Protokoll der Sitzung vom 01.09.2011

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der deutsche Arbeitsmarkt ist enorm aufnahmefähig. Im Augenblick sind über 40 Millionen

Menschen erwerbstätig. Wir haben knapp 3 Millionen Arbeitslose und 1 Million offene Stellen. Insofern befinden wir uns in einer Situation, die für Arbeitslose ausgesprochen gute Chancen bietet, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, und zwar auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Wir sehen auch, dass die Sockelarbeitslosigkeit in unserem Land zum ersten Mal seit 25 Jahren sinkt. Das sind doch Erfolge, auf die wir gemeinsam stolz sein können, meine Damen und Herren.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Wir alle haben daran mitgearbeitet. Insofern verstehe ich nicht, Herr Dr. Bernig, dass Sie hier gegen das Gesetz der Bundesregierung ein Sammelsurium von Attacken reiten, obwohl Sie wissen, dass wir bei sinkender Arbeitslosigkeit die Arbeitsmarktinstrumente selbstverständlich anpassen müssen.

(Görke [DIE LINKE]: Wenn er mehr Zeit gehabt hätte, wäre er noch deutlicher geworden!)

Mit der Neuordnung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente will die schwarz-gelbe Bundesregierung ihren Beitrag dazu leisten, dass noch mehr Menschen Arbeit finden. Gleichzeitig erfüllen wir damit eine zentrale Forderung des Koalitionsvertrages auf Bundesebene.

Die Verwirklichung zweier Ziele steht für uns im Vordergrund: Erstens muss der Zweck aller Instrumente die Eröffnung von Perspektiven sein. Sie müssen Menschen helfen, schnell in einen Job zu kommen. Zweitens muss der Instrumentenkasten gut aufgeräumt sein. Effizienz und Effektivität sollen dabei zum Gütesiegel dieser Instrumente werden. Das bedeutet auch, dass die Zahl der Instrumente insgesamt reduziert wird - ja, das ist richtig. Aber gleichzeitig schaffen wir mehr Transparenz für die Vermittler in den Jobcentern vor Ort und bei der Bundesagentur für Arbeit. Die Qualität der Vermittlung hängt doch nicht von der Menge der eingesetzten Mittel ab.

(Beifall FDP und CDU)

Dem Vermittler muss die Möglichkeit gegeben werden, flexibel, effektiv und am Einzelfall orientiert zu entscheiden.

(Frau Lehmann [SPD]: Ermessen!)

Den Instrumentenkasten gut aufzuräumen heißt auch, dies mit Bedacht und nicht mit Beliebigkeit zu tun. Genau so - mit Bedacht - hat es die Bundesregierung gemacht: Die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sind umfassend wissenschaftlich auf ihre Wirksamkeit überprüft worden. Herr Dr. Bernig, Sie wissen das doch; insofern verstehe ich nicht, wie Sie hier behaupten können, es habe keine wissenschaftliche Begleitung stattgefunden. An deren Ergebnissen hat sich übrigens der Gesetzentwurf der Bundesregierung orientiert.

Wir werden den Einsatz der öffentlich geförderten Beschäftigung verändern, damit er eben nicht die Eingliederungschancen nachhaltig verschlechtert, etwa durch Stigmatisierung oder durch Einbindungseffekte. Ziel der Arbeitsmarktpolitik ist nicht die Ausweitung des zweiten Arbeitsmarktes, sondern die Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Im Vordergrund der Bemühungen steht deshalb die langfristige Integration von Ar

beitsuchenden in den ersten Arbeitsmarkt. Das gilt auch für die öffentlich geförderte Beschäftigung - es ist schon angesprochen worden -, beispielsweise die sogenannten 1-Euro-Jobs, die daher zukünftig allein der Überprüfung und Wiedererlangung verlorener Beschäftigungsfähigkeit dienen soll. Es muss gewährleistet sein, dass öffentlich geförderte Beschäftigung keine Lösung auf Dauer wird und nicht zur Verdrängung regulärer Arbeitsplätze führt. Sie sollte daher nur eng eingegrenzte Zielgruppen umfassen, passgenau und möglichst marktnah gehandhabt werden, stets nur am Beginn einer Maßnahmenkette zum Einsatz kommen und mit Qualifikations- und Integrationsinstrumenten verbunden werden. Deshalb ist generell eine dezentrale Steuerung richtig. Im Zweifelsfall weiß der Vermittler vor Ort besser Bescheid als alle anderen - allerdings nur, wenn an seine Leistung die höchste Messlatte angelegt wird.

Meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, ich verstehe wirklich nicht, wie Sie hier das mittragen können, was ganz offensichtlich das Spielfeld der Linken ist. Ich will ausdrücklich anmerken: Es waren Sozialdemokraten und Grüne, die mit den Arbeitsmarktreformen im Jahr 2003 für frischen Wind auf dem Arbeitsmarkt gesorgt haben, von dem nun viele bis dato Arbeitslose, die Sozialkassen und somit die gesamte Gesellschaft profitieren. Die Bundesregierung reagiert zu Recht, indem sie die arbeitspolitischen Instrumente, die konzipiert wurden, als noch deutlich mehr Menschen arbeitslos und die Strukturen weit weniger durchlässig waren als heute, überprüft und neu ordnet.

Freidemokraten und Christdemokraten gehen in der Arbeitsmarktpolitik nun den zweiten Schritt, der auf den ersten Schritt, die rot-grünen Reformen, folgen muss. Deshalb fordern wir die Landesregierung, insbesondere die SPD, auf, sich zu ihren Erfolgen zu bekennen und sich an der Neuordnung der Förderinstrumente konstruktiv zu beteiligen, statt sich in die Schmollecke zu stellen.

Die Evaluation auf Bundesebene allein wird mit Blick auf die nach wie vor vielen Arbeitsuchenden in Brandenburg nicht ausreichen. Auch das Land muss seine Hausaufgaben machen, indem es seine eigenen Förderprogramme überprüft und nur solche weiterführt, die für Arbeitsuchende und die Eingliederungschancen von Arbeitslosen auch wirklich einen positiven Effekt haben. Anderenfalls konterkariert die Landesregierung die Bemühungen um mehr Transparenz, Effizienz und Kostenbewusstsein in der Arbeitsförderung. - Vielen Dank.

(Beifall FDP und CDU)

Die Abgeordnete Nonnemacher spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Guten Morgen! - Aktuelle Stunden können eine Sternstunde des Parlaments sein, wenn sie zu brennenden Problemen den Austausch neuer Argumente provozieren und zur politischen Standortbestimmung beitragen.

(Vereinzelt Beifall CDU - Bischoff [SPD]: Wenn das kein Problem ist!)

Aktuelle Stunden können aber auch sehr ermüdend sein, wenn Sachlage und Argumente sattsam bekannt sind und mehr die Disziplin des Schaulaufens angesagt ist.

(Beifall GRÜNE/B90, CDU und FDP)

Letzteres scheint mir heute der Fall zu sein.

Das Bundeskabinett hat am 25. Mai 2011 den Gesetzentwurf zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt beschlossen. Ziel ist es, im Rahmen der Evaluationsforschung zu den Hartz-Gesetzen die Effektivität und Effizienz der Arbeitsmarktpolitik zu erhöhen. Der Referentenentwurf und ein Eckpunktepapier sind schon lange bekannt. Der Landtag hier hat sich in seiner 36. und seiner 39. Sitzung bereits ausführlich mit der Instrumentenreform beschäftigt.

Obwohl die Positionen mehrfach ausgetauscht worden sind, fasse ich den Standpunkt unserer Fraktion noch einmal zusammen: Die Instrumentenreform möchte durch Reduzierung der Zahl der Instrumente die Neuordnung der öffentlich geförderten Beschäftigung und durch Neugliederung des SGB III mehr Dezentralität, Flexibilität, Individualität, Qualität und Transparenz erreichen. Zudem ist eine Änderung des Dienstrechts der Bundesagentur für Arbeit geplant.

Diese Intention ist erst einmal nicht falsch. Manche an der Evaluation ausgerichtete Maßnahme erscheint durchaus sinnvoll. Die Reduzierung des Instrumentariums von 42 auf 31 Maßnahmen mit dem Ziel, die Arbeitsförderung klarer zu strukturieren, ist prinzipiell richtig. Wir kritisieren, dass sich die ausgeprägten Kürzungen von 7,8 Millionen Euro bis 2015 vorwiegend an haushalterischen Gesichtspunkten und weniger an den Erfordernissen einer aktiven Arbeitsmarktpolitik orientieren.

