Protokoll der Sitzung vom 02.07.2010

Keine Aufnahme von ehemaligen Guantánamo-Insassen im Land Brandenburg

Antrag der Fraktion der CDU

Drucksache 5/1469

Der Abgeordnete Petke eröffnet die Debatte für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Rahmen des Bundestagswahlkampfs des letzten Jahres konnten wir zum ersten Mal die Äußerung des damaligen Vizekanzlers und Bundesaußenministers Frank Walter Steinmeier vernehmen, dass Deutschland in der Verantwortung stehe, ehemalige Insassen des US-Gefangenenlagers Guantánamo in Brandenburg oder Deutschland aufzunehmen. Die damalige Diskussion hatte einen realistischen Hintergrund wenigstens insofern, als der Umgang der Vereinigten Staaten als Guantánamo-Regime mit den Insassen des Gefangenenlagers auf Kuba nicht mit unserem Rechtsverständnis und unseren Standards des Rechts zu vereinbaren ist.

(Vereinzelt Beifall CDU)

Deswegen ist es gut, dass der neue Präsident der Vereinigten Staaten vor seiner Wahl, aber auch danach deutlich gemacht hat, dass er das Lager auflösen und dessen Insassen nach rechtsstaatlichen Kriterien behandelt wissen möchte. Das dokumentiert, dass die USA in der Vergangenheit offensichtlich Fehler gemacht haben und diese Fehler eingesehen werden. Für die Regierung der Vereinigten Staaten und für Obama persönlich ist es natürlich eine Frage der Glaubwürdigkeit, ob das damals gegebene Versprechen eingelöst wird.

In den letzten Wochen und Monaten mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass seitens der Landesregierung offenbar die Bereitschaft besteht, ehemalige Insassen des Gefangenenlagers auf Kuba in Brandenburg aufzunehmen. Wir haben den Innenminister im Innenausschuss des Landtags mehrfach nach eventuellen Absichten und dem weiteren Vorgehen in dieser Sache gefragt. Leider haben wir in dem parlamentarischen Gremium keine Antworten erhalten. Auch keine, die möglicherweise nicht hätten vollständig sein müssen, weil man noch in Gesprächen und in der Planung war. Im Innenausschuss wurde das Ganze auf eine bemerkenswerte Art und Weise abgetan.

Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, dass Bündnissolidarität ein wichtiger Grundsatz ist. Wir sind jedoch auch

der Meinung, dass man nur das von seinen Bündnispartnern verlangen kann, wozu man sich selbst verpflichtet. Es ist nämlich nicht so, dass es sich bei den Insassen von Guantánamo per se um Unschuldige handelt. Die Insassen hatten teilweise sehr enge Verbindungen zum Netzwerk des Terrors.

(Görke [DIE LINKE]: Für Sie sind die schon schuldig!)

Daraufhin hat der Innenminister erklärt, es gehe dabei um den Belang der Sicherheit. Ja, ich sage ganz klar, der CDU geht es auch um die innere Sicherheit. Gerade bei Menschen, die Verbindungen zum Terrornetzwerk haben, können wir in Brandenburg nicht mit absoluter Sicherheit beurteilen, ob von ihnen in der Gegenwart oder der Zukunft nicht eine Gefahr ausgeht.

(Jürgens [DIE LINKE]: Das können Sie nicht abschlie- ßend sagen! - Frau Kaiser [DIE LINKE]: Kann man das von Ihnen sagen? - Zuruf von Minister Speer)

Herr Minister, mit abschließender Sicherheit können Sie das nicht beurteilen.

