig, sondern auch von der tödlichen Energie und der Vorbereitung her ist dieser Völkermord singulär.
Das Wirtschaftswunder in Deutschland, die exponentiellen Zuwächse im volkswirtschaftlichen Reichtum verdanken wir dem Marshallplan, amerikanischen Geldern, aus Solidarität von den Amerikanern uns zur Verfügung gestellt. Sie haben eine beispiellose wirtschaftliche Entwicklung begründet und ich denke, wir sind gefordert, weil diese Volksgeschichte nur weitergehen kann, wenn das, was uns half, jetzt auch eingesetzt wird, um andere an dieser Entwicklung zu beteiligen.
Nach dem Marshallplan der zweiten Hälfte des Weltkriegsjahrhunderts, was, wie Timothy Garden Ash zu Recht sagt, ein kurzes Jahrhundert von 1914 bis 1990 war, brauchen wir einen globalen Marshallplan zur Entwicklung der Erde. Das Jahrhundert, in dem wir 60 Jahre Befreiung als gleich berechtigter und mindestens gleich verantwortlicher Teil der Völkergemeinschaft begehen, ist das Jahrhundert der Globalisierung. Gerade weil wir den Weltkrieg begonnen und geführt haben, sind wir jetzt in besonderer Weise verantwortlich dafür, dass dem Jahrhundert des Weltkrieges ein Jahrhundert der Weltentwicklung folgt. Mit anderen geteilte Entwicklung ist eben nicht nur mehr Entwicklung für uns, sondern vor allem auch nachhaltige Entwicklung.
Wir haben und werden genug Probleme haben, die wir nur schwer oder gar nicht lösen können. Umso dringender ist es, die lösbaren Fragen wirklich anzugehen. Die Bereitschaft in Deutschland und Europa, zu spenden und zu teilen ist größer, als wir alle noch vor wenigen Wochen gedacht haben. Deshalb