Protokoll der Sitzung vom 02.04.2009

Es muss dringend analysiert werden, inwiefern die Maßnahmen der letzten großen Schulgesetznovelle ursächlich zu der derzeitigen Situation beigetragen haben und auch weiter beitragen werden, wenn wir sie denn nicht ändern. Ich nenne hier nur die Stichworte Undurchlässigkeit, Oberschule, Aufnahmeverfahren für Gymnasien, Leistungs- und Begabungsklassen usw.

Natürlich stellt sich auch immer wieder die Frage, inwieweit Lehrerinnen und Lehrer, die ja meist in gut gesicherten Verhältnissen leben, ein hinreichendes Problembewusstsein im Umgang mit diesen Risikofaktoren haben.

Gesichert ist auch die Erkenntnis, dass es Defizite im Umgang mit Heterogenität gibt; besorgniserregend ist die Tatsache, dass wir in Brandenburg die höchste Zahl an Kindern mit Förderbedarf haben, dass genau diese Kinder selten aufsteigen und dass der Anteil dieser Kinder mit mindestens einer Risikolage an den Förderschulen am höchsten ist. „Am höchsten“ heißt, 80 bis 90 % der Kinder in Förderschulen sind arm, sozial benachteiligt oder kommen aus einem bildungsfernen Elternhaus.

Aber ich will hier nichts vorgeben. Der Antrag macht einen selbstbestimmten Umgang der Landesregierung mit dieser Materie möglich. Sie müssen dies leisten, meine Damen und Herren der Landesregierung, auch wenn Sie sich von der Opposition nicht gern dazu auffordern lassen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Herzlichen Dank. - Das Wort erhält die Abgeordnete Geywitz.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der genannte Bildungsbericht war heute Morgen schon Anlass der kritischen Nachfragen von Peer Jürgens in Richtung Prof. Wanka. Da wurde darauf hingewiesen, dass der Schulbereich mithilfe wissenschaftlicher Unterstützung sehr fundiert erarbeitet wurde. Er ist auch Grundlage für unsere heutige Debatte.

Frau Große hat daraus zitiert. Ich will das auch tun. Vielleicht ist es ja auch für die Autoren eine freudige Nachricht, dass die Abgeordneten offensichtlich auch die dicken Berichte lesen.

„Der Sozialgradient“

- so heißt es hierin

„in Berlin hoch, in Brandenburg im Bundesdurchschnitt, aber signifikant angestiegen.“

Ich denke, das ist auch der Anlass für den Antrag, den wir hier heute diskutieren.

„Ein niedriger Sozialgradient gilt als ein Indikator für Chancengerechtigkeit in einem Bildungssystem... Der Sozialgradient war 2006 in Berlin der zweithöchste aller Länder.“

Ich erliege jetzt nicht der plumpen Versuchung, zu sagen, das sei das Resultat der rot-roten Bildungspolitik in Berlin. Das haben Sie vorhin mit Verweis auf den ansteigenden Sozialgradienten uns Sozialdemokraten und Holger Rupprecht als Bildungsminister in die Schuhe geschoben. Ich denke, das ist durchaus noch einmal eine Frage an sich selbst wert.

Weiter heißt es in dem Bericht:

„Es bleibt detaillierten Analysen vorbehalten zu klären, ob der Anstieg des Sozialgradienten in Brandenburg insgesamt Folge der Zuwanderung sozio-ökonomisch bessergestellter Familien über die letzten Jahre in den sogenannten 'Speckgürtel' um Berlin herum ist.“

Fragt man sich, was denn die Zuzüge von gut situierten Menschen damit zu tun haben, dass unser Sozialsystem angeblich sozial ungerechter geworden ist, muss man sich die Ergebnisse PISA 2000 und PISA 2006 angucken. Wenn man das tut, ist zu vermerken - das haben wir hier auch entsprechend gewürdigt -, dass es in allen geprüften Bereichen besser geworden ist. Aber es hat sich natürlich herausgestellt, dass die Kinder, die schon im Jahr 2000 gut waren, einen ganz deutlichen Sprung nach oben gemacht haben, während sich die Kinder mit schlechteren Leistungen nur gering verbessert haben.

Es ist jetzt eine mathematische Eigenheit, dass das dazu führt, dass sich die Spreizung verstärkt hat und demzufolge aufgrund des Anstiegs der Zahl der Kinder, die gut waren, die soziale Ungerechtigkeit ausgewiesenermaßen erst einmal gestiegen ist. Nichtsdestotrotz bedanke ich mich bei Frau Große für die Werbung für unsere „Perspektive 21“. Sven Petke hat sie offensichtlich auch gelesen, auch Herr Senftleben; Herr Petke hat mir zumindest einen Rechtschreibfehler zeigen können. Herzlichen Glückwunsch dazu. Lesekompetenz ist immer etwas Schönes. Also, wir sehen dieses Problem.

