Des Weiteren liegt der Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 5/4086, vor.
Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der einbringenden Fraktion. Der Abgeordnete Vogel von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Reden wir heute auch einmal über ein echtes Zukunftsthema. Der Flughafen Willy Brandt, BER, BBI - er wechselt seinen Namen mitunter - ist mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 2,4 Milliarden Euro gegenwärtig eines der größten Infrastrukturprojekte in ganz Europa. Er ist aber zugleich auch der größte einzelne finanzielle Risikofaktor für den Brandenburger Landeshaushalt. Wie ist das möglich?
Nach dem 2002 endgültig gescheiterten Versuch, den Flughafen in privater Trägerschaft errichten und betreiben zu lassen, trafen Berlin, Brandenburg und der Bund die Entscheidung, die Flughafenbauplanung durch die Berlin-Brandenburger Flughafenholding und deren Tochterunternehmen fortzusetzen. Die
bis dahin zweigleisig gefahrene Strategie der Länder und des Bundes, den Betrieb der Berliner Flughäfen und die Planung des Neubaus als öffentliches Unternehmen durchzuführen und gleichzeitig dieses öffentliche Unternehmen zu privatisieren, war damit beendet. Gescheitert waren diese Versuche - ich zitiere aus dem Planfeststellungsbeschluss -
„an den nicht zu vereinbarenden Vorstellungen der Verhandlungspartner über die Vertragsbedingungen, insbesondere die Verteilung der Risiken zwischen den privaten Erwerbern und der öffentlichen Hand.“
Damit trägt das Land Brandenburg über seine 37-%-Beteiligung am Stammkapital und eine Bürgschaft in Höhe von 888 Millionen Euro große Teile des Investitions- und Betriebsrisikos des Flughafens. Wohl und Wehe des Flughafens haben damit unmittelbare Auswirkungen auf unseren Landeshaushalt. Erst nachdem private Investoren das Betriebs- und Investitionsrisiko der angeblichen Goldgrube Großflughafen nicht tragen wollten, wurden die Risiken allein dem Steuerzahler aufgehalst. Offenkundig konnten potenzielle Geldgeber in der Region Berlin-Brandenburg nicht das Potenzial für einen gewinnbringend zu betreibenden Großflughafen entdecken. Wir fragen uns, warum diese Erkenntnis bis heute nicht Allgemeingut geworden ist, sondern die Politik in Brandenburg und Berlin immer noch der Chimäre eines prosperierenden Großflughafens hinterherläuft.
Mit unserer Großen Anfrage wollen wir die öffentliche Debatte auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Dabei ist für uns außer Frage, dass der Großflughafen und der Standort Schönefeld gesetzt sind. Aber wir können trotzdem noch einmal darauf hinweisen, dass das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens und der ursprüngliche Wille des Landes Brandenburg ein ganz anderes Ergebnis vorgesehen hatte. Aber er ist eben heute da.
Unbestritten ist für uns, dass sich der Flughafen in seinem Betriebskonzept an der Lage im urbanen Raum ausrichten muss, und selbstverständlich muss die im Planfeststellungsbeschluss vorgegebene Zahl von 360 000 Flügen pro Jahr - das entspricht 30 Millionen Passagieren - mit einem Umsteigeanteil von 10 % die absolute Obergrenze für diesen Flughafen darstellen. Richtig ist auch: Ziel des Gesellschafters Land Brandenburg - das sind letztendlich wir - muss es unter Beachtung dieser Rahmenbedingung sein, die Finanzierung der Betriebskosten und die Refinanzierung der Investition aus den laufenden Betriebseinnahmen des Flughafens sicherzustellen, auf jeden Fall aber, so weit es geht, Verluste zu minimieren.
Ein Blick in den Geschäftsbericht 2009 der Berliner Flughäfen zeigt die Brisanz, und wer Ohren hat, um zu hören, der möge jetzt bitte zuhören, damit er hinterher nicht sagt, er habe davon nichts gewusst. Darin heißt es:
„Mit der Inbetriebnahme des neuen Flughafens muss die Profitabilität noch einmal gesteigert werden, um die Kredite bedienen zu können.“
Zu Deutsch: Die absehbaren Einnahmen aus dem Flughafenbetrieb in Schönefeld reichen nicht einmal aus, um die Kredite und die Zinsen zu bedienen. Ich füge hinzu: Wenn mit der Inbetriebnahme des Flughafens BER am 3. Juni 2012 die Invest
phase vorbei ist und erstmals die Abschreibungen in der Gewinn- und Verlustrechnung zu Buche schlagen, droht der Flughafen tief in den roten Zahlen zu versinken.
