Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir als Nichtjurist ist es ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass sich der Paragraph des untauglichen Versuchs nicht generell auf Ehefrauen bezieht - das hat Herr Goetz unterschlagen -; das klarzustellen ist mir wichtig.
Heute diskutieren wir über das Landesausbildungsförderungsgesetz. Wir alle wissen, dass Deutschland zu den Ländern gehört, in denen die soziale Herkunft mit am ausgeprägtesten den Bildungserfolg bestimmt. Auch die jüngste Studie des Deutschen Studentenwerks hat dies erneut bestätigt. Von 100 Akademikerkindern schaffen es 71 an die Hochschule, während dies bei Arbeiterkindern lediglich 24 Kinder sind. Die Diskrepanz wird an dieser Stelle, glaube ich, sehr deutlich.
Brandenburg war noch vor wenigen Jahren eine rühmliche Ausnahme an dieser Stelle, hat in den vergangenen Jahren aber leider tüchtig zugelegt und reiht sich mittlerweile in den bundesdeutschen Durchschnitt ein. Es ist also höchste Zeit, an dieser Stelle gegenzusteuern, und dies wird diese Koalition auch tun.
Das Vorhaben, über das wir heute hier beraten, ist ein Kernstück unserer Koalitionsarbeit. Im zwischen SPD und DIE LINKE geschlossenen Koalitionsvertrag können Sie dazu nachlesen:
„Bildung darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Ziel ist es, dass mehr Kinder aus einkommensschwachen Familien Abitur machen und studieren. Die Koalition wird ein Schüler-BAföG für die Abiturstufe einführen.“
Genau darum geht es heute. Der vorliegende Entwurf für ein Brandenburgisches Ausbildungsförderungsgesetz ist aus unserer Sicht ein Schritt zu mehr Chancengleichheit. Ziel ist es, mehr Kinder aus einkommensschwachen Familien den Weg zum Abitur zu erleichtern, und zwar durch eine monatliche Landesausbildungsförderung in Höhe von 50 bzw. 100 Euro, die für Bildungsausgaben - Herr Minister hat es ausgeführt einzusetzen sind.
Wir möchten an dieser Stelle nicht verhehlen, dass wir uns auch weitere Wege zu mehr Chancengleichheit und Unterstützung von Kindern aus einkommensschwachen Familien vorstellen können, zum Beispiel durch die Ausweitung des Schulsozialfonds. Dennoch plädieren wir dafür, diesen Weg mit dem Ausbildungsförderungsgesetz zu gehen. Parallel - so ist es vereinbart und, ich glaube, auch nachvollziehbar - werden wir natürlich prüfen, ob wir das Ziel, das wir damit verfolgen, erreichen und ob dieses Mittel dem Ziel gerecht wird.
Angesprochen wurde bereits, dass der ursprüngliche Adressatenkreis des Ausbildungsförderungsgesetzes vor allem Schülerinnen und Schüler sind, die aus Familien kommen, in denen Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Hilfen zum Lebensunterhalt, Wohngeld oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen wird. Infolge des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 9. Februar dieses Jahres - das wurde auch schon angesprochen - ist die Bundesgesetzgebung aufgefordert, bis
Ende dieses Jahres eine Veränderung vorzulegen, die für dieses Landesgesetz nicht unerheblich sein wird; davon ist auszugehen.
Angesichts dieser Entwicklung haben wir uns entschieden, den Adressatenkreis bereits jetzt auszuweiten. Demnach kommen Schülerinnen und Schüler, die einen ständigen Wohnsitz im Land Brandenburg haben, die gymnasiale Oberstufe besuchen bzw. den zweijährigen vollzeitschulischen Bildungsgang der Fachoberschule mit integrierter fachpraktischer Ausbildung, für Bewerberinnen und Bewerber mit Realschulabschluss/ Fachoberschulreife bzw. den zweijährigen vollzeitschulischen Sonderlehrgang für Berechtigte mit den Voraussetzungen gemäß § 4 Abs. 2 Fachoberschul- und Fachhochschulreifeverordnung belegen und die finanziell bedürftig sind, in den Genuss der Förderung. Genau darum geht es ja heute.
Finanziell bedürftig ist nach unserer Definition, wer entsprechend den maßgeblichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen Leistungsbeziehern nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz gleichsteht, jedoch aufgrund - das ist der Unterschied - des § 2 Abs. 1a keine Bundesausbildungsförderung erhält, das bedeutet: wer bei seinen Eltern wohnt, und das ist bei den Schülerinnen und Schülern in Brandenburg ja in der Mehrheit der Fall.
