Protokoll der Sitzung vom 17.12.2009

(Frau Dr. Ludwig [CDU]: Das ist eine glatte Lüge! Das wissen Sie, Herr Baaske!)

- Das ist überhaupt nicht wahr. Sie lügen.

(Allgemeines Raunen)

Mir kann man wirklich nicht vorwerfen, dass ich in diesem Land nicht für Optionsmodelle gestritten hätte, auch als einziger Vertreter der SPD in den Verhandlungen zum SGB II in Berlin. Natürlich habe ich das getan, und daraus habe ich nie einen Hehl gemacht.

(Herr Görke [DIE LINKE]: Hat er!)

- Genau!

Ich will noch einige Worte zu Herrn Büttner sagen. Ich bin auch für mehr Optionskommunen. Nur finde ich es lustig, wenn Sie sagen, wir sollten die Verfassung nicht allein deshalb ändern, um die Sache mit den Optionskommunen hinzubekommen. Hallo: Wir bekommen die Sache mit den Optionskommunen deshalb nicht hin, weil wir im Ergebnis der Arbeit der Föderalismuskommissionen die Verfassung geändert haben. Wir haben gerade ausgeschlossen, dass es eine enge Zusammenarbeit zwischen den Kommunen und dem Bund gibt. Genau deswegen können wir das nicht tun.

(Zuruf der Abgeordneten Prof. Dr. Wanka)

- Es regt mich auf, wenn solche Sachen erzählt werden. Da kann man auch einmal laut werden.

Ich möchte noch einmal deutlich sagen - das wurde auch am Montag deutlich, als der Kollege Karl-Josef Laumann aus Nordrhein-Westfalen sprach -, dass auch die Optionskommunen nach der derzeitigen Rechtslage verfassungsrechtlich nicht gesichert sind. Auch wenn wir eine Ausweitung der Optionskommunen wollen, müssen wir an die Verfassung heran. In diesem Moment sagte Karl-Josef Laumann allerdings noch: Dann wird die Verfassung eben geändert. - Wie er das dann wieder machen will, weiß ich nicht. Auf meine Frage dazu hab ich keine Antwort bekommen. Ich halte das nach wie vor für extrem schwierig.

Was sind die Folgen? Das sieht man in den Eckpunkten. Es wird getrennte Kontrollen geben. Das heißt, wenn der kommunale Vertreter da ist, darf er die BA nicht darauf hinweisen, was er festgestellt hat. Andersherum gilt das ganz genauso. Es muss eine getrennte Beratung geben. Das heißt also, der Bürger geht in das Büro und lässt sich zum einen zu der Mietsituation beraten, zu den Kosten der Unterkunft, die auf ihn zutreffen. Zum anderen lässt er sich darüber beraten, was er an KdU bekommt, welche Anträge er stellen muss usw. Das ist eine ganz schwieri

ge Kiste. Wir werden mit Sicherheit eine riesengroße Personalerhöhung in den ARGEn bekommen, vielleicht auch in den Optionsmodellen.

Das sich aus all dem ergebende Verwaltungshandeln wird sich mit Sicherheit auch auf die Gerichte dieses Landes niederschlagen. Die BA gibt ihren ersten Bescheid heraus, dann einen zweiten, und danach kommt der KdU-Bescheid. Nehmen wir als Beispiel eine Familie mit zwei, drei Kindern. Die Familie will gegen diesen Bescheid vorgehen. Was macht sie? Sie geht natürlich gegen den letzten Bescheid vor, gegen den KdUBescheid. Was wird der Fall sein? Ursächlich falsch ist der BABescheid, der womöglich vollkommen falsche Tatsachen festgestellt hat. Entweder sind sie nicht hilfebedürftig, nicht in dem Rahmen hilfebedürftig oder was auch immer. Ein riesiger Wust an zu prüfenden Verwaltungsakten wird auf die Gerichte zukommen.

Wenn es uns darum geht, die Vermittlung und Betreuung aus einer Hand zu ermöglichen, wenn es uns darum geht, dass der Bund und die Kommunen auf Augenhöhe verhandeln, kommen wir um eine Verfassungsänderung nicht herum. Das muss jedem auch in diesem Raum hier klar sein. Alles andere wird Flickschusterei bleiben. Genau das sollten wir nicht tun. Darum geben Sie, meine Damen und Herren, diesem Antrag Ihre Stimme. - Vielen Dank!

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, Sie sind in der glücklichen Lage, dass jede Fraktion noch drei und eine halbe Minute reden darf. Besteht Bedarf? - Wenn das nicht der Fall ist, schließe ich die Rednerliste zu diesem Tagesordnungspunkt und stelle den Antrag in der Drucksache 5/123 zur Abstimmung. Wer ihm Folge leisten möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Antrag mehrheitlich angenommen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 11 und rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:

Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge - Aufhebung der „Residenzpflicht“

Antrag der Fraktion der SPD der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 5/130

Die Abgeordnete Fortunato von der Linksfraktion beginnt die Debatte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Residenzpflicht, eine EU-weit geltende Form der Isolierung und Ausgrenzung von Flüchtlingen, wurde eingeführt, um Asylbewerberinnen und Asylbewerber während ihres Verfahrens an einen bestimmten Ort zu binden und so besser überwachen zu können. Sie stellt damit eine den Lebensalltag wesentlich dominierende Erfahrung der Isolierung und Ausgrenzung

dar. Das betrifft in Brandenburg 900 Asylbewerber und etwa 2 600 geduldete Flüchtlinge. Bundesweit befinden sich 33 000 Menschen in Asylverfahren, und 105 000 sind geduldete Flüchtlinge.

Alle diese Menschen unterliegen in unserem Land der sogenannten Residenzpflicht, was sich so erhaben anhört; gemeint ist damit aber, dass ihnen grundsätzlich der Aufenthalt nur in dem Landkreis gestattet ist, in dem sich ihre Ausländerbehörde befindet. Gleichzeitig ist für Geduldete der Aufenthalt zunächst nur auf das jeweilige Bundesland beschränkt. Regelmäßig wird diese Aufenthaltsbestimmung aber durch weitere Auflagen zusätzlich eingeschränkt. So werden Ausnahmegenehmigungen erforderlich für Besuche von Familienangehörigen, Freunden und Freundinnen, Kirchengemeinden, kulturellen Veranstaltungen, Arzt- oder Rechtsanwaltsbesuchen und Ähliches. Diese liegen jedoch im Ermessen der Ausländerbehörde und werden je nach Landkreis unterschiedlich gehandhabt. Zudem werden durch diese Genehmigungserfordernisse die Behörden mit einer Vielzahl von Vorgängen belastet. So beschränken nach unserer Kenntnis die Landkreise Dahme-Spreewald, Potsdam-Mittelmark, Spree-Neiße, Teltow-Fläming, Uckermark und die kreisfreien Städte Frankfurt (Oder), Cottbus und Brandenburg (Havel) die Residenzpflicht auf das Kreis- oder Stadtgebiet.

Verstöße gegen diese Residenzpflicht werden als Ordnungswidrigkeit, im Wiederholungsfall als Straftat angesehen. Bei Wiederholung kann dies sogar eine Bleibeberechtigung verhindern. Zudem benutzen einige Kreise die Genehmigungserfordernisse immer noch, um zu sanktionieren und Ausländer und Flüchtlinge zu bestrafen. Die Residenzpflicht schränkt also die sozialen Rechte, die Religionsausübung, kulturelle Rechte, aber auch politische Rechte ein und führt so zu einer Diskriminierung der Betroffenen, die meines Erachtens nicht gerechtfertigt ist.

Meine Damen und Herren! Der Flüchtlingsrat Brandenburg verleiht regelmäßig am 21. März einen „Denkzettel für strukturellen Rassismus“. Im Jahr 2009 hat er darauf verzichtet, da es zu viele Adressaten gibt, die diesen verdient hätten. Als Flüchtlingsselbsthilfeorganisationen wie The Voice und die Brandenburger Flüchtlingsinitiative in den Jahren 2000 und 2001 eine Kampagne gegen die sogenannte Residenzpflicht führten, verglichen sie diese nicht ohne Grund mit den Passgesetzen des Apartheidregimes in Südafrika. Wie die Passgesetze wird die Residenzpflicht als eine Verletzung eines elementaren Menschenrechts empfunden, des Menschenrechts auf Bewegungsfreiheit.

Für die Koalition gibt es zu diesem Thema eine eindeutige Auffassung und damit eine im Sinne der Betroffenen anzustrebende Lösung. Dazu müssen die Verantwortlichen mit den unmenschlichen Folgen der Residenzpflicht konfrontiert werden, und zwar auf allen Ebenen, angefangen von den lokalen Ausländerbehörden, den Landkreisen bis hin zu den Länderparlamenten und dem Bundestag. Deshalb wäre es nach unserer Auffassung auch möglich, das Genehmigungserfordernis umzudrehen in ein Regel-Ausnahme-Prinzip, dass solchen Anträgen also grundsätzlich zuzustimmen ist.

An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich bei unserem Innenminister, Herrn Speer, für sein Votum bei der Innenministerkonferenz im Dezember dieses Jahres zum Bleiberecht be

danken und hoffe, dass wir auch in Bezug auf die Lockerung der Residenzpflicht vorankommen werden.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Denn die Lebensrealität, der Flüchtlinge in Deutschland ausgesetzt sind, hat sich seit der Jahrtausendwende in keiner Weise verbessert. Deutlich gesunken ist die Zahl derer, denen es gelingt, die Mauern und Zäune der Festung Europa zu überwinden. Aber wie werden sie hier empfangen? Mit einem Bündel von Maßnahmen, das ihnen den Aufenthalt so unattraktiv wie möglich machen soll. Dazu gehört auch die Residenzpflicht.

Meine Damen und Herren Abgeordnete, Berlin und Brandenburg wären mit ihrer Initiative die ersten Bundesländer, die eine Möglichkeit schaffen, die Residenzpflicht in einem solch großräumigen Ausmaß aufzuheben. Das hat - so kann ich sagen - landes- und bundesweit bereits Beachtung gefunden. Wir möchten mit dem Antrag die räumlichen Beschränkungen für Asylbewerber und geduldete Ausländer so weit wie möglich aufheben. Dazu sollen die eigenen landesrechtlichen Möglichkeiten genutzt, soll aber auch eine Vereinbarung mit dem Land Berlin angestrebt werden, um eine fortschrittliche und humane Regelung zu erreichen. Denn insbesondere im Berliner Umfeld kommt es immer wieder zu Verstößen gegen diese räumliche Beschränkung, die vor allem durch die örtlichen Verhältnisse bedingt sind.

Ganz abgesehen davon, dass die Bewilligung solcher Urlaubsscheine von Kreis zu Kreis sehr unterschiedlich gehandhabt wird, kommt es zu interessanten Erscheinungen. Ich zitiere hier meine Vorgängerin, die Abgeordnete der Linken Karin Weber, die bereits im Oktober 2007 feststellte:

„Wenn Bewohner des Wohnheims Waßmannsdorf/Schönefeld einen solchen Urlaubsschein benötigen, müssen sie zur zuständigen Behörde nach Königs Wusterhausen fahren. Beide Orte liegen im Landkreis Dahme-Spreewald. Mittels des öffentlichen Nahverkehrs gelangen sie jedoch von einem zum anderen Ort nur mit der S-Bahn über Berlin. Sie verstoßen also gegen die Residenzpflicht.“

Trotzdem wird das Bundesrecht hier immer noch sehr enge Grenzen setzen. Deshalb ist es wichtig, sich gleichzeitig auf der Bundesebene für die Aufhebung dieser europaweit einmaligen räumlichen Beschränkung einzusetzen. Denn nur so kann es Asylbewerbern und geduldeten Ausländern möglich sein, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben außerhalb ihres Landkreises teilzunehmen.

Der Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sagt aus:

„Jeder Mensch hat das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl seines Wohnsitzes innerhalb eines Staates.“

Ich betone: „jeder Mensch“, nicht jeder Deutsche, nicht jeder Europäer, sondern jeder Mensch und auch nicht innerhalb seines Staates, sondern innerhalb eines Staates.

Ich bitte Sie deshalb, dem vorliegenden Antrag zuzustimmen. Danke.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Der Abgeordnete Petke setzt die Aussprache für die Fraktion der CDU fort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf einmal daran erinnern, dass Rot-Grün, ich glaube, sieben Jahre lang Deutschland regiert hat und dass das maßgebliche Bundesgesetz in dieser Zeit nicht verändert worden ist.

(Lachen bei der Fraktion GRÜNE/B90)

- Ich ernte Lachen. Ich werte dieses Lächeln als Zustimmung für meine ganz sachliche Aussage, dass der damalige Bundesgesetzgeber die Chance gehabt hätte, wenn er denn hier einen Novellierungsbedarf erkannt hätte, diesem Novellierungsbedarf Rechnung zu tragen. Das ist nicht erfolgt.

In der Zeit der Großen Koalition hat es, glaube ich, seitens des damaligen Koalitionspartners SPD auf der Bundesebene auch weiter keine erfolgreichen oder mit Nachdruck verfolgten Initiativen in dieser Richtung gegeben.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch an der CDU geschei- tert!)

- Es ist Ihr Wunschdenken, dass das an irgendwelchen Blockaden gescheitert wäre. Es gab nichts zu blockieren, denn es hat keine Initiative gegeben.

(Lachen bei der SPD)

Wenn man die einschlägigen Publikationen der Landesregierung in der letzten Legislaturperiode zurate zieht - es sind übrigens auch Publikationen, die sich mit der Lebenssituation von Menschen aus dem Ausland hier in Brandenburg beschäftigen, Publikationen, die also nicht von Schönbohms Innenministerium in Auftrag und in Druck gegeben worden sind, sondern von einem SPD-geführten Ministerium -, findet man ebenfalls keine Problematisierung der Frage der Residenzpflicht.

Insofern kommt das alles sehr überraschend und hängt wohl eher damit zusammen, dass sich die Linke bei den Koalitionsverhandlungen so wenig durchsetzen konnte, dass sie es jetzt für nötig hält, ein Problem aufzuarbeiten, das in Wirklichkeit keines ist.

Ich möchte sogleich mit der zuletzt aufgemachten und sehr abenteuerlichen These aufräumen, dass jeder Mensch dieser Erde - es gibt ca. 6 Milliarden Menschen - in der Europäischen Union Freizügigkeit genieße. Das ist natürlich nicht so. Das hat einen realistischen und teilweise schmerzlichen Hintergrund. Natürlich sind sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bewusst, welche Folgen das nach sich ziehen würde. Bei all der Ungerechtigkeit und wirtschaftlichen Unterschiede auf der Welt würde eine ungehinderte Zuzugsmöglichkeit die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wirtschaftlich und auch im Hinblick auf die Integration überfordern. Ich bedanke mich an dieser Stelle für die teilweise Zustimmung der SPD-Fraktion.