Protokoll der Sitzung vom 02.04.2009

Das Wort erhält die Fraktion DIE LINKE. Der Abgeordnete Görke spricht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zusammenführung der Rechtskreise, Frau Ministerin, Frau Kollegin Lehmann, ist keine kurzfristige Idee von uns. Es ist im Grunde genommen das Nachvollziehen von Feststellungen der Expertenkommission, die Ihre Regierung eingesetzt hat, die davon gesprochen hat, hier endlich eine Vereinheitlichung vorzunehmen. Gestatten Sie mir einmal die Frage: Wer ist bei Ihnen derjenige, der die Arbeitsmarktpolitik macht? Ihre Kollegin Schröder hat genau die Forderung, die auch wir vertreten, vor kurzem noch einmal öffentlichkeitswirksam dargestellt.

Frau Ministerin, gestatten Sie mir, etwas dazu zu sagen, dass die Umgestaltung der BA eine Herausforderung sei. Sie haben

es innerhalb weniger Jahre geschafft, der BA die sozialpolitische Aufgabe zu rauben. Insofern glaube ich, dass es möglich ist, hier noch einmal umzusteuern.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Sehr geehrte Frau Kollegin Schulz, es ist für mich verständlich, dass Sie versuchen, eine Art Absetzbewegung zu betreiben. Aber Ihre Partei hat genauso wie Rot-Grün dieses Gesetz zu verantworten, und darüber können auch diese Allgemeinplätze nicht hinwegtäuschen.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Es ist weder unser Gesetz - das sage ich Ihnen ganz deutlich -, noch ist es unsere Sprache.

Ich komme damit darauf zu sprechen, dass Sie mir das Wort „sogenannter Restkunde“ in die Tasche stecken wollen. Vielleicht gehen auch Sie wieder einmal zu einer Arbeitslosen-Demo, wie ich Sie in Pritzwalk erlebt habe, wo sich Betroffene genau so eingruppiert haben. Ich sage Ihnen auch, wie man zu einer solchen Einschätzung kommen kann. Ich möchte das an Zahlen verdeutlichen. Im Rahmen der Arbeitsmarktförderung in Brandenburg sind im letzten Jahr für die 67 000 Arbeitslosengeld-I-Empfänger 474 Millionen Euro bereitgestellt worden, während es für die doppelte Anzahl von SGB-II-Empfängern, 131 000, 307 Millionen Euro waren. Hier besteht doch ein grobes Missverhältnis. Vielleicht kommt es deshalb bei einer subjektiven Wahrnehmung auch der Betroffenen zu einer solchen Formulierung.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung: Nicht die Einteilung in SGB II und SGB III darf darüber entscheiden, welche Auswahl an arbeitsmarktpolitischen Instrumenten für welche Personen getroffen wird, sondern die konkrete Lebenssituation der Betroffenen. Hier sollte angesetzt werden, wenn man darüber nachdenkt, den großen Wurf zu probieren. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Während Ministerin Ziegler ans Mikrofon tritt, begrüße ich unsere Gäste von der Stadtschule Altlandsberg. - Herzlich willkommen und einen interessanten Vormittag bei uns!

(Allgemeiner Beifall)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens, Herr Görke, sollten wir uns darauf einigen, eine Klassifizierung von Arbeitslosen generell nicht mehr vorzunehmen. Sie gehören zu verschiedenen Rechtskreisen und werden dementsprechend betreut.

Zweitens: Die Hartz-IV-Reform ist ebenfalls Ergebnis einer Expertenkommission, und der können Sie ja nun gar nichts abgewinnen. Dass Sie also die Expertenkommission plötzlich als das segensreiche Gremium darstellen wollen, ist für mich etwas fragwürdig.

Drittens: Sie wissen sehr wohl, dass ALG-I-Empfänger mehr Leistungen erhalten als die ALG-II-Empfänger, weil sie einen höheren Anspruch haben. Es ist also merkwürdig, wie Sie Äpfel mit Birnen vergleichen. Es tut mir um der Sache willen leid, dass wir uns in diesem kleinen Hin und Her verzetteln.

Es geht um die Frage: Sind wir in Deutschland ein halbes Jahr vor einer Bundestagswahl in der Lage, parteiübergreifend einen Konsens in einer für die betroffenen Menschen so wichtigen Frage zu finden? Daran werden sich die Parteien in Deutschland messen lassen müssen. Daran wollen wir doch arbeiten.

(Beifall bei der SPD)

Der letzte Beitrag kommt von der antragstellenden SPD-Fraktion. Es spricht der Abgeordnete Baaske.

