Protokoll der Sitzung vom 14.05.2009

Frau Ministerin, es gibt noch eine Möglichkeit, den Missbrauch des Instrumentes Leiharbeit zurückzudrängen. Die Bundesregierung bzw. der Bund kann die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates, nach der gleicher Lohn für gleiche Arbeit in der Leih- und Zeitarbeitsbranche auch in Deutschland umgesetzt werden kann, ratifizieren bzw. dazu ein Gesetz erlassen. Wird die Brandenburger Landesregierung, obwohl die Legislaturperiode sich dem Ende neigt, in dieser Hinsicht noch aktiv werden, um diesen Verwerfungen endlich ein Ende zu bereiten?

Herr Görke, Sie haben die Antwort in Ihrer Frage bereits formuliert: Nach dem heutigen Stand meiner Erkenntnisse wird sich das am Ende dieser Legislaturperiode in unserer Landesregierung nicht mehr machen lassen.

Die Fragestunde ist beendet. Ich schließe damit Tagesordnungspunkt 2 und entlasse Sie bis 13 Uhr in die Mittagspause.

(Unterbrechung der Sitzung: 12.03 Uhr)

(Fortsetzung der Sitzung: 13.04 Uhr)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Zur Integrationspolitik des Landes Brandenburg

Große Anfrage 44 der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 4/7067

Antwort der Landesregierung

Drucksache 4/7466

Ich eröffne die Aussprache. Die Abgeordnete Weber spricht für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Wir führen heute eine Debatte zum Leben von Ausländern, Zuwanderern, Flüchtlingen, Asylsuchenden, Migranten und Spätaussiedlern in Brandenburg. Dies sind sehr unterschiedliche Begriffe für unterschiedliche Aufenthaltsberechtigungen. Eines ist jedoch allen gleich: Es sind Menschen, die dahinterstehen, Frauen, Männer und Kinder. Nur: Sie sind nicht deutscher Herkunft. Dennoch sind es Menschen, für die auch Menschenrechte und Menschenwürde gelten.

Wer sich in Brandenburg niederlassen möchte und nicht zufällig aus einem EU-Land kommt, hat es schwer, dort anzukommen, wohin er eigentlich möchte. Gibt er sich als Asylbewerber zu er

kennen, dann fällt er entweder unter die doch restriktive deutsche Auslegung des Asylverfahrensgesetzes oder er wird nach seiner wirtschaftlichen Verwertbarkeit hin überprüft und dementsprechend aufgenommen oder zurückgeschickt.

Die EU-Kommission überreichte dem Europäischen Parlament am 26.11.2007 einen Bericht über die Umsetzung der Europäischen Richtlinie zur Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedsstaaten. Darin wird die Bundesrepublik deutlich kritisiert. Erstens: Es gibt kein ordentliches Verfahren zur Feststellung von Traumatisierungen von Flüchtlingen und somit nicht die entsprechende Versorgung. Zweitens: Flüchtlinge werden unzureichend über Rechte und Möglichkeiten aufgeklärt. Drittens: Deutschland ist eines von zwei europäischen Ländern, die Artikel 7 der Richtlinie zum freien Aufenthalt auf ihrem Hoheitsgebiet außer Kraft setzen, sprich: eine Residenzpflicht verfügen.

In Anbetracht dessen, dass wir täglich vom hohen Gut der Freiheit in den Zeitungen lesen und auch unser Ministerpräsident anlässlich seines Besuchs im Gymnasium in Luckau davon sprach, dass Freiheit eines jeden Menschen, dorthin zu gehen, wohin er möchte, eine Frage des Menschenrechts ist, ist für mich nicht nachvollziehbar, warum die Landesregierung keine Notwendigkeit einer Bundesratsinitiative sieht,

(Beifall des Abgeordneten Dr. Bernig [DIE LINKE])

um die Aufhebung der Residenzpflicht zu erreichen.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Sachleistungsprinzip: Unterbringung in oft ortsfernen Gemeinschaftsunterkünften - häufig über längere Zeiträume - und Zugangsbeschränkung zum Arbeitsmarkt sind einige der vielen Härten, die Asylsuchenden in unserem Land erst einmal entgegentreten.