Ist die geforderte Rentabilitätssteigerung überhaupt möglich? Liegt die Zukunft des Flughafens, wie es uns der oberste Berlinversteher weismachen will, in einer Expansionsstrategie, oder drohen bei weiteren Millionen-Investitionen am Ende nicht nur die Berliner auf ihre sprichwörtliche Schnauze zu fallen, sondern wir Brandenburger gleich mit? Wir fürchten Letzteres.
Den Berlinern sei gleich einmal ins Stammbuch geschrieben: Völlig unabhängig davon, welche Koalition dort gebildet wird und welcher Koalitionsvertrag zustande kommt: Über Bauvorhaben in Brandenburg entscheiden nicht die Berliner allein, sondern da haben wir auch ein Wörtchen mitzureden.
Aus der Antwort der Landesregierung auf unsere Anfrage lassen sich die kritischen Punkte ersehen, die über Wohl und Wehe, über den Erfolg dieses Flughafens entscheiden und zugleich deutlich machen, warum es verfehlt ist, dem schon investierten Geld noch Geld hinterherzuwerfen. Es gibt vier zentrale Risiken. Erstens: die starke Abhängigkeit vom innerdeutschen Flugverkehr. Ganz im Gegensatz zum übrigen Deutschland, in dessen Flughäfen der innerdeutsche Flugverkehr mit 15 % - nur jeder siebte Flug - eine begrenzte Bedeutung hat, hat dieser in Berlin mit einem Anteil von 36 % - jeder dritte Flug - eine entscheidende Bedeutung.
Perspektivisch werden die auch von uns Grünen begrüßten und unterstützten Veränderungen der äußeren Rahmenbedingungen ich nenne Flugverkehrssteuern, steigende Kerosinpreise, Kerosinsteuer, CO2-Emissionshandel, Verlagerung der innerdeutschen Verkehrsströme auf die Schiene, geändertes Nutzerverhalten - das Wachstum des Berliner Flughafens überproportional begrenzen.
Risiko Nummer 2 ist der große Anteil an Billigfliegern, neudeutsch Low-Cost-Carrier. Er ist auch besonders relevant für den Berliner Flughafen, er hat seit fünf Jahren einen stabilen Anteil von 27 %, was jedem vierten Flug entspricht. Die Antworten zu den Fragen 65 bis 67 unserer Großen Anfrage verdeutlichen das große Risiko, das sich aus dieser Struktur ergibt. Zusammenfassend möchte ich einen Satz zitieren:
„Nach Angaben der Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH hat die Luftverkehrssteuer negative Auswirkungen, die sich insbesondere auf die innerdeutschen Strecken im Low-Cost-Bereich auswirken.“
Um die Bedeutung dieses Satzes besser gewichten zu können und einen Eindruck von der Preissensibilität in diesem Segment des Flugverkehrs zu bekommen, reicht eigentlich ein Blick auf den Sommerflugplan von Ryanair in Frankfurt/Hahn. Aufgrund der Flugverkehrssteuer reduzierte sich das Angebot um 30 %, und die Passagierzahlen sanken um 1 Million. Aber damit nicht genug. Ein Blick auf unsere Nachbarländer zeigt: Billigflieger sind ein flüchtiges Gut, man könnte auch „Wanderzirkus“ sagen. Steigen irgendwo die Kosten, sind sie ganz schnell über alle Grenzen.
Risiko Nummer 3: die Schieflage der potenziellen Hauptairline Air Berlin. Über ein Drittel des Hauptstadtflugverkehrs bestreitet Air Berlin, die nach dem Abwinken der Lufthansa als Hauptträger eines internationalen Luftverkehrsdrehkreuzes Schönefeld auserkoren war. Die zur Verhinderung des finanziellen Absturzes dieser Airline erfolgte Berufung von Ex-Bahnchef Mehdorn an die Spitze sollte bei allen Wachstumsträumern Alarmstufe Rot auslösen.
Die Botschaft der neuen Unternehmensführung ist deutlich, und sie ist übrigens auch richtig: Verknappung des Linienangebots, Verringerung der Anzahl der Flugzeuge und bessere Auslastung jedes einzelnen Fluges. Das rapide Wachstum der Air Berlin wird nun durch eine Konsolidierungsphase abgelöst. Dabei wird die Abhängigkeit des Flughafens von der Air Berlin wohl zukünftig noch größer werden. Die Dominanz der Lufthansa in Frankfurt und München mit Marktanteilen von 50 % zeigt eigentlich die Richtung, in die es geht.
Nun komme ich zum entscheidenden Thema. Risiko Nummer 4: die starke Abhängigkeit vom sogenannten Non-Aviation-Bereich, also dem Nichtflugbereich. Laut Jahresbericht der Flughäfen trägt der Bereich Einzelhandel- und Serviceflächen bisher 17 % zum Gesamtumsatz bei. Für einen rentablen neuen Flughafen wird dieser Anteil viel zu niedrig sein. Den Antworten ist nämlich zu entnehmen, dass die Entgelte für Starts und Landungen an den Standorten Tegel und Schönefeld gegenwärtig noch zu einer Kostendeckung des Flughafenbetriebs führen, diese Kostendeckung am neuen Flughafen jedoch nicht erreicht wird. Eine Kostendeckung wird durch die Start- und Landegebühren nicht erreicht! Das heißt, für die Rentabilität des Flughafens werden die Umsätze aus dem Non-Aviation-Bereich entscheidend sein. Überspitzt formuliert: Der neue Flughafen soll - ähnlich wie Dubai - wie ein Shoppingcenter mit eigenen Landebahnen geführt werden. Damit entstehen ganz andere Fragestellungen: Wie ist die Kaufkraft in der Region verglichen mit anderen Regionen? Wie soll der Umsteigeverkehr geregelt werden? Man nimmt ja an, dass eine Vielzahl der umsteigenden Fluggäste die Ladenlokale frequentiert. Welche Fluggäste bringen den größten Non-Aviation-Umsatz?
Das öffentliche Unternehmen FBS agiert in einem hochriskanten und stark konjunkturabhängigen Markt. Wer glaubt, dass mit Emirates am Ende mehr Dubaier zum Einkaufen nach „Berlin Willy Brandt“ fliegen als umgekehrt, spielt Vabanque mit dem Geld der Steuerzahler.
Wie sollen öffentliche Kontrolleure in den Parlamenten unter solchen Marktbedingungen eine Unternehmenspolitik nachvollziehen können?
Ich komme zum Ende. Ich denke, unser Entschließungsantrag zeigt ausgewogene Antworten auf die Fragestellungen auf: mit der Begrenzung der Flughafenentwicklung auf die Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses, mit einer konservativen Business-Planung, die nicht auf Expansion setzt, sondern auf rückläufigen Flugverkehr, keine Verluste produzieren lässt, und mit der Aufforderung an die Landesregierung, den Weg einer möglichen Privatisierung aufzuzeigen. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Vogel. - Für die SPD-Fraktion setzt die Abgeordnete Hackenschmidt die Aussprache fort.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Vogel, dann beginne ich mit dem Entschließungsantrag. Ich frage mich: Welche Glaskugel haben Sie zurate gezogen, und wo haben Sie einen sozialistischen Berater gefunden, der Ihnen zu Vorschlag 2: Wir ändern Plandokumente solange, bis sich 150 % Übererfüllung ergeben, geraten hat? So muss ich das leider interpretieren. Es heißt:
„Zur Sicherstellung eines dennoch verlustfreien Betriebes des Flughafens ist der Business-Plan der Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH so auszurichten, dass auch bei abnehmenden Flugbewegungen und Fluggastzahlen ein verlustfreier Betrieb sichergestellt ist.“
Wir ändern Plandokumente, bis +150 % herauskommen. Das hatten wir 40 Jahre, und es hat nicht funktioniert. Irgendwann muss jemand diese Rechnung bezahlen.
Im Punkt 1 fordern Sie ein absolutes Nachtflugverbot. Damit stellen Sie die von Ihnen geforderte Wirtschaftlichkeit grundsätzlich infrage.
Zum dritten Punkt, ob der Flughafen erfolgreich ist, muss ich fragen: Warum sollen wir verkaufen? Wenn er stark defizitär ist, wie Sie es als Szenario an die Wand malen, wer soll ihn dann kaufen? Ein Wirtschaftsunternehmen grundsätzlich nicht. Für mich macht Ihr Antrag an der Stelle null Sinn.
Nun komme ich zu Ihrer umfangreichen Großen Anfrage. Es gibt den Roman „Per Anhalter durch die Galaxi“. Darin wird ein Computer namens „Deep Thought“ von einer außerirdischen Kultur speziell dafür gebaut, die Antwort auf die Frage aller Fragen, nämlich die nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest, zu errechnen.
Nach einer Rechenzeit von 7,5 Millionen Jahren erbringt er die Antwort: 42. - So kommt mir Ihr Fragenkatalog vor; an diese Szene musste ich denken, als ich die 93 Fragen dieser Anfrage las. Es entstand bei mir der Eindruck, dass Sie jedes, aber auch jedes kleine Detail erfassen wollen, um eine befriedigende Antwort auf die Frage aller Fragen zu bekommen: Ist der Flughafen BER eine gute, sinnvolle Sache?
Ich befürchte, die Antwort auf diese Frage wird ebenso wenig befriedigend sein wie die des Superrechners in dem Roman. Wenn die Prognosen günstig sind, wird Sie das politisch stören; wenn sie ungünstig ausfallen, werden Sie über die vermeintliche Verschwendung von Steuermitteln herziehen. Es ist nun einmal eine Eigenart komplexer Systeme, dass ihre Zukunft nicht exakt prognostizierbar ist, auch nicht durch Antworten auf 90 oder auch 900 Fragen oder auf die Frage aller Fragen. Wir müssen mit diesem Risiko leben.
Ob wir bereit sind, es zu tragen, hängt nicht zuletzt auch davon ab, wie wir industrie- und wirtschaftspolitisch grundsätzlich
verortet sind. Mein Eindruck ist: Für die Grünen ist alles ungut, was groß ist: der Weiterbau der A 100, Höchstspannungsleitungen, der Hauptstadtflughafen usw. Alles was klein ist, ist gut: Biogärten, kleine Windräder, kleine Solardachanlagen.
Probleme bekommen Sie mit dieser Haltung immer dann, wenn die Wirklichkeit Ihre Annahmen über die Welt infrage stellt, wenn Windräder, Bionahrungsmittel und Solaranlagen zu Millionen- und Milliardeninvestitionen werden. Probleme bekommen Sie übrigens auch dann immer, wenn Sie plötzlich regieren und entscheiden müssen. Ich bin einmal auf Ihre Parteifreunde in Berlin gespannt. Sie haben sich gerade vehement ausführlich zu dieser Position Flughafen geäußert, aber in der Pressemitteilung steht, dass Ihre grünen Kollegen zu einer Expansionsstrategie stehen. Sie sollten sich vielleicht einmal darüber unterhalten, was Sie in diesem gemeinsamen Projekt eigentlich wollen, oder sind Sie dann für die Randzonen zuständig, wo die Blümchen wachsen?
Zurück zum Flughafen: Wir begrüßen diesen Flughafen, und wir begrüßen ihn in dieser Größe. Wir alle wissen, dass Brandenburg einst den Standort Sperenberg favorisiert hat. Aus den bekannten Gründen ist es dazu nicht gekommen, aber heute ist BER gerichtsfest planfestgestellt. Das ist eine wichtige Sache, die wir alle zur Kenntnis nehmen sollten.
Die Berliner Flughäfen haben im Jahr 2009 über 40 000 Arbeitsplätze mit einer Wertschöpfung von 1,8 Milliarden Euro gesichert. Für den BER werden ausweislich der Studien des Instituts für Verkehrswissenschaft an der Uni Köln zusätzlich über 32 400 Arbeitsplätze mit einer Wertschöpfung von 1 Milliarde Euro prognostiziert. In Brandenburg würde das einen Wachstumsimpuls von zwei bis drei Prozent bedeuten - ich glaube, das können wir nicht einfach ignorieren. Das geschieht dadurch, dass die Hauptstadtregion am erwarteten Wachstum des Flugverkehrs hierzulande partizipiert, und das ist gut so.