Protokoll der Sitzung vom 10.11.2011

Nunmehr, im Jahr 6 nach dem Bundesverwaltungsgerichtsurteil, nehmen wir zur Kenntnis, dass man langsam mit einem

Gesundheitsmonitoring anfangen wolle. Das ist, gelinde gesagt, ein Armutszeugnis.

(Beifall GRÜNE/B90 - Jürgens [DIE LINKE]: Ja, genau, das haben CDU und SPD damals nicht hingekriegt!)

- Es ist mir völlig gleichgültig, ob SPD, CDU, Linkspartei, Grüne oder FDP; darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass in der Region ungefähr 100 000 Menschen direkt betroffen sind. Von denen geht mittlerweile ein erheblicher Anteil auf die Straße. Aber auch das ist nur ein Bruchteil derer, die betroffen sind und die eine Meinung dazu haben. Sie bringen zum Ausdruck: „Wir sind nicht damit einverstanden, dass wir, auf Deutsch gesagt, als Kanonenfutter behandelt werden!“

(Frau Melior [SPD]: Die Wortwahl!)

Was geschieht jetzt? Jetzt, kurz vor Start des Flughafens, beginnt man langsam mit einem Gesundheitsmonitoring. Jeder weiß: Eine solche Untersuchung - wir haben in diesem Landtag oft über Umweltrecht, Umweltverträglichkeitsprüfungen etc. gesprochen - muss vorher, während und nachher erfolgen. Jetzt muss die Ausrede herhalten, es solle keinen Stopp, keinen verspäteten Start des Flughafenbetriebs geben. Entschuldigung für die Verspätung des Starts dieses Flughafens trägt doch kein Bürger in der Region die Verantwortung! Dass dieser Flughafen 2012 in Betrieb geht und nicht 2011 oder 2010, hat doch kein Bürger zu verantworten. Das haben die Leute zu verantworten, die das organisiert haben. Wie oft habe ich seit 1998 gehört, der Flughafen gehe „spätestens nächstes Jahr“ in Betrieb; das war 2000, 2002, 2006, 2008 und 2010 so. Dass das nicht möglich war, ist doch nicht die Verantwortung der Bürger; das ist, wie gesagt, woanders organisiert worden.

Es gilt zu beachten, dass auch die Bürger in dieser Region eines haben: das unverbrüchliche, in Artikel 39 der Landesverfassung garantierte Recht auf Gesundheit. - Hier heißt es plötzlich: Gesundheitsmonitoring? Fangen wir mal damit an, aber nur auf sanften Filzlatschen.

Ich will nicht kritisieren, dass es jetzt losgeht; das ist gut. Aber ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Es beginnt erstens sehr spät und zweitens sehr zögerlich. Einige Signale, die heute in einzelnen Redebeiträgen ausgesandt worden sind, finde ich, gelinde gesagt, zynisch. Ich werde sie auch den Bürgern zugänglich machen, sodass sich jeder seine Meinung dazu bilden kann.

(Jürgens [DIE LINKE]: Sie hatten alle Möglichkeiten!)

Der langen Rede kurzer Sinn: Gesundheit ist etwas, was man nicht kaufen kann. Daher bitte ich Sie, in Zukunft ein wenig sorgfältiger damit umzugehen. Die Menschen dort können nicht einfach wegrennen. Sie müssen das aushalten, was wir, was Sie ihnen kredenzen. Ein Schriftsteller hat einmal gesagt: „Das Wertvollste, was ein Mensch hat, sind die Gesundheit und das Leben.“ Das ist in der Tat so. Im Laden kann man das, wie gesagt, nicht kaufen. Dem ein wenig mehr Aufmerksamkeit zu widmen, dafür möchte ich Sie sensibilisieren.

(Beifall GRÜNE/B90 - Vereinzelt Beifall CDU - Beifall des Abgeordneten Goetz [FDP])

Meine Damen und Herren! Damit schließe ich Tagesordnungspunkt 7.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Für grundlegende Korrekturen des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes

Antrag der Fraktion der SPD der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 5/4210

Ferner liegt Ihnen ein Entschließungsantrag der CDU-Fraktion in der Drucksache 5/4236 vor.

Die Abgeordnete Wöllert beginnt die Debatte für die Linksfraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Da sollte man meinen: Was lange währt, wird gut. - Weit gefehlt! Nach vielen sogenannten Reformen im Gesundheitswesen nun das Krankenversicherungsversorgungsstrukturgesetz.

