Protokoll der Sitzung vom 23.06.2011

(Beifall FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Beyer. - Die Aussprache wird durch die Fraktion DIE LINKE fortgesetzt. Die Abgeordnete Wehlan erhält das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Spannungsfeld zum vorliegenden Gesetzentwurf haben meine Vorredner - insbesondere Herr Beyer - bereits deutlich aufgemacht. Die Meinungen gehen von „viel zu viel“ über „gerade richtig“ bis zu „entschieden zu wenig“. Die vorliegenden Änderungsanträge von den Grünen: Wir nehmen einfach mal schnell zehn Landesstraßen wieder aus dem Bedarfsplan, und von der FDP-Fraktion: Wir packen noch sieben drauf, machen das ziemlich plastisch und deutlich.

Dieses Meinungsspektrum war jedoch nicht nur im politischen Raum so zu erleben, sondern auch bei Bürgerinnen und Bür

gern, bei Verbänden, Vereinen sowie bei Behörden und Kommunen. Insofern wurde eine sehr muntere Diskussion geführt und kann ich Herrn Beyer nur zustimmen: Wir haben uns in den Fachausschusssitzungen sehr ausführlich mit dem Gesetzentwurf beschäftigt.

Ich darf daran erinnern, dass noch unter Rot-Schwarz der erste Entwurf des Landesstraßenbedarfsplanes im damaligen Ausschuss für Infrastruktur und Raumordnung des Landtags 2009 vorgestellt wurde. Von Juli bis Oktober 2009 fand die Beteiligung der Öffentlichkeit und der Träger öffentlicher Belange statt. Die dort gestellten Fragen wurden bis zum Frühjahr 2010 ausgewertet und gewichtet. Die Ergebnisse wurden dann am 13. April 2010 dem Ausschuss für Infrastruktur und Landwirtschaft vorgestellt.

Im November 2010 brachte die Landesregierung den Gesetzentwurf ein. Dazu fand eine Anhörung statt, der erneut eine muntere öffentliche Debatte folgte. Die spannungsreichste Debatte - weil auf hohem fachlichen Niveau - wurde meines Erachtens zur Ortsumgehung Falkensee geführt. Ich hoffe sehr diesbezüglich bin ich sehr nah bei der Auffassung meiner Kollegin Frau Kircheis -, dass das laufende Planfeststellungsverfahren die planungsrechtlichen und naturräumlichen Fragen der Region beantwortet.

Der Vorwurf aus der Anhörung - dieser wurde vor dem Einstieg in die Tagesordnung hier im Landtag thematisiert -, dass der Landesstraßenbedarfsplan nicht die Überprüfung aller Vorhaben nach den gleichen aktuellen verkehrlichen und umweltfachlichen Kriterien vornahm, wiegt schwerer. Damit - so die Kritiker - sei der Gesetzentwurf nicht rechtskonform und demzufolge angreifbar. Gestützt wird sich auf das parlamentarische Gutachten und die Aussage, dass grundsätzlich sämtliche für die Aufnahme in einen Bedarfsplan in Betracht kommenden Straßenbaumaßnahmen anhand einheitlicher Kriterien und Bewertungsmaßstäbe zu prüfen sind.

Das Ministerium und auch der Fachausschuss vertreten im Gegensatz dazu mehrheitlich den Standpunkt der Rechtskonformität und verweisen auf das Brandenburgische Straßengesetz und darauf, dass das Planfeststellungsverfahren eine weitergehende Umweltprüfung umfasst, als es mit der strategischen Umweltprüfung vorgeschrieben ist, und dass in jeder Planungsphase die Grundlagendaten für die Verkehrsentwicklung auf ihre Aktualität geprüft werden und für alle Vorhaben eine Schwachstellenanalyse durchgeführt wird.

Ich kann auf den Rechtsstandpunkt des Ministeriums verweisen und werde mich an dieser Stelle nicht zum Schiedsrichter einer scheinbar bereits begonnenen juristischen Auseinandersetzung machen, wie die Ankündigung der Klage der Bürgerinitiative gegen die Ortsumgehung Falkensee deutlich vermittelt. Deshalb nur so viel: Es wäre fatal, wenn die begonnenen und im Grundsatz sinnvollen Bauvorhaben des Landesstraßenbedarfsplans deshalb infrage stünden. Diesbezüglich bin ich schon ziemlich nah bei der Auffassung des Rechtsanwalts, der offensichtlich die Falkenseer Bürgerinitiative berät.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Linke unterstützt, dass der Landesstraßenbedarfsplan 2010 bis 2024 mit 18 Neubauprojekten deutlich abgespeckt wurde. Das ist eine realistische Größe und unterstreicht erneut den Grundsatz der Landespolitik, dass der Erhalt der Landesstraßen künftig Vorrang vor

Neubau hat, und zwar ohne Wenn und Aber. Dies nicht, Herr Beyer und Herr Genilke, weil das Geld knapp ist, sondern es ein Gebot der Stunde ist.

Warum? - Nach der aktuellen Raumordnungsprognose 2020/2050 werden künftig nur noch wenige Regionen in Deutschland wachsen. Brandenburg gehört nicht dazu. Im Gegenteil. Der Raum Brandenburg wird von mehr oder weniger starken Bevölkerungsrückgängen gekennzeichnet sein. Die Folgeentwicklung dieses Wandels hat auch entscheidenden Einfluss auf den Umfang und Bedarf der verkehrlichen Infrastruktur.

Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung des Bundestags, in dem auch Vertreter der Fraktionen FDP und CDU mitarbeiten, empfahl daher, künftig öffentliche und mit öffentlichen Mitteln geförderte Vorhaben im Bereich der Infrastruktur bereits im Vorfeld auf ihre Demografiefestigkeit und langfristige Wirkung hin zu überprüfen.

Brandenburg ist also gehalten - unabhängig davon, ob wir finanziell besser oder weniger gut gestellt sind - zu prüfen, inwieweit die von uns gesetzten Rahmenbedingungen und Fördermaßnahmen an den demografischen Wandel angepasst werden müssen. Dieser Nachhaltigkeitscheck ist das Gebot der Stunde. Anders ausgedrückt: Die Zeiten der alten Landesstraßenbedarfsermittlung mit 82 Maßnahmen nach dem Motto „Wünsch dir was“ sind mit Rot-Rot vorbei. - Vielen Dank.

Wir kommen jetzt zum Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Der Abgeordnete Jungclaus hat das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die bisherigen Beratungen zum Landesstraßenbedarfsplan haben sich bei den Parteien CDU, SPD und FDP auf die urzeitlichen Argumente beschränkt: Wirtschaft braucht Straße bzw. Straße bringt Unternehmen ins karge Land.

Aber wie sieht die Realität aus? Landauf, landab klagen alle über den Fachkräftemangel. Jede Unternehmensumfrage stellt explizit das Fachkräftereservoir vor Ort als das Schlüsselelement für die Standortentscheidung heraus. Aber was mussten wir in der entscheidenden Sitzung von unserem Infrastrukturminister hören? Er werde sich dafür einsetzen, dass auch zukünftig Mittel aus dem Fonds für regionale Entwicklung für den Bau von Landesstraßen eingesetzt werden. Gerade in Zeiten knapper Kassen ist dies ein Zeichen rückwärtsgewandter Verkehrspolitik.

(Beifall GRÜNE/B90)

Bildung statt Beton sollte das Mantra unserer Politik sein! In diesem Zusammenhang freut mich die gestrige Ankündigung der Landesregierung, mehr neue Lehrer als geplant einzustellen leider gedeckt aus dem eigenen Haushalt. Wir hätten uns hierfür eine Umschichtung aus dem Infrastrukturetat gewünscht.

Zum Glück zwangen die engen finanziellen Spielräume das Ministerium jetzt schon dazu, einen überschaubaren Maßnahmenkatalog in den Landtag einzubringen. Das ist aber leider das

einzig Positive. Minister Vogelsänger behauptet zwar gebetsmühlenartig, dass diese abgespeckte Version ein großer Schritt zu mehr Planungssicherheit und Verlässlichkeit beim Straßenbau sei. Das Gegenteil ist aber der Fall, denn das Ministerium hat entweder geschludert oder bewusst unterlassen, den Gesamtplan einer strategischen Umweltprüfung zu unterziehen. Auch die immer wiederholte Leier, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung viel tiefer prüfe - was wir heute auch schon gehört haben - oder Raumordnungsmaßnahmen für die einzelnen Verfahren, für die einzelne Maßnahmen durchgeführt wurden, verändert das Ergebnis nicht.