Wir kritisieren, dass Langzeitarbeitslose mit multiplen Vermittlungshindernissen besonders betroffen sind. Wir bemängeln insbesondere die drastischen Kürzungen beim Gründungszuschuss, einem Instrument, dem laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hohe Wirksamkeit zukommt. Die Umwandlung in eine Ermessensleistung ist dort nicht nachvollziehbar. Auch nach fünf Jahren sind noch 55 bis 70 % der Geförderten selbstständig und schaffen sogar weitere sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze.

(Beifall GRÜNE/B90)

Dass bei einem nachgewiesen wirksamen Instrument bis 2015 5 Milliarden Euro eingespart werden, ist nur dem Diktat der Sparzwänge zuzuschreiben.

Auch die Kürzung der Mittel für die Aus- und Weiterbildung gerade von Langzeitarbeitslosen, Älteren und Geringqualifizierten kritisieren wir stark.

(Beifall GRÜNE/B90)

Zum öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, dem sogenannten sozialen Arbeitsmarkt, haben wir weiterhin eine sehr kritische Haltung. Auch wenn uns Kollege Dr. Bernig oder Herr Minister Baaske immer mal wieder mit Zitaten unserer GRÜNEN-Bundestagsfraktion konfrontieren - wir kennen un

sere Beschlusslagen und gönnen uns trotzdem die föderale Freiheit, den ÖBS wesentlich kritischer zu beurteilen.

(Beifall GRÜNE/B90)

Wir sind nicht gänzlich dagegen, aber die Probleme der hohen Kosten bei nachgewiesener Ineffektivität, der prinzipiellen Problematik der Vernichtung sozialversicherungspflichtiger Arbeit bei Arbeitsplatznähe, der Mitnahmeeffekte und der Gerechtigkeitsproblematik zum Niedriglohnsektor bestärken uns in unserer kritischen Haltung.

(Holzschuher [SPD]: Kommen Sie mal in die Ucker- mark!)

- Ja, dort war ich letzte Woche gerade.

Die Integration von Langzeitarbeitslosen mit multiplen Vermittlungshindernissen in einer Gruppe mit gemeinsamer, sinnstiftender sozialer Arbeit ist ein Wert an sich. Sie ist der Isolation mit Gefahr von Depression und Suchterkrankungen deutlich vorzuziehen und dient der sozialen Stabilisierung. Bei sprudelnden Haushaltsquellen wäre der ÖBS für uns kein Thema.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Das ist ja unglaublich!)

Wir müssen aber in der Politik zu einer Kultur der Ehrlichkeit kommen. Bei der dringenden Notwendigkeit von Haushaltskonsolidierung und Schuldentilgung muss jeder verausgabte Euro auf den Prüfstand.

(Frau Lehmann [SPD]: Ja, genau!)

Wir bekennen uns als GRÜNE-Landtagsfraktion weiterhin zur Priorisierung der Bildungsaufgaben. Dort zahlen sich Investitionen im Sinne des vorsorgenden Sozialstaates am meisten aus.

(Beifall GRÜNE/B90)

Wir bekennen uns zur Haushaltskonsolidierung mit echter Schwerpunktsetzung bei Bildung und Wissenschaft.

(Beifall GRÜNE/B90)

Herr Minister Baaske spricht für die Landesregierung.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einen schönen guten Morgen!

(Zurufe aus den Fraktionen: Guten Morgen!)

Frau Schier, Herr Büttner und Frau Nonnemacher, es ist vollkommen richtig: Man darf sich darüber freuen, dass die Arbeitslosigkeit seit vielen Jahren zurückgeht. Man darf sich darüber freuen, dass in Brandenburg die Arbeitslosigkeit im Gegensatz zum Bundestrend auch in diesem Monat wieder gesunken ist, und man darf sich darüber freuen, dass wir in diesem Jahr wahrscheinlich auch wieder unter die 10-%-Marke kommen. Dies alles sind gute Zahlen.

Aber, Frau Schier, ein großer berühmter Konservativer, nämlich Herr Churchill, hat einmal gesagt: „Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, der trägt sie an der falschen Stelle.“ Genau das wollen Sie gerade tun. Man darf sich nicht darauf ausruhen, dass wir „nur noch“ 138 000 Arbeitslose in diesem Lande haben, sondern man muss sich anschauen: Was sind das für Arbeitslose? Was ist in den letzten Monaten tatsächlich auf dem Arbeitsmarkt passiert?