Protokoll der Sitzung vom 11.11.2010

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Wöllert. - Reaktionen auf Kurzinterventionen können wir nicht zulassen. Wir setzen die Aussprache mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort. Die Abgeordnete Nonnemacher hat das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Bevor ich zu meinem vorbereiteten Redebeitrag komme, muss ich erst einmal tief durchatmen. Mir gerät ein biss

chen mein ideologisches Konzept und das Koordinatensystem durcheinander.

Da fordert die CDU gemeinsam mit den Grünen eine solidarische Ausbildungsumlage - eine Umlage in der Altenpflege - zu prüfen wohlgemerkt,

(Frau Schulz-Höpfner [CDU]: Genau!)

ein Antrag, der in seiner Intention zutiefst sozialdemokratisch ist, und die SPD-Fraktion ist dagegen? Frau Kollegin Heppener, ich bin wirklich ein bisschen entsetzt. Das kann ich überhaupt nicht verstehen.

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU)

Im Übrigen möchte ich noch einmal darauf hinweisen, weil bei den Vorrednerinnen und Vorrednern, glaube ich, da Missverständnisse aufgetreten sind: Der Antrag lautet: Die Landesregierung wird aufgefordert, die Möglichkeit einer Altenpflegeumlage zu prüfen und diese Prüfergebnisse dann im Ausschuss mit uns zu besprechen. - Es ist hier nicht die Einführung einer solchen gefordert.

Nun zum Antrag: Unser gemeinsamer Antrag, den ich wirklich sehr gut und sehr wichtig finde, geht auf die erwähnte Anhörung im Ausschuss für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie zurück. Alle dort gehörten Experten, von der Gewerkschaftsvertreterin bis zur Vertreterin des Bundesverbandes Privater Anbieter sozialer Dienste, haben sich unisono für ein Umlageverfahren zur Refinanzierung der praktischen Ausbildung eingesetzt. Alle, einstimmig! Die unbefriedigende Situation bei der Finanzierung der praktischen Altenpflegeausbildung wurde schon mehrfach angesprochen. Die Betriebe und Einrichtungen, die ausbilden, erleiden einen deutlichen Wettbewerbsnachteil, da sie die Kosten für die Ausbildungsvergütung auf die Pflegesätze und damit auf ihre pflegebedürftigen Kunden umlegen müssen. Die Einrichtungen, die sich um Ausbildung und Nachwuchs an Fachkräften kümmern, sind die Dummen im Wettbewerb. Sie sehen sich teilweise wütenden Protesten von Angehörigen gegenüber, die sich gegen die zusätzlichen Kosten für Auszubildende wehren. Die Umlage der Ausbildungskosten führt zum Teil dazu, dass Heimbewohner oder deren Angehörige wieder in die Sozialhilfe abrutschen - aber nur in Einrichtungen, die ihre Ausbildungsverpflichtung ernst nehmen, die anderen profitieren zweifach: Sie müssen ihren Kunden keine Zusatzkosten in Rechnung stellen, und sie können auf die andernorts ausgebildeten Altenpflegekräfte zurückgreifen. Das ist ungerecht.

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU)

Da sie sich insbesondere im ambulanten Bereich die Kosten für Ausbildungsinfrastruktur, Ausbildungsvergütung und Praxisanleiter sparen, haben sie mehr Spielraum, Arbeitskräfte mit mehr Lohn und günstigeren Konditionen anzulocken und abzuwerben. Das ist auch ungerecht.

Die Auseinandersetzungen um Ausbildungsregelungen und Umlageregelungen in der Altenpflege sind alt. 2003, noch vor der Verabschiedung des bundesweit geltenden Altenpflegegesetzes, hat das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit von Umlagen entschieden. Ich zitiere aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts:

„Zentrales Ziel der Altenpflegeumlage ist angesichts der demografischen Entwicklung und des Fachkräftemangels im Bereich der Altenpflege die Steigerung der Attraktivität der Altenpflegeausbildung, damit künftig eine ausreichende Zahl qualifizierter, ausgebildeter Altenpfleger die Pflege alter Menschen gewährleisten kann. Damit soll zugleich die Beteiligung an der Kostenlast innerhalb der abgabepflichtigen Pflegeeinrichtungen und Heime gleichmäßig verteilt werden.“

(Minister Baaske: Weiterlesen bitte, sonst lese ich nach- her weiter!)

„Umlageverfahren nach § 25 Altenpflegegesetze können demnach von den Ländern im Rahmen einer Verordnung eingerichtet werden, wenn es einen Mangel an Ausbildungsplätzen gibt oder sich ein abzeichnender Mangel verhindern lässt.“

(Minister Baaske: Aha!)

Auf dieser Grundlage existiert in Rheinland-Pfalz seit 2004 ein Umlageverfahren, womit die finanzielle Grundlage der Altenpflegeausbildung nachhaltig gesichert wird. Das lobt sogar die SPD-Bundestagsfraktion auf ihrer Homepage, meine Damen und Herren. Auch in Baden-Württemberg existiert völlig unangefochten seit 2006 eine Altenpflegeausbildungsausgleichsverordnung; das ist dasselbe. Nur im Freistaat Sachsen wurde eine ähnliche Ausgleichsverordnung mit der Begründung gekippt, ein Mangel an Ausbildungsplätzen sei nicht nachweisbar.

Die Voraussetzungen sind in Brandenburg aber sicher gegeben. Wir haben gehört, dass jetzt schon Plätze nicht besetzt werden können. Wir brauchen Ausbildung, und wir brauchen ein solidarisches Umlagesystem, das diejenigen, die sich der Ausbildungsverantwortung stellen, nicht im Regen stehen lässt.

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist deutlich überschritten.

Entschuldigung, einen Satz noch.

Wir müssen in Brandenburg alle Chancen nutzen, unsere jetzt schon bestehenden Pflegeprobleme zu beseitigen und eine Verschlimmerung in Zukunft zu verhüten. Es soll bitte geprüft werden, ob das auf diesem Weg möglich ist.

(Beifall GRÜNE/B90 und CDU)

Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Landesregierung fort. Herr Minister Baaske erhält das Wort.

Frau Vizepräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das mir, der nun wirklich ein bekennender Fan von Umla

gen ist, zu erzählen ist schon ein bisschen merkwürdig und erst recht, wenn dies von der CDU kommt. Ich kann mich noch gut erinnern, was für eine schräge Debatte wir hatten, als wir für eine Ausbildungsumlage waren und die CDU bundesweit, auch in diesem Land, dagegen war.

(Zurufe von der CDU)

- Ach, dies ist etwas völlig anderes? Ja, wunderbar. Aber als wir damals unsere jungen Leute aus der 10. Klasse nicht als Azubis untergebracht haben, haben Sie mächtig dagegen gewettert, dass es eine solche Umlage geben sollte.

Die FDP hat an dieser Stelle wirklich mal die Linie gehalten. Insofern habe ich durchaus auch das gehört, was danach von der FDP gesagt wurde.

Frau Nonnemacher, ich habe es schon verstanden: Es soll ein Prüfauftrag sein. Aber ich habe diesen Prüfauftrag sofort nach Amtsantritt im vergangenen Jahr ausgelöst, weil ich nämlich ein Fan solch umlagefinanzierter Systeme bin und weil ich genau weiß, wie in den Einrichtungen gedacht wird. Ich weiß auch, dass die Heimbeiräte und die Heimleiter Probleme haben, weil die Ausbildung im Kostensatz ausgewiesen wird. Es heißt dort: Mit einem Euro + X pro Tag machen wir eine Ausbildung. - Bei anderen Heimen steht das nicht drin. Das alles kenne ich, das alles ist insofern nicht neu.

Aber - und ich finde, Sieglinde Heppener hat es wunderbar beschrieben - wir haben den § 25. Darin steht dezidiert, dass das Umlageverfahren dann eingeführt werden darf, wenn nur auf diesem Wege ein angemessenes Angebot an Ausbildungsplätzen geschaffen werden kann.

Herr Minister Baaske, lassen Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Blechinger zu?

Wahrscheinlich werde ich die Frage beantworten, die Frau Blechinger gerade stellen will. Sie können nach meinen Ausführungen immer noch die Frage stellen, die Sie gerade stellen wollen. Ich habe mir extra einige Stichpunkte gemacht und möchte mich jetzt auch daran entlanghangeln.

Es muss, wie gesagt, ein Mangel an Ausbildungsplätzen drohen, oder ein solcher Mangel muss beseitigt werden. Das ist der Punkt, wie er im Gesetz steht. Wir haben diesen Ausbildungsnotstand in Brandenburg eben gerade nicht. Der Gesetzgeber legt ziemlich eindeutig fest, dass Bedarfe nachgewiesen werden müssen und dann das Umlageverfahren eingeführt werden kann.

Ich möchte ganz kurz auf die Rechtsprechung zurückkommen. Es ist vom Bundesverwaltungsgericht am 29. Oktober 2009 ein Urteil zur Umlage in Sachsen gefällt worden. Ich meine, dass sich die Pflegesituation in Sachsen nicht dramatisch von der in Brandenburg unterscheidet. Man kann davon ausgehen, dass dort die demografische Entwicklung so wie bei uns ist. Es gibt ähnliche Strukturen in den Heimen. Ich wüsste nicht, dass es dabei himmelweite Unterschiede zwischen Brandenburg und Sachsen geben sollte. Das Urteil sagt sehr klar, dass die Umla

ge in Sachsen rechtswidrig war und die Pflegeeinrichtungen in Sachsen bis zu diesem Tage zu Unrecht zur Umlage herangezogen wurden. Die Begründung besagt: Das Sozialministerium konnte nicht nachweisen, dass in Sachsen ein Pflegenotstand herrscht. Damit ging in Sachsen ein jahrelanger Rechtsstreit zu Ende.

Jetzt höre ich, wenn ich in unsere Einrichtungen gehe, die Ausbildungsbeauftragten und die Heimleiter sagen: Wir kriegen keine Pflegekräfte. - Meine erste Frage ist dann: Was zahlt ihr? Und meine zweite Frage ist: Heißt das, ihr schafft die 50-%Fachkraft-Quote nicht? - Dann höre ich erstens: Wir zahlen ordentlich. - Aber das weiß man nicht so genau. Zweitens höre ich: Jawohl, wir erfüllen die Fachkraftquote.

Herr Minister Baaske, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schippel zu?

Wenn sie am Ende gestellt wird, ja.

Wenn die Fachkraftquote erfüllt, aber auf der anderen Seite gesagt wird, dass Leute fehlen, frage ich, wie das geht. Wenn die Leute auf dem Arbeitsmarkt vorhanden wären und man sie nur holen müsste, dann könnte ich sie erstens für wenig Geld kriegen, befürchte ich, und zweitens wären sie jetzt arbeitslos, denn sie würden ja nicht in einer Einrichtung arbeiten. Wenn so viele da wären, dass es kein Problem wäre, Arbeitskräfte zu bekommen, wäre ja ein bestimmter Teil von Pflegekräften arbeitslos. Das ist eine logische Sache und hat etwas mit Mathematik zu tun.

Also kann ich nur sagen: Solange die Fachkräfte da sind, haben wir keineswegs einen Notstand. Jetzt geht es - das wurde schon richtig gesagt - also nicht nur um die Fachkräfte, sondern auch um die Ausbildung. Gegenwärtig machen 493 Menschen in Brandenburg die Ausbildung zur Altenpflegerin bzw. zum Altenpfleger, davon 325 in der Erstausbildung, 44 in der berufsbegleitenden Ausbildung und 124 in der Umschulung. Jetzt kommt ein wichtiger Satz, den Frau Nonnemacher gerade sagte: Wir haben in der Anhörung davon gehört, dass Plätze nicht besetzt werden können. - Das Gesetz stellt aber darauf ab, dass die Zahl der Ausbildungsplätze nicht reicht. Sie haben aber selbst gerade gesagt, dass Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können. Das heißt, wenn wir ein Problem bekommen, dann deshalb, weil aufgrund der demografischen Entwicklung zu wenig junge Leute vorhanden sind, mit denen wir die vorhandenen Ausbildungsplätze besetzen können. Das ist eine ganz andere Frage als die, die Sie gestellt haben. Das heißt, wir müssen uns darum kümmern, genug junge Leute zu finden, die wir für diese Ausbildung begeistern können.

Ich hätte es - das gebe ich ganz ehrlich zu - vor sechs Jahren, als wir die Ausbildung umgestellt haben, nicht für möglich gehalten, dass wir in diesem Lande 500 junge Menschen im Jahr 2010 noch dafür begeistern können, die Altenpflegeausbildung zu absolvieren.

Herr Minister Baaske, lassen Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Nonnemacher zu?

Eben nicht, aber zum Schluss kann sie sich gern dazu äußern.

Ich will damit nur deutlich sagen: Die Altenpflege ist ein Beruf von vielen. Es wird mit der Umlage in der Altenpflege derzeit aufgrund der Rechtslage nicht funktionieren - das muss man zur Kenntnis nehmen -, weil der § 25 Altenpflegegesetz so ist, wie er ist.

Wie kommen wir aus dieser Lage heraus? Ich hätte eine Idee. Ich habe über dieses Problem auch schon intensiv mit der Kollegin Schmidt aus meiner Partei, die Bundessozialministerin war, gesprochen. Ich weiß, werte Frau Ludwig, werte Frau Schier, dass am Wochenende CDU-Parteitag in Karlsruhe ist. Mein Wunsch, meine Bitte und vielleicht ein Lösungsvorschlag wäre: Bringen Sie doch dort einen Antrag ein und sagen Sie, Frau von der Leyen soll einen Gesetzentwurf vorlegen, in dem der § 25 so geändert wird, dass generell eine Altenpflegeumlage möglich ist.

(Beifall DIE LINKE)

Dann haben wir die Kuh vom Eis, und Sie können einmal zeigen, was Sie in dieser Frage wirklich leisten können. - Schönen Dank. Und jetzt können Sie nachfragen.

Die Fragen müssen während der Redezeit zugelassen werden, nicht danach. Wollen wir uns hier einmal an Disziplin gewöhnen! Damit ist der Redebeitrag beendet, danke sehr.

(Minister Baaske: Tut mir leid!)