Protokoll der Sitzung vom 29.08.2012

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Der Abgeordnete Tomczak spricht für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nahezu 100 % der brandenburgischen Betriebe beschäftigen weniger als 250 sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter. Damit sind sie dem KMUBereich zuzurechnen. Das ist die eine Seite. Wir in Brandenburg brauchen aber dringend eine größere Anzahl an mittelständischen Industrieunternehmen, um den Anteil an weltmarktfähigen industriellen Endprodukten zu steigern. Es gibt bei uns immer noch viel zu wenige industrielle Betriebe und eine zu geringe industrielle Fertigungstiefe.

Das Leitbild und der Aktionsplan „ProIndustrie“, welcher unter anderem fünf zentrale Handlungsfelder vorsieht, könnten grundsätzlich ein erster Ansatz sein, um die Ansiedlung von Industrie hier im Land zu fördern. Aber, meine Damen und Her

ren der Regierungskoalition, die wichtigste Voraussetzung für die Ansiedlung von Industriebetrieben ist eine intakte Infrastruktur, und davon - das haben wir heute Vormittag in der Haushaltsdiskussion wieder gehört - sind wir in diesem Land meilenweit entfernt.

Dass das MIL insbesondere im Bereich Infrastruktur chronisch unterfinanziert ist, ist ein offenes Geheimnis. Der vom Kabinett beschlossene Doppelhaushalt sieht radikale Streichungen im Bereich der Infrastruktur vor. Straßenbau - Fehlanzeige. Straßenausbesserung und Straßenerhaltung - Fehlanzeige. Damit wird das „Handlungsfeld Rahmenbedingungen“ insbesondere bei der Infrastruktur mehr als verfehlt, noch bevor Sie überhaupt mit der Umsetzung begonnen haben.

Kommen wir zu dem „Handlungsfeld Standortkommunikation“. Dort sehen Sie im Leitprojekt eine Imagekampagne „ProIndustrie“ vor. Meine Damen und Herren von Rot-Rot, wie passt es zusammen, dass Sie einerseits - so steht es im Einzelplan 02 des Haushalts 2012 - das Projekt einer Imagekampagne des Landes Brandenburg aufgrund der Notwendigkeit, den Landeshaushalt weiter zu konsolidieren, nicht mehr verfolgen, aber andererseits im Aktionsplan eine Kampagne „ProIndustrie“ planen? Woher nehmen Sie das Geld dafür?

Das führt mich zu einem weiteren Punkt, der Finanzierung. Nicht nur wir, sondern auch die Wirtschaftsverbände und Kammern im Land stellen die berechtigte Frage, ob und wenn ja, wie Sie überhaupt den Aktionsplan „ProIndustrie“ mit finanziellen Mitteln ausstatten wollen. Falls ja, woher kommen diese Mittel? Ohne Finanzierung wird Ihr Aktionsplan ganz schnell zu einem weiteren Rohrkrepierer verkommen.

Durch die Einschätzung bei der Investitions- und Innovationsförderung werden schon jetzt die Ambitionen in diesem Aktionsplan konterkariert. Plan und Wirklichkeit klaffen hier weit auseinander. Das erinnert mich ein kleines bisschen an sozialistische Planwirtschaft.

Kurzum: Ja, wir als FDP-Fraktion sehen die Notwendigkeit, Industrie im Land anzusiedeln. In dieser Hoffnung begrüßen wir den Aktionsplan „ProIndustrie“ und nehmen ihn zumindest zur Kenntnis. Was allerdings die Umsetzung des Vorhabens betrifft, haben wir unsere Zweifel. In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl an Strategien und Masterplänen konzipiert.

Eines haben Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, bis heute nicht geschafft: verlässliche Rahmenbedingungen für Unternehmen zu schaffen. Solange Sie Anreiz- und Förderinstrumentarien nicht endlich unbürokratischer gestalten, können Sie so viele Pläne und Strategien schmieden, wie Sie wollen - Sie werden die Wirtschaft, das verarbeitende Handwerk und die Industrieunternehmen, die entstehen könnten, so nicht erreichen. Verlässliche Rahmenbedingungen für Unternehmen sind das A und O. Diese Grundvoraussetzung muss erfüllt sein, wenn Brandenburg bei der Industrieansiedlung erfolgreich sein will. - Ich danke.

(Beifall FDP)

Wir setzen mit dem Beitrag des Abgeordneten Domres fort. Er spricht für die Linksfraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Leitbild und dem Aktionsplan „ProIndustrie“ untermauert die rot-rote Landesregierung die Bedeutung der brandenburgischen Industrie für die Gestaltung einer nachhaltigen und ressourcenschonenden Wirtschaft. Schlüsselthemen sind Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Ökologie, Wachstum und Beschäftigung, Innovation und eine leistungsfähige Infrastruktur.

(Bretz [CDU]: Und bezahlbare Energiepreise!)

Aber auch die Sicherung des Fachkräftebedarfs, Herr Bretz, gehört zunehmend zu den Herausforderungen der Industriepolitik. Die diesbezügliche Verbesserung der Rahmenbedingungen ist das Ziel des Aktionsplans. Dementsprechend sollen die Handlungsfelder von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft ausgerichtet werden. Dabei geht es auch um einen Diskurs zur Rolle und zum Selbstverständnis sowie zur gesellschaftlichen Akzeptanz einer zukunftsorientierten Industrie in Brandenburg. Hier gilt es, mit den Akteuren bedarfsgerechte Ansätze auf der regionalen, aber auch auf der nationalen Ebene zu entwickeln. Wie wichtig das ist, zeigt das tragische Beispiel des Niedergangs der Solarindustrie in Deutschland - auch in Brandenburg. Wer nur auf den Aufbau von Verarbeitungskapazitäten setzt, kommt schnell an seine Grenzen, wenn die Rahmenbedingungen von der Politik überstürzt verändert werden. Herr Homeyer, insoweit trägt die Bundesregierung ein gehöriges Maß an Verantwortung.

(Beifall der Abgeordneten Mächtig [DIE LINKE] - Zuruf des Abgeordneten Bretz [CDU])

Ein weiterer Beleg dafür ist die SWOT-Analyse zu dem Entwicklungsstand und der Wettbewerbsfähigkeit der brandenburgischen Industrie. Die gewerbliche Wirtschaft in Brandenburg exportiert bekanntlich besonders viele Vorerzeugnisse und Halbwaren. Gern wird auch von einer „verlängerten Werkbank“ gesprochen. Das bringt die erhöhte Gefahr von Auslandsverlagerungen und einer Konzentration auf wenig wertschöpfende Tätigkeiten mit sich. Aber wo Schwächen und Risiken bestehen, gibt es natürlich auch Chancen und Stärken. Hier werden die ausgeprägte wirtschaftsnahe Forschungslandschaft, das hohe akademische Arbeitskräftepotenzial und der hohe Modernitätsgrad des Anlagevermögens genannt; mit diesen Stärken gilt es in Zukunft weiter zu wuchern.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Aktionsplan „ProIndustrie“ Brandenburg verfolgt einen integrierten horizontalen Ansatz. Einschlägige Politikbereiche, zum Beispiel Bildung, Wissenschaft, Arbeit, Umwelt, Verkehr und Energie, werden verzahnt. Moderne Industriepolitik muss sich heute als ressortübergreifende Querschnittsaufgabe verstehen. Dabei zeichnet sich moderne Industriepolitik auch durch ein Miteinander der relevanten Akteure aus Wirtschaft, Politik, Gewerkschaften und Wissenschaft aus. Der entsprechende „Wirtschaftspolitische Dialog“ ist vom Wirtschaftsministerium begonnen worden. Am 21. Juni hat die Auftaktveranstaltung stattgefunden. Diese sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit ist unerlässlich und wird ausdrücklich begrüßt. Mit dem Leitbild hat die Landesregierung eine gute Voraussetzung bzw. einen guten Rahmen für eine zukunftsfähige Industriepolitik im Land Brandenburg geschaffen.

Der Aktionsplan steht aber nicht isoliert da. Vielmehr ordnet er sich in die Reihe der Maßnahmen und Instrumente ein, die in der EER-Strategie zusammengefasst sind. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass über beide Berichte der Landesregierung im Zusammenhang hier im Plenum hätte diskutiert werden können.

Herr Kollege Homeyer, der Aktionsplan wird nicht in der Schublade verschwinden, sondern es wird weiter damit gearbeitet werden.

