Protokoll der Sitzung vom 20.01.2016

Herr Vizepräsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Die Milchkrise ist in aller Munde. Ich möchte mich heute auch nur darauf beziehen und dies auch etwas anders beleuchten.

Lassen Sie mich bitte zunächst darstellen, was eine Krise ei gentlich ausmacht. Eine Krise ist nach Johan Cullberg durch vier verschiedene Phasen gekennzeichnet: die Schockphase,

die Reaktionsphase, die Bearbeitungsphase und die Neuorientie rungsphase. Die Schockphase wird charakterisiert durch das Fernhalten der Wirklichkeit bzw. Verleugnen der Realität, was übrigens aktuell auch auf weite Teile der anderen Politikfelder zutreffen könnte oder sogar zutrifft. In der Reaktionsphase stellt man sich dann den schmerzlichen Tatsachen und wendet Abwehrmechanismen wie Verleugnung, Verdrängung oder Re gression an. Auch das ist nicht unbekannt. Es folgt die Bearbei tungsphase, in der alte Bedürfnisse abgelöst werden. Schließ lich wird eine Krise mit einer Neuorientierungsphase beendet. Verluste werden durch neue Zielvorstellungen ersetzt.

Meine Damen und Herren von der Landesregierung, mit Blick auf die Milchkrise stelle ich fest, dass Sie sich nunmehr seit vielen Jahren in der Schockphase zu befinden scheinen. Denn bereits im Jahre 2009 sprachen die Bauern Brandenburgs von einer anhaltend dramatischen Milchkrise. Hoffnung setzten die Bauern dann in das im Jahre 2012 verabschiedete EU-Milchpa ket, das Vorgaben zur Ausgestaltung fairer Milchlieferverträge vorsah. In einigen EU-Staaten wurden verbindliche Verträge so gar umgesetzt, zum Beispiel in Lettland, Frankreich, Italien, Spanien, Ungarn, Litauen, um hier nur einige zu nennen.

Was aber geschah diesbezüglich in Deutschland? Nichts! Ob wohl Deutschland doch immer und überall der Klassenprimus sein will! Hat Brandenburg sich etwa bislang für seine Bauern in einer Bundesratsinitiative für faire Milchlieferverträge ein gesetzt? Nein!, ist die Antwort. Brandenburg ist noch immer in der Schockstarre. Aber was man Ihnen zugegebenermaßen zu gutehalten muss, ist, dass Sie sich nun - im Januar 2016 - zu mindest in der Reaktionsphase befinden. Ja, Sie haben reagiert, und zwar auf den - ich sage es ja nicht gerne - Antrag der CDUFraktion und auf die massiver werdenden Forderungen des Bundes Deutscher Milchviehhalter und des Deutschen Bauern bundes sowie die damit verbundene auch negative Presse. Also sprechen wir über eine von außen gesteuerte Motivation, um Imageschäden von der Landesregierung abzuwenden.

(Domres [DIE LINKE]: Falsch!)

Aber dies ist ohnehin die Grundlage jedes politischen Han delns der Landesregierung. Auch reagieren Sie nur dort, wo der Schuh am meisten drückt; aktuell ist das die Milchviehhaltung in Brandenburg. Immerhin können wir aber optimistisch sein, dass Sie bald in der Bearbeitungsphase ankommen, denn der Antrag, den Sie gestellt haben, ist längst überfällig. Deshalb stimmen wir ihm auch zu.

(Oh! bei der Fraktion DIE LINKE)

Es gibt aber noch mehr, was im Argen liegt, so etwa das Vor kaufsrecht für ortsansässige Landwirte, die Entscheidung, das Baugesetz zu ändern und Großstallanlagen in die Hände von Kommunen zu geben, die Ausgestaltung des Wolfs-Ma nagementsplans ab 2017 sowie die Überregulierung durch die Novellierung der Düngemittelverordnung dies alles sind The men, die gut im Ausschuss aufgehoben wären. Die richtige Ebene für dieses Gespräch ist jedenfalls der Ausschuss für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft. Deswe gen stimmen wir hier auch dem Überweisungsantrag sowie dem Antrag der CDU-Fraktion zu.

Ich freue mich jedenfalls auf eine lebhafte Diskussion im Aus schuss und hoffe, dass es entsprechende Ergebnisse zugunsten

unserer brandenburgischen Landwirte geben wird. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Folgart.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich verzichte jetzt darauf, auf das Thema Schockstarre bei der Landesregierung bzw. Koalition einzugehen.

(Heiterkeit bei der Abgeordneten Lehmann [SPD])

Ich möchte mich eher darauf konzentrieren, dass ich meine, dass es gut ist, dass wir zwei Anträge haben, die zeitgleich mit der Grünen Woche hier heute im Parlament behandelt werden. Die Grüne Woche läuft; sie endet am kommenden Sonntag. Viele von Ihnen haben sicherlich bereits die Gelegenheit ge nutzt, sich ein Bild von der agrarpolitischen Stimmungslage und den Messedarbietungen zu machen.