Wir sehen auch, dass sich die Landesregierung dieses Problems angenommen hat. Gefordert wird ja eine Analyse der Ursachen. Da ist die Frage, ob das, was geschrieben wurde, durch das Bildungssystem zu reparieren ist. Zweifelsfrei werden wir uns als Sozialdemokraten immer dafür einsetzen, dass wir ein Bildungssystem haben, das sozial nicht diskriminiert und das Kindern unabhängig von ihrer Herkunft die bestmöglichen Chancen gibt.

Wenn man sich den Bericht „Familien in Risikolagen“ anguckt - Frau Große hat das beschrieben -, erkennt man, dass sich das in Berlin und in Brandenburg extrem unterschiedlich abbildet. Hier ist es ganz klar so, dass der Hauptrisikofaktor bei uns Armut ist, und zwar vor allen Dingen Armut Alleinerziehender; in der Regel sind das immer noch die Frauen. Das ist, glaube ich, ein Punkt, den wir neben allen Fragen, die wir im Bildungssystem beackern, angehen müssen, um nicht nur ein sozial gerechtes Bildungssystem, sondern eine sozial gerechte Gesellschaft insgesamt zu erreichen, wie wir die Erwerbstätigkeit von alleinerziehenden Frauen so verbessern können, dass ihr Sozialstatus nicht ausschlaggebend dafür ist, dass ihre Kinder in einer sogenannten Risikogruppe aufwachsen.

Ich denke, die Landesregierung darf sich nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen, dass sie sich nicht darum kümmert, worin die Ursachen bestehen, was man dagegen tun kann und wie sich unsere Problemgruppen zusammensetzen. Wir sehen es als Aufgabe an, ein sozial gerechtes Bildungssystem zu schaffen. Das fängt mit Frühförderung und Dingen wie Ganztagsangeboten an, um Arbeitsleben der Mutter und Kindererziehung zu ermöglichen. Wir werden uns diesem Thema weiter widmen, zum Beispiel durch die Einführung eines Schüler-BAföG, damit jeder unabhängig von seiner sozialen Herkunft in der Lage ist, bestmögliche Bildung zu erlangen. Wir sind dankbar für die Unterstützung durch die Regierung, und die Oppositionsfraktionen laden wir herzlich ein, uns ebenfalls dabei zu unterstützen.

Den Antrag nehme ich dankbar als Hinweis darauf, diesen Bericht noch einmal zu bewerben; er ist wirklich sehr interessant. Vielleicht kommt Frau Prof. Wanka ja noch einmal auf ihr Angebot von heute Morgen zurück. Ich denke, wenn wir einen ähnlichen Bericht für den Wissenschaftsbereich von BerlinBrandenburg hätten, wäre das auch sehr erkenntnissteigernd. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Die Abgeordnete Fechner spricht für die DVU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die linken Genossen möchten, dass uns die Landesregierung im Juli einen Bericht vorlegt. Unter anderem soll uns die Landesregierung in diesem Bericht mitteilen, welche Maßnahmen sie beabsichtigt, um allen Kindern unabhängig von ihrer sozialen Herkunft gleiche Bildungschancen zu sichern. Es wird also unterstellt, dass Kinder aus sozial schwachen Familien von Haus aus schlechtere Bildungschancen haben als Kinder aus besser betuchten Familien.

(Schulze [SPD]: Das merkt man!)

Da diese Kinder in der Regel dieselben Einrichtungen besuchen und von denselben Lehrern unterrichtet werden wie Kinder aus anderen Familien, gehe ich davon aus, dass das so schlimm nicht sein kann.

Doch warum weisen Kinder aus sozial schwachen Familien in der Regel schlechtere Bildungsergebnisse auf als Kinder aus besser betuchten Familien? Ist der soziale Status ursächlich für den Misserfolg dieser Kinder, wie es uns die linken Genossen weismachen wollen?

Vor geraumer Zeit wurde eine Studie der Landesintegrationsbeauftragten Prof. Karin Weiss vorgestellt. Daraus geht hervor, dass in Brandenburg 74 % der Kinder vietnamesischer Eltern in Brandenburg ein Gymnasium besuchen. - 74 %!

Damit sind die Kinder von vietnamesischen Familien in der Schule erfolgreicher als die Kinder einheimischer Herkunft.

(Frau Lehmann [SPD]: Stellen Sie sich mal vor!)

Die guten Erfolge vietnamesischer Schüler kommen zustande, obwohl ihre Eltern meist sehr schlecht Deutsch sprechen, wenig

verdienen und wegen hoher Arbeitsbelastung wenig Zeit für ihre Kinder haben.

Dieses Ergebnis widerspricht der Intention des uns vorliegenden Antrags und allen Bildungsstudien, die den Schulerfolg an die wirtschaftliche Situation der Familie koppeln. Wenn also die wirtschaftliche Situation für den Bildungserfolg nicht entscheidend ist, was ist es dann?

Frau Prof. Weiss mutmaßt, dass die Herkunft aus Kulturkreisen, in denen Bildung ein hoher Wert ist, für die Lernbereitschaft entscheidend ist. Also, anders ausgedrückt: Das ideelle Umfeld, in dem ein Kind aufwächst, ist entscheidender als das materielle Umfeld.

Nach Auffassung der linken Genossen brauchte man den betroffenen Familien nur mehr Geld zur Verfügung zu stellen, und schon würden sich die Bildungserfolge bei den Kindern einstellen. Das sieht die DVU-Fraktion nicht so und wird diesem Antrag so auch nicht zustimmen können.

(Beifall bei der DVU)

Der Abgeordnete Senftleben spricht für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen von der SPD, ich muss erst mal ein Lob loswerden. Durch Ihre Taktik in den letzten Monaten haben Sie eine handzahme Oppositionspartei auf der linken Seite geschaffen, die Ihnen im Wahlkampf keine große Gefahr sein wird. Ich habe das Gefühl, dass bei Ihnen bereits heute eine mögliche Bildungsministerin bzw. ein Bildungsminister der CDU gesehen wird.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Denn für das Gute sind Sie verantwortlich, weil Sie die Regierung getrieben haben, und für das Schlechte ist die Union verantwortlich.

Das ist sehr komisch und merkwürdig. Deswegen, liebe Frau Große, bitte ich darum, dass Sie Ihre parlamentarische Aufgabe als Oppositionspartei nicht davon abhängig machen, was Sie nach der Landtagswahl in einer eventuellen Regierung in Brandenburg würden machen wollen.

(Zuruf des Abgeordneten Vietze [DIE LINKE])

- Ja, ja. Herr Vietze, wir sehen uns dann nicht mehr wieder. Aber Sie können davon ausgehen, dass wir weiterhin für Brandenburg Politik machen werden.

(Zuruf des Abgeordneten Vietze [DIE LINKE])

- Es ist ganz wichtig - Herr Vietze, das werden auch Sie aufgrund Ihrer Biografie bestätigen können -, niemandem etwas vorzuwerfen und so zu tun, als ob der andere absichtlich Dinge in einer bestimmten Form in die politische Auseinandersetzung oder in die Diskussion einbringt. Es geht nämlich um die Frage, ob wir bewusst in Kauf nehmen, dass Schüler im Brandenburger Schulsystem benachteiligt werden.

Ich will einmal wichtige Fakten vorlesen. In der PISA-Studie steht unter anderem: Es zeigt sich eine Tendenz dahin gehend, dass die sozialen Gradientenunterschiede in den Ländern kleiner sind, die besonders hohe und mittlere Leistungsniveaus ihrer Schülerinnen und Schüler erreichen können. - Ergo - das können Sie auch am Sonntag bei dem Vortrag von Herrn Baumert nachhören - können da, wo das Leistungsniveau höher liegt, der Leistungsanspruch höher ist, gerade die unteren Leistungsniveaus in einer Klasse davon profitieren. Deswegen ist das Erste, was wir machen können, eine gute Bildung für alle anzubieten und durch diesen gemeinsamen Effekt Erfolge zu erzielen.

Der zweite Punkt. Sie sagen permanent, dass Lesekompetenzen und andere Dinge eine entscheidende Rolle für Bildungs- und Lernerfolg spielen. Da haben Sie ausnahmsweise Recht.

(Frau Große [DIE LINKE]: Ich habe immer Rcht!)

Ich bitte darum, dass Sie sich einmal die Zeit nehmen und einen Qualitätsbericht von Herrn Wolfgang Tietze lesen, der die sprachliche Entwicklung in Brandenburg in Bezug auf Elternhäuser und auf Kindergärten untersucht hat. Er schreibt im ersten - und meist wichtigsten - Satz: Die wichtigste Sprachlernumwelt für das Kind bildet seine Familie.

Überlegen wir doch einmal gemeinsam nicht in Richtung einer Gemeinschaftsschule, sondern in die Richtung, wie wir Eltern dazu bewegen können, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden.