Protokoll der Sitzung vom 18.12.2002

Die Zeit wird zeigen, wer in den nächsten vier bzw. fünf Jahren besser gearbeitet hat, wer die bessere Regierung ist, die schwarz-gelbe Regierung in Berlin oder die rot-rote Regierung in Brandenburg. Ich bin mir bezüglich des Ergebnisses ziemlich sicher. - Danke.

(Beifall FDP)

Das Wort erhält die Fraktion DIE LINKE, die Abgeordnete Kaiser.

(Die Abgeordnete Kaiser [DIE LINKE] signalisiert, dass sie keinen Redebedarf hat.)

Kein Bedarf. - Danke. Dann erhält die Fraktion GRÜNE/B90, die Abgeordnete von Halem, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir wollen uns nicht in Repliken erschöpfen, sondern noch einmal zu den Inhalten zurückkehren. Über den Wahlkampf im Sommer wurde viel gelästert, er sei so inhaltsleer gewesen.

Was die Brandenburger Landtagswahl anging, war doch eines deutlich: Bildung stand bei allen Parteien ganz oben auf der Prioritätenliste. Die SPD titulierte eines ihrer Themenplakate mit dem Slogan „Gute Bildung unabhängig vom Geldbeutel der Eltern“. Daneben stritten sich SPD und Linke um Zahlen. 1 250 Lehrerinnen und Lehrer wollte die SPD neu einstellen, 500 im Jahr die Linke. Die Frage, ob damit automatisch die Qualität des Unterrichts verbessert würde, rückte in den Hintergrund.

(Zuruf des Abgeordneten Görke [DIE LINKE])

Und doch ist bessere Qualität dringend nötig; denn in Brandenburg bestimmt immer noch die soziale Herkunft weitestgehend die Bildungschancen von Kindern. Damit verschleudern wir einerseits die ökonomischen Potenziale unseres Landes, und andererseits zementieren wir eine soziale Ungerechtigkeit sondersgleichen. Zukunftsfähigkeit ist das nicht.

Der Wahlkampfauftritt der beiden heutigen Regierungsparteien ließ vermuten, das Problem sei erkannt. Was ist davon geblieben? Pädagogen und Bildungsforscher sind sich einig, dass es bei der Entwicklung von Kindern auf den Anfang ankommt. In den ersten Jahren werden die Weichen gestellt, und beim Eintritt in die Grundschule ist dann oft schon klar, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern gehört.

In Brandenburg wird der Kita-Betreuungsschlüssel jetzt in den beiden Gruppen null bis drei und drei bis sechs Jahre um jeweils ein Kind verbessert. Gut so. Aber wer schon einmal ein gutes Dutzend drei- bis sechsjähriger Kinder gleichzeitig betreut hat, wird sich unschwer vorstellen können, dass individuelle Förderung dabei ein Fremdwort bleiben muss. Da rühmt man sich der Verbesserung des Betreuungsschlüssels und damit eines Unterschiedes, der für die Betroffenen wahrscheinlich kaum wahrnehmbar ist.

Soziale Benachteiligung könne durch Qualitätsverbesserung ausgeglichen werden, lesen wir im Koalitionsvertrag.

(Frau Alter [SPD]: Schritt für Schritt!)

- Das ist wahr. Aber es gibt keine zusätzlichen Freistellungen für Leitungstätigkeiten, und es sollen künftig auch Nichtfachkräfte in Kitas eingestellt werden dürfen. Dass das zur Qualitätsverbesserung beiträgt, darf bezweifelt werden.

Im Bereich Schule verstrickt sich der Koalitionsvertrag weiter in Nebelstocherei und Widersprüchlichkeiten. So heißt es in der Präambel:

„Wir schlagen den Weg zu... längerem gemeinsamen Lernen ein.“

Aber wie? Die Gemeinschaftsschule war dezidiert erklärtes Ziel der beiden Regierungsparteien. Der Begriff Gemeinschaftsschule ist im Koalitionsvertrag hingegen tatsächlich keine Erwähnung wert. Im Gegenteil! Übrig ist nach der Wahl nur ein mageres Lippenbekenntnis zur sechsjährigen Grundschule und das auch nur halbherzig;

(Schulze [SPD]: Gesetze werden immer noch hier bei uns gemacht!)

denn die Leistungs- und Begabungsklassen - ein Erbe der CDU werden nicht infrage gestellt. Sie laufen der Forderung nach gemeinsamem Lernen zuwider und höhlen die sechsjährige Grundschule aus.

(Zuruf des Abgeordneten Görke [DIE LINKE])

Jetzt werden sie nicht einmal auf den Prüfstand gestellt. Das ist offensichtlich niemandem eingefallen.