Es ist klar, dass die angesprochenen Probleme der Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterliegen. Dennoch möchte ich an dieser Stelle Aktivitäten der Landesregierung zum Abbau der als Abschreckung gedachten Verfahrensweisen einfordern.

Nicht vielen gelingt es durch die Restriktion in unserem Land, die Hürde eines gesicherten Aufenthalts zu nehmen und für integrationswürdig befunden zu werden. Die Linke versteht unter Integration eine positive gemeinsame Zukunftsgestaltung ohne soziale Benachteiligung mit weitgehender Chancengleichheit und gesellschaftlicher Teilhabe. Ohne gleichberechtigte gesellschaftspolitische Teilhabe, gegenseitige Akzeptanz und gegenseitigen Respekt lässt sich Integration nicht verwirklichen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Bernig [DIE LINKE])

Ich betone dies besonders, weil Integration in der Öffentlichkeit zu häufig unter dem Gesichtspunkt von wirtschaftlicher Verwertbarkeit gesehen wird. Fachkräftemangel, demografischer Wandel und seine Probleme werden hier an erster Stelle diskutiert. Diesbezüglich muss sich ein Paradigmenwechsel im Handeln der Politik vollziehen.

Im Land Brandenburg gibt es ein Integrationskonzept. Es ist ein Integrationsbeirat tätig, und es sind Netzwerke und Fachdienste zur Betreuung Zugewanderter entstanden. Es gibt auch

ein Begrüßungsfest für Eingebürgerte. Besonders zu würdigen sind dabei die vielen ehrenamtlich Tätigen, die diesen Menschen, die zu uns kommen, Hilfe und Unterstützung in den verschiedensten Lebensbereichen gewähren, die sie aber vor allem als Partner annehmen und sie auf ihrem Weg in unsere Gesellschaft begleiten. Dafür gilt ihnen - den Ehrenamtlichen und denjenigen, die in den Behörden dieses Problem behandeln unser Respekt und unsere Anerkennung.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE und der SPD)

In den Antworten auf unsere Große Anfrage werden jedoch strukturelle Defizite, die einer erfolgreichen Integration in Brandenburg entgegenstehen, deutlich. Auf die aus meiner Sicht wichtigsten Punkte möchte ich mich beziehen, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben: Voraussetzung und Ergebnis gelungener Integration ist der Erwerb sprachlicher Fähigkeiten. Bereits in der ersten Fortschreibung des Integrationskonzeptes aus dem Jahr 2005 musste eine bis dahin völlig unzureichende Sprachförderung eingeräumt werden. Die Rambøll-Studie des Bundesinnenministeriums belegt, dass die Sprachförderung innerhalb der Integrationskurse auch für weit mehr als die Hälfte aller Teilnehmer nicht ausreichend ist und es sowohl vorgeschalteter Orientierungskurse als auch weiterführender Differenzierungskurse bedarf.

Wie stellt sich jetzt die Situation in Brandenburg dar? - In lediglich sechs Landkreisen und zwei kreisfreien Städten werden bzw. wurden Sprachkurse angeboten. Unter diesen acht Kommunen ist außerdem eine starke Differenzierung hinsichtlich der Qualität, der Quantität und der Kosten sichtbar. Von 0 bis 150 Euro pro Lehrgang ist alles zu haben. Bemerkenswert waren Modellprojekte, in denen der grundhaften Sprachförderung Alphabetisierungskurse vorangestellt wurden. Natürlich: Wer in seiner Muttersprache nicht lesen und schreiben kann, kann in einer Fremdsprache die Schriftsprache noch weniger erwerben. In weiteren Stufen wurden bei diesen Modellen fachspezifische Sprachausbildungen, die sich an bestimmten Berufsbildern orientierten, angeboten. Leider handelte es sich lediglich um Modelle aus den Jahren 2003 und 2004.

