Protokoll der Sitzung vom 11.11.2010

Die Landesregierung übernimmt alte Vorhaben als indisponible Maßnahme und umgeht dadurch eine aktuelle Überprüfung. Die als indisponibel eingestuften Maßnahmen im Landesstraßenbedarfsplangesetz beruhen auf Bedarfsprüfungen der frühen 90er Jahre, deren Verkehrsprognosen zum Teil völlig falsch waren. So wurde Berlin beispielsweise mittelfristig als 5-Millionen-Einwohner-Stadt einbezogen, die Dynamik der demografischen Entwicklung Brandenburgs unterschätzt und von einer deutlich stärker prosperierenden Wirtschaft ausgegangen.

Allein sechs Maßnahmen liegen in einem Gebiet, für das ein aktueller Bundesbericht einen Verkehrsrückgang um 10 % prognostiziert. Dennoch will die Landesregierung diese Maßnahmen ungeprüft übernehmen. Der verkehrliche Bedarf kann, wenn er im Landesstraßenbedarfsplan einmal festgestellt worden ist, nicht mehr gerichtlich angezweifelt werden. Mit Aufnahme in den Landesstraßenbedarfsplan ist eine Planrechtfertigung aus Gründen von Bedarfsgesichtspunkten gegeben. Auch aus diesem Grund ist eine sorgfältige, auf aktuellen Bedarfszahlen basierende Überprüfung unbedingt erforderlich, ganz besonders vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in unserem Land. Insbesondere in Zeiten knapper Kassen

sollten wir sehr sorgfältig mit Steuergeldern umgehen und sie nicht für unnötige Straßenbauprojekte verschwenden.

Herr Genilke, Sie haben uns in der gestrigen Debatte zu unserem Antrag zur Städtebauförderung vorgeworfen, die Anwort auf die Frage nach der Finanzierung schuldig geblieben zu sein. Jetzt haben Sie die Antwort!

Überflüssige Straßenbauprojekte belasten den Landeshaushalt nicht nur kurzfristig, sondern auch durch hohe Baukosten. Auch langfristig sorgen notwendige Instandhaltungsarbeiten für hohe Folgekosten. Insbesondere angesichts sinkender Bevölkerungszahlen und von Haushaltsengpässen müssen neue Bauvorhaben im Straßenverkehrsnetz Brandenburgs kritisch und umfassend geprüft werden.

Paradebeispiel für ein überflüssiges Straßenbauprojekt, das als „indisponible Maßnahme“ eingestuft wurde, ist die Ortsumgehung Falkensee, die 1995 in den damaligen Bedarfsplan aufgenommen wurde. Der seinerzeit geschätzte verkehrliche Bedarf ist niemals eingetreten, und die geschätzten Kosten von über 17 Millionen Euro wurden deutlich zu niedrig angesetzt. Insbesondere die Ausgleichsmaßnahmen für die geplanten Eingriffe in die Natur wurden viel zu gering berechnet. Es wird ein europäisch geschütztes FFH-Gebiet durchschnitten, das erst 1999, also nach Aufnahme der Maßnahme, gemeldet wurde. Darüber hinaus handelt es sich hierbei noch nicht einmal um eine tatsächliche Ortsumfahrung, da ein Drittel der Trasse durch das Stadtgebiet verlaufen soll. Als Begründung für das Festhalten an der Maßnahme führt die Landesregierung nun den fortgeschrittenen Planungsstand an. Mit Verlaub - das ist eine ziemlich schwache Argumentation, Herr Vogelsänger.

Auch die Aufnahme neuer Vorhaben ist angesichts knapper Kassen und einer ohnehin sehr hohen Umweltbelastung durch den Bau des BBI - inklusive der erforderlichen Verkehrsanbindung - besonders kritisch zu betrachten.

Das erklärte Ziel der Landesregierung, die Erreichbarkeit aller Landesteile sicherzustellen, ist unserer Auffassung nach für Autofahrer schon längst erreicht - bis auf einige extreme Ausnahmen. Zur Beruhigung: Wir haben auch außerhalb des Speckgürtels Mitglieder, sogar welche mit Auto.