Unabhängig vom Gesetz sollte vielleicht gerade in diesem Punkt ein Ansatz für eine Bundesratsinitiative Brandenburgs liegen. Der Minister hat angekündigt, dass wir diesen Weg gehen werden. Das wird unsere Unterstützung finden.
Uns ist bewusst, dass die Förderung von Kindern aus einkommensschwachen Elternhäusern ab der 11. Klasse ziemlich spät einsetzt. Aber wir müssen denjenigen, die den Weg bis dorthin allein geschafft haben und die Unterstützung brauchen, eine Chance geben.
Gleichzeitig geht es natürlich auch darum, dass wir von unten da ist das Kita-Gesetz eine Möglichkeit, die Sprachstandsfeststellung und die Sprachförderung in der Kita sind ein weiterer Baustein - anfangen müssen, die Voraussetzungen zu schaffen, und wenn uns das gelingt, wird in einigen Jahren vielleicht auch dieses Gesetz überflüssig sein. Im Moment aber - davon sind wir überzeugt - ist es notwendig.
Am 20. Mai haben wir alle die Gelegenheit, in der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport gemeinsam mit Experten über dieses Gesetz zu diskutieren. Dazu lade ich Sie recht herzlich ein. - Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nur in wenigen anderen Industriestaaten entscheidet die sozioökonomische Herkunft so sehr über den Schulerfolg und die Bildungschancen wie in Deutschland. Das ist mehrfach gesagt worden, und das lesen wir auch in der Problembeschreibung des vorliegenden Gesetzentwurfs.
Für Brandenburg heißt das: Von 100 Beamtenkindern studieren 95, von 100 Arbeiterkindern studieren 17. Diese Zahlen stammen aus einer Wahlkampfbroschüre der SPD vom letzten Sommer und belegen ein Verschleudern von individuellen und gesamtgesellschaftlichen Potenzialen, gegen das vorzugehen natürlich zu den wichtigsten Aufgaben dieser Regierung gehören muss.
Ja, was die Hausforderungen angeht, so sind wir gleicher Meinung. Aber stimmen Sie mit mir überein, dass angesichts der Größe der Herausforderung und angesichts der knappen zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel nur die effektivsten Wege eingeschlagen werden sollten? Wenn ja, warum setzen Sie dann auf dieses Pferd? Warum erfinden Sie das Brandenburgische Ausbildungsförderungsgesetz? Woher wissen Sie, dass die größte Herausforderung für Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Haushalten ausgerechnet nach der Vollzeitschulpflicht beim Übertritt in einen weiterführenden Bildungsgang besteht? Welche statistischen Erkenntnisse haben Sie darüber, dass Jugendliche, die von der Übergangsberechtigung keinen Gebrauch machen, das aus finanziellen Erwägungen tun? Wie viele sind es eigentlich, die infrage kommen?
Wenn man sich Ihre Antragsvorlage ansieht, dann fällt auf, dass Sie zwar mit vielen Zahlen aufwarten, aber genau dazu keine Angaben machen. Ich wage zu bezweifeln, dass diese Informationen, wenn wir sie hätten, Ihrem Anliegen dienen würden. Laut Bundesbildungsministerium gibt es keine Studie, die eine positive Korrelation eines Schüler-BAföGs und der Abiturquote von schlechter Verdienenden belegt.
(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Es gab ja bisher auch kein Schüler-BAföG. Wie soll man da schon eine Studie ha- ben?)
Ich habe dazu eine Kleine Anfrage gestellt, und wenn mich die Antworten eines Besseren belehren, dann lasse ich mich gern überzeugen. Allein mir fehlt der Glaube.
In Brandenburg verlässt jeder Elfte die Schule ohne einen Abschluss; das ist der eigentliche Skandal.
Diese Bildungsverlierer haben nichts vom neuen SchülerLAföG; um diese kümmert sich niemand. Ich sehe sie in dem Paket, von dem Sie, Herr Ness, gesprochen haben, auch nicht gut aufgehoben. Die Bildungsexpertisen der letzten Jahre belegen immer deutlicher, dass es bei der Bildung auf die ersten Jahre ankommt, auf Kita-Jahre, auf die Grundschule. Dort muss die Förderung einsetzen.
Ich selbst schleuse meine Kinder seit 13 Jahren durch das brandenburgische Bildungssystem, und selbst der berühmte Blinde mit Krückstock sieht, wo die Kinder aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien verlorengehen: nach der
Grundschule! Von da an hängt Bildung tatsächlich vom Geldbeutel ab; da ist der Bildungsknick, und fördern müssen wir in den Jahren davor.