(Zuruf des Abgeordneten Holzschuher [SPD])

Es ist bezeichnend, Herr Kollege Holzschuher, dass die Vereinigten Staaten unter Hinweis auf dieses ungelöste Problem der Sicherheit die Aufnahme der Menschen in ihrem Land verweigern. Ich sehe die Vereinigten Staaten und die Herkunftsländer der Häftlinge in der Verantwortung, sich um die Aufnahme dieser Menschen zu bemühen. Wenn aber die Vereinigten Staaten selbst sagen, sie könnten nicht garantieren, dass von diesen Menschen keine weitere Gefahr ausgehe, und sie sie deswegen nicht aufnehmen könnten, dann halte ich es für schlicht nicht nachvollziehbar, dass wir aus diesem Problem der USA ein Problem des Landes Brandenburg machen.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Dann machen Sie einen Vor- schlag!)

Ich bin gar nicht dazu berufen, Frau Kollegin Kaiser, dieses Problem der Vereinigten Staaten zu lösen.

(Allgemeine Heiterkeit)

- Das hat sie gerade von mir verlangt.

Ich glaube, dass es in einer Zeit, in der die Regierung Platzeck öffentlich sagt - das können Sie heute nachlesen, da geht es um Stil -:

„Ob es Wachen gibt, ist mir wurst. Ich brauche Polizisten.“

- 1 900 Stellen sollen abgebaut werden - ich darf das wiederholen: 1 900 Beamtenstellen - es nicht akzeptabel ist, gleichzeitig Guantánamo-Häftlinge nach Brandenburg zu holen,

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [DIE LINKE])

Geld aus Brandenburg für diese Menschen aufzuwenden, was dann ganz klar an einer anderen Stelle fehlen wird. Deshalb fordern wir Sie auf, dazu Ihr Votum abzugeben. Wir möchten nicht, dass Terrorverdächtige, die in Guantánamo einsitzen, in Brandenburg einen dauerhaften Wohnsitz finden. - Danke schön.

(Beifall CDU)

Der Abgeordnete Holzschuher spricht für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Petke, dieser Antrag ist ein weiterer in einer Reihe von populistischen, panikmachenden Anträgen der CDU-Fraktion, dem wir uns wirklich nicht anschließen können.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Ich möchte kurz die Ausgangsposition schildern. Worum geht es denn? Es geht darum - so war es vor einigen Wochen zu hören -, dass einige wenige Insassen des Guantánamo-Lagers nach Deutschland kommen könnten. Die Rede war von Dreien, die wohlgemerkt - nach Deutschland kommen könnten. Es ging dann in der Tat darum, dass der Innenminister des Landes Brandenburg gesagt hat, wir wären unter Umständen bereit, hier jemanden aufzunehmen. Die Rede war von einem Insassen - einem! - des Guantánamo-Lagers, für den nicht per se eine Schuldvermutung gilt, sondern für den, weil er nicht als Straftäter verurteilt werden kann, die Unschuldsvermutung gilt. Ich komme gleich darauf zurück. Der wäre, wenn wir ihn aufnehmen, nach ausländerrechtlichen Kriterien zu behandeln. Das mag ein bisschen Geld kosten. Das wird vielleicht auch einen gewissen Sicherheitsaufwand bedeuten, einen kleineren, aber nichts, was nicht im Rahmen der Ausländerbetreuung und der Aufgaben im Ausländerrecht üblich wäre.

Der Ausgangspunkt, warum wir überhaupt über Guantánamo diskutieren, ist, dass diese landschaftlich schön gelegene Bucht auf Kuba zum Synonym für staatliches Unrecht geworden ist. Man kann es nicht anders nennen. Es war staatliches Unrecht in einer, wie ich denke, nach dem Zweiten Weltkrieg beispiellosen Form für einen demokratischen Rechtsstaat, wie es die Vereinigten Staaten sind.

