Protokoll der Sitzung vom 01.04.2009

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der Abgeordneten Geywitz von der SPD-Fraktion fort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde, dass Tiervergleiche in der Politik wenig zu suchen haben. Herr Jürgens, Sie haben aber zumindest die Debatte davor bewahrt, langweilig zu werden. Sie drohte ja anfangs ein wenig in eine Fachdebatte abzurutschen. Ihre anschauliche Sprache und der Bezug zur Politik und zur Polemik ermöglichen es mir, darauf zu antworten.

Sie haben den Eindruck erweckt, als würden wir eine Party feiern, das Geld für schöne Dinge, die kein Mensch braucht, verbrutzeln und die Zukunftsausgaben für Bildung und Wissenschaft in unserem Land sträflich vernachlässigen. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Herr Jügens, Sie sind ein kundiger Fachsprecher. Insofern habe ich schmerzlich einen Hinweis darauf vermisst, dass wir alle in den letzten zehn Jahren fleißig wie die Ameisen und emsig wie die Bienen - ich denke, an dieser Stelle kann man das Geburtstagskind Prof. Wanka herausheben daran gearbeitet haben, in diesem Land überhaupt erst einmal eine Wissenschaftslandschaft aufzubauen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Sie haben den Eindruck erweckt, die 20 Jahre, die seit der friedlichen Revolution vergangen sind, wären durch ein Schrumpfen an Bildung gekennzeichnet. Das Gegenteil trifft

zu. Wir haben zwar aufgrund des Schülerzahlenrückgangs Schulen geschlossen, aber insgesamt ist die Ausweitung der Bildung eine Erfolgsgeschichte. Der Anteil an Studierenden hat sich mehr als verdoppelt. Die Studierendenquote zu Ostzeiten das brauche ich Ihnen eigentlich nicht zu sagen - war gering; die Hochschulen, die Sie heute vorfinden, gab es damals nicht.

(Frau Große [DIE LINKE]: Vergleichen Sie es nicht mit der DDR, sondern mit einem anderen Bundesland!)

Das ist eine Aufbauarbeit, die Sie in Ihrer Rede mit keinem Wort erwähnt haben.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Dr. Funck [CDU])

Stattdessen wurde uns vorgeworfen, wir seien keine fleißigen Ameisen, sondern lebenslustige Grillen gewesen.

(Schulze [SPD]: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf!)

Wir leben in wahrhaft denkwürdigen Zeiten. Um uns herum tobt eine Finanzkrise, die sich in Brandenburg zunächst dadurch bemerkbar macht, dass wir im Land und in den Kommunen mehr Geld zur Verfügung haben und uns darüber unterhalten, wofür wir es am besten ausgeben.

Die CDU hat sich deutlich für eine antizyklische Politik ausgesprochen. Das ist eine sehr interessante Erkenntnis.

Das scheinbar Widersprüchliche findet sich auch auf dem Arbeitsmarkt. Die Zahl der Kurzarbeiter steigt, ein Aufwuchs der Arbeitslosigkeit ist prognostiziert, und wir veranstalten auf Antrag der CDU eine Aktuelle Stunde zum Thema Akademikermangel. Das scheint widersprüchlich, ergibt aber Sinn: Eine hohe Qualifikation ist die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit, die man Kindern mitgeben kann.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wenn wir gestärkt aus der Krise herauskommen, müssen wir jetzt dafür sorgen, dass wir auch in Zukunft genügend Facharbeiter haben. Daher mein Appell an alle Arbeitgeber: Nutzt die durch die SPD geschaffene Möglichkeit der Kurzarbeit!

(Lachen bei der Fraktion DIE LINKE)

Wer seine Leute jetzt gehen lässt, wird sie kaum wiedergewinnen, wenn die Auftragsbücher wieder voll sind. - Ich weiß nicht, warum Sie lachen. Die Verlängerung der Kurzarbeiterregelung ist für viele eine Chance, vor Arbeitslosigkeit geschützt zu sein.

(Holzschuher [SPD]: Sollen sie arbeitslos werden? Fändet ihr das besser?)

Aber es geht nicht nur um die jetzige Generation an Akademikern, sondern auch um die zukünftige. Es ist nicht mehr so, wie es die linke Seite des Hauses von früher her kennt, dass jungen Menschen vorgeschrieben werden kann, was sie studieren werden. Ihre Studierneigung folgt nicht unseren volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten und unserer Bedarfsplanung. Es bringt nichts, jungen Menschen zu sagen: Ihr müsst Ingenieur werden. Dann habt ihr später garantiert einen Arbeitsplatz, dann verdient ihr später gutes Geld und sichert die Wettbewerbs

fähigkeit Deutschlands. - Wer kein Interesse an Technik und Naturwissenschaften hat, der soll es auch nicht studieren. Tut man es doch, ist der Studienabbruch vorprogrammiert. Die Frage ist, wie man frühzeitig die Lust und die Neugier der jungen Menschen weckt, sich mit Technik und Naturwissenschaften auseinanderzusetzen.