Zum Beispiel können wir uns im Wirtschaftsausschuss dazu verständigen, und dann haben Sie auch einmal die Möglichkeit, Ihre Vorstellungen zu erläutern, wie moderne Industriepolitik in Brandenburg aussehen soll. Heute habe ich außer fundamentalistischer Kritik nichts gehört. Vorschläge und Alternativen: gleich null. - Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE und SPD - Widerspruch CDU)

Der Abgeordnete Vogel spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Industriepolitik in Brandenburg war in den letzten Jahren vom Transformations- und Aufbauprozess geprägt. Das heißt, Milliarden flossen - zu Recht, muss man sagen - lange Zeit in den Ausbau der Infrastruktur, vornehmlich in Gewerbeflächen, Gebäude und Verkehrswege, aber eben auch in direkte Finanzhilfen für private Unternehmen.

Eine solche staatliche Ansiedlungs- und Bestandssicherungssubventionierung einzelner Unternehmen ist heute allerdings überholt. Mit der von uns immer wieder geforderten und unterstützten Bildung von branchenspezifischen Clustern hat die Landesregierung bereits begonnen, sich von diesem unzeitgemäßen Weg der Wirtschaftspolitik zu befreien. Der jetzt vorgelegte Bericht zum Leitbild und zum Aktionsplan „ProIndustrie“ zeigt jedoch - wie übrigens auch die Beiträge von Herrn Kosanke und Herrn Tomczak -, wie tief die alten Denkmuster immer noch verankert sind. Deswegen ist dieser Plan leider auch ungeeignet, die wohlklingenden und gut formulierten wirtschaftspolitischen Ziele, die wir alle mittragen können, auch zu erreichen.

Internationale Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Unternehmen erreicht man mit gut ausgebildetem und erfahrenem sowie hochqualifiziertem Führungs- und Fachpersonal. Nachhaltigkeit und Ökologie – ein weiteres Ziel – ist der Megatrend unserer Zeit. Mehr Wachstum und Beschäftigung wird durch entsprechend günstige Rahmenbedingungen erreicht. Hier sehen wir vor allem Handlungsbedarf bei der Verfügbarkeit von gut ausgebildetem Personal und bei sanften Standortfaktoren. Innovationen werden zumeist von Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Land initiiert und müssen dann mithilfe professioneller Strukturen auf die Märkte gebracht werden.

Der in den letzten 20 Jahren erfolgte Ausbau der harten Infrastruktur ist dagegen weitestgehend abgeschlossen. Hier gibt es noch Nachsteuerungsbedarf im Breitbandbereich, das sehen

wir auch so. Aber es sind insbesondere Einrichtungen der institutionellen Infrastruktur zu fördern. Hierzu zählen Bildungsträger, Fachhochschulen, Universitäten, die neben der Ausbildung von qualifiziertem Personal auch frisches Know-how liefern, das Unternehmen in Form von FuE-Kooperationen zur Entwicklung neuer Produkte und zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zur Verfügung gestellt wird.

Eine erfolgreiche industriepolitische Strategie müsste also vor allem die Bereiche Aus- und Weiterbildung von Fach- und Führungskräften, Forschung und Entwicklung sowie Serviceangebote rund um den Technologietransfer zum zentralen Inhalt haben. Schaut man sich nun aber die von der Landesregierung vorgelegten Handlungsfelder und Leitprojekte an, stellt man fest, dass es teilweise immer noch in eine ganz andere Richtung geht. Ich nenne nur die „Aktive Flächen- und Ansiedlungspolitik“ oder die Imagekampagne „ProIndustrie“.

Nachhaltigkeit und Ökologie fehlen weitgehend, professionelle Transferstrukturen sollen angeblich schon existieren, und die Notwendigkeit einer Ausbildungsoffensive sieht die Landesregierung lediglich für Fachkräfte; dabei steht und fällt der unternehmerische Erfolg auch mit der Qualität des Führungspersonals.

(Beifall GRÜNE/B90)

Die von der Landesregierung vorgelegte industriepolitische Strategie setzt in weiten Teilen auf bereits vorhandene Aktivitäten und Strukturen, verliert sich im Klein-Klein der alltäglichen Wirtschaftsförderung und wird vor allem den Herausforderungen, aber auch den Chancen, die Brandenburg im internationalen Vergleich hat, nicht gerecht.

Beim Thema Infrastruktur ist, wie in alten Tagen, immer noch vornehmlich Hardware, also Gebäude, Verkehr und Energie, gemeint. Die an sich völlig richtige Idee, spezifisch brandenburgische Industriecluster zu bilden, wird nicht zu Ende gedacht. Es reicht nicht, in der ZAB einen entsprechenden Clustermanager zu installieren und ansonsten auf die noch ausstehende Weiterentwicklung des Transfersystems zu verweisen. Nachhaltigkeit und Ökologie müssen zentrale Themen einer zukunftsfähigen Industriepolitik in Brandenburg werden. Hochschulen müssen ihre zentrale Rolle im Innovationssystem auch ausspielen können. Dazu benötigen sie ausreichende finanzielle Mittel und die notwendigen Freiheiten, stärker unternehmerisch zu handeln.

(Beifall GRÜNE/B90)

Die Aus- und Weiterbildung von Führungspersonal ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt, um in Brandenburger Unternehmen innovative und nachhaltige Produkte und Dienstleistungen für den Weltmarkt herstellen zu können. Wir fordern die Landesregierung auf, hier noch deutlich nachzubessern. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall GRÜNE/B90)

Das Wort erhält noch einmal die Landesregierung. Minister Christoffers spricht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider ist in manchen politischen Debatten fast schon vorhersagbar, wer wann was wie sagt. Ich beginne einmal mit dem letzten Redner. Herr Vogel, wenn wir jetzt auf ein aktives Flächenmanagement verzichteten, dann würden wir vollständig negieren, dass wir ab 2014, was Großansiedlungen betrifft, durch die EU-Regelungen in eine völlig andere Situation gestellt werden.

(Beifall DIE LINKE)

Das wäre aus meiner Sicht industriepolitisch überhaupt nicht nachvollziehbar.

Das Zweite ist: Es mag altes Denken sein, aber es gibt eine Reihe von Unternehmen, die ganz bestimmte Anforderungsprofile an Flächen haben, und selbstverständlich ist die Wettbewerbsfähigkeit einer Region auch davon abhängig, solche Flächen zu stellen.

Die Frage der Fachkräfte ist ein eigener Bereich und eine Leitlinie. Man kann das positiv oder negativ auslegen, aber ich sage einmal: Letztendlich wird die Umsetzung entscheiden. Was den Bereich Fachkräfte betrifft, denke ich, dass wir dabei mehr als gut unterwegs sind. Sie wissen genauso gut wie ich, dass der Aktionsplan „ProIndustrie“ eine Klammer zwischen mehreren mittlerweile von uns entschiedenen politischen Ausrichtungen darstellt. Das ist eines der ganz großen Themen.

Der nächste Punkt sind die Innovationen. Wir haben vor Kurzem die Frage der Clusterstrategie bearbeitet. Dabei sind zentrale Fragen die der Innovationen, des Technologietransfers und der Technologieentwicklung sowie vor allem der Zusammenarbeit von Hochschule und Wirtschaft sowie Politik und Verwaltung. Das, was Sie fordern, wird also umgesetzt. Insofern haben selbstverständlich alle Recht, die sagen, die Wirksamkeit eines derartigen Aktionsplanes werde sich in der Praxis erweisen.

Das Einzige, worum ich auch die Opposition bitte: Wir werden zukünftig in der Wettbewerbsfähigkeit als Region verstärkt auch darüber wahrgenommen werden, ob wir uns ganz klar auch zur Industrie, und zwar zu einer innovativen, auch nachhaltig orientierten Industrie, bekennen. Unabhängig davon, was man von Teilaspekten, von Aktionsplänen hält, sollte dies das gemeinsame Ziel sein, denn es ist die Voraussetzung dafür, dass wir auch im internationalen Maßstab wettbewerbsfähig bleiben. Insofern bedanke ich mich für die Debatte und freue mich auf Ihre Unterstützung beim Verfolgen auch der Ziele, die Sie hier definiert haben. - Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Meine Damen und Herren, damit beende ich die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 9. Sie haben den Bericht der Landesregierung hiermit zur Kenntnis genommen.

Tagesordnungspunkt 9 ist geschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beschlüsse zu Petitionen

Übersicht 10 des Petitionsausschusses gemäß § 12 Absatz 2 des Petitionsgesetzes

Drucksache 5/5786