Herr Holzschuher, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Im Augenblick nicht. - Das Lager Guantánamo hätte nach rechtsstaatlichen Kriterien niemals existieren dürfen. Das weiß man inzwischen auch in den Vereinigten Staaten und hat erkannt, dass es aufgelöst werden muss. Deutschland ist nicht dafür verantwortlich, dass es dieses Lager immer noch gibt, und schon gar nicht dafür, dass es eingerichtet wurde. Aber wir haben es geduldet. Wir haben es an der Seite der Vereinigten Staaten geduldet. Wir sind gemeinsam mit den Vereinigten Staaten in eine Aktion in Afghanistan eingetreten - damals wurde es noch Aktion genannt -, aus für mich sehr nachvollziehbaren Gründen, aus Gründen des nationalen Interesses von Deutschland. Dass das inzwischen zu einem Krieg geworden ist, haben wir auch gemeinsam mit den Vereinigten Staaten mit zu verantworten. Wir werden gemeinsam die Konsequenzen ziehen.

Guantánamo ist ein Fehler, ein schwerer Fehler für einen demokratischen Rechtsstaat, aber die Vereinigten Staaten sind ein Bündnispartner. Das sind sie fast seit dem Zweiten Weltkrieg mit der alten Bundesrepublik und seit 20 Jahren mit Gesamt

deutschland. Sie sind ein Bündnispartner, und sie sind noch mehr, sie sind - ich denke, man kann es so nennen - ein sehr befreundetes Land. Wenn ein Freund einen Fehler macht, auch einen schweren Fehler, dann distanziert man sich nicht von ihm und lässt ihn nicht im Stich, dann macht man ihn auf diesen Fehler aufmerksam und hilft ihm dabei, die Konsequenzen des Fehlers zu beseitigen.

Nichts anderes sagt zum Beispiel auch Bundeskanzlerin Merkel, die ich in diesem Fall ausnahmsweise einmal positiv erwähnen kann. Sie sagt, dass wir den Amerikanern helfen und deshalb dafür sorgen müssen, dass auch wir in Deutschland vielleicht Guantánamo-Flüchtlinge aufnehmen. Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, wenn ein Freund einen Fehler macht, ihm zu helfen, auch in dieser Hinsicht. Es ist für mich unfassbar, dass ausgerechnet die CDU sich vorwerfen lassen muss das hätte ich mir nie träumen lassen -, dass sie diese Verpflichtungen gegenüber einem befreundeten Land, dem wichtigsten Bündnispartner Deutschlands, den Vereinigten Staaten, zugunsten einer populistischen Forderung, die ihr in den Umfragen vielleicht einige Zehntel Prozentpunkte bringt, aufgibt. Die CDU hat für mich ihre Werte verloren. Sie ist eine Partei der Beliebigkeit.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wir werden diesen Antrag ablehnen. - Danke.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wir setzen mit dem Beitrag des Abgeordneten Goetz fort. Er spricht für die FDP-Fraktion. Der Abgeordnete Holzschuher hatte gesagt, er möchte keine Zwischenfrage, und hat auch später keine Bereitschaft dazu erkennen lassen.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Die Vereinigten Staaten von Amerika haben ein Rechtssystem, das sich grundlegend von unserem System unterscheidet. Dennoch ist diesen Rechtssystemen gemeinsam, dass, wer eine Straftat begeht, im Land oder gegen die Rechtsordnung des Landes, wenn auch in unterschiedlichen Verfahren, so doch transparent angeklagt wird, ein transparentes Verfahren durchläuft und am Ende im Ergebnis eines solchen transparenten Verfahrens auch ein Urteil erfährt.

Und dann, meine Damen und Herren, gibt es Guantánamo. Guantánamo liegt nicht auf dem Territorium der Vereinigten Staaten. Das Lager ist ganz bewusst nach außerhalb der Vereinigten Staaten gelegt worden, um genau diese rechtsstaatlichen Möglichkeiten, die jeder Inhaftierte in den Vereinigten Staaten hätte, auszuhebeln, um ihm das Recht zu nehmen, anwaltlichen Beistand wahrzunehmen, um ihm das Recht zu nehmen, vor amerikanischen Richtern gegen seine Inhaftierung ohne Rechtsgrundlage vorzugehen. Dieser Zustand währt seit vielen Jahren und ist ein Sündenfall für unsere westliche Welt, nicht nur für die Vereinigten Staaten von Amerika, auch für uns als Bündnispartner der Vereinigten Staaten. Dieser Sündenfall kann nicht hingenommen werden. Ich bin voll bei Ihnen, Herr Kollege, dass man, wenn Freunde Fehler machen, sie darauf hinweisen und Beihilfe leisten muss - nicht im strafrechtlichen Sinne,

Herr Kollege Schöneburg -, diesen Fehler abzustellen und zu regulären rechtsstaatlichen Verhältnissen zurückzukehren.