(Jürgens [DIE LINKE]: Jetzt kommen wir zum Punkt!)

- Herr Jürgens, zu Ihrer Information: Es ist jederzeit möglich, Naturwissenschaften in den Brandenburger Schulen fächerübergreifend zu unterrichten; das steht schon seit langer Zeit im Schulgesetz und wird auch so praktiziert.

Nicht nur Bildungspolitikern fällt sofort die Schule ein, wenn sie an die Ingenieursausbildung denken. Sie denken, es sei lediglich Aufgabe der Schulen, dafür zu sorgen. Natürlich wird in der Schule mehr Wert auf naturwissenschaftlich-technischen Unterricht gelegt, es gibt mehr Betriebsbesuche und Praktika, mehr Kooperation mit den Hochschulen und eine bessere Information sowie Hilfestellungen für Schulabsolventen auf dem Weg in einen Ausbildungsplatz. Diese Maßnahmen sind längst auf den Weg gebracht. Der naturwissenschaftliche Unterricht wurde gestärkt, Praktika sind möglich. Ich denke, dass mit dem Kinderlabor und den Hochschultagen viel getan wurde.

Woran es noch mangelt, ist ein gesellschaftliches Klima, in dem Bildung für alle sozialen Schichten ein erstrebenswertes Ziel ist. Wir brauchen mehr positive Beispiele für den sozialen Aufstieg mittels Bildung, an denen sich Kinder, Eltern und Erzieher orientieren können. Für Erwachsene ist es nun mal zeitaufwändig, mit Kindern am Wochenende in ein Museum zugehen,

(Vietze [DIE LINKE]: Vor allem ist es teuer!)

gemeinsam zu basteln oder das Fahrrad zu reparieren, eine Spielzeugeisenbahn aufzubauen und beim Kochen die chemischen Prozesse zu erklären. Die medial vermittelte Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen lässt heute wenig Spielraum zum eigenen Ausprobieren, zur spielerisch-praktischen Beschäftigung mit Natur und Technik. Ich spreche die Verantwortung der Eltern an, weil für Kinder und Jugendliche die Eltern der erste Ansprechpartner bei der Studienentscheidung sind. Erst an zweiter Stelle folgt die Schule. Dies ergab eine empirische Studie zu Einflussfaktoren der Studienentscheidung des Zentrums für Hochschulentwicklung - CHE - vom September 2007.

Ein weiteres interessantes Detail brachte die Studie zum Vorschein: Ein Drittel der Befragten weiß bereits beim Übergang in die Oberstufe, dass sie auf jeden Fall studieren wollen. 28,7 % treffen diese Entscheidung in Klasse 11 und 12 und nur 10 % in der 13. Klasse. Das zeigt eindeutig: Die grundsätzliche Entscheidung für ein Studium wird bereits in jungen Jahren getroffen. Die Wahl des Studienfachs ist direkt abhängig von der Kurswahl zum Abitur. Unsere Hochschulen liegen deshalb richtig, wenn sie die Kooperation mit den Schulen früh suchen und Kinderuniversitäten sowie für die älteren Schüler ein Schnupperstudium anbieten.

Meine Fraktion liegt mit der Forderung nach einem SchülerBAföG für Oberstufenschüler richtig, denn das ist eine soziale Unterstützung, die ihnen fehlt. Dadurch wird einerseits ein Anreiz geschaffen, das Abitur zu machen, und andererseits die Gewissheit gegeben, dass BAföG auch im Studium gezahlt wird.

Darüber hinaus gibt es vielfältige Aktivitäten und Projekte an allen Brandenburger Hochschulen zur Studentenwerbung: „Studium lohnt“, „Schüler-Alumni“, „Nachwuchspool“, „Selfassessment“, „Studienvorbereitungskurse“, „BrISaNT - Brandenburger Initiative Schule und Hochschule auf dem Weg zu Naturwissenschaft und Technik“ und vieles mehr. All diese Initiativen sind zwischen den Hochschulen abgestimmt und werden vom Land Brandenburg finanziell gefördert. Außerdem gab es schon mehrere Konferenzen zur Förderung der Studierneigung in Brandenburg. Unzählige Internetseiten informieren ausführlich über das Studienangebot unserer Hochschulen.

Leider ist die Studierwilligkeit unserer Brandenburger Abiturientinnen und Abiturienten immer noch nicht ausreichend ausgeprägt. Die Zahl der Schulabsolventen mit Hochschulzugangsberechtigung liegt zwar im Bundesdurchschnitt, doch anstatt zu studieren, beginnen viele der Studienberechtigten eine Berufsausbildung und verknappen mit dieser Entscheidung die Ausbildungsplätze auf dem Lehrstellenmarkt. Während bundesweit im letzten Herbst 39,6 % eines Jahrgangs ein Studium begannen, waren es in Brandenburg nur knapp über 30 %. Man muss jedoch darauf verweisen, mit welchen Quoten Brandenburg gestartet ist: Im Jahr 1995 lag die Studienanfängerquote noch bei 15,3 % und im Jahr 2004 bei 23,1 %. Ich denke, es ist nun eine kontinuierliche und deutlich sichtbare Steigerung zu verzeichnen, die auch auf die von mir erwähnten Initiativen zurückzuführen ist.

