Protokoll der Sitzung vom 24.02.2011

Nun komme ich zu Ihrem eigentlichen Antrag: Wir haben aus gutem Grund die Schulbezirke im Bereich der Grundschulen

wir reden hier über Kinder von 5 bis 11 Jahren - in diesem Schulgesetz. Das ist seit 20 Jahren so. Da haben wir gute Erfahrungen gemacht. Das Prinzip „Kurze Wege für kurze Beine“ hat sich bewährt. Die Wohnortnähe ist entscheidend.

Wir wissen sehr wohl, dass die Wohnorte inzwischen so ausdifferenziert sind, dass das, was uns am liebsten wäre, nämlich eine wirklich gute soziale Durchmischung, nicht mehr gänzlich gewährleistet ist. Das war einmal ein Hauptargument. Das ist kaum noch gegeben. Dennoch ist durch den Schulbesuch in Wohnortnähe gewährleistet, dass der Sohn des Zahnarztes gemeinsam mit dem Kind der Kassiererin, die noch aufstocken muss, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, in eine Schule geht. Das wollen wir auch so. Wir wollen dieses gemeinsame Lernen. Eines wundert mich dann schon: Sie stellen das Elternwahlrecht quasi über das Recht der Kommune, zu entscheiden, wie in dieser Kommune, die als Träger der Schulform fungiert und die für die Schulentwicklungsplanung da ist und gesicherte Zahlen dafür haben muss, wie viele Schülerinnen und Schüler diese Schule besuchen werden... Sie wollen das nicht angehen und es nur für die freien Kapazitäten öffnen, so lautet Ihr Gesetzentwurf. Dennoch braucht die Kommune Planungssicherheit, wie viele Kinder es denn eigentlich sind.

Ich mache Ihnen einmal am Beispiel Oranienburg deutlich, was passieren würde, wenn wir umsetzten, was Sie vorgeschlagen haben. Dort gibt es eine gute Grundschullandschaft. Eine große, sechszügige Schule liegt in einem Brennpunkt, einem Neubaugebiet, wo viele Menschen mit Migrationshintergrund und ein hoher Anteil erwerbsloser Eltern leben. Außerdem gibt es am Lehnitzsee eine wunderbare kleine, ein- bis zweizügige Grundschule mit einem schönen Schulgarten und ökologischem Profil. Auch von dort kommen uns seitens der Eltern immerzu Probleme zu Ohren, da auch dort nicht alles klappt; aber alle Eltern wollen, dass ihre Kinder dorthin kommen.

Was soll der Schulleiter nach dem von Ihnen vorgeschlagenen Prinzip machen? Sie sagen, er wählt aus. Sie nennen auch die Kriterien dafür, wie er auswählt. Was haben wir dann für eine Situation? Wir entkräften die Brennpunktgebiete noch um die Kinder der bildungsnahen Eltern, die natürlich ihre Kinder lieber in dieser kleinen Schule haben wollen, und diejenigen, die nicht in der Lage sind und es auch nicht vermögen, lassen wir in diesen Schulen. Das würde passieren, abgesehen davon, dass es in den ländlichen Räumen zu unendlichen Schulwegen kommen würde.

Zu Ihrem Argument, was das Profil betrifft: Grundschulen sind nicht in erster Linie dazu da, ein besonderes Profil auszubilden. Grundschulen haben des Öfteren ein Bewegungsprofil oder ein ökologisches Profil, aber sie sind in erster Linie dazu da, den Kindern Basiskompetenzen zu vermitteln, und das müssen alle Grundschulen gleichermaßen tun. Natürlich gibt es gute und weniger gute Grundschulen, und natürlich hat die Kommune das Recht, dort hineinzuwirken, und wir wollen, dass das Elternrecht gestärkt wird, überall vor Ort für eine gute Grundschule zu sorgen. Darum muss es uns doch gehen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Wir können doch nicht den freien Wettbewerb unter den Grundschulen auslösen, indem wir dem, was Sie wollen, entsprechen. Herr Hoffmann und Herr Büttner, Sie haben gesagt, das sei bei dem Staatsverständnis der Linken ja klar. Das ist nun einmal

so: Der Schwache braucht den Staat, der Starke findet seinen Weg allein. Das hat schon Rousseau gesagt, viel schöner, als ich es jetzt gesagt habe; und genau dem fühlen wir uns verpflichtet. Wir wollen kein Aufheben der Grundschulbezirke.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE und SPD)

Nach der Grundschule können alle frei wählen. Wir haben ein freies Schulwahlrecht ab Klasse 7, und das ist auch ausreichend. - Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Die Abgeordnete von Halem spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Gemäß § 6 des Brandenburgischen Schulgesetzes wird es den Gemeinden und Gemeindeverbänden übertragen, ihr gesamtes Gebiet Schulbezirken zuzuordnen - das ist mehrfach erwähnt worden -, wobei diese Zuordnung von Schulbezirken so aussehen kann, dass das ganze Gebiet ein einziger Schulbezirk wird oder sich Schulbezirke überschneiden bzw. deckungsgleich sind.

(Frau Alter [SPD]: Genau!)

Diese Kompetenz möchte die FDP den Kommunen nehmen und gleichzeitig den Schulen ermöglichen, im Rahmen der vom Schulträger festgelegten Aufnahmekapazität über die Aufnahme von Kindern relativ frei selbst zu entscheiden.

Kommunen haben demokratisch verfasste Mitbestimmungsgremien, und es spricht aus unserer Sicht sehr vieles dafür, die Entscheidung über Schulbezirke bei den Kommunen zu belassen, zumal es ihnen de facto nach dem Schulgesetz heute schon freisteht, die Schulbezirke aufzulösen, auch wenn es das Schulgesetz anders nennt. Falkensee macht genau das und hat damit gute Erfahrungen, andere Orte eher nicht. Was bedeutet es, wenn Schulbezirke wegfallen?

Erstens: Auch mit der Schulbezirksregelung kann auf Antrag aus wichtigem Grund eine andere Schule als die im Schulbezirk zugeordnete aufgesucht werden. Solche Genehmigungen zu einer Ausnahme wissen aber meist nur Eltern aus bildungsnahen Familien durchzusetzen. Dahinter verbirgt sich ein Stück Ungerechtigkeit. Gleichzeitig würde der Wegfall der Schulbezirke diese an sich unnötige Genehmigungsbürokratie abbauen.

Zweitens: Es gibt Grundschulen, die ein spezielles Profil entwickelt haben. In solchen Fällen ist es nur konsequent, dass auch Kinder aus dem gesamten Stadtgebiet solche Schulen besuchen können.

Drittens: Es mag Problembezirke in einzelnen Orten geben, bei denen der Wegfall der Zuordnung zu Schulbezirken zu einer rapiden Restschulentwicklung führen könnte, da engagierte Eltern ihre Kinder lieber quer durch die Stadt transportieren, als sie vielleicht in eine schwierige Schule in der nächsten Straße zu geben. Das ist auch aus unserer Sicht ein schwerwiegendes

Argument, dem allerdings auch entgegengehalten werden muss, dass es diese soziale Segregation in sehr vielen Kommunen allein schon durch die Aufteilung von Wohngegenden gibt und dass es eigentlich nicht die Aufgabe der Kinder engagierter Eltern ist, eine „Rütliisierung“ der Schule zu vermeiden. Dafür sind andere zuständig.

Viertens: Ein verantwortungsvoller Wettbewerb unter den Schulen kann dem Wohl der Schülerinnen und Schüler durchaus dienlich sein.

Fünftens: Schulbezirke erleichtern den Kommunen Planbarkeit und Kontinuität bei Lehrerzuweisungen, Klassenstärken und nicht zuletzt - das ist ein ziemlich wichtiger Faktor - der Gebäudebewirtschaftung.

Sechstens: Mit Schulbezirken bleibt das Prinzip der „kurzen Wege für kurze Beine“ erhalten. Aus grundschulpädagogischer Sicht ist außerdem die Fußläufigkeit zur Schule ein wichtiges Element bei der Entwicklung von Selbstständigkeit von Kindern und Verankerung von Schule als sozialem Treffpunkt, möglicherweise sogar für alle Generationen in einem Stadtteil.

Was folgern wir daraus? Wir sind gerade dabei, auch wenn wir im Plenum gestern und heute nicht darüber gesprochen haben, unter den Parteien einen Einsetzungsbeschluss für eine weitere Enquetekommission zu formulieren, die angesichts der rasanten demografischen Entwicklung Vorschläge machen und Lösungen finden soll, wie die Aufgaben des Staates zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen verteilt und in den nächsten Jahrzehnten strukturiert werden sollen.

