Protokoll der Sitzung vom 29.09.2011

Meine Partei hat jetzt eine Debatte über Brandenburg 2030 aufgenommen, die nicht nur in den Medien sehr viel Aufmerksamkeit findet.

(Zuruf des Abgeordneten Burkardt [CDU])

Sie findet sehr viel Interesse. Wir wollen auch eine kritische und konstruktive Debatte darüber haben. Die kann auch durchaus kontrovers sein. Wir führen sie; Sie führen sie bisher nicht. Die Diskussion, die wir dort aufgenommen haben, ist eine ehrliche Diskussion und eine ehrliche Bestandsaufnahme.

Wir müssen darüber reden, dass unser Land ein paar Zusatzprobleme hat, die im Vergleich zu anderen ostdeutschen Ländern wirklich dramatisch sind. Wir haben die Sondersituation, dass wir innerhalb der nächsten zwanzig Jahre in den berlinfernen Regionen eine demografische Entwicklung haben werden, die ähnlich sein wird wie in den restlichen ostdeutschen Ländern. Wir werden aber gleichzeitig im berlinnahen Raum noch weitere Zuzüge zu verzeichnen haben. Das heißt, die Disparitäten im Land nehmen weiter zu. Wir diskutieren hier sehr viel über den Flughafen, wir diskutieren aber nur über Flugrouten.

(Senftleben [CDU]: Ist das neu?)

Dieser Flughafen wird aber auch noch ganz andere Effekte haben, nämlich Wachstumseffekte in bestimmten Regionen

(Zuruf von der CDU)

und Zuzugseffekte, die diese Disparitäten im Land weiter verstärken werden. Wir müssen im Land eine Diskussion darüber zustande bekommen, wie wir es schaffen, dass wir das, was wir im Berliner Umland an Wachstum generieren, auch für die berlinfernen Regionen nutzbar machen. Wir haben einen konkreten Vorschlag unterbreitet; der wird sehr streitbar sein. Wir sagen nämlich: Wir brauchen einen neuen horizontalen Finanzausgleich zwischen den Kommunen, die in Zukunft mit sehr hohen Steuereinnahmen zu rechnen haben, und denen, die aufgrund der Tatsache, dass die demografische Entwicklung dazu führen wird, dass in diesen Kommunen nur noch sehr wenige Menschen leben werden, die auch Steuern zahlen, große Schwierigkeiten haben werden, die Daseinsvorsorge in ihrem Bereich zu gewährleisten. Das ist eine große Herausforderung. Ich würde mir wünschen, dass wir diese komplizierten Probleme ernsthafter diskutieren, als wir es gegenwärtig tun.

Wir haben eine Enquetekommission eingesetzt. Ich rede jetzt nicht von der Vergangenheits-Enquetekommission, sondern wir haben auch eine Zukunfts-Enquetekommission eingesetzt.

(Frau Schier [CDU]: Wer ist wir?)

- Wir, dieser Landtag hat sie eingesetzt. Wir haben sie eingesetzt, und ich finde, dass dort vernünftig gearbeitet und diskutiert wird.

(Senftleben [CDU]: Es war Ihre Idee?)

Ich glaube, wir müssen dann auch ernsthaft sagen, wohin das führen soll.

Wir werden in der nächsten Legislaturperiode, egal, wer dann regiert, eine Gemeindegebietsreform durchführen müssen, in

irgendeiner Form auch eine Kreisstrukturreform. Wir sind nicht allein auf dieser Welt. Sachsen hat es schon gemacht, Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls. Uns steht diese Aufgabe auch bevor. Wir müssen ernsthaft darüber diskutieren, wie wir sie so machen, dass sie tatsächlich zukunftsfest ist. Ihr Innenminister Jörg Schönbohm und wir - das müssen wir uns eingestehen - sind mit der Gemeindegebietsreform 2003 zu kurz gesprungen. Wir sind schlicht und ergreifend zu kurz gesprungen. Die Einwohnerzahl 5 000, die damals angesetzt worden ist, ist in vielen Bereichen schon jetzt unterlaufen worden.

(Senftleben [CDU]: Sie reden die alte Regierung schlecht!)

- Melden Sie sich doch zu Wort und machen Sie einen konstruktiven Vorschlag. Das wäre einmal ein interessanter Beitrag, Herr Senftleben.

(Vereinzelt Beifall SPD)

Wir haben hier in diesem Land ernste Probleme. Über die muss ernsthaft diskutiert werden. Ich würde mir wünschen, dass wir eine Opposition hätten, die in der Lage ist, praktische Vorschläge zu machen, wie es weitergehen soll. Die Menschen wollen wissen, wie im Jahr 2030 in diesem Land gelebt werden soll, wie wir das Land strukturieren. Von dieser Opposition kommt nichts. Es bleibt an der Regierung hängen, und die Regierung wird es auch packen und die sie tragenden Fraktionen erst recht. - Danke.

(Beifall SPD und DIE LINKE - Dombrowski [CDU]: Das war ein ganz wichtiger Beitrag!)