Am Rande eine Bemerkung zu Modellprojekten: Sie sind wichtig und gut, weil man damit Erkenntnisse gewinnt und etwas ausprobieren kann. Wenn jedoch Modellprojekte immer wieder nach der Modellphase auslaufen und die Erfahrungen nicht auf das ganze Land umgemünzt und angewendet werden, dann ist das so, als würde ich den Startschuss für einen Marathonlauf geben, nach einem Kilometer abbrechen und zum Ausgangspunkt zurückkehren.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

In Brandenburg ist der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund noch gering, jedoch ist die Tendenz steigend. Es gibt bereits Kindereinrichtungen mit 20 % Migrationshintergrund. Der Landesregierung sind - aus den Antworten auf die Frage 41 f. zu schließen - diesbezüglich keine Probleme bekannt. Deshalb sind auch aus Sicht der Landesregierung für derartige Einrichtungen keine besonderen Unterstützungsmaßnahmen erforderlich. Die Verantwortung wird allein den Trägern überlassen.

Die Einschätzung in der Antwort zu Frage 39, dass sich landesweit zentral initiierte Maßnahmen - zum Beispiel flächen

deckende Fortbildung zu migrationsspezifischen Themen und Weiteres - nicht anbieten, zeugt aus meiner Sicht von Unterschätzung der Probleme von Kindern mit Migrationshintergrund. Vor allem im Kita- und Grundschulalter benötigen sie besondere Zuwendung und sprachliche Förderung, damit ihnen ein gleicher Bildungsweg und gleiche Chancen wie Kindern deutscher Herkunft ermöglicht werden können. Dies darf nicht ausschließlich dem Träger vor Ort oder den Initiativen der jeweiligen Schule überlassen werden.

Als völlig kontraproduktiv erweist sich in diesem Zusammenhang die Schließung des Ausbildungsganges „Deutsch als Fremdsprache“ an der Universität Potsdam. Der Mensch denkt in Begriffen. Wenn er keinen Wortschatz und keine Begriffe hat, um seine Gefühle und seine Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen, bedient er sich anderer Mittel, um sich verständlich zu machen. Die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen - dies wurde untersucht - liegt zum Teil auch an der Sprachlosigkeit, weshalb sie ihre Bedürfnisse nicht deutlich darstellen können.

Die Landesregierung sieht nach eigener Aussage die muttersprachliche Bildung von Kindern mit Migrationshintergrund als Beispiel eines erfolgreichen Integrationsprozesses.

Tatsache ist: 600 Schülerinnen und Schüler haben muttersprachlichen Unterricht. Das ist sehr zu begrüßen. Das sind aber nur 10 % der Kinder, die hier sind. Die Problematik, dass jeweils 12 Kinder zu einem Lehrgang zusammengefasst werden müssen, damit der Lehrgang stattfinden kann, muss noch einmal überprüft werden. Im ländlichen Raum wird man kaum genügend Kinder mit gleicher Sprachstandsentwicklung und derselben Sprache finden, um diese Kurse bestücken zu können. Man sollte hier bewusst Eltern in den Prozess einbeziehen bzw. Pädagogen mit Migrationshintergrund Möglichkeiten zur Mitarbeit geben.

Eine weitere Schnittstelle ist die berufliche Integration. Viele Zuwanderer verfügen über hohe Qualifikationen und Berufserfahrung; das Potenzial bleibt selbst bei einfachen Berufen häufig ungenutzt. Beispielsweise darf ein Berufskraftfahrer aus Russland seinen Beruf in Deutschland zunächst nur sechs Monate lang ausüben. In diesen sechs Monaten muss er den Führerschein machen. Wir alle, die wir in Deutsch doch ziemlich perfekt sind, wissen, wie schwierig es ist, die komplizierten Testfragen zu erfassen und richtig zu beantworten. Schafft er es nicht, in dieser Zeit den Führerschein zu machen, darf er seinen Beruf in Deutschland nicht mehr ausüben.

(Schulze [SPD]: Wissen Sie, was in Frankreich üblich ist?)

