Protokoll der Sitzung vom 01.07.2010

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einen schönen guten Morgen! Wenn Rechnungshöfe Berichte schreiben, dann hat das zunächst immer eine sehr positive Wirkung, weil sie nicht als parteipolitisch eingebunden gelten und damit qua Amt Institutionen sind, denen man vertraut. Was die minimierten Mehrwertsteuersätze angeht, so weiß die Politik schon seit 1968 Bescheid. Damals ist der ursprüngliche Katalog eingeführt und dann permanent verändert worden.

Es hat in der heutigen Debatte schon eine Rolle gespielt: Wenn man minimierte Mehrwertsteuersätze für Bereiche, für die sie nie und nimmer gedacht waren - sie waren für Produkte, die für das tägliche Leben unabdingbar und notwendig sind, gedacht einführt, hat man sich von dem ursprünglichen Gedanken komplett entfernt. Insofern finde ich richtig, dass in der gesamten Debatte auch über die Frage der minimierten Mehrwertsteuersätze für viele Produkte, bei denen sie nichts zu suchen haben, diskutiert wird.

Positiv ist, dass die Bundesregierung ein Gutachten in Auftrag gegeben hat. Gutachten sind das eine, die Implementierung in Politik das andere. Ich gehe davon aus, dass die demnächst vorliegenden Ergebnisse diese Debatte weiter befördern werden und es dann hoffentlich zu sozial gerechten Veränderungen bei den reduzierten Mehrwertsteuersätzen kommen wird. Was nicht passieren darf - das sage ich klar und deutlich - ist, dass man auf die Idee kommt, die minimierten Mehrwertsteuersätze, die zur Entlastung sozial Schwächerer eingeführt worden sind und das Kriterium „Produkte des täglichen Bedarfs“ erfüllen, zu erhöhen. Es gibt eine Unmenge an Produktgruppen, für die der Mehrwertsteuersatz erhöht werden kann, ohne dass daraufhin ein großartiges Echo zu erwarten ist.

Vom Prinzip her bin ich natürlich gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, weil ich glaube, dass diese Verbrauchssteuer sehr ungerecht ist, denn sie trifft die sozial Schwachen und Geringverdiener genauso wenn nicht sogar stärker, weil sie ihr Geld vorrangig für diese Produkte ausgeben.

Über die Details zu debattieren - es sind schon genug Beispiele angeführt worden, die Medien hatten das Thema auch aufgegriffen - können wir uns sparen. Ich glaube, es ist notwendig, und ich glaube, dass nicht nur eine Erhöhung der minimierten Mehrwertsteuersätze in bestimmten Bereichen notwendig ist das wiederhole ich gern -, sondern die gesamte Steuergesetzgebung auf den Prüfstand gehört. Wir haben vorhin schon Finanztransaktions- und Vermögensteuer genannt. Es gibt eine Menge Möglichkeiten, die Einnahmesituation des Bundes und der Länder zu verbessern. Es gibt auch Möglichkeiten, die Ausgaben zu senken. Man muss beides tun, wenn man auf solide Haushalte zurückgreifen will. - Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank. - Wir kommen zur Frage 260 (Angeblicher Ver- zicht auf polnische AKW-Standorte in der Grenzregion zu Brandenburg), die der Abgeordnete Bischoff stellen wird.

Deutsche Medien berichten von einem angeblich endgültigen Verzicht der polnischen Regierung, an der Grenze zu Brandenburg Atomkraftwerke zu errichten. Ein offizielles Statement der polnischen Regierung ist bislang nirgendwo veröffentlicht worden. Auf der Homepage der polnischen Regierung sind aktuell auch alle bislang bekannten Atomkraftwerkstandorte an der Oder an der Grenze zu Brandenburg wie Gryfino und Chojna unverändert aufgelistet.

Ich frage daher die Landesregierung: Welche konkreten Informationen liegen ihr vor, wonach die polnische Regierung angeblich keinen der AKW-Standorte an der Außengrenze zu Brandenburg weiterverfolgt?

Die Antwort wird Ministerin Tack geben.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Bischoff, uns liegt leider keine offizielle Nachricht von der polnischen Regierung vor, ob sie ein neues Atomkraftwerk bauen will, wenn ja, wo, oder ob sie darauf verzichtet, was uns natürlich am meisten entgegenkommen würde. Was uns bekannt ist, ist das, was Sie sicherlich auch zur Kenntnis genommen haben, dass zur Pressekonferenz am 16. März die Regierungsbevollmächtigte für Atomenergie, Frau Hanna Trojanowska, erklärt hat, dass es möglicherweise nördlich von Gdansk einen Standort für einen Atomkraftwerksneubau geben wird, aber eine endgültige Entscheidung nicht vorliegt.