Zum Abschluss der Debatte erhält noch einmal die Landesregierung das Wort. Frau Ministerin Tack spricht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin meiner Fraktion sehr dankbar, dass sie das Thema heute auf die Tagesordnung der Aktuellen Stunde gesetzt hat, weil es ein hochaktuelles Thema ist. Es ist beschrieben worden. Ich will in Richtung CDU sagen, dass ich es schon als sehr nachdenklich empfinde, dass sich eine 20%-Partei in diesem Land der Zukunftsdebatte verweigert.

(Dombrowski [CDU]: Wir sind gerade gleichauf!)

- Das ist eine Umfrage, Herr Kollege.

Ich will Ihnen einen kleinen Tipp geben: Sowohl die Bundesregierung als auch viele Länder mit CDU-Regierungsbeteiligung haben mittlerweile eine Nachhaltigkeitsstrategie entweder für den Bund oder das Land aufgestellt. Sie sollten sich die Mühe machen, einmal darin zu lesen, damit Sie demnächst mit uns diskutieren können; denn Sie haben die Pflicht zur Meinungsbildung wie auch wir,

(Beifall DIE LINKE)

auch wenn die Auffassungen sehr unterschiedlich sind. Sie haben die Pflicht, sich in die gesellschaftliche Debatte einzubringen.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, unsere Zukunftsdiskussion über soziale, wirtschaftliche und ökologische, auch demokratische Themen braucht eine Klammer, sie braucht Instrumente. Dieses verbindende Prinzip ist das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung. Ich will daran erinnern, alle Vorredner der Regierungsfraktionen, der Ministerpräsident insbesondere, haben es erwähnt: Nur wenn es uns gelingt, das Wohl der zukünftigen Generation in unsere heutigen Entscheidungen, in das Denken und Handeln einzubeziehen, wird unsere Politik, werden die Auswirkungen langfristig tragfähig sein. Sie wird zukunftssicher sein. Und das ist hochaktuell, meine Damen und Herren.

Unsere Maxime ist, eine Politik aus einem Guss anzubieten, zu formulieren. Die große Herausforderung und diese Aufgabe daran will ich erinnern - stellt uns die Koalitionsvereinbarung. Diese Sichtweise hat sich der Landtag zu eigen gemacht. Dazu gibt es den Beschluss vom Januar 2010. Darin sind Aufgaben an die Landesregierung formuliert. Ich will kurz darauf eingehen, wie wir sie erfüllt haben. Ich konnte im April vergangenen Jahres den Nachhaltigkeitsbeirat als wissenschaftlichen Beirat berufen. Er ist Ihnen mittlerweile in vielen Zusammenhängen bekannt geworden. Er hat seitdem, denke ich, gut gearbeitet. Er hat für die IMAG, in der alle Ressorts der Landesregierung zusammenarbeiten, die Empfehlungen für die Eckpunkte der Nachhaltigkeitsstrategie vorgelegt, und das Kabinett hat darauf aufbauend die Eckpunkte für die Nachhaltigkeitsstrategie des Landes mit den bekannten fünf Handlungsfeldern beschlossen.

Die Handlungsfelder - ich will sie nicht benennen, denn Frau Kaiser ist ausführlich darauf eingegangen - bilden von Wirtschaft und Arbeit bis zur nachhaltigen Bildungslandschaft einen großen Rahmen. Ich will deutlich unterstreichen: Diese Aufgaben sind unter den sehr komplizierten Bedingungen des demografischen Wandels, der Haushaltskonsolidierung und der sehr unterschiedlichen strukturellen Disparitäten im Land Brandenburg zu leisten. Das ist die große Herausforderung, und ich glaube, wir sind ihr mit diesen Ansätzen gut gewachsen.

Zur Bildung nachhaltiger Entwicklung will ich kurz Folgendes sagen: Wir haben gemeinsam mit gesellschaftlichen Vertretern den Landesaktionsplan erarbeitet und fortgeschrieben. Das Kabinett hat sich damit befasst. Darin zeigt die Landesregierung, dass das Thema nachhaltige Bildungslandschaft einen sehr hohen Stellenwert genießt. Ein Beispiel ist die Verankerung der Thematik als verbindlicher Schwerpunkt der Bildung und Erziehung in den schulischen Rahmenplänen. Es ist wichtig, dass dies ein Bestandteil ist. Es gibt auch ein gutes Beispiel - es muss natürlich wachsen -, nämlich die zehn UNESCO-Projektschulen im Land, die sich in besonderer Weise Nachhaltigkeitsthemen wie Menschenrechtsbildung, Demokratieerziehung und interkulturelles Lernen widmet. Wir sind der Auffassung, dass dies Schule machen und überall im Land zur Normalität werden sollte.

Ich konnte gemeinsam mit der Bildungsministerin am vergangenen Freitag den runden Tisch „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ins Leben rufen. Das war eine spannende Veranstaltung mit allen gesellschaftlichen Akteuren. Frau von Halem, ich habe weder Sie noch Kollegen von der CDU dort gesehen.

(Frau Schier [CDU]: Wenn wir eingeladen worden wären, wären wir erschienen!)

Der runde Tisch ist eine gute Basis, um weitere Ideen und Projekte für nachhaltige Entwicklung anzuregen. Vor allem muss

die Vernetzung der Akteure gefördert werden, das ist uns besonders wichtig. Wir können den runden Tisch in die Debatte über eine Brandenburger Nachhaltigkeitsstrategie einbeziehen.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Ende. Wir brauchen den öffentlichen Dialog - das hat auch die Aktuelle Stunde gezeigt -, und zwar unter aktiver Beteiligung der Opposition. Wir haben in der Interministeriellen Arbeitsgruppe für diesen Dialogprozess einen Vorschlag unterbreitet. Wir werden Ihnen und der Öffentlichkeit ein Veranstaltungspaket anbieten. Es wird noch in diesem Jahr eine Auftaktveranstaltung geben, um einen Punkt zu setzen. Ich kann Sie nur ermuntern, meine Damen und Herren. Aus meiner Sicht und aus Sicht der Landesregierung sollte der Landtag in diesem Prozess eine prominente und herausragende Rolle einnehmen, wenn wir über Zukunftsthemen reden und uns verabreden, wie die Nachhaltigkeitsstrategie für das Land Brandenburg aussehen soll. Ich finde schon, Frau Dr. Ludwig, dass das Parlament der richtige Ort ist, um über die Zukunft Brandenburgs zu reden. - Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Meine Damen und Herren, wollen wir zur Fragestunde übergehen oder haben Sie Bedarf, die 2,5 Minuten, die die Landesregierung an Redezeit überzogen hat, zu nutzen? - Sie möchten reden. Frau Kaiser, bitte.

Eine kurze Reaktion auf unsere heutige Debatte. Ein Ergebnis der Aktuellen Stunde für mich ist leider: Die Oppositionsfraktionen verzichten auf die ernsthafte Debatte. Sie von der CDU mobben lieber weiter, und die FDP liest in ihrer Verzweiflung linke Wahlprogramme. Vielleicht hilft's.

Nachhaltige Entwicklung, meine Damen und Herren von der Opposition, braucht eine bestimmte politische Kultur. Merkwürdigerweise kamen wir mit Ihnen in der Regierung weder zu öffentlichen Ausschusssitzungen, noch war es möglich, die Enquetekommission „Zukunft der Kommunen 2020 in Brandenburg“ ins Leben zu rufen. Das scheiterte regelmäßig an Ihren Stimmen. Seien Sie froh, dass Sie jetzt in der Opposition sind und wir das nun durchgesetzt haben.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Interessant ist auch, Frau Dr. Ludwig, dass Sie sich hier als Windkraftgegnerin geoutet haben. Ich glaube, Sie leben in der Nähe der Gemeinde Feldheim, Kreis Potsdam-Mittelmark, die sich autark mit Energie aus Wind, Sonne und Biomasse versorgt und wo die Aufwendungen für Strom sehr gering sind. Dort zahlen die Bürger 16,4 Cent pro Kilowattstunde. Anderswo liegt der Preis viel höher. Überdenken Sie noch einmal Ihre Argumente gegen die Windkraft in Bezug auf Preiserhöhungen. Aber: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“

(Beifall DIE LINKE und GRÜNE/B90)

Ich habe eine Bitte an die Grünen. Frau von Halem, Sie haben uns schwer kritisiert. Das sind wir gewöhnt. Aber tun Sie mir den Gefallen und lesen Sie die Entschließung des Landtages

zum Vergabegesetz. Dann werden Sie feststellen, dass bestimmte Defizite nicht mehr vorhanden sind. Lesen Sie auch die Passage im Koalitionsvertrag zum Kompromiss bezüglich der CCS-Technologie. Führen Sie sich dann die Realität im Lande vor Augen. Umfallen sieht wirklich anders aus. Ich wünsche Ihnen sehr, dass die aktuellen Nachrichten, denen zufolge Herr Wowereit verkündet hat, die Grünen hätten in der Sondierung zugestimmt, sich einer möglichen Erweiterung des Großflughafens Berlin-Schönefeld nicht in den Weg zu stellen, nicht zutreffend sind. Denn jetzt kommt die Gretchenfrage: Lärmschutz oder Flughafeninteressen? Wir werden diese Aufgabe gemeinsam zu lösen haben, und zwar nicht durch Umfallen, nicht durch Beschimpfen, nicht durch Weglassen, sondern durch nachhaltige Politik. Ich wünsche uns dabei Erfolg.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Der Kollege Goetz hat hierzu eine Kurzintervention angemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kaiser, Sie haben eben die Energiepolitik in Feldheim angesprochen. Ich möchte auf Folgendes hinweisen: Feldheim ist mit seinen 120 Einwohnern ein Ortsteil der Stadt Treuenbrietzen und hat mit Michael Knape von der FDP einen liberalen Bürgermeister.

(Heiterkeit)

Wenn Sie also sehen wollen, wie man zukunftsträchtige Energiepolitik betreibt, fahren Sie nach Feldheim und schauen Sie es sich an. Mit der heutigen Debatte haben Sie das Thema leider nicht vorangebracht.