Selbstverständlich sollten bei Vorhaben, deren Planung bereits vorangeschritten ist, Umweltprüfungen vorliegen. Aber auch hier ist eine Prüfung nach gleichen Maßstäben erforderlich. § 14k des Gesetzes zur Umweltverträglichkeitsprüfung fordert explizit die abschließende Bewertung und Berücksichtigung der Umweltbelange bei der Planaufstellung oder Planänderung. Eine solche Bewertung und Berücksichtigung wird hier aber für einen maßgeblichen Teil des Planes einfach unterlassen.

Der entscheidende Punkt ist also gar nicht, ob solche Umweltverträglichkeitsprüfungen vorliegen, sondern ob sie in den Entscheidungsprozess eingebracht werden. Die Unterlassung der strategischen Umweltprüfung bei 14 von 18 Maßnahmen heißt auch, dass die Prüfung von Alternativen fehlt. Ist eine ÖPNVAnbindung sinnvoller? - Nicht geprüft. Führt eine Maßnahme an anderer Stelle zu einem gleichen oder besseren Ergebnis? Das bleibt ebenfalls offen. Wie hat sich der Bedarf bei den übernommenen indisponiblen Vorhaben entwickelt? - Auch hier keine Information.

Dazu kommt: Die Gelder, die für den Neubau ausgegeben werden - und da bin ich bei den Kollegen Genilke und Frau Kircheis -, fehlen eben auch in der Instandhaltung. Da nützt es auch nichts, Herr Minister, dass Sie die kaputten Landesstraßen jetzt den Kommunen schenken wollen.

(Beifall GRÜNE/B90)

Schwerwiegend kommt hinzu: Die Unterlassung der gesetzlich vorgeschriebenen strategischen Umweltprüfung stellt einen Verfahrensfehler dar. Das unterstreicht auch das schon angesprochene entsprechende Gutachten des Parlamentarischen Beratungsdienstes, das von uns in Auftrag gegeben wurde. Das Gesetz ist aber die Grundlage zur Rechtfertigung von Straßenbaumaßnahmen. Das heißt, die allgemeine Rechtfertigung einer Maßnahme lautet: Das Vorhaben ist Bestandteil des Landesstraßenbedarfsplanes; damit steht der Bedarf gesetzlich fest.

Dieses Gesetz stellt durch das fehlerhafte Verfahren genau diese Rechtfertigung infrage. Wir haben in unserem Änderungsantrag gefordert, alle fraglichen Vorhaben zu streichen, um die Landesregierung dazu zu bewegen, sie einer ordentlichen Prüfung zu unterziehen. Leider wurde dem ebenso wenig gefolgt wie unserer Aufforderung, diesen Tagesordnungspunkt heute zu streichen und von der Landesregierung einen gesetzeskonformen Entwurf zu verlangen.

Wie dünn das Eis ist, auf dem Sie sich hier bewegen, zeigt auch die Abstimmung zur Beschlussempfehlung im zuständigen Ausschuss mit dem denkbar knappsten Ergebnis. Da es auch aufseiten der Koalitionspartner offensichtlich Bedenken gibt. Die Konsequenz hieraus ist - Zitat aus der Anhörung im Februar -:

„Ein Landesstraßenbedarfsplangesetz, das auf keiner ausreichenden inhaltlichen Prüfung beruht, führt nicht zu mehr Planungssicherheit, sondern eher zu Planungsunsicherheit.“

(Beifall GRÜNE/B90)

Sehr geehrter Herr Minister Vogelsänger, dieses Gesetz ist fehlerhaft, und Sie werden sich vor Klagen kaum retten können. Aus Falkensee kamen bereits entsprechende Ankündigungen, und dies zu Recht. Ihre in der Presse dargestellte Haltung „Lasst sie doch klagen!“ ist ein Armutszeugnis. Unsere Fraktion wird diesen Gesetzentwurf jedenfalls ablehnen.

Noch kurz zum Antrag der FDP: Landauf, landab klagen Kommunen über den schlechten Zustand der vorhandenen Straßen, und die FDP, die auf Bundesebene jetzt einmal wieder für Steuersenkungen eintritt, will nun Geld für noch mehr neue Straßenbauprojekte ausgeben. Mich würde interessieren, wie das mit Ihrem bildungspolitischen Sprecher abgestimmt wurde. Ich freue mich jetzt schon auf die Haushaltsdebatte, in der Sie uns dann erklären, wo Sie das Geld hernehmen. - Wir werden auch diesen Antrag ablehnen.