Meine Kollegen aus dem Umweltministerium waren am 17. und 18. Juni wieder zur planmäßigen Beratung der deutsch-polnischen Nachbarschaftskommission. Die Kollegen haben auch das Thema Atomenergie in Polen und Entwicklung hinsichtlich eines Neubaus diskutiert und noch einmal unterstrichen, dass das von Brandenburger Seite mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wird und wir nach wie vor, auch in Fortsetzung der Politik meines Vorgängers Dietmar Woidke, dafür werben, den Anteil

erneuerbarer Energien an der Energieversorgung des polnischen Nachbarn befördern zu helfen.

Am 30. und 31. August tagt der deutsch-polnische Umweltrat. Ich werde daran teilnehmen, und es ist schon verabredet, dass dort auch das Thema Atomkraftwerkneubau auf der Tagesordnung stehen wird, dass wir es weiter diskutieren werden und noch einmal unterstreichen, dass wir es sehr kritisch sehen.

Sie wissen - das will ich abschließend sagen -, dass uns die Bundesregierung mit ihrer Planung der Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke mächtig in den Rücken fällt. Die schwarz-gelbe Bundesregierung will ihr Energiekonzept mit einer Laufzeitverlängerung von 10 bis maximal 28 Jahren vorlegen. Das ist gegenwärtig in der Prüfung. Es ist natürlich schwierig, für erneuerbare Energien nachhaltig zu argumentieren, wenn die Bundesregierung diesen aus unserer Sicht unsäglichen Paradigmenwechsel verfolgen würde. - Vielen Dank.

Es gibt Nachfragen. Bitte, Herr Bischoff.

Vielen Dank, Frau Ministerin, auch für die klare Position der Landesregierung: Nein zur Atomkraftenergienutzung. Meine Nachfrage: Habe ich Ihrer Antwort recht entnommen, dass Sie keinerlei Informationen haben, dass die polnische Regierung also mitnichten die brandenburgnahen Standorte an der Oder von der Liste gestrichen hat, wir also davon ausgehen müssen, dass die polnische Regierung nach wie vor einen Untersuchungsraum an der brandenburgischen Grenze an der Oder in Betracht zieht und es möglicherweise beim zweiten oder dritten Atomkraftwerk - das erste scheint entschieden zu sein - noch einmal zu dieser Standortentscheidung direkt an Brandenburgs Außengrenze kommen könnte?

Ich unterstreiche noch einmal, Herr Bischoff, es liegt uns nichts Offizielles vor, auch aus der Beratung der Nachbarschaftskommission im Juni gibt es keine offizielle Stellungnahme dazu, ob es geplant wird oder nicht. Deshalb habe ich das Thema am 30. und 31. August noch einmal auf die Tagesordnung setzen lassen. Ich werde Sie natürlich zeitnah darüber informieren, welche Aussagen die polnischen Kollegen getroffen haben.

Es gibt weiteren Nachfragebedarf. Bitte, Herr Bretz.

Frau Ministerin Tack, ist Ihnen bekannt, dass die Bundesregierung lediglich verschiedene Energieszenarien rechnen lässt, die eine unterschiedlich lange Laufzeit von Atomkraftwerken beinhalten? Ist Ihnen zweitens bekannt, dass eine Entscheidung über eine Verlängerung der Atomkraftwerke gar nicht getroffen wurde? Würden Sie vor diesem Hintergrund Ihre Bemerkung, dass die Bundesregierung Ihnen in den Rücken fällt, zurücknehmen?

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Das war schon die dritte Fra- ge! - Bischoff [SPD]: Nichts von dem hat mit meiner Fra- ge zu tun!)

Genau, es hat mit der Ausgangsfrage nichts zu tun. Dennoch, Herr Präsident, wenn Sie einverstanden sind, würde ich dem Kollegen Bretz gern folgende Antwort geben.

Zur Ersten: Ja. Wir hatten die Umweltministerkonferenz, und Umweltminister Röttgen hat deutlich gemacht, dass gegenwärtig eine Laufzeitverlängerung zwischen 10, 12, 24 und 28 Jahren geprüft wird.

Zur zweiten Frage will ich Sie daran erinnern, dass in der Koalitionsvereinbarung der schwarz-gelben Regierung die Atomenergie als Brückentechnologie mit einer Laufzeitverlängerung aufgeführt ist;

(Frau Lehmann [SPD]: Richtig!)

das werden Sie noch einmal nachlesen.

Zum Dritten ist zugesagt worden, nach der Sommerpause den Entwurf zum Energiekonzept der Bundesregierung vorzulegen. Dann wird eine Alternativentscheidung zu treffen sein.

In dem Sinne: Ich habe gerne geantwortet.

(Bretz [CDU]: Die Bemerkung zurücknehmen!)

- Nein.

Vielen Dank. - Wir kommen zu den Fragen 261 und 262, die sich mit der Bildungsstudie befassen. Ich schlage gemeinsame Beantwortung vor. Die Frage 261 (Ergebnisse der Schulleis- tungsstudie zu den Bildungsstandards) stellt die Abgeordnete Große. Bitte sehr.

Die Kultusministerkonferenz veröffentlichte am 23. Juni die Ergebnisse des ersten Ländervergleichs zur Überprüfung der Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss in ausgewählten Fächern. Für das Land Brandenburg liegen Ergebnisse für die Fächer Deutsch und Englisch vor. Die Ergebnisse bestätigen die bekannten Befunde der PISA-Vergleichsuntersuchungen und sind für das Land Brandenburg unbefriedigend und „enttäuschend“, wie Minister Rupprecht formuliert hat.

Ich frage die Landesregierung: Worin sieht sie die Ursachen für das schlechte Abschneiden der Brandenburger Schülerinnen und Schüler?

Die Frage 262 (Ergebnisse der zentralen Überprüfung des Er- reichens der Bildungsstandards) stellt der Abgeordnete Hoffmann zum gleichen Thema.

Das Institut für Qualitätsentwicklung hat im Auftrag der Kultusministerkonferenz Tests auf der Basis bundesweit geltender Bildungsstandards durchgeführt und die Ergebnisse am Mittwoch der letzten Woche veröffentlicht.

Ich frage die Landesregierung: Wie bewertet sie die Ergebnisse dieser Studie?

Minister Rupprecht wird antworten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Große, sehr geehrter Herr Hoffmann, die Ergebnisse waren ernüchternd. Sie sind absolut nicht zufriedenstellend. Ich war vor dem Vergleichstest nicht sonderlich optimistisch, bin anschließend aber sehr enttäuscht gewesen. Da gibt es nichts schönzureden; ich habe das auch hier nicht vor. Ich will auf einiges hinweisen, was zum Thema Ursachen und Wertung wichtig ist. Ich will das aber auch nicht zu ausführlich machen; wir werden uns sicherlich in der Folge des Öfteren darüber unterhalten.

Wir mussten konstatieren, dass wir sowohl in Deutsch als auch in Englisch hintere Plätze belegen. Wir liegen zwischen Platz 13 und Platz 16. Aber ich will auf einen wichtigen Hinweis nicht verzichten, er hat auch mit der Fragestellung von Frau Große zu tun: Außer beim Deutsch-Leseverständnis gab es in den anderen vier Kompetenzbereichen keine Möglichkeit, die Leistungen mit früheren zu vergleichen, weil sie schlichtweg früher noch nie abgeprüft worden sind. Jetzt Rückschlüsse auf ehemalige PISA-Ergebnisse zu ziehen ist in dem Fall nicht hilfreich.

Es gibt eine gute Nachricht, die will ich auch nicht verhehlen: Wir sind beim Zusammenhang von sozialer Herkunft und schulischem Leistungserfolg gut weggekommen. Aber das zeigt mir auch eine der Schwächen dieser Vergleiche und ist auch ein Beweis für die Überbewertung dieser Vergleiche. Denn wie kann es sein, frage ich an dieser Stelle, dass wir vor sechs Jahren beim vorletzten PISA-Test dafür gelobt wurden, dass bei uns Schüler aus sozial schwachen Familien beispielsweise bessere Chancen beim Zugang zum Gymnasium haben? Drei Jahre später waren wir mit bei den Schlechtesten, was uns große Sorgen bereitet hat. Nun sind wir wieder mit bei den Besten. Dass es innerhalb von sechs Jahren ein solches Auf und Ab gibt, zeigt mir: Wir sollten solche Studien und Vergleiche sehr ernst nehmen, aber auch nicht überbewerten.

Ich war auch ein bisschen ärgerlich - das sage ich an der Stelle auch -, dass die Studie und die Veröffentlichung für Englisch einen Fakt nicht berücksichtigt hat, den ich für nicht unwichtig halte: Es sind mehrere Länder bei diesem Test mit Schülern ins Rennen gegangen - es waren ja Neuntklässler -, die zwei Jahre früher mit Englisch begonnen haben als andere, beispielsweise die Brandenburger Schüler. Das liegt daran, dass in vielen Ländern die erste Fremdsprache auf die dritte Klasse vorgezogen wurde, bei uns inzwischen auch, aber noch nicht für unsere Prüflinge. Das bedeutet also, dass Länder wie Bayern oder Berlin einen erheblichen Vorteil hatten. Darauf wird überhaupt nicht hingewiesen - nicht einmal ein Sternchen zeigt, dass diese Länder diesen Vorteil hatten.

Ich ärgere mich seit Jahren - das weiß man, das habe ich bei den PISA-Vergleichen immer geäußert - über die Art der Darstellung der Ergebnisse. Alles wird auf das Ranking reduziert, auf die Plätze 1 bis 16. Manchmal sind die Unterschiede so minimal - mitunter unterscheiden sich zwei Plätze nur durch einen Punkt voneinander -, sodass man sagen kann, dass es dort

keine signifikanten Unterschiede gibt. Vielleicht wäre es besser, die Länder in Gruppen zu verpacken. Dann wären wir zwar in der letzten Gruppe, aber die Bewertung wäre wahrscheinlich etwas gerechter.

Ich sage all das nicht, um die Ergebnisse schönzureden oder Ausreden zu gebrauchen. Ich wiederhole: Die Ergebnisse waren enttäuschend. - So viel zum Thema Wertung, nach der Herr Hoffmann gefragt hatte.

Nun zum Thema Ursachen, weil Frau Große es mehr auf die Ursachen abgesehen hat: Prof. Köller hat bei der Pressekonferenz in Berlin eine Erklärung versucht, weshalb die fünf neuen Bundesländer im Bereich Englisch auf den letzten Plätzen liegen. Beim Hören nehmen alle fünf neuen Länder - auch die PISA-Sieger Sachsen und Thüringen - die letzten fünf Plätze im Ranking ein. Er hat es - da stimme ich ihm zu - an der unterschiedlichen Qualifikation der Lehrkräfte an den Schulen festgemacht.

Ich kann das sehr gut an meinem eigenen Beispiel nachvollziehen: Ich habe in der 7. Klasse fakultativ mit Englisch begonnen, das war in der DDR allgemein üblich. In der Bundesrepublik war Englisch gewöhnlich die erste Fremdsprache bzw. in einigen westlichen Bundesländer war es Französisch. Da wurde also wesentlich früher begonnen. Wir hatten Lehrkräfte, die fast nie Kontakt zu Muttersprachlern - beispielsweise während eines High-School-Jahres oder eines Studienaufenthalts, für ganze Semester im englischsprachigen Ausland - gehabt haben, was für Lehrer in den westlichen Bundesländern typisch war.

Ich glaube, das führt dazu, dass wir einen Qualitätsunterschied, vor allen Dingen bei der Sprachkompetenz haben. - Wir haben, das muss ich an dieser Stelle sagen - ein weiteres Problem: Von den in Brandenburg 2 659 Lehrerinnen und Lehrer mit einer Qualifikation für Englisch sind vier Fünftel, also etwa 2 000, älter als 45 Jahre. Sie haben ihre Ausbildung vor 1989/90 abgeschlossen. Beim Umstieg vom fakultativen Unterricht ab der Klasse 7 auf einen obligatorischen Unterricht ab der Klasse 5 nach 1989 fehlten uns logischerweise Englischlehrer in Größenordnungen. Es wurde plötzlich viel mehr Englisch in den Schulen unterrichtet, also haben wir Lehrer in Umschulungsmaßnahmen innerhalb von zwei Jahren zu Englischlehrern gemacht. Ich glaube nicht, dass das mit einem grundständigen Studium mit Auslandsaufenthalten und Ähnlichem vergleichbar ist.

Geht es um das Fach Deutsch, ist die Frage nach den Ursachen schwieriger zu beantworten; dieses Problem ist komplexer. Ich sehe einen Ansatz darin, dass wir es ganz offensichtlich an verbindlichen Vorgaben haben mangeln lassen, was zum Beispiel die Zahl verbindlich zu schreibender Arbeiten - beispielsweise Diktate - angeht. Ich glaube, der Stellenwert der Orthografie in diesem Bereich haben wir besonders schlecht abgeschnitten - ist nicht so, wie er sein müsste.

(Görke [DIE LINKE]:... auch nicht besser!)

Sicherlich hat die verkorkste Rechtschreibreform ihren Beitrag dazu geleistet; aber das betrifft natürlich auch andere Länder.

(Frau Wöllert [DIE LINKE]: Ja, genau!)