Doch warum lösen Brandenburger Abiturienten ihr Studiumticket nicht ein? - Die bereits erwähnte Studie kommt zu folgenden Ergebnissen: Der bundesweit mit 62 % von den Befragten am häufigsten angegebene Grund, der gegen die Aufnahme eines Studiums spricht, ist der Wunsch, möglichst bald eigenes Geld zu verdienen. In Ostdeutschland ist diese Haltung besonders ausgeprägt: Bei 74 % der Personen in Ostdeutschland, die nicht studieren möchten, ist dieses Argument ausschlaggebend, während dieser Grund in Westdeutschland nur von 58 % angegeben wird. 21 % nennen fehlende finanzielle Voraussetzungen, und 15 % geben an, BAföG-Schulden vermeiden zu wollen. Ein weiterer Grund, nicht zu studieren, der zum Glück für Brandenburg nicht zutrifft, sind die Studiengebühren. 22 % wollen wegen der Studiengebühren auf ein Studium verzichten.

Folglich müssen wir die finanzielle Situation der jungen Menschen so weit verbessern, dass sie weitgehend ungestört von Existenzängsten ein Studium beginnen können. Das heißt in erster Linie: Das BAföG muss ausgeweitet werden, besonders die Anspruchsbasis.

Darüber hinaus müssen wir weitere Wege zum Studium eröffnen. Ich denke an „Studieren ohne Abitur“. Die Voraussetzungen dafür haben wir mit dem Hochschulgesetz geschaffen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der DVU-Fraktion fort. Der Abgeordnete Nonninger spricht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anscheinend ist der CDU-Fraktion kein aktuelleres und dringenderes Thema einge

fallen, als aus einem Artikel von „Spiegel Online“ vom 21. März eine Aktuelle Stunde abzuleiten. Das Thema der verfehlten Bildungs- und Ausbildungspolitik der Regierungsparteien in Bund und Ländern wird nun wahrlich nicht das erste Mal im Plenum debattiert. Im genannten Artikel warnt der Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, Herr Milberg, vor einem Fachkräftemangel bei Akademikern, insbesondere bei Ingenieuren, und nennt eine Zahl von 50 000 Stellen für Akademiker, die unbesetzt seien.

Zunächst lässt sich dazu sagen, dass es bezüglich der genannten Zahl sehr unterschiedliche Angaben gibt. Einmal werden 40 000, ein anderes Mal 20 000 genannt. Eine aktuelle Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt gar zu dem Schluss, dass der Fachkräftemangel teilweise übertrieben dargestellt wird. Dies gipfelt wörtlich in der Feststellung:

„Noch besteht kein genereller Ingenieurmangel. Die freien Stellen konnten sogar schneller als in den Vorjahren besetzt werden.“

Wenn wir die genannten Zahlen auch auf unser Land Brandenburg herunterrechnen - wenn es da überhaupt noch etwas zu rechnen gibt -, kommen sicherlich auch Sie, meine Damen und Herren, zu dem Schluss, dass der Ingenieurmangel wohl aktuell nicht Brandenburgs dringendstes Problem ist. Weit über 400 000 Arbeitslose in unserer Region Berlin-Brandenburg haben ganz andere Sorgen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Unsere DVU-Fraktion weiß sehr wohl, dass nur ein gutes Bildungswesen im Verbund mit einer weitsichtigen Wirtschaftspolitik den deutschen Wohlstand in Zukunft sichern kann.

(Beifall bei der DVU)

Unser künftiger Wohlstand beruht ja auf der Qualität der Ausbildung und dem daraus resultierenden technologischen Fortschritt.

Bei zahlreichen Gesprächen, die unsere Abgeordneten in letzter Zeit vor Ort mit Unternehmen führten, zeigte sich uns aber deutlich, dass die Qualität insbesondere der Schulausbildung noch immer stark zu wünschen übrig lässt.

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer hat bereits vor geraumer Zeit festgestellt, dass ca. 20 % der Zehntklässler nur bedingt ausbildungsreif seien - welch Schande für die Regierungsparteien!

Das hat auch der OECD-Bildungsexperte, Andreas Schleicher, in einem Interview festgestellt: Deutschland bereitet seinen Nachwuchs schlecht auf die Berufswelt vor. - Das deutsche Schulsystem wird als unzeitgemäß bezeichnet.

Unbestritten ist, dass die Nachfrage nach Akademikern in Zukunft weiter steigen wird. Da gilt es anzusetzen.

Ich möchte noch auf einige interessante Aspekte aus dem von Ihnen genannten Interview eingehen: Es wird festgestellt, dass Deutschland weiter dem internationalen Trend zur Höherqualifizierung hinterherhinkt. Deutschland ist im OECD-Vergleich vom guten Mittelfeld ins letzte Drittel abgerutscht, aber nicht, weil die Hochschulbeteiligung zurückgegangen ist, sondern weil sie in vielen Staaten viel schneller gestiegen ist.