(Beifall GRÜNE/B90)

Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Landesregierung fort. Herr Minister Vogelsänger, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Es ist schon ein wenig Absurdistan, wenn ich die Grünen hier so höre.

(Oh! beim Abgeordneten Vogel [GRÜNE/B90])

- Ja, doch! Absetzung des Tagesordnungspunktes heute hätte bedeutet, dass der Landesstraßenbedarfsplan mit 82 Maßnahmen weiter in Kraft bleibt. 82 Maßnahmen - das muss man sich einmal vor Augen halten.

Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung ist ein sehr sinnvoller Fonds. Gemeinsam mit dem Finanzminister und dem Wirtschaftsminister kämpfen wir in Brüssel darum, dass wir ab 2014 diese Mittel wieder für Infrastruktur zur Verfügung haben. Herrn Jungclaus und den Grünen sage ich einmal, was ich damit beispielsweise mache: Mit diesen Mitteln wurden Radwege gebaut. Ich denke, das ist gut angelegtes Geld für die Menschen im Land Brandenburg.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Die Fortschreibung des Landesstraßenbedarfsplans war ein sehr transparentes Verfahren; das wurde ja schon beschrieben. Beschweren hätte sich das Kabinett können. Ich habe die 18 Maßnahmen vor Kabinettsbeschluss bekannt gegeben. Wir hatten eine sehr umfangreiche und sehr umfassende Diskussion. Ich war im Jahr 2003 an der Fortschreibung eines Bedarfsplans für Bundesfernstraßen beteiligt. Angesichts dessen halte ich die Diskussion für sehr ruhig.

Ich bekomme viele Anfragen von Abgeordneten und von Bürgermeistern, wann denn nun endlich mit diesen Projekten begon

nen wird. Dass das in Falkensee nicht ganz so ist und dass es dort auch einige Gegner gibt, nehmen wir zur Kenntnis. Aber wir sind ein demokratischer Rechtsstaat, und ein Klageverfahren ist etwas ganz Normales - das müssten die Grünen eigentlich wissen.

Von den 82 Maßnahmen des alten Planes sind 14 realisiert. Ich frage die Abgeordneten: Was nützt Ihnen das in den Wahlkreisen, wenn wir wieder so einen Plan machen? Das weckt Hoffnungen, und wir können das einfach nicht realisieren. Ich muss meine Kräfte bündeln.

Ganz wichtig ist - da bin ich bei Herrn Beyer -: Beim Neubau sind es die Bundesfernstraßen. Dafür muss ich die Planungsmittel zur Verfügung stellen. Herr Beyer, ich glaube, dass im Kreis Barnim die Ortsumgehung Eberswalde, Finowfurt das wichtigste Vorhaben ist. Das ist auch eine Bedarfsplanmaßnahme, aber eben keine Landesstraßenbedarfsplanmaßnahme, sondern eine des Bundes, und darauf muss ich den Schwerpunkt setzen. Neubauvorhaben an Landesstraßen werden die Ausnahme sein, und diese 18 Maßnahmen halte ich allesamt für sinnvoll.

Kommen wir zu einem weiteren Antrag der Grünen: Sie wollen beispielsweise die Netzergänzung Mühlberg streichen, und Sie wollen Niederlehme streichen.

(Oh! bei der Fraktion GRÜNE/B90)

Dort haben wir Baurecht. Wir haben dort einen rechtskräftigen Planfeststellungsbeschluss. Ich habe mir eines vorgenommen: dass dieser realistische Plan mit diesen 18 Maßnahmen auch entsprechend umgesetzt wird.

Ich bin dafür, dass wir den Menschen reinen Wein einschenken, was geht und was nicht. Es bleibt bei dem Grundsatz: Erhalt vor Neubau. Ich freue mich, dass in diesem Jahr noch zwei Spatenstiche erfolgen werden: In Hönow wird eine zweispurige Landesstraße vierstreifig ausgebaut - über 33 000 Fahrzeugbewegungen auf einer zweisstreifigen Straße; das ist Autobahnniveau, ich freue ich mich, dass wir dort weitergekommen sind -, und der zweite Bauabschnitt der Ortsumgehung Mahlow wird dieses Jahr begonnen; sie ist ein wichtiger Zubringer zu unserem wichtigsten Infrastrukturprojekt, dem Flughafen „Willy Brandt“.

Ich bedanke mich für die Unterstützung der Abgeordneten. Lassen Sie uns ans Werk und an die Umsetzung des Landesstraßenbedarfsplangesetzes gehen! - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)