Die Wählerinnen und Wähler in Brandenburg werden genau hinsehen, und ich kann sie nur ermutigen: Prüfen Sie die Parteien und Kandidaten hinsichtlich dieser Forderungen. Nur wenn wir die Interessen der Brandenburgerinnen und Brandenburger in der europäischen Politik auch vertreten, werden diese Interesse an der Wahl haben. Es besteht die Chance, am 7. Juni nicht nur die Stimme abzugeben, sondern auch die Stimme zu erheben - für ein soziales Europa.
Wir setzten die Beratung mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Es spricht der Abgeordnete Dr. Klocksin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass Sie, Frau Kollegin Kaiser, das Thema Europa gewählt haben, und ich freue mich, dass Sie das so uneigennützig getan haben. Man könnte nur irritiert sein bei der Namensgebung der heutigen Veranstaltung: „Konsequent sozial“. Das habe ich schon einmal irgendwo auf großen Tafeln mit blauem Grund gelesen. Aber immerhin: „Brandenburgs Chancen in der Europäischen Union nutzen“, wäre ein Thema, das mich interessieren würde. Nur habe ich dazu gerade wenig gehört.
Unser Problem bleibt: Man muss sich mal darüber verständigen, ob wir über Brandenburg, über Deutschland oder über Europa und die Welt reden. Wenn Sie nach einem kurzen skandalisierenden Einstieg wieder zu Ihren Lieblingsthemen kommen, dann nutzt das der Sache nicht viel. Gar nichts nutzt es, den Leuten, die beispielsweise hier im Saal sitzen, nicht zu sagen, warum Europa für uns eine Bedeutung hat und wie wir uns als Brandenburger mitten in Europa einbringen können und was es für einen Nutzen oder Schaden für unser Land hat.
Viele Ihrer Kritiken mögen begründet sein, aber ich halte überhaupt nichts davon, in sensiblen Bereichen wie der Euroregion Spree-Bober-Neiße in skandalisierender Art und Weise aufzutreten und - gerade, wenn es darum geht, den Dialog mit Polen auf ordentliche Beine zu stellen - in einer Art und Weise einzugreifen, die unsere Nachbarn und Partner eher irritieren und vor den Kopf stoßen kann. Das dient weder unserer nachbarschaftlichen Zusammenarbeit noch der europäischen Integration, meine Damen und Herren.
Nun zum Thema: Die Frage, die sich uns allen stellt, lautet: Welche Rolle können und wollen wir in der Zukunft einnehmen? Fakt ist, dass diese Europawahl in einem Jubiläumsjahr stattfindet. 1979 wurde das erste Mal gewählt, das heißt, seit 30 Jahren gibt es eine direkte Wahl, seit weniger als 20 Jahren auch in diesem Teil Europas. Wir müssen uns fragen, ob wir diese Europawahl nutzen wollen, um deutlich zu machen, dass die Europäische Union ein integraler Bestandteil ist und wir einer von ihr. Der Umstand, dass wir mit Europäern zusammenarbeiten, Nachbarschaften herstellen, reisen und über Grenzen gehen können und dass wir in Frieden leben, ist ein Ergebnis der europäischen Integration.
Ich meine, wir sollten im Jahre 20 nach dem Fall der Mauer diesen Gedanken mehr in den Vordergrund stellen. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir im Europaausschuss - Sie werden sich darüber berichten lassen, Frau Fraktionsvorsitzende - in den letzten Jahren immer wieder Jugendliche, Schülerinnen und Schüler eingeladen haben, nach Potsdam zu kommen und im Rahmen von Veranstaltungen über Themen zur Europäischen Union oder über Themen, die uns insgesamt beschäftigen, zu sprechen. Es war interessant, dass vielen dazu einiges eingefallen ist.