Im April dieses Jahres hat meine Fraktion in einer Aktuellen Stunde mit dem Thema „Die gesundheitliche Versorgung in allen Regionen des Landes zukunftsfähig sichern“ die Erwartung an dieses Gesetz schon einmal angesprochen. Was Gesundheitsminister Rösler mit großen Verheißungen begann, droht am Ende nur noch eines zu werden: teuer. Von einer Verbesserung der Versorgungsstrukturen kann nicht mehr die Rede sein, und das manchmal benutzte Synonym „Landarztgesetz“ kann nur als Versuch der Irreführung und als Etikettenschwindel bezeichnet werden. Keines der heutigen Probleme wird mit diesem Gesetz beseitigt, aber es schafft neue Probleme, mit denen unser schon jetzt im internationalen Vergleich sehr teures System noch teurer gemacht wird.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Sie schaffen zu den schon jetzt stark voneinander abgegrenzten Sektoren „ambulant“ und „stationär“ noch einen dritten Sektor, die spezialärztliche Versorgung. Hier wird ein Versorgungsgebiet eröffnet - ohne Mengen- und Qualitätssteuerung und ohne Einbindung in das bestehende Vertragssystem, nach dem Motto: „Wer kann, der darf.“ Dadurch wird die Grundversorgung in der Fläche eher geschwächt als verbessert.

Anreize für Ärzte auf dem Lande sollen durch zusätzliche finanzielle Mittel gesetzt werden. In Brandenburg haben wir schon seit Jahren finanzielle Unterstützungen für die Übernahme oder den Aufbau einer Landarztpraxis. Bisher hat das nicht entscheidend dazu beigetragen, mehr Hausärzte zu gewinnen. Da ist wohl die Frage nach den großen Einkommensunterschieden bei den Vertragsärzten berechtigt. Dazu ein Beispiel aus der Bundesstatistik: Zieht man von den Umsätzen, die im Zusammenhang mit gesetzlich Krankenversicherten erzielt werden - und nur um diese geht es hier -, die je nach Arztgruppe unterschiedlich hohen Praxiskosten ab, so kommt man zu GKV-Überschüssen vor Steuer, wie gesagt, ohne die Umsätze aus der privaten Krankenversicherung, aus sogenannten individuellen Gesundheitsleistungen usw. Den höchsten Überschuss hatten demnach im Bundesdurchschnitt die fachärztlichen Internisten mit 175 000 Euro vor Steuer. Die hausärztlichen In

ternisten und Allgemeinärzte dagegen lagen bei 84 000 Euro. Sie bemerken den großen Unterschied.

Allerdings ist zu fragen, ob überhaupt die Bezahlung der Landärzte das Problem Nr. 1 ist. Bereits heute verdienen Hausärzte in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg bei der Behandlung von Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung mehr als ihre Kolleginnen und Kollegen in Berlin. Allerdings müssen sie dafür auch sehr viel mehr Patientinnen und Patienten behandeln, die auch noch älter sind und öfter einen höheren Behandlungsbedarf haben. Sie legen weitere Wege für Hausbesuche zurück. Sie haben zu wenig Zeit für die Behandlung ihrer Patientinnen und Patienten, oder sie haben zu wenig Zeit für sich und ihre Familien; nicht selten kommt beides zusammen.

An dieser Situation ändert das neue Gesetz nichts, aber auch gar nichts. Deshalb wollen wir die Landesregierung auffordern, sich in den ausstehenden Beratungen für folgende Veränderungen einzusetzen:

erstens, konkrete Regelungen zur Integration der Krankenhäuser in die ambulante Versorgung vorzusehen sowie kooperative Versorgungsformen zwischen ambulant tätigen Ärzten und Krankenhäusern im ländlichen Raum zu etablieren;

zweitens, auf eine kleinräumige sektorenübergreifende Bedarfsplanung zu orientieren. Sie soll die Ressourcen verschiedener Gesundheitsberufe und ihren Beitrag zur gesundheitlichen Versorgung sowie Daten zur Versorgungsforschung berücksichtigen.

Drittens: Finanzielle Anreize für Ärztinnen und Ärzte dürfen nicht zu einem Beitragsanstieg oder zu Zusatzbeiträgen für die Versicherten führen, sondern müssen durch Umschichtungen aus überversorgten Regionen finanziert werden.

Viertens: Die spezialärztliche Versorgung in der vorgesehenen Form als neues Wettbewerbsfeld wird so nicht mitgetragen.

Sollten zu den genannten Punkten keine Änderungen erreicht werden, wird die Landesregierung aufgefordert, den Gesetzentwurf im Bundesrat abzulehnen. - Danke schön.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Wöllert. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Herr Abgeordneter Prof. Dr. Schierack hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Frau Wöllert, wenn ich Ihren Antrag lese und wenn ich höre, was Sie dazu sagen, komme ich zu dem Schluss, dass Sie die wesentlichen Gedanken dieses Strukturgesetzes nicht verstanden haben.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Dieses Gesetz ist kein Spargesetz, definitiv nicht. Es ist ein Gesetz für die Patienten unseres Landes. Es geht eben nicht um

eine Budgetsenkung, nicht um die Erhöhung von Zuzahlungen zu Heil- und Hilfsmitteln, nicht um eine Erhöhung der Praxisgebühr - wie sonst immer -, auch nicht um irgendwelche anderen Sonderzahlungen für unsere Patienten, sondern es ist ein Gesetz aus der Sicht der Patienten, um Versorgungsprobleme des Landes zu lösen. Das müssen Sie bitte realisieren. Wir sind gemeinsam mit den Kassen und den Ärzten unterwegs, weil es um die Versorgung der Patienten geht. Sie müssen sie mitnehmen und dürfen nicht mehr gegen sie argumentieren.

(Beifall CDU und FDP)

Natürlich kann man über dieses Gesetz diskutieren, aber die Grundrichtung stimmt doch. Wenn ich Ihren Antrag lese, so stelle ich fest: Es ist ein Sammelsurium von Verdächtigungen, um einen Grund zu finden, dieses Gesetz, wenn es im Bundesrat zur Abstimmung kommt, abzulehnen. Daher, meine Damen und Herren, kann ich diesem Antrag mit diesen Verdächtigungen nicht zustimmen.

(Beifall CDU und FDP)

Lassen Sie mich wenigstens noch einige Punkte zu Ihrem Antrag nennen. So sagen Sie, mit der flexiblen sektorenübergreifenden Versorgung gebe es Probleme. Ich hoffe, Sie haben realisiert, dass in der Diskussion gegenwärtig - auch heute - klar gesagt wird, dass es hier Verbesserungen gibt, zum Beispiel bei Praxisnetzen, bei der integrierten Versorgung, beim Datenaustausch, bei der Kooperation von ambulant und stationär tätigen Ärzten, bei ambulanten Operationen. Auch Krankenhäuser erhalten eine höhere Bedeutung bei der ambulanten Versorgung. Ich hoffe, das ist Ihnen nicht entgangen.

Dann schreiben Sie etwas von kleinteiliger Bedarfsplanung. Ich hoffe, Sie haben realisiert, dass diese kleinteilige Bedarfsplanung seit dem letzten Jahr revolutionär in diesem Land ist.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Die KV ist sogar weiter. Sie plant mit dem Amt für Raumordnung auf der Basis von Mittelzentren. Das ist etwas, was wir in Deutschland insgesamt so noch nicht haben.

Zur Über- und Unterversorgung: Auch hier hat die Regierung nachgelegt. Der Aufkauf von Praxen wird verpflichtender sein. Meine Damen und Herren, man muss doch nach der echten Versorgungslage entscheiden. In Brandenburg gibt es keine Überversorgung, auch wenn es bedarfsplanerisch vielleicht pseudoüberversorgte Gebiete gibt. Aber die Wartezeiten sind auch in sogenannten Ballungsgebieten exorbitant hoch, und auch da arbeiten die Ärzte mehr, als sie es in den alten Bundesländern tun. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.

Sie haben eben von der spezialärztlichen Versorgung gesprochen. Die Aussage ist, die Ärzte würden lieber da arbeiten, weil dies nicht mengenbegrenzt sei, weil es dort kein Budget gebe, und das ginge zulasten der Kassen und der Landärzte. Diese Aussage kann ich sogar verstehen. Wer arbeitet denn gern budgetiert? Die Mengenregulierung ist weder für die Ärzte noch für die Patienten gut, das will ich dazu deutlich sagen. Ja, auch die Patienten sind in diesem Land budgetiert, nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.

Meine Damen und Herren, wenn man die spezialärztliche Versorgung gut macht, die enge Verzahnung von „ambulant“ und

„stationär“ mit klaren Indikationen und mit klaren Qualitätsmerkmalen versieht, ist das ein revolutionärer Sprung, der so bisher noch nicht da war.

(Beifall CDU)

Sie fordern immer ein Mitspracherecht der Landesregierung. Aber ein Mitspracherecht ohne finanzielle Unterstützung, ohne finanzielle Verantwortung, so meine ich, ist fehl am Platz. In diesem Zusammenhang finde ich es schon unglaublich, dass Sie eine Initiative der ostdeutschen Länder im Bundesrat - wir haben heute Vormittag im Zusammenhang mit einer Antwort der Landesregierung darüber gesprochen - nicht unterstützt haben. Dabei ging es ja um die Bereitstellung von Finanzmitteln für die Bürger im Osten, die eine höhere Morbidität haben. Da, meine ich, sollte man doch etwas tun und sich mit den anderen ostdeutschen Ländern zusammentun. Verantwortung für dieses Land sieht meines Erachtens anders aus.

Die einfache Forderung für dieses Land lautet: Berücksichtigung der Ist-Morbidität in diesem Land und gleich hohe Geldvolumina für die gleichen Krankheiten wie in Gesamtdeutschland. Deshalb habe ich diesen Entschließungsantrag gemeinsam mit meiner Fraktion vorgelegt und bitte um Unterstützung dafür. - Vielen Dank.