Das Bundesinnenministerium schätzt jedenfalls ein, dass die hohe Regulierung qualifizierter Tätigkeiten in Deutschland nicht nur ein berufliches Fortkommen neu ankommender Migrantinnen, Migranten und Flüchtlingen behindert, sondern auch den praktischen Zugang zum hiesigen Arbeitsmarkt für bereits seit Jahren hier lebende Mitglieder der Gesellschaft versperrt. Deshalb fordern wir eine Clearingstelle, eine Anlaufstelle, in der Vertreter der Kammern und Vertreter derjenigen Bereiche mitwirken, die für die Berufsanerkennung zuständig sind, damit die Berufsbezeichnungen sinngemäß übertragen werden, damit zielgerichtet Ergänzungslehrgänge durchgeführt werden können, damit in einzelnen Berufsgruppen zielgerichtet Aufbau durchgeführt wird, nicht nur bei Ärzten, weil wir sie gerade brauchen, sondern auch in den anderen Berufsgruppen, und zwar deshalb, weil sie der

Mensch braucht, um sich selbst zu verwirklichen. Diese Clearingstelle würde sicherlich wesentlich dazu beitragen, dass die Menschen und Familien hier bei uns für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen und zur Gestaltung der Gesellschaft beitragen können.

Frau Weber, Sie haben die Redezeit um ein Vielfaches überschritten.

Verzeihung! Bitte noch einen Satz. - Es gibt auch im Berufsbereich eine Vielzahl an Modellen, die helfen, Integration zu befördern. Aber auch hier müssen wir zu einer Verstetigung kommen. So, wie es Bundeskanzlerin Merkel vorgestern formuliert hat, brauchen wir im kulturellen und im wirtschaftlichen Bereich eine Verbesserung der Integration, damit unser Land reicher und schöner wird. - Danke.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE und der SPD)

Herzlichen Dank. - Trotz der Tatsache, dass Frau Weber zehn Minuten gesprochen hat, hat Frau Lehmann jetzt nur fünf Minuten Redezeit. So ist es zumindest vorher vereinbart worden. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Derzeit leben etwa 132 600 Personen mit Migrationshintergrund in Brandenburg. Das sind etwa 5 % der Bevölkerung. Die Zuwanderung von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern sowie jüdischen Menschen ist aufgrund der Änderung der Gesetzeslage fast zum Erliegen gekommen. Aufgrund der Arbeitsmarktlage in Brandenburg gibt es nur eine sehr begrenzte Arbeitsmarktzuwanderung.

Zuwanderung erfolgt derzeit hauptsächlich im Rahmen von Familiennachzug. Natürlich besteht nach wie vor Integrationsbedarf. Der hohe politische Stellenwert der Integration ist im Landesintegrationskonzept verankert. Neben der Arbeitsmarktintegration und der Förderung der gesellschaftlichen Partizipation müssen Familien als Zielgruppe stärker als bisher in unseren Integrationsbemühungen berücksichtigt werden. Zudem müssen wir künftig stärker beachten, dass inzwischen auch in Brandenburg eine zweite Generation an Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund heranwächst und zunehmend Kitas und Schulen besucht.

Nach Angabe des Mikrozensus 2005 haben in den neuen Bundesländern in der Gruppe der Null- bis Sechsjährigen bereits 11 % einen Migrationshintergrund. Damit will ich sagen: Unsere Integrationsbemühungen müssen sich zukünftig stärker auf diese Kinder und Jugendlichen beziehen. Das setzt allerdings voraus, dass Daten der amtlichen Statistik das Merkmal Migrationshintergrund berücksichtigen. In vielen Fällen ist gegenwärtig nur eine Unterscheidung nach Staatsangehörigkeit möglich. Der Kita-Bereich ist seit 2006 in der Bundesjugendstatistik bereits entsprechend erweitert worden. Die Schulstatistik lässt hier noch einige Lücken offen.

Natürlich ist die Frage erlaubt, ob die derzeit im Land vorhandenen Integrationsangebote den Anforderungen entsprechen; nur kann diese Frage nicht mit Ja oder Nein beantwortet werden.

Die vorhandenen Integrationsangebote bedürfen entsprechend den sich laufend verändernden Bedingungen der ständigen Weiterentwicklung. So ist aus der Ausländerbeauftragten die Integrationsbeauftragte geworden. Die vielfältigen Aktivitäten des Büros der Integrationsbeauftragten konzentrieren sich auf Zuwanderung und Integration, auf interkulturelle Öffnung der Gesellschaft - schlicht: auf Vielfalt. Es hat sich also nicht nur der Name geändert; auch die Arbeitsschwerpunkte sind andere geworden. - Na klar, die Bedingungen haben sich auch verändert.