(Speer [SPD]: Es kommt auf das Auto an!)

Deshalb halten wir es für unverantwortlich, in Zeiten knapper Kassen Neubauvorhaben voranzutreiben. Im Bereich des Straßenverkehrs muss die Priorität noch eindeutiger auf Instandhaltung gelegt werden. Die knappen Finanzmittel, die unserem Land zur Verfügung stehen, können sehr viel sinnvoller verwendet werden als für die Investition in neue Betontrassen. Unser Änderungsantrag ist daher der Versuch, die Versäumnisse der Landesregierung aufzufangen. Wir brauchen ein integriertes Verkehrswegekonzept, keine Verkehrswegeausbaupolitik. - Vielen Dank.

(Beifall GRÜNE/B90)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Jungclaus. - Da die Landesregierung Verzicht angezeigt hat, sind wir am Ende der Aussprache angelangt und kommen nunmehr zur Abstimmung.

Das Präsidium empfiehlt die Überweisung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Landesstraßenbedarfsplangesetzes, Gesetzentwurf der Landesregierung, Drucksache 5/2238 - einschließlich Korrekturblatt -, an den Ausschuss für Infrastruktur und Landwirtschaft. Wer dieser Überweisung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Ich sehe keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig an den Ausschuss für Infrastruktur und Landwirtschaft überwiesen worden.

Gemäß § 48 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Landtages gilt damit der zuvor gestellte Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 5/2297, als mitüberwiesen.

Ich beende Tagesordnungspunkt 3 und eröffne Tagesordnungspunkt 4:

Gesetz zu dem Vierzehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Vierzehn- ter Rundfunkänderungsstaatsvertrag)

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 5/2247

1. Lesung

Es wurde vereinbart, hierzu keine Debatte zu führen. Wir kommen demzufolge zur Abstimmung. Das Präsidium empfiehlt die Überweisung des Gesetzes zu dem Vierzehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge, Gesetzentwurf der Landesregierung, an den Hauptausschuss. Wer dieser Überweisung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall. Damit ist auch dieser Gesetzentwurf einstimmig an den Hauptausschuss überwiesen worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 4 und eröffne Tagesordnungspunkt 5:

Volksinitiative „Rettet Brandenburgs Alleen!“

Beschlussempfehlung und Bericht des Hauptausschusses

Drucksache 5/2233

Zum Zweiten liegt Ihnen der Entschließungsantrag der CDUFraktion, Drucksache 5/2292, vor.

Zu diesem Tagesordnungspunkt sind auch Vertreterinnen und Vertreter der Volksinitiative zu begrüßen. Seien Sie willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion der SPD. Die Abgeordnete Gregor-Ness erhält das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Im Vorwort zu der so in der Kritik stehenden „Konzeption

zur Entwicklung von Alleen an Bundes- und Landesstraßen in Brandenburg“ steht:

„Alleen prägen das Erscheinungsbild der offenen Brandenburger Landschaften zwischen den großräumigen Wald- und Seengebieten. Sie sind in ihrer Dimension, Geschlossenheit und ästhetischen Schönheit etwas Einzigartiges in Deutschland und in Europa.“

Schöner kann man es, glaube ich, nicht sagen.

Brandenburg ist von allen Bundesländern das mit Abstand alleenreichste Land. An den insgesamt 8 600 km langen Bundesund Landesstraßen stehen gegenwärtig außerorts 2 344 km Alleen. Es ist erklärtes politisches und gesetzlich verankertes Ziel, den Alleenreichtum entsprechend seiner landschaftsgestalterischen, landeskulturellen und kulturhistorischen Bedeutung in Brandenburg zu erhalten. Deshalb muss es das Ziel sein, den folgenden Generationen ein funktionierendes Alleensystem mit dem ganz eigenen Rhythmus ihrer Gehölzbestände so zu erhalten bzw. auch neu zu schaffen, wie wir ihn heute kennen, schätzen und lieben. Das wäre Nachhaltigkeit im besten Sinne des Wortes. - So weit, so schön.

Bei genauer Betrachtung - auch das ist im Alleenkonzept nachlesbar - ergibt sich aber Folgendes: 70 % aller Alleen wurden in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts gepflanzt. Das bedeutet, dass der Großteil der Alleen in ihrem Alter so weit fortgeschritten sind, dass sie dem Ende ihrer Lebenserwartung mit großen Schritten entgegengehen. Erst seit 1990 ist es gelungen, wieder in nennenswertem Umfang Neupflanzungen anzulegen. In Bezug auf Dichte und Vitalität ergibt sich für zurzeit rund 600 km Alleen die Stufe 2, das heißt, sie sind stark geschädigt und weisen bereits große Lücken auf. Wir müssen also - auch das gehört zur Wahrheit - davon ausgehen -, dass in relativ kurzer Zeit große Alleenbestände verlustig gehen werden - ganz einfach, weil ihr Lebensende erreicht ist, ohne dass wir eine Baumaßnahme machen müssen.

Wir wissen, dass wir in der Verantwortung stehen. So erging bereits 2006 aus der Mitte dieses Hauses heraus der Auftrag, eine nachhaltige Konzeption zur Erhaltung und zur Neuanlage von Alleen aufzustellen. Diese Alleenkonzeption enthält für die nächsten zehn Jahre folgende strategische Kernpunkte: Jährlich sind 30 km neue Bäume - das sind etwa 5 000 - zu pflanzen. Die Neupflanzung soll nur in geschlossenen Abschnitten erfolgen. Wir wollen einseitig bestehende Baumreihen zu Alleen ergänzen. Wir wollen auf den Alleenbestand in Wäldern verzichten, weil eine Allee in einem Waldabschnitt relativ schlecht wahrnehmbar ist und auch der eigentlich gewollten Struktur nicht entgegenkommt. Dabei wollen wir natürlich regionale Schwerpunkte berücksichtigen. Ferner sollen regionale Partnerschaften initiiert werden. Das setzt vorausschauende Planung voraus. Wir müssen deshalb auch unsere Alleenkarten jährlich aktualisieren.

In der Alleenkonzeption finden wir aber auch eine Wahrheit, und diese Wahrheit führt zum Kern der Kritik der Volksinitiative. Die festgesetzte Marge von 30 Kilometern Neuanlagen von Alleen pro Jahr führt natürlich dazu, dass aufgrund der Überalterung und den sich daraus ergebenden Fällungen - allein schon aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht - der Bestand in den nächsten Jahren erwartungsgemäß zunächst zurückgeht. Die Langfristigkeit der angelegten Konzeption und ein Gefühl

des Misstrauens gegenüber politischen Entscheidungen und vor allen Dingen deren Verlässlichkeit führte zur Volksinitiative und der Forderung nach einer sofortigen Außerkraftsetzung der Alleenkonzeption. Bei nüchterner Analyse allerdings und aufgrund der in Brandenburg dank der Alleenstatistik seit Jahren verfolgbaren Datenlage gibt es für diesen Verdacht der Unzuverlässigkeit gar keinen Grund, denn Fakt ist: Seit wir einen Alleenerlass haben, wurden in den Jahren von 2001 bis 2009 insgesamt 43 299 Bäume gefällt, aber auch 44 468 Bäume neu gepflanzt. Das entspricht einem Mehr an Alleebäumen von 1 169 Stück.

Auch nach dem Inkrafttreten der kritisierten Alleenkonzeption gab es keinen Abbruch in dem Bemühen um den Erhalt der Alleen.

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist überschritten.

Ich möchte das anhand von Zahlen zum Ausdruck bringen. Wir haben in den letzten drei Jahren 3 595 Bäume mehr gepflanzt, als gefällt worden sind. Wir werden in zehn Jahren insgesamt 95 Millionen Euro in die Hand nehmen müssen, um den Bestand zu pflegen und zu entwickeln. Deshalb haben wir nach Abwägung aller in der Anhörung vorgebrachten Argumente und im Bewusstsein um unsere Verantwortung für die Alleen für uns festgehalten: Wir halten am Alleenkonzept fest. Wir haben die Forderung aufgemacht...

Ich muss Sie bitten, Ihre Rede zu beenden. Sie liegen deutlich über der Zeit.

... sie weiterzuentwickeln, und müssen deshalb die Volksinitiative ablehnen.

(Beifall SPD)

Vielen Dank, Frau Gregor-Ness. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Der Abgeordneter Dombrowski hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kollegin Gregor-Ness hat die Rahmendaten der Alleenkonzeption eben schon vorgestellt bzw. in Erinnerung gerufen. Ich möchte vorwegschicken, da diese Alleenkonzeption noch aus der letzten Legislaturperiode stammt, dass wir uns als CDU-Fraktion nicht aus der Verantwortung stehlen,

(Ooh! bei der Fraktion DIE LINKE)

aber auch nicht verhehlen wollen - zumindest die Kollegen der SPD-Fraktion werden das wissen -, dass wir das eine oder andere Bedenken hatten. Aber mit der Logik, wie Sie es dargelegt

haben, ist die Alleenkonzeption anhand der Gegebenheiten ja schlüssig. Das kann man im Ergebnis nicht abstreiten, auch wenn das Endziel, das dann eine Verbesserung zu dem, was wir heute haben, darstellen wird, noch ein bisschen hin ist.

Frau Kollegin, Sie haben von Misstrauen gegenüber der politischen Praxis gesprochen. Ein bisschen Misstrauen schwingt ja mit, und das - wie ich finde - auch zu Recht; denn gerade auch durch die aktuellen Entscheidungen der Regierungskoalition, im Straßenbauetat 17 Millionen Euro einzusparen - dazu gehört natürlich prozentual auch das Straßenbegleitgrün, das heißt also die Alleenbäume -, sind ja Fragen offen gelassen. Die Diktion, die dem Antrag von Rot-Rot und der FDP zugrunde lag und die ihren Niederschlag in der Empfehlung des Hauptausschusses gefunden hat, macht dies ja noch einmal deutlich.

Ich möchte es mal so zusammenfassen: Die Finanznöte des Landes, die wir nicht verkennen, sind offenbar Anlass zu prüfen, ob die Finanzierung des Straßenbegleitgrüns, also der neu entstehenden Brandenburger Alleen, nicht auf andere übertragen werden kann oder andere mit beteiligt werden können. Dies kommt bei den zahlreichen Prüfungsaufträgen ganz klar heraus. In der Politik lässt man ja nicht prüfen, um inspiriert zu werden, sondern man hat eine Idee und sagt: Das prüfen wir jetzt mal. - Aber eigentlich weiß man genau, wohin man will, und man sucht noch nach der sachlichen Begründung, um zu sagen: Da steht, dass es geht. - Wenn eben zum Beispiel geprüft werden soll, ob Mittel aus dem Brandenburger Naturschutzfonds, der sich ja auch aus den finanziell abzugeltenden Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen in Landkreisen und Städten, wo Bürger und Unternehmen Eingriffe tätigen, speist, und wenn Mittel, die eigentlich zu einer Verbesserung des Naturhaushaltes beitragen sollen, in Alleen investiert werden, dann ist dies kein gleichwertiger Ersatz, wie es das Brandenburger Naturschutzgesetz vorschreibt. Da ist nämlich eine Verbesserung vorgesehen.

So attraktiv unsere Brandenburger Alleen auch sind, im Naturhaushalt haben sie eine geringe Bedeutung; denn sie sind ein denkbar ungünstiger Lebensraum für Bäume. Es möge sich jeder von uns einmal vorstellen, wir würden uns in einem zweiten Leben, in dem wir als Baum auf die Welt kommen, aussuchen können, ob wir uns in eine Waldgemeinschaft begeben oder an einem Straßenrand in Brandenburg stehen, wo uns dann im Winter regelmäßig Salz auf die Füße geworfen wird, wir ständig von irgendwelchen Blechkisten angefahren werden und wo wir uns mit wachsender Staublunge bemühen, an der Photosynthese teilzunehmen. Das ist nicht sehr attraktiv, meine Damen und Herren.