Wenn jemand in Guantánamo war, dann heißt das nicht, dass er irgendwelche Straftaten begangen hat. Allein der Verdachtsmoment, dass irgendetwas gewesen sein könnte, dass irgendjemand möglicherweise Kontakt zu irgendjemandem hatte, der seinerseits terroristische Ambitionen haben könnte, dass jemand vielleicht nur zur falschen Zeit am falschen Ort war, allein das reichte aus, um dorthin zu kommen. Konkrete Verdachtsmomente lagen bei vielen dieser Einzelfälle nicht vor. Deshalb wird es höchste Zeit, dieses Lager aufzulösen und den Menschen, die dort über Jahre zu Unrecht inhaftiert worden sind, neue Perspektiven zu eröffnen.

Natürlich ist es nicht die Aufgabe Brandenburgs, das auszubessern, was die Vereinigten Staaten an Fehlern gemacht haben. Das ist völlig klar. Aber es ist durchaus unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Recht und Gerechtigkeit auch denen zuteil werden, die von befreundeten Ländern, von Partnern zu unrecht inhaftiert worden sind.

(Beifall GRÜNE/B90)

Ich erwarte natürlich, dass jeder Einzelfall betrachtet wird und man nicht sagt: Hier sind zehn Leute, und wir nehmen die mal eben so. - Ich erwarte natürlich, dass unser Verfassungsschutz prüft, was möglich ist, dass unsere Geheimdienste aktiv werden, dass von den Amerikanern sämtliche Daten, die vorhanden sind, zur Verfügung gestellt werden, dass man also ein Bild von demjenigen hat, der kommt.

Dass keines dieser Bilder absolute Gewissheit geben kann, auch das ist völlig klar. Wer hat schon die Gewissheit, was der Nachbar anschließend macht? Das weiß niemand. Wenn es danach ginge, müsste man sämtliche Grenzen schließen, weil ja jeder, der hereinkommt, vielleicht irgendwann einmal eine Straftat begehen könnte. Das kann nicht der Maßstab für uns sein.

Diejenigen, die in Guantánamo einsitzen, sind nach unserem Rechtsverständnis - solange sie nicht rechtskräftig verurteilt sind - unschuldig. Als Unschuldige, als vielleicht sogar in ihrem Heimatland politisch Verfolgte - auch dafür gibt es Beispiele, dazu gehören beispielsweise die Uiguren, die, wenn sie nach China zurückkämen, mit massiven Nachteilen zu rechnen hätten - genießen sie bei uns Asyl. Auch das kommt dazu. Für uns ergibt sich, wenn jemand in seinem Heimatland der Verfolgung ausgesetzt ist und bei uns einen Asylanspruch hat, durchaus die Verpflichtung, ihm die Gelegenheit zu geben, frei von dieser Verfolgung zu leben.

(Zuruf von der CDU)

Wir brauchen die Einzelfallprüfung. Wir haben nicht allgemein die Verpflichtung zur Aufnahme, aber nach dem Asylverfahren im Grundgesetz durchaus. Insofern kann an uns nicht das Ansinnen gerichtet werden, von vornherein abzulehnen, irgendjemanden aus Guantánamo aufzunehmen. Im Einzelfall mag das anders sein. Die pauschale Ablehnung nach dem Motto „Wir wollen damit nichts zu tun haben, sollen sich andere damit schmutzig machen!“ ist nicht der richtige Weg. Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab.