Wenn man erreichen will, dass es diese Berührungsängste nicht gibt, muss man die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Das ist es, worüber wir reden, denn genau diese Rahmenbedingungen fehlten. Das, was man in diesem Prozess dringend bräuchte, ist zunächst einmal ein Konzept. Das wäre das allererste. Dieses Konzept fehlt. Man bräuchte ein Konzept, in dem man endlich einmal die vielen offenen Fragen diskutiert und auch Antworten gibt. Das alles steht im Entschließungsantrag. Da wird gefragt: Wie viele Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind in einer Klasse? Wie viel Personal brauchen wir dann? Welche Ausbildung brauchen die Lehrkräfte, nicht nur die Sonderpädagogen, sondern auch die anderen? Wie funktioniert in der Praxis die Binnendifferenzierung und die äußere Differenzierung? Sind die Lehrerinnen und Lehrer überhaupt darauf vorbereitet, in Teams zu arbeiten? Können sie das jetzt schon? Wie gehen sie mit individuellen Lehrplänen um? Wie erfolgt die Bewertung? Wie müssen die räumlichen Voraussetzungen sein? Was muss der Schulträger dort leisten?
Insbesondere beim Punkt Schulträger muss man sagen: Dort geht es nicht nur um die Kosten für einen Aufzug hier und eine Rampe da, sondern unter anderem auch um die Frage: Wie handhaben wir es mit den Klassenräumen?
Wenn wir alle Kinder zusammennehmen wollen und sagen: Wir brauchen zwei Räume für eine Klasse und müssen die Klassenstärke verringern, dann reichen die Räumlichkeiten nicht aus, sondern Sie müssten anbauen. Dafür müssten Sie aber zunächst einmal feste Kriterien aufstellen, damit ersichtlich wird, was auf die Betroffenen zukommt.
Meine Damen und Herren, all das sind Fragen, die bereits zu Beginn dieser Debatte hätten besprochen werden müssen und nicht erst am Ende.
Jetzt werden Sie sicherlich sagen: Gut, diese Diskussionen wurden doch bereits geführt und die Regionalkonferenzen gelobt. Ich will Ihnen aber mal eines sagen: Diese Regionalkonferenzen waren eine einzige Farce, und die Junge Union hat es mit ihrem Flyer ziemlich gut auf den Punkt gebracht:
Dabei habe ich in den vorherigen Gesprächen mit den Lehrerinnen und Lehrern immer gesagt: Geht dorthin, geht zu den Regionalkonferenzen, sagt eure Meinung und bringt euch ein.
Es dauerte dann nicht lange, bis ich die ersten bösen Anrufe bekam, die lauteten: Hoffmann, was erzählst du hier für einen Blödsinn? Wir sollen dorthin gehen? Wir sind überhaupt nicht eingeladen.
Es ist einfach der Punkt, dass Sie sich das Publikum so zusammengestellt haben, wie Sie es brauchten, damit Sie möglichst wenig Gegenwind bekommen.
Sie merken es am besten daran, dass ich das Mikrofon ausschalte. Leider muss ich auch mal zu solch einer Maßnahme greifen. Es scheint aber anders nicht zu funktionieren. Dies soll sich der Abgeordnete Günther nun zu Herzen nehmen; denn sonst widerfährt ihm das Gleiche. - Bitte Herr Günther, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hoffmann, wenn ich Ihre Argumente höre, bedaure ich, dass ich die Pressemitteilung nicht schon gestern herausgegeben habe; denn es waren die gleichen Argumente, die ich bereits seit Wochen und Monate kenne.
In der Diskussion ist oft das Wort „Sorge“ gefallen, und Sorge bereitet mir eigentlich nicht die klar ablehnende Haltung von Frau Blechinger. Jetzt sagen Sie, Frau Blechinger, bitte nicht, Sie wären unter bestimmten Bedingungen dafür. Das glaube ich Ihnen nämlich nicht. Die Haltung, die Sie haben, ist völlig klar. Ich würde dies als klaren Klassenstandpunkt bezeichnen so, wie Sie es hier gesagt haben. Herr Hoffmann hat diesbezüglich eine etwas differenziertere Auffassung. Sie sehen, ich nehme die Unterschiede durchaus wahr.
Wenn ich mir allerdings anschaue - darauf muss ich noch einmal eingehen, werter Herr Vorredner -, dass Sie in der Tat gestern gefordert haben, dass die 66 Grundschulen, die sich selbst freiwillig und ohne Order vom Bildungsministerium für ein längeres gemeinsames Lernen entschieden haben, damit aufhören sollen, finde ich das schlicht und ergreifend unverschämt.
Derjenige, der wie Frau Blechinger - den Eindruck habe ich aus der Diskussion gewonnen - aus Finnland als einzige Botschaft mitgenommen hat, da gebe es auch Förderschulen wahrscheinlich für eine solch geringe Anzahl von Schülern, dass es höchstens eine oder zwei im Land sind -, muss die gesamte Woche, die wir dort unterwegs waren, nur sehr selektiv wahrgenommen haben; denn das dortige Schulsystem ist genau auf die Inklusion bzw. auf das Einschließen orientiert.
In der gesamten Debatte bereitet mir vor allem Sorge - viel mehr als die Position von Frau Blechinger - die so scheinbar befürwortende Haltung derjenigen, die gleich zu Beginn der Diskussion die Latte so hoch legen und sagen: Nur unter diesen Bedingungen bin ich auch für Inklusion.
Genauso kontraproduktiv sind diejenigen, die zwar tatsächlich dafür sind - wie Herr Büttner; das halte ich ihm und den anderen zugute -, jetzt aber die Chance wittern - das unterstelle ich denjenigen -, bei diesem Thema alle anderen bildungspolitischen Forderungen - so, wie es in Ihrem zurückgezogenen Antrag stand; im Entschließungsantrag findet man es in ähnlicher Weise - bzw. alle Lieblingsthemen mit einzubeziehen, und zwar von Unterrichtsausfall bis Klassengröße.
Herr Büttner, das schadet dem Anliegen mehr, als es nützt. Ich glaube Ihnen, dass Sie es wollen, aber das, was Sie tun, schadet mehr, als es nützt.
Deshalb bin ich von Ihrem Antrag enttäuscht. Ich dachte, wir wären in der letzten Sitzung des Bildungsausschusses vorange
kommen. Schließlich haben wir dort einhellig begrüßt - so habe ich es zumindest verstanden -, dass es einen Runden Tisch zur Inklusion geben soll. Nun will die FDP-Fraktion aber das Ergebnis dieses Runden Tisches und der Expertenrunde schon einmal vorwegnehmen. Dazu sage ich: Das ist dem Anliegen nicht dienlich.
Sehr kurios finde ich das Argument, das auch in dem Antrag für die Aktuelle Stunde steht und da lautet: Die müssen sparen, also kann es nichts mit dem gemeinsamen Lernen werden. - An dieser Stelle fällt mir dann immer auf, wie schön doch Opposition ist. Offensichtlich braucht man jetzt nicht mehr die Sache an sich zu kritisieren und sich nicht mehr mit dem Gegenstand auseinanderzusetzen, sondern dann, wenn die Koalition ein neues Projekt plant, sagt man: Das kann nichts werden. Wir vermuten, das kriegen sie niemals hin, weil sie ja schließlich sparen müssen. Wenn das Volumen des Landeshaushalts um 20 % sinkt, geht das überhaupt nicht. - Das ist eine sehr knappe und anscheinend verfängliche Argumentation.
In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass wir finanziell nicht ins Bodenlose fallen, sondern uns in den kommenden Jahren schlicht und ergreifend dem Pro-Kopf-Niveau - das ist Ihnen bekannt - etwa von Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein nähern. Vor der Herausforderung der EUKonvention stehen diese Länder genauso wie wir. Dort wird es wenn man es politisch möchte, was auch immer von den politischen Konstellationen abhängig ist - ebenso möglich sein wie in Brandenburg.
Abschließend noch einmal der Appell an diejenigen, die in der Politik den Weg des längeren gemeinsamen Lernens grundsätzlich befürworten - ich glaube, das sind in der Tat nicht wenige -: Bitte beißen Sie sich - auch wenn es sehr wichtig ist - nicht zu sehr an der Ressourcenfrage fest; denn dann könnte der Eindruck entstehen, dass sich ein Menschenrecht - um ein solches handelt es sich schließlich - an der Stundenzahl von Sonderpädagogen orientiert. Aufgrund der völlig anderen Tradition in Deutschland ist gemeinsames Lernen hier noch immer mit vielen Ängsten zahlreicher Menschen verbunden. Für viele ist es unvorstellbar. All das kann ich nachvollziehen, aber denjenigen, die es wollen, sage ich: Bitte helfen Sie mit, Überzeugungsarbeit zu leisten; denn wir haben noch eine Menge zu tun. - Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Günther, vielleicht noch einmal zu der Sache, die Sie eben angesprochen haben und die Frau von Halem bereits erwähnte: Irgendwelche ominösen Änderungen an diesem Antrag von gestern Nachmittag gibt es nicht. Das ist wortgleich der gleiche Antrag wie vom Dienstag.
Offensichtlich haben Sie etwas nicht richtig gelesen. Das Einzige, was sich geändert hat, sind die Worte „Entschließungsantrag“ und „Antrag“.
Nun noch eine weitere Sache: Die Kritik, die Sie an unserer Forderung, dieses Pilotprojekt auszusetzen, äußern, liegt darin begründet, dass Sie Kritik nicht wahrhaben und nicht wahrnehmen wollen. Das ist frei nach dem Motto: Wer den Sumpf trockenlegen will, der darf nicht die Frösche fragen.