Da ist sogar die neue CDU/SPD-Regierung in Thüringen fortschrittlicher, die die achtjährige Gemeinschaftsschule als Option für alle Schulen im Koalitionsvertrag festschreibt.

Die vor einigen Jahren eingeführten FLEX-Klassen mit jahrgangsübergreifendem Unterricht zur besseren Integration in den ersten beiden Grundschuljahren haben sich bewährt. Man hätte sie flächendeckend einführen können. Aber auch diese Chance wurde vertan.

Bei der viel zu hohen Zahl derer, die die Schule ohne Abschluss verlassen - in Brandenburg immerhin jeder Neunte sehen Sie als Koalitionsparteien dringenden Handlungsbedarf und kündigen in der neuen Koalition neue Wege an. Man darf gespannt sein!

Zum Wahlkampfthema „Neue Lehrer“: Wir sind uns einig: Wir brauchen mehr und vor allem mehr junge Lehrerinnen und Lehrer. Während im Bundesdurchschnitt noch 4 % aller Lehrkräfte unter 30 Jahre alt sind, liegt der Anteil in Brandenburg bei 0,3 %. Was sagt der Koalitionsvertrag zu Lehrerinnen und Lehrern? An einer Stelle heißt es: 1 250 neue Lehrerinnen und Lehrer würden in der Legislaturperiode eingestellt. Das haben wir heute schon mehrfach gehört. Das war die Forderung der SPD. Aber man fragt sich: Wo ist eigentlich die Linke auf der Strecke geblieben? Im gleichen Zeitraum, in dem 1 250 neue Lehrerinnen und Lehrer eingestellt werden sollen, werden ca. 4 000 Stellen durch Verrentung und Altersteilzeit frei. Dass die Regierung diese 1 250 neuen Lehrerinnen und Lehrer zusätzlich zur Neubesetzung der 4 000 Stellen plant, hat sie nie gesagt. Also entstünde bis zum Ende der Legislaturperiode ein Minus von 2 750 Stellen. Wenn das stimmt, gibt es nur einen Namen für das Rühmen dieser Neueinstellungen, nämlich Etikettenschwindel.

(Beifall GRÜNE/B90)

An anderer Stelle heißt es: Die Schüler-Lehrer-Relation werde bis zum Ende der Legislaturperiode beibehalten. Das hätte wegen des demografisch bedingten Rückgangs der Schülerzahlen ein Minus von immer noch 500 Stellen zur Folge.

Drittens lesen wir - das ist ein interessanter Satz, denn er fand in die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten keine Aufnahme -, es werde in dieser Legislaturperiode keinen weiteren Stellenabbau bei Lehrerinnen und Lehrern geben. Das müsste bedeuten, dass die aktuelle Zahl von 16 700 Vollzeitstellen bis zum Ende dieser Legislaturperiode gehalten wird. Da brauche ich keine Mathe-Olympiade, um zu sehen, dass hier im Eifer des Gefechts Sätze addiert wurden, die nicht zusammenpassen.

Um die entscheidende Frage, wie viel Lehrerstellen zum Ende der Legislaturperiode zur Verfügung stehen werden, drückt

sich die Landesregierung. Welch ein Verwirrspiel! Sehr geehrte Damen und Herren! Warum fürchten die Regierungsparteien hier das klare Wort wie der Teufel das Weihwasser, wenn ihnen doch das Thema so wichtig ist? Das reiht sich offensichtlich ein in die Zahl der anderen Unklarheiten. Hier gibt es zwar klare Zahlen, aber sie sagen nichts aus.

An den Hochschulen streiken die Studierenden für bessere Studienbedingungen - nicht das erste Mal in diesem Jahr. Der Bologna-Prozess muss dringend so reformiert werden, dass Studierende wieder Wahlmöglichkeiten haben. Die Inhalte der Bachelor-Studiengänge müssen überarbeitet und entfrachtet werden, damit gleichwertige Studienangebote bestehen und ein Studienortwechsel auch tatsächlich noch möglich ist. Der Zugang zum Masterstudium muss erleichtert werden. Die Zahl der Studienplätze konstant zu halten, das ist kein Erfolg.

Mit dem Hochschulpakt 2020 hat sich Brandenburg verpflichtet, als Gegenleistung für Bundesmittel, mit denen die Bedingungen für Lehre und Studium verbessert werden sollen, die Zahl der Studienanfänger auf dem Stand von 2005 zu halten. Dazu wurden Mittelzuweisungen gegenüber den eigenen Hochschulen an eine vermehrte Aufnahme von Studierenden gekoppelt. Das hat de facto dazu geführt, dass ohnehin schon von Überlastung betroffene Hochschulen in vielen Fächern mehr Studierende aufnahmen, als sie verantwortlich ausbilden konnten, nur um Mittel aus dem Hochschulpakt zugewiesen zu bekommen.

Den Bemühungen der Hochschulen um mehr Qualität in der Lehre wird damit der Boden entzogen. Für eine sozial gerechte Hochschulpolitik reicht es nicht, auf Studiengebühren zu verzichten. Rot-Rot sollte auch über Teilzeitstudiengänge oder die Abschaffung der bürokratischen und ungerechten Zwangsexmatrikulationen nachdenken. Das wäre ein richtiger Schritt. Die Studierenden müssen in den Reformprozess einbezogen werden.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Ja!)

Sie erwarten von ihren Hochschulen zu Recht mehr demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Ja!)

Gute Bildung, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern - das bleibt ein hehres Ziel, das wir mit diesem Koalitionsvertrag nicht erreichen.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Sie wollen die Kinder nicht aussortieren. Aber genau das passiert in unserem Bildungssystem. Sie wollen es nicht als naturgegeben ansehen, dass die einen Kinder pfiffig sind und die anderen weniger. Sie wollen die Bedingungen verbessern, damit mehr Kinder schlau werden. Dazu wollen Sie in den kommenden Jahren die Antworten geben. Ähnliche Formulierungen habe ich vorhin von Frau Kaiser gehört. Mir wäre es lieber, Sie könnten heute die Antworten geben.

(Beifall GRÜNE/B90)

Mir wäre es lieber, ich könnte statt einer Vielzahl von „wattigen“ Absichtserklärungen im Koalitionsvertrag schon heute die Antworten auf diese Fragen lesen. Die Fragen stellen sich schließlich nicht erst seit gestern. Mir wäre es lieber, die Antwort wäre eine klare Schwerpunktsetzung zugunsten besserer Bil

dung in unserem Land. Es wäre mir lieber, wenn das Geld, das wir durch sinkende Schülerzahlen einsparen können, im Bildungssystem verbliebe. In den Jahren 2007 bis 2009 hätten wir damit immerhin 90 Millionen Euro mehr zur Verfügung gehabt - als demografische Rendite für mehr Qualität, mehr individuelle Förderung und mehr Durchlässigkeit. Aber nein, die Zeit und die Entlastung, die wir für die Verbesserung der Qualität so dringend brauchen, wird es offensichtlich auch in dieser Legislaturperiode nicht geben.

In Brandenburg studieren von 100 Arbeiterkindern gerade einmal 17, von 100 Beamtenkindern 95. Das ist nachzulesen in einer Broschüre der SPD mit dem Titel „Zukunft braucht Herkunft“. Unter dem Eindruck dieses Bildungsnotstandes gewinnt der Slogan „Zukunft braucht Herkunft“ einen neuen Zungenschlag. Ja, es wird auch in dieser Legislaturperiode offensichtlich weiter so sein, dass die Zukunft von Kindern durch die soziale Herkunft entschieden wird - verantwortet von einer rotroten Landesregierung, die sich Chancengerechtigkeit im Bildungswesen auf die Fahnen geschrieben hatte.

Die Jamaika-Koalition im Saarland wird die Bildungsausgaben von 25 % auf 30 % der Landesausgaben erhöhen. Warum können wir das nicht?

(Bischoff [SPD]: Die haben es ja! - Minister Speer: Das höchstverschuldete Land neben Bremen!)

Bei uns sind es gerade einmal 18 %. So können wir den Anspruch, Bildung dürfe nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen, nicht erfüllen.

(Beifall GRÜNE/B90)

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, warum so zaghaft? Sehr geehrte Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie sprechen von „Gemeinsinn und Verantwortung“. Nehmen Sie die Verantwortung wahr, von der Sie sprechen! Der Rohstoff zwischen den Ohren unserer Kinder ist der wichtigste Rohstoff, den wir haben. Gute Bildung ist das wichtigste Gut, das wir ihnen mitgeben können. Wenn wir dafür nicht sorgen, verschlafen wir die Zukunft.

(Beifall GRÜNE/B90 sowie des Abgeordneten Dr. Scharfenberg [DIE LINKE])

Auf meiner Rednerliste steht noch Frau Nonnemacher. Möchten Sie das Wort ergreifen? - Sie haben noch sieben Minuten Redezeit.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Ministerpräsident, Sie beginnen Ihre Regierungserklärung nach dem Motto „Bewährtes fortsetzen“ - mit Lob für die alte Regierung und entfalten dann, nach 55 Minuten, sozialdemokratische Politik pur.

(Frau Lehmann [SPD]: Richtig!)