Natürlich bekommen wir Geld von der EU, aber ich will nicht von den Agrarsubventionen sprechen. Ich will gar nicht vom Europäischen Sozialfonds reden, obwohl - die Sozialministerin hat darauf hingewiesen - 200 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds in 5 000 Projekte der Arbeits- und Ausbildungsförderung mit 167 000 Menschen geflossen sind. 167 000 Menschen in Brandenburg haben von diesem Sozialfonds profitiert. Das ist nicht nichts, gerade wenn wir darüber reden, wie wir in der Fläche des Landes Arbeitsmarktpolitik organisieren wollen.
1,6 Milliarden EFRE-Mittel für die regionale Entwicklung. Wie stemmen wir denn die Entwicklung der ländlichen Räume, der Sie sich doch so gerne annehmen wollen? Machen Sie doch lieber mit, anstatt über dieses Instrument zu diskutieren. Oder sagen Sie: Lassen wir das Geld kommen, der Rest von Europa ist uns egal?
- Ich höre mit Freude und möchte im Protokoll festgehalten haben: „Wir machen mit“, sagt Frau Fraktionsvorsitzende Kaiser.
Sie haben über die neoliberale Grundausrichtung der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik geklagt. Ich teile Ihre Klage. In der Tat: Das Europa, das sich 1957 als Wirtschaftsunion, als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft etabliert hat, hat über Jahre hinweg ein Defizit im sozialen Bereich. Das Fatale ist, dass erstmals der Vertrag von Lissabon überhaupt eine vertikale Sozialregelung enthält. Wir wollen und müssen mehr haben. Ich könnte jetzt das sozialdemokratische Europawahlprogramm verlesen, verzichte aber darauf. Das kann man nachlesen. Sie haben gerade das Ihre verlesen. Wir müssen einander aber nicht bekehren.
Ich bin mit Ihnen der Auffassung, dass Wettbewerb und Liberalisierung nicht die Maximen der europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik sein sollen. Der Vorrang von politischer Gestaltung und sozialer Gerechtigkeit muss festgeschrieben sein.
Das bedeutet auch eine klare Absage an das konservativ-neoliberale Politikmodell, das im Parlament der Europäischen Union bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt mehrheitsfähig ist.
Ich möchte aber auch Sie bitten mitzumachen. Verzeihen Sie, Frau Kaiser, ich will Ihnen nicht Unrecht tun, aber manchmal habe ich den Eindruck, dass die Partei DIE LINKE ein strukturell gestörtes Verhältnis zur Europäischen Union hat. Sie müssen sich entscheiden, ob die Europäische Union ein Gestaltungsraum ist, in dem Sie sich wiederfinden,
- ein klares Ja, notiert das Protokoll - oder Sie müssen sagen: Nein! - Wenn Sie Nein sagen, dann kann ich das verstehen. Das wäre konsequent; denn Ihre derzeitige Politik sagt nicht Ja.
Ich möchte an dieser Stelle ein Zitat bringen und - um das Zitat verständlich zu machen - darauf hinweisen, dass im Rahmen des Lissabon-Vertrages auch die Frage der Bürgerbeteiligung, der Partizipation eine Rolle spielt - ein Thema, das für uns Sozialdemokraten immer von zentraler Bedeutung war und, so wünsche ich es mir, auch für Sie ist. Es gibt eine Europäische Bürgerinitiative, in der es darum geht, dass Bürgerinnen und Bürger in den Mitgliedsstaaten ab einem bestimmten Quorum imstande sind, Ihre Rechte auch über Volksabstimmungen und -begehren wahrzunehmen. Es ist ein Instrument, das wir grundsätzlich für positiv halten. Das setzt jedoch voraus, dass der Lissabon-Vertrag auch ratifiziert wird. Nur so wird er wirksam.
Was passierte in Europa bei der Fraktion GUE/NGL? Als es um die Abstimmung ging, sagte der Fraktionsvorsitzende: Entweder wir stimmen mit Nein oder wir gehen gar nicht erst hin. - So ist die Veranstaltung abgelaufen. Ich möchte zitieren:
„Mit Bedauern musste ich zur Kenntnis nehmen, dass sich weder meine Fraktion noch meine Partei - vorsichtig ausgedrückt - für die Europäische Bürgerinitiative erwärmen konnte. Während einerseits keine Gelegenheit ausgelassen wird, das Demokratiedefizit in der EU zu beklagen, verweigert man sich ernsthaften Schritten, die das europäische Projekt demokratischer machen.“
- korrekt - das sagte Sylvia-Yvonne Kaufmann im „Neuen Deutschland“. Und das wird doch nicht lügen, meine Damen und Herren.
Vielleicht kommen Sie gleich mit dem Dementi: Es stimmt nicht, weil es im ND steht. - Dann werden wir das auch zu Protokoll nehmen. Der entscheidende Punkt ist aber, dass eine profilierte Politikerin der Partei DIE LINKE nicht mehr für das Europaparlament aufgestellt wird, und das ist der Skandal. Wollen Sie eine demokratische, vielfältige, plural angelegte Partei sein, die sich der Themen annimmt, oder wollen Sie das nicht?
- Liebe Frau Schier, Ihre Bemerkung möchte ich so nicht hinnehmen. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, aber ich sehe, dass es auch Ihnen nicht immer einfällt, dissonante Auffassungen so zu integrieren, dass man den pluralen Gedanken weiter stärken könnte. Im Übrigen berichtet die heutige Lokalpresse interessant über Ihre Lounge. Vielleicht können Sie dort demnächst europapolitische Gespräche bei Stuhl, Tisch und Lampe führen.
Ich möchte die Frage der weiteren Diskussion ansprechen, bevor wir in die nächste Runde gehen. Ich habe dem gleichen Pressespiegel von heute entnommen, dass die Partei DIE LINKE ein europapolitisches Programm für ein zukunftsfähiges und solidarisches Brandenburg fordert. Als ich das heute Morgen gelesen habe, habe ich gehofft, hier neue Informationen zu erhalten, aber ich habe bisher dazu nichts gehört. Außer den Allgemeinplätzen bundespolitischer Natur und aus gesamtgesellschaftlicher Sicht gab es kein einziges brandenburgisches Moment.
- In das Internet? Da sind Sie bei mir beim Richtigen. Ich bin immer noch ein Freund des geschriebenen Wortes. Und wenn Sie sogar Gelegenheit haben zu reden, dann wünschte ich mir, dass Sie diese auch nutzen.
Jetzt komme ich noch einmal auf unser Publikum zurück. Da sitzen Menschen, die aus freien Stücken in diesen Landtag kommen und an einer europapolitischen Debatte teilnehmen. Was erleben sie? Gestanzte Formulierungen. Deshalb verzichte ich auf das Vorlesen des Wahlprogramms. Sagen wir ihnen doch einmal, was wir in Brandenburg wollen. Meine Damen und Herren, ich möchte gern im zweiten Teil meines Beitrags darauf zurückkommen. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Schlagzeilen in den Medien werden immer dramatischer: „EU-Aufschub beim Defizitabbau“, „EU fürchtet Wettlauf der Subventionen“, „Wirtschaftskrise erreicht neue Dimension“, „Es brodelt in der EU“, „Brüssel befürchtet soziale Unruhen“, „Ratlosigkeit schlägt in Radikalität um“, „EU-Asylpläne gleich Massenzuwanderung“, „Deutschland noch immer größter Nettozahler der EU“ usw.
Da kommt selbst die Linke nicht umhin und setzt das Thema EU auf die Tagesordnung; es ist ja auch Europa-Wahlkampf. Mit dem ersten Satz der Begründung des Antrages stellen Sie fest: Die EU bestimmt heute die Gestaltung der Politik in Brandenburg. - Das ist richtig. Doch nicht nur das, sondern in ganz Deutschland. Mittlerweile beruhen mehr als 80 % aller Gesetze und Verordnungen auf der Brüsseler Bürokratie, die uns in Brandenburg auch ein Seilbahngesetz beschert hat.