In diesem Zusammenhang ist es für uns Bündnisgrüne besonders wichtig, gerade den Kommunen möglichst viele Handlungsspielräume selbst zu überlassen, damit die Menschen vor Ort über die richtigen Lösungen für ihre spezielle Situation selbst entscheiden können. Die Entscheidung über Schulbezirke kann in einem Ort schwerwiegende Folgen haben - positive wie negative. Im besten Fall blühen regionale Bildungslandschaften. Dazu brauchen die Kommunen jedoch die Entscheidungsfreiheit, wie sie das in ihrer Kommune halten wollen. Ich diskutiere über dieses Thema gern noch einmal im Bildungsausschuss, aber grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass der Verbleib der Zuständigkeit bei den Kommunen, so wie es jetzt im Schulgesetz vorgeschlagen ist, eine liberale Lösung im besten Sinne ist.

(Beifall GRÜNE/B90 und vereinzelt DIE LINKE)

Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Dr. Münch.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Hoffmann, ich weiß nicht, warum Sie erwarten, dass wir jetzt eine neue Bildungspolitik machen. Das wäre allenfalls dann erforderlich, wenn wir vorher keine gute Bildungspolitik gemacht haben sollten. Das haben wir aber. Wir haben sehr wichtige Punkte bereits umgesetzt, und wir werden auf diesem Weg sehr konsequent fortschreiten.

Meine Damen und Herren! Die Einrichtung von Schulbezirken schränkt die Wahlfreiheit der Eltern von Grundschulkindern

ein. So weit ist das richtig, aber es gibt eine Reihe guter Gründe für diese Einschränkung. Wir haben sehr viele in der Debatte gehört, und ich habe von Ihrer Seite, Herr Büttner, bisher nichts gehört, was mich bewegen könnte, dies anders zu sehen. Gelegentlich muss sich die Freiheit des Einzelnen dem überwiegenden öffentlichen Interesse unterordnen, und dies ist durchaus auch verfassungsgemäß.

Die im § 106 des Brandenburgischen Schulgesetzes vorgesehenen Schulbezirke sichern die Umsetzung verschiedener öffentlicher Anliegen. Da ist zum einen von den Gerichten in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass eine solche Steuerung der Schülerströme verfassungsgemäß ist und der Planung, Organisation und Sicherung des Schulbetriebes und gegebenenfalls auch der Sicherung eines Schulstandortes dient. Zum anderen sollen Schulbezirke getreu dem bekannten Motto „Kurze Wege für kurze Beine“ möglichst kurze Schulwege für möglichst alle Grundschulkinder eines Gebietes sichern und damit dem Kinderschutz, aber gegebenenfalls auch der Verkehrsreduzierung einer Gemeinde und vor Schulen dienen.

Sicherlich wird durch diese Regelung nicht für jede einzelne Schülerin und jeden einzelnen Schüler ein in ihrem Sinne jeweils optimaler Zustand zu erreichen sein. Denn je nachdem, wie ein Schulbezirk geschnitten ist, müssen Einzelne eben längere Wege in Kauf nehmen als zu der möglicherweise schneller erreichbaren Schule außerhalb dieses Schulbezirks. Das ist eben der Preis für die Vorhaltung eines flächendeckenden Angebots an den derzeit rund 420 Grundschulen in öffentlicher Trägerschaft.

Natürlich könnte man versuchen, auf Schulbezirke zu verzichten. Die Einrichtung von Schulbezirken gewährleistet jedoch aus meiner Sicht neben der Planbarkeit auch die gesellschaftliche Integration. Denn in unseren Grundschulen lernen Kinder mit verschiedenen sozialen Hintergründen zusammen, und das ist auch gut so.

Frau von Halem, ich halte den Begriff, den Sie verwendet haben - „Rütliisierung“ -, für wenig brauchbar. Denn gerade die Rütli-Schule zeigt ja auch, dass man aus diesen sozialen Schwierigkeiten sehr wohl lernen und geradezu beispielhaft die Integration vorantreiben kann.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Es gibt durch die Schulbezirke eben gerade kein Auseinandersortieren, etwa nach Konfession oder Finanzkraft der Eltern, und das sollte auch so bleiben.

Wichtige Gründe können im Einzelfall für den Besuch einer anderen als der zuständigen Grundschule sprechen. Für solche Härtefälle sind im Schulgesetz Ausnahmeregelungen geschaffen. Sie zitieren diese ja auch in Ihrem Antrag. Ich meine auch nicht, dass es nur bildungsnahe Familien schaffen, diese Ausnahmeregelungen tatsächlich durchzusetzen.

Sie müssen, meine Damen und Herren, dabei auch die völlig unterschiedliche Situation in städtischen Gebieten und im ländlichen Raum unterscheiden. Das Schulgesetz erlaubt auch heute schon den kommunalen Schulträgern, die Grenzen der Schulbezirke so festzulegen, dass sie sich überschneiden oder gar deckungsgleich sind. Darauf hat auch schon Herr Günther hingewiesen. Letzteres dürfte eher in dichter besiedelten Gebieten

sinnvoll sein, denn dadurch kann ja gerade eine Wahlmöglichkeit für die Eltern gesichert werden. In solchen Fällen findet man auch die von Ihnen vorgeschlagene Regelung zum Anspruch auf Aufnahme an der wohnortnächsten Schule.

Das macht deutlich, dass eine völlige Wahlfreiheit in der von Ihnen vorgeschlagenen Ausgestaltung - auch im Interesse kurzer Schulwege für die Kinder - nicht besteht. Für die von Ihnen vorgesehene Schulgesetzänderung, meine Damen und Herren von der FDP, sehe ich deshalb weder Spielraum noch Notwendigkeit. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Das Wort erhält noch einmal die FDP-Fraktion. Es spricht der Abgeordnete Büttner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Dr. Münch, Sie haben es tatsächlich geschafft, mich einen Moment lang zu verunsichern. Dass Sie Schulbezirke haben, die der Verkehrsreduzierung dienen, haben Sie gerade gesagt, und das ist mir wirklich noch nicht in den Kopf gekommen. Das ist ja mal ein ganz neuer Beitrag der Schulbezirke in diesem Land!

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Das Motto „Kurze Beine - kurze Wege“, auf das Sie einige Male Bezug genommen haben, wird weiter verfolgt und ist im Übrigen ein Prinzip, das auch die FDP in ihrem Wahlprogramm hat und umsetzt, auch mit der Aufhebung von Schulbezirken. Sie haben einige Beispiele genannt, auch ich könnte Ihnen einige Beispiele nennen, darunter Falkensee und Brieselang. Falkensee hat einen Schulbezirk, Brieselang hat einen anderen Schulbezirk. Wenn Sie in Falkensee an der Grenze zu Brieselang wohnen, können Sie Ihre Kinder nicht nach Brieselang in die Grundschule schicken, obwohl diese die nächstgelegene Schule wäre. Die Kinder haben also einen längeren Schulweg. Diese Beispiele könnten wir uns wahrscheinlich gegenseitig in unendlicher Zahl an den Kopf werfen, nur führt das zu nichts.

Das Prinzip „Kurze Beine - kurze Wege“ wird auch in unserem Gesetzesantrag weiter verfolgt. Wir haben vernommen, dass es Ihnen darum geht zu steuern; das haben Sie hier mehrmals gesagt. Deshalb will ich kurz auf das Argument eingehen, das Sie zu Schulen in sozial schwierigen Gebieten vorgebracht haben. Die Schulbezirke haben es bisher auch nicht geschafft, dass sich Schulen, die in Gebieten mit sozialen Problemen angesiedelt sind, entwickelt haben. Das Problem liegt ganz woanders, Frau Ministerin Münch. Hier könnten Sie als Ministerin durchaus einmal ansetzen. Wenn Sie Schulen in sozial schwierigen Umgebungen haben, dann müssten Sie damit beginnen, das Problem der Sozialarbeiter und Schulpsychologen anzugehen. Sie müssen für kleinere Klassen sorgen und begabungsgerechte und individuelle Förderung hinbekommen. Was aber machen Sie? Sie bauen Lehrerstellen ab und verhindern genau dies. Das ist eine Politik, die genau in die falsche Richtung geht. Dann können Sie uns nicht vorwerfen, wir würden diese Sozialräume schaffen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, meine Damen und Herren!

Ich bin dem Kollegen Wichmann sehr dankbar dafür, dass er eine Zwischenfrage zu den Anfragen an den Petitionsausschuss gestellt hat. Es gibt zu dem Thema eine erhebliche Anzahl von Anfragen, die im Petitionsausschuss behandelt werden. Nehmen Sie das doch zur Kenntnis, Herr Günther! Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie dies nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Es gibt ein Problem, und wenn Sie das nicht erkennen, dann leben Sie offensichtlich an den Problemen der Eltern in diesem Land vorbei, Herr Günther.

(Günther [SPD]: Wir haben 200 000 Schüler!)

Offensichtlich ist unser Verständnis davon, was der Staat zu tun und was er nicht zu tun hat, völlig unterschiedlich.

(Jürgens [DIE LINKE]: Zum Glück!)