Schönen guten Morgen, Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde die Polemik, die mitunter im Raum schwirrt, der Situation nicht angemessen. Herr Görke, von Lehrer zu Lehrer: Thema verfehlt! Fünf! Setzen! - Mit Ihren Hasstiraden gegen „Hartz IV“ ist uns nicht geholfen.

Durch Hartz IV wurde in diesem Land auch eine Menge bewegt. Wir haben nach wie vor die geringste Arbeitslosigkeit seit der Wende.

(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Auf dem Papier, ja!)

Karl Marx hat die Möglichkeit immer bestritten, aber wir haben auch nach einer Rezession noch immer eine geringere Sockelarbeitslosigkeit als zuvor.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Aber eine größere Armut, Herr Baaske! - Gegenruf von Frau Dr. Funck [CDU]: Das ist doch Schwachsinn, Frau Kaiser!)

- Das ist nicht richtig. Eigentlich wollte ich die Zahlen nicht aufführen, aber für Sie tue ich es gern: Vor Hartz IV hatte der durchschnittliche Arbeitslosenhilfeempfänger in Brandenburg 476 Euro zur Verfügung. Sie werden heute keinen alleinstehenden Hartz-IV-Bezieher finden, der mit weniger als 700 Euro auskommen muss. Zu den Zahlen, Herr Görke, die Sie vorhin wieder in gewohnter Art und Weise geliefert haben, rechnen Sie bitte die Kosten der Unterkunft hinzu; dann kommen Sie locker auf das Doppelte und werden einsehen, dass Arbeitslosengeld-IIEmpfänger heute über wesentlich mehr Geld verfügen als früher. Im Jahr 2005 stand gegenüber 2004 wesentlich mehr Geld für den Personenkreis der Langzeitarbeitslosen zur Verfügung, und zwar nicht, weil es mehr Leistungsempfänger gegeben hätte, sondern weil mehr Geld ins System geflossen ist, unter anderem in die Betreuung und für die Aufstockung der Leistungen ehemaliger Sozialhilfeempfänger. Alle haben also mehr bekommen. Blenden Sie das nicht immer aus! Sie reduzieren Hartz IV auf die kürzere Anspruchsdauer der Arbeitslosen auf ALG I bzw. auf die damit verbundene Reduzierung der Leistung nach einem Jahr Arbeitslosigkeit. Was mit Hartz IV bewegt wurde, blenden Sie völlig aus und suggerieren den Menschen, Hartz IV sei etwas ganz Schlimmes. Ich denke, dass es arbeitsmarktpolitisch absolut sinnvoll war, genau dieses Instrument einzusetzen.

Ich vernehme von Ihnen heute nur Kritik am System. Sie haben kein Wort darüber verloren, wie es besser gehen könnte.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Das hat er gesagt!)

- Nein, er hat nur gesagt, was ihn stört, aber nicht, wie man es besser macht.

Ich will daran erinnern, wie wir im Jahr 2003, nachdem Peter Hartz im August 2002 seine Ideen vorgestellt hat, in die Diskussion gegangen sind. Wir haben - da hat Esther Schröder vollkommen Recht - uns zunächst einmal vorgenommen, die Betreuung der Arbeitslosen aus einer Hand zu sichern. Das war die Idee.

Eine Arbeitsgruppe - am Tisch saßen Hans Eichel, Vertreter des Städte- und Gemeindebundes, des Landkreistages, der Ministerien, des Bundestags, des Bundesrats - hat sich dann mit der Frage beschäftigt: Wie bekommen wir das hin? „Kommunalisierung“ hörte sich zunächst einmal gut an. Aber die darauf folgenden Forderungen der Kommunen zu erfüllen, die nahezu eine Verdopplung der Kosten bedeutet hätten, war undenkbar. Dennoch wurde gesagt - der Auffassung schließe ich mich an -, dass die Kommunen mit ins Boot geholt werden müssen. Man konnte sie nicht außen vor lassen. Sie sollten in den langen, fast zwei Jahre dauernden Prozess eingebunden werden. Ende 2004 hat der Bundestag das Gesetz beschlossen. Die Kommunen waren dann letztlich verantwortlich für die Kosten der Unterkunft und die SGB-II-Leistungsempfänger. Das war ein Kompromiss, um den wir hart gerungen haben. Die einfache Lösung in der Kommunalisierung zu suchen scheitert an vielen Detailfragen. 90 000 Mitarbeiter der BA, darunter viele Beamte Frau Funck, was soll mit denen geschehen? Die Frage muss man beantworten können, wenn man sich für eine Kommunalisierung ausspricht. Es gibt da viele Fragen zu berücksichtigen. Ich sage Ihnen: Ganz so einfach wird es nicht.

(Senftleben [CDU]: Fragen Sie die Landräte!)

- Ja, mit ganz viel Geld vom Bund. - Der Anteil des Bundes von 30 % an den KdU ist richtig viel Geld, das können Sie mir glauben. Ich glaube nicht, dass der Bund bereit ist, es flächendeckend über das ganze Land zu zahlen. Wir werden sehen, wer nächstes Jahr regiert. Aber ich prophezeie: Die Lösung im Jahr 2009 wird sich unabhängig davon, wer im nächsten Jahr regiert, nicht wesentlich von der Lösung im Jahr 2010 unterscheiden. Das werden Sie erleben. Da bin ich mir sehr sicher. Denn - das sage ich in Richtung der Linken - als wir in den Jahren 2003 und 2004 die Diskussionen geführt haben, waren Ihre Kollegen Holter und Wolf - Minister in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, die der Linken angehören - dicht dabei. Auch sie hatten keine Idee, wie man es besser machen könnte. Dies vorangestellt, kann man sich fragen, ob von dort noch tolle Dinge zu erwarten sind.

Frau Schulz, Sie haben gesagt, von Verunsicherung seien wir weit entfernt. Sie kommen aus Spree-Neiße - eine Optionskommune, wo die Uhren anders ticken. Da muss man nicht verunsichert sein.

(Zuruf der Abgeordneten Schulz [CDU])

- Ja, ein erfolgreicher SPD-geführter Eigenbetrieb.

(Unruhe bei der CDU und der Fraktion DIE LINKE)

- Gemach, gemach! - Ich habe in den letzten Wochen einige ARGEn besucht, wo mir die Geschäftsführer unisono gesagt haben, sie litten derzeit massiv darunter, dass die besten Leute weggingen. Es ist doch klar, dass sich Leute, die einen unsicheren Arbeitsplatz in einer ARGE haben, auf Stellen bewerben, die die Landkreise und die Agentur für Arbeit ausschreiben, und dann den Arbeitsplatz wechseln.

(Frau Schulz [CDU]: Das ist logisch!)

- Ja, natürlich. Sie sprachen aber gerade davon, dass wir von Verunsicherung weit entfernt seien.

(Frau Schulz [CDU]: Wir schüren mit solchen Debatten aber Verunsicherung!)

- Man muss es doch wohl mal sagen dürfen! Glauben Sie denn, dass die Kollegen in der ARGE keine Zeitung lesen und nicht wissen, wie die Situation ist? Das können Sie vergessen.

Ich will nur sagen: Ganz so einfach wird es nicht sein. Wir werden erleben, dass schon im nächsten Jahr wesentlich weniger der guten Mitarbeiter in den Geschäftsstellen arbeiten. Doch gerade dort, wo es um die Vermittlung geht, brauchen wir die Besten.

Sie sagten, es sei ein Kompromiss zwischen Rot und Grün gewesen. Es war ein Kompromiss zwischen Rot-Grün im Bundestag auf der einen Seite, und ein Kompromiss zwischen Schwarz und Gelb im Bundesrat auf der anderen Seite. Letzten Endes hat der Vermittlungsausschuss das Papier so erarbeitet, wie es am 23. Dezember 2004 beschlossen wurde.

Eines muss Sie doch nachdenklich stimmen, verehrte Damen und Herren von der CDU: Die Ministerpräsidenten Koch und Wulff und der damalige sächsische Ministerpräsident Milbradt haben 2003 und 2004 vehement, mit Verve und einer fürchterlichen Polemik darum gekämpft, dass die Arbeitsvermittlung hundertprozentig kommunalisiert wird. Sie waren am Ende mit dem gefundenen Kompromiss nicht zufrieden. Es sind die Ministerpräsidenten Koch und Wulff, die heute sagen: Macht diesen Kompromiss! Es gibt keinen besseren!

(Ministerin Prof. Dr. Wanka [CDU]: Nein!)

(Beifall bei der SPD)

Eine ddp-Meldung von heute Morgen lautet:

„Im Streit um die Jobcenter-Reform haben die Unionsministerpräsidenten den Druck auf die Bundes-CDU erhöht. 'Die Frage der Jobcenter sollte noch vor der Bundestagswahl geregelt werden', sagte Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU)... Ohne Grundgesetzänderung sei die Reform nicht machbar. Deshalb müsse die Bundestagsfraktion ihre ablehnende Position dazu noch einmal überdenken.“

Müller betont: