Protokoll der Sitzung vom 19.01.2011

Die Abgeordnete Wehlan spricht für die Linksfraktion.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, bei keinem anderen Thema werden Wirkungen so klar und

deutlich wie beim heutigen Thema der Aktuellen Stunde - Winterchaos bei der Bahn -, zumal man sie oft selbst erleben kann. Die Beschreibungen fallen deshalb, wie die Diskussion bisher zeigt, ziemlich ähnlich aus. Politik wie Fahrgäste kritisieren sehr deutlich einen Zustand, der nicht länger hinzunehmen ist. Dazu gehören vor allem solche Dinge wie Wartezeiten und Fehlinformationen, vollgestopfte Züge und technische Mängel. Hinzu kommt, dass Brandenburger Städte wie Strausberg und Hennigsdorf ohne Vorwarnung vom Netz genommen werden. Hoyerswerda wird abgekoppelt. Vertraglich festgeschriebene Leistungen der S-Bahn werden von einem Tag auf den anderen nicht mehr erbracht.

Wie aber steht es mit der Beschreibung der Ursachen? Diese ist doch recht unterschiedlich im politischen Raum, auch in Brandenburg. Wir sollten an dieser Stelle schon deutlich sagen: Nein, der Winter ist nicht schuld, er ist es nicht. Der war schon immer da. Es gibt schon immer die Erfahrung: Wenn eine Flocke hochkant steht, sich bei der Bahn kein Rad mehr dreht.

Die Ursache liegt für die Linke in früheren Entscheidungen verantwortlicher Politik, und das heißt: Bahnreform. Mit der Bahnreform wurde die privatrechtliche Organisation der Deutschen Bahn vollzogen; Börsengang und Renditeentwicklung wurden zum Anspruchsdenken künftiger Geschäftsentwicklung gekürt. Es sollten endlich marktwirtschaftliche Prozesse Einzug halten. Alles sollte sich prächtig entwickeln und überdies gute Wirkung tun - so der O-Ton damals.

Das Gegenteil ist der Fall. Zwangsläufig setzten die innerbetrieblichen Prozesse bei der S-Bahn ein, zunächst fast unscheinbar, dann immer spürbarer: Die Wartung wurde rapide zurückgefahren, Personal massiv abgebaut, notwendige Investitionen wurden aufgeschoben und gestrichen. Überdies hat sich die Trennung von S-Bahn und Netz als großes Hindernis erwiesen. Und es verwundert heute nicht, dass Ex-S-BahnChef Constantin genau dies bestätigt.

Es verwundert aber schon, dass die CDU dieses Thema vollkommen ausblendet und den schwarzen Peter der rot-roten Landesregierung zuschieben will, wie auch in der Presseerklärung vom 5. Januar 2011 und in Ihrem nunmehr vorliegenden Entschließungsantrag, in dem nur eine Ebene als Handlungsoption aufgemacht wird, zu lesen ist.

Wir hatten doch auf Ihren Antrag hin eine Sondersitzung - vielen Dank noch einmal von dieser Stelle aus! - zum S-BahnChaos. Ich frage mich immer, ob wir an denselben Sitzungen teilnehmen, denn die Handlungsaufträge, die Sie jetzt neu formulieren, sind längst an die Landesregierung ergangen. Der Minister hat auch im Ausschuss darüber informiert, wie er die Ausführung auf den Weg gebracht hat und welche Möglichkeiten er nutzen will. Wir brauchen also nicht etwas zu beschließen, nur um etwas zu beschließen. Deshalb werden wir Ihren Antrag auch ablehnen.

(Genilke [CDU]: Das war eine Willensbekundung!)

- Herr Genilke, wenn Sie das wollen, dann lassen Sie uns doch mal Tacheles reden. Wer ist Eigentümer der Bahn? Der Bund. Wer hat in seiner Gesellschafterfunktion die Geschäftsziele der Deutschen Bahn und damit der Tochter S-Bahn auf Börsengang und Renditeentwicklung gelegt? Der Bund. Wer hat damit die öffentliche Daseinsvorsorge, die Verkehrsbedürfnisse, die Mobilität von Pendlerinnen und Pendlern nachrangig gestellt?

Der Bund. Und wer lässt in seinen aktuellen Beschlüssen nach wie vor nicht erkennen, dass er endlich seiner Verantwortung nachkommen will? Der Bund.

(Beifall DIE LINKE - Genilke [CDU]: Dann brauchen wir doch keine Aktuelle Stunde!)

- Das Sparpaket der Bundesregierung mit einem Einsparziel für den Bahnverkehr von 500 Millionen Euro ist angesichts der aktuellen Situation ein Ding aus dem Tollhaus.

(Beifall DIE LINKE)

Es ist an der Zeit, dass Sie das erkennen und Ihrer Bundeskanzlerin gehörig auf den Keks gehen, damit das S-Bahn-Problem endlich zur Chefsache wird - nicht nur, weil sich das Chaos immerhin seit Monaten direkt vor ihrer Haustür in Berlin abspielt, sondern auch, weil die Ursache der Situation und der Schlüssel für die Problembeseitigung bei der Bundesregierung, der Eigentümerin selbst liegen und elementare Interessen von Pendlerinnen und Pendlern in Berlin und Brandenburg auch zukünftig betroffen sein werden, wenn nicht endlich gehandelt wird. Dabei ist heute schon klar, dass es keine kurzfristigen Lösungen geben kann, denn zur Veränderung der heutigen Situation hätte das Geld vor Jahren zur Verfügung gestellt werden müssen: für notwendiges Personal, Wartung und Bestellung neuer Technik. Sie wissen auch, dass ein heute bestelltes Fahrzeug erst in fünf Jahren zum Einsatz kommen kann.

Ich darf an Artikel 87e Grundgesetz erinnern, der die Bundesregierung zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung beim Bahnverkehr verpflichtet:

„Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, (...) Rechnung getragen wird.“

Wie anders kann also ein Management heute diese Fragen beantworten, wenn die Signale der Bundesregierung auf Sparkurs stehen und grundlegende Fragen durch den Eigentümer nach wie vor nicht beantwortet werden?

Bevor das nicht begriffen wird, werden Ausschusssitzungen wie jüngst im Berliner Abgeordnetenhaus und im Brandenburger Landtag weiterhin so ablaufen, wie sie abgelaufen sind: höchst unbefriedigend. Die wichtigste Frage, wann und wie der vertraglich vereinbarte Normalbetrieb der S-Bahn wiederhergestellt wird, blieb unbeantwortet. Dass man sich nach wie vor zurückhält bei genauen Aussagen zu Entschädigungsleistungen für die Fahrgäste, empfinde ich - gelinde gesagt - als respektlos, gerade angesichts von Ausschüttungen für Bahnchefs, die in Unehren entlassen wurden.

(Frau Stark [SPD]: Ja!)

Deshalb richtet sich unsere grundsätzliche Forderung im Bahnverkehr auf politische Rahmensetzungen, die dem Allgemeinwohl, den Verkehrsbedürfnissen und der Mobilität verpflichtet sind. Es kann nicht sein, dass die Deutsche Bahn als Global Player auftritt und der Regionalverkehr zur Nebensache wird. Mobilität als öffentliche Daseinsvorsorge muss wieder in den Fokus der Unternehmensstrategie!

(Beifall DIE LINKE)

Das Prinzip „Gemeinwohl vor Rendite“ muss in den Chefetagen der Bundesregierung und des Bahnvorstandes Einzug halten. Dabei geht es kurzfristig um die Beantwortung der Frage, wann und wie der vereinbarte vertragliche Normalbetrieb wiederhergestellt wird. Das sind die grundsätzlichen Fragen, wenn man aus Fehlern der Vergangenheit lernen will.

Die reflexartige Forderung, Herr Genilke - Ihr lieber Nachbar macht da scheinbar gerade mit -, nach schnellstmöglicher Ausschreibung des S-Bahn-Verkehrs greift entschieden zu kurz. Sie selbst können einmal mit den Managern sprechen, die Ihnen dafür ganz konkrete Gründe aufzählen werden. Es fängt damit an, dass man den Bahnverkehr nicht ad hoc zur Verfügung stellen kann, den die S-Bahn gegenwärtig vorhält. Aber das alles sind Argumente, die Ihnen auch vermittelt wurden.

Zweitens ist dem Sparkurs Einhalt zu gebieten. Die 500 Millionen Euro aus dem Sparpaket der Bundesregierung gehören in das Unternehmen. Diese sind unverzüglich in zusätzliches Personal, notwendige Wartungskapazitäten und auch notwendige Investitionen zu geben.

Drittens sind umgehend Entschädigungsleistungen für die Fahrgäste zu veranlassen. Es geht um einen respektvollen Umgang mit den Betroffenen und darum, verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen.

Viertens sind von der Landesregierung einbehaltene Gelder wegen Schlechtleistung der S-Bahn zeitnah in Projekte überzuführen. Das haben wir in der Sonderausschusssitzung mit der Landesregierung vereinbart. Die Einschränkungen für Pendlerinnen und Pendler müssen abgemildert werden. Der enge Kontakt des zuständigen Ministeriums mit den Bürgermeistern betroffener Gemeinden besteht bereits und lässt auf eine gute Entscheidung hoffen.

Abschließend möchte ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bahn bedanken. Sie haben den chaotischen Zustand nicht verursacht. Sie sind diejenigen, die zuvorderst den Bürgerprotesten ausgesetzt sind und alles tun, um die Fragen der Zeit zumindest in einem ordentlichen Umgang mit den Fahrgästen zu bewältigen. - Danke schön.

(Beifall DIE LINKE und SPD sowie des Abgeordneten Vogel [GRÜNE/B90])

Der Abgeordnete Beyer spricht für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema der heutigen Aktuellen Stunde hat bei uns doch einige Verwunderung ausgelöst. Ich hatte schon gedacht, mir wäre über den Neujahrstag und über den Jahreswechsel einiges durchgegangen. Aber es ist immer noch alles beim Alten: Hier sitzt der Ministerpräsident. Noch einmal alles Gute im neuen Jahr. Sie werden es brauchen.

(Zuruf: War das eine Drohung?)

- Ach was. Das war nur ein freundschaftlicher Rat. Auf der anderen Seite sitzt der Verkehrsminister. Beide gehören der SPD

an. Die SPD ist die Partei und die Fraktion in diesem Land, die kontinuierlich Verantwortung getragen hat. Ich habe mich schon gefragt: Was soll das jetzt? Soll das ein Aufzählen der eigenen Fehler werden?

(Beifall FDP und CDU)

Nun gut. Kollege Holzschuher, ich habe es dann aber verstanden. Schon in den ersten zwei Sätzen ist es mir eingegangen, welchen Sinn und Zweck diese Aktuelle Stunde hat: Es ist eine Aktuelle Stunde der Prophylaxe. Es geht darum, für alle Zeiten die ultimative Entschuldigung zu finden: Wenn der eine oder andere Genosse der SPD einmal zu spät kommt, dann ist immer die Deutsche Bahn dafür zur Verantwortung zu ziehen.

(Beifall FDP und CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in einem Punkt sind wir uns einig. In der Tat ist das Thema für eine Aktuelle Stunde geeignet. Es ist ein Thema von absoluter Aktualität. Es hat uns alle beschäftigt. Das Chaos ist bekannt. Die Regionalzüge sind massenweise ausgefallen. Frau Kollegin Wehlan hat hier die Ursache ganz prägnant und kurz benannt. Was die S-Bahn anbelangt, kann man auch nur feststellen: Für 100 km/h gebaut, auf 80 km/h reduziert und nun zu 60 km/h verurteilt. Das ist der aktuelle Stand, vor dem wir stehen.

Ich möchte mich hier gar nicht der Mühe unterziehen, die Beschreibung des gegenwärtigen Zustands fortzusetzen. Das haben die Kollegen schon gemacht. Von Interesse ist aber die Frage: Was sind hier in dieser Aktuellen Stunde denn nun die Lösungen, die uns insbesondere vom Antragsteller angeboten werden?

(Bischoff [SPD]: Sagen Sie das einmal! - Regierungspar- tei!)

- Ja, ich komme dazu. Sehen Sie, in der Tat: Es sind zwei Sachen. Ich denke, wir sind uns auch darin einig, dass deutlich geworden ist: Wir stehen vor zwei Problemlagen. Es gibt zum einen die Problemlage im Regionalverkehr. Es lohnt sich, vielleicht einmal die eine oder andere Zahl zu benennen, denn es geht hier um die Forderung, auf die Bahndividende zu verzichten. So zumindest verstehe ich den Antrag zur Aktuellen Stunde. In den Jahren 2007 und 2008 hat die Bahn einen Gewinn von 2,5 Milliarden Euro gemacht, im Jahr 2009 waren es 1,7 Milliarden Euro. Die Dividende, die jährlich bis zum Jahr 2014 auf die Höhe von 500 Millionen Euro festgelegt ist, ist nur ein Teil dieses Gewinns. Man muss dazu sagen - das hat bis heute noch niemand getan -: Der Bund investiert jedes Jahr 4 Milliarden Euro in die Infrastruktur. Auch das ist eine wichtige Kenngröße.

(Holzschuher [SPD]: Aber zu wenig!)

Wie man dann auf die Idee kommt, diese relativ geringe Dividende nicht dem Bundeshaushalt zuzuführen, ist mir nicht verständlich.

In einem Punkt sind wir uns auf alle Fälle einig: Natürlich ist es ein Fehler, wenn die DB AG diese Gewinne nicht in das Inlandsgeschäft investiert. Hier sind Fehler gemacht worden und hier muss umgesteuert werden.

(Beifall CDU)

Zum zweiten großen Teilaspekt dieses Problems kann ich nur feststellen: Wir als FDP-Fraktion haben Ihnen schon im vergangenen Jahr Vorschläge unterbreitet. Wir haben einen Antrag eingebracht und Ihnen aufgezeigt, wie wir weiterkommen können. Wenigstens in den Ausschuss wurde der Antrag verwiesen. Das war ja noch okay. Wo waren die Änderungsanträge? Niemand von der FDP-Fraktion war davon ausgegangen, dass die Regierungsfraktionen diesem Antrag in der vorgelegten Form zustimmt. Wo waren aber Ihre Vorschläge? Wo waren die Änderungsanträge? Sie wundern sich hier, dass die S-Bahn GmbH überhaupt keine Notwendigkeit verspürt, das Ganze zu verbessern. Ich kann Ihnen die Ursache nennen. Herr Kollege Holzschuher, Ihr Vergleich von Gast und Koch hinkt. Natürlich trägt der Koch die Verantwortung, aber der Gast bestellt und muss artikulieren, was er will. Daran hapert es doch!

(Beifall FDP und CDU - Frau Kaiser [DIE LINKE]: Das ist ja nicht zu glauben!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Aktuelle Stunde ist letztlich eine Zumutung. Sie werden hier im Land Ihrer Verantwortung nicht gerecht. Sie bestellen nicht sauber. Sie schließen Verträge ab, deren Konsequenzen am Schluss nicht einklagbar sind. Alles, was wir dann in der üblichen Art und Weise hören, ist der Verweis auf den Bund: Der Bund muss hier in irgendeiner Form tätig werden.

(Görke [DIE LINKE]: Das ist billig! - Bischoff [SPD]: Sehr liberal!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Nehmen Sie als aller Erstes die Verantwortung hier im Land Brandenburg wahr, und dann reden wir über den Bund. - Vielen Dank.

(Beifall FDP und CDU - Bischoff [SPD]: Sehr liberal!)