Noch etwas: Wir Bündnisgrünen halten nichts von einer Taschengelderhöhung. Wenn wir unser Geld sinnvoll einsetzen wollen, dann müssen wir es in das System investieren.
Wir brauchen keine neuen Instrumente. Wir haben Qualitätsmaßstäbe für Kitas gesetzt, wir haben FLEX-Klassen, Teilungsund Förderunterricht usw.
Es mangelt uns nicht an guten Instrumenten, aber sehr wohl an den Kapazitäten, sie umzusetzen. Auch wenn die Marketingstrategen dazu geraten haben mögen, mit dem Schüler-LAFöG auf ein neues Pferd zu steigen, weil sich das natürlich viel besser verkauft als das bloße bessere Füttern des alten, so brauchen wir dieses Pferd nicht. Und schon gar nicht brauchen wir den verwaltungstechnischen Blähbauch, der jährlich ansteigende Kosten von 316 000 Euro in diesem Jahr bis zu 619 000 Euro im Jahr 2013 bedeutet.
(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt CDU - Dr. Woidke [SPD]: Dann muss es ja einen hohen Bedarf geben, Frau von Halem! - Weitere Zurufe von der SPD)
- Das steht in Ihrer Vorlage. Es gibt die anderen Instrumente; hören Sie mir zu! Der Städte- und Gemeindebund läuft zu Recht Sturm dagegen und beklagt den unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand, zumal für die Leistungsempfänger nach SGB II und SGB XII ein Verwaltungszirkus aufzubauen ist, der zum Jahresende seine Zelte ohnehin wieder abbauen muss.
Was wir wirklich tun müssen, ist die Ausstattung in den Kitas weiter zu verbessern und unsere Kinder in den Schulen individuell zu fördern. Dazu brauchen wir mehr Personal und vor allem gut ausgebildete Pädagogen, aber keine Hirngespinste wie das Schüler-LAFöG.
Sehr geehrter Herr Minister, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Linken, wenn Sie Klientelpolitik betreiben und Geringverdiener stärken wollen, dann tun Sie dies bitte richtig: Steigen Sie ab von diesem Pferd, es ist tot. Investieren Sie dort, wo es Sinn macht - in die ersten Bildungsjahre.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Schluss noch ein wenig Nachhilfeunterricht: Ich möchte zunächst wiederholen, was Klaus Ness gesagt hat. Hier liegt kein Hartz-IV-Gesetz auf dem Tisch, sondern ein Gesetz für einkommensschwache Familien. Das, Herr Hoffmann, ist weit mehr und nicht etwa weniger als das, was ursprünglich einmal geplant war.
Ich möchte das einmal an konkreten Zahlen festmachen: Wir gehen heute davon aus, dass etwa 20 000 Schülerinnen und Schüler die gymnasiale Oberstufe, also die Jahrgangsstufen 11 bis 13, besuchen werden. Wir gehen davon aus - es handelt sich um eine Schätzung -, dass etwa 4 000 bis 5 000 davon im Sinne des Gesetzes anspruchsberechtigt sind. Unter diesen Anspruchsberechtigten sind schätzungsweise 1 200 Hartz-IV-Empfänger. Das heißt, wir gehen weit über unser Ziel hinaus, und ich glaube, es ist wichtig, das noch einmal zu betonen.
Unser eigentliches Ziel, die Abiturquote zu erhöhen. Dies werden wir sicher nicht dadurch erreichen, indem wir durch diese Maßnahme die Gymnasialquote signifikant erhöhen. Ich möchte aber Folgendes in Erinnerung rufen: Es gibt in Brandenburg noch einen zweiten Weg zum Abitur, nämlich den 13-jährigen Bildungsgang an Gesamtschulen und Oberstufenzentren. Um diesen geht es mir am meisten. Es muss gelingen, leistungsfähige Oberschüler davon zu überzeugen, dass nach der 10. Klasse nicht Schluss sein muss; denn nach Erlangen der Fachoberschulreife kann ein zweijähriger Bildungsgang der Fachoberschule angeschlossen und die Fachhochschulreife erlangt werden, womit die Berechtigung zum Studium an einer Fachhochschule erworben wird. Man kann auch den Erwerb der Fachoberschulreife mit dem Zusatz „Zugang zur gymnasialen Oberstufe“ schaffen, sodass man dann über einen dreijährigen Bildungsgang am OSZ beispielsweise ein vergleichbares Abitur wie am Gymnasium ablegen und damit an jeder Universität, Fachhochschule oder anderen Hochschule studieren kann. Das ist ganz wichtig, und darum geht es mir. Deshalb habe ich die Hoffnung - im Gegensatz zu Ihnen -, dass diese Maßnahme Wirkung zeigen wird.