Auch für mich ist es zweifelsohne beeindruckend, wenn sich wieder mehr als 400 000 Menschen auf der Messe informieren, den Dialog mit den Anbietern suchen oder sich einfach nur um schauen. Selbst Agrarminister aus der ganzen Welt kommen inzwischen jedes Jahr nach Berlin und suchen hier den Aus tausch unter Kollegen. Dass neben der Messe unter dem Funk turm wieder einige tausend Demonstranten versucht haben, die agrarpolitische Debatte in den Fokus der gesellschaftlichen Be trachtung zu rücken, ist Zeugnis einer gelebten Meinungsfrei heit in unserem Land, wie ich meine. Ich will aber auch darauf hinweisen, dass es Landwirte gab, die auf dem Washington platz dafür geworben haben, dass wir als Landwirte in Deutsch land dafür verantwortlich sind, dass wir auch satt machen kön nen.

In der Sache, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehen zahl reiche Forderungen, die auf diesen Demonstrationen erhoben wurden, an den Realitäten vorbei, insbesondere an denen einer nachhaltigen Ernährungssicherung. Der Ausgang des Volksbe gehrens wird uns aber Veranlassung sein, in diesem Jahr hier noch darüber zu sprechen. Der Berufsstand der deutschen, also auch der brandenburgischen Bauern ist bereit, sich diesem Dia log weiterhin zu stellen und den gesellschaftlichen Ansprüchen ins Auge zu sehen.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine Anmerkung: Deutsch land hat im vergangenen Jahr fast eine Million Menschen als Flüchtlinge aufgenommen. Viele davon kamen nach Branden burg. Darüber können wir viel diskutieren, aber eines müssen wir anerkennen: Eine leistungsfähige Agrar- und Ernährungs wirtschaft war jederzeit in der Lage, auch für diese Menschen ausreichende Mengen hochwertiger und bezahlbarer Nahrungs mittel zur Verfügung zu stellen.

(Vereinzelt Beifall SPD)

Darauf sollten wir durchaus stolz sein, und der Berufsstand ist stolz darauf. Das ist nämlich auch ein Verdienst der Branden burger Landwirte. Auch die Geflügelhalter sind stolz darauf;

wir haben uns erst vor wenigen Wochen etwas intensiver mit der Geflügelhaltung in Brandenburg befasst.

Meine Damen und Herren, wir Brandenburger müssen aber auch im Auge behalten, dass im Jahr 2050 - damit bin ich beim Thema Export - 9 Milliarden Menschen, vielleicht sogar 10 Milliarden, auf der Welt zu ernähren sind. Davon werden 7 Milliarden in einem städtischen Umfeld wohnen; die Urbani sierung in der Welt nimmt zu. Das ist nicht zuletzt vor wenigen Wochen in Paris besprochen worden.

Da wir hier in Brandenburg in einer klimatisch begünstigten Region leben dürfen, stehen wir auch in Verantwortung, weit über Berlin und Brandenburg hinaus zu denken. Von daher un terstütze ich das Anliegen der CDU eindeutig, die Rahmenbe dingungen gerade für die Nutztierhaltung zu stärken. Ob nun jeder Punkt, wie es meine Vorredner hier heute schon gesagt haben, einer Realisierung zugeführt werden kann, lässt sich hier und heute nicht klären. Deshalb werden wir den Antrag in der Tat überweisen. Ich erinnere daran, dass in diesem Antrag nicht nur über das Baugesetzbuch gesprochen wird.

Ich selbst schaue sehr interessiert nach Sachsen-Anhalt und hatte diesbezüglich am Rande der Grünen Woche bereits ein Gespräch mit dem sachsen-anhaltinischen Landwirtschaftsmi nister Dr. Aeikens. Auch er hat darauf hingewiesen, dass es ei ne komplizierte Gemengelage ist, dieses juristisch schwierige Thema anzugehen, aber er ist fest entschlossen, dieses nach den Wahlen in Sachsen-Anhalt in der neuen Legislaturperiode zu gestalten. Deshalb werden wir auch weiter im Gespräch sein.

Die Themenpalette reichte noch weiter - bis hin zum Wolf; da rauf will ich nur kurz hinweisen.

Zum Thema Milch hat meine Kollegin Anke Schwarzenberg von der Koalition schon einiges gesagt. Ich möchte sagen: Wir stecken in einer tiefen Liquiditätskrise, die dazu führt, dass Be triebe nicht überleben. Der Geschäftsführer des Landeskon trollverbandes, Dr. Hammel, hat mir heute früh noch folgende Zahlen gesagt: Im Januar 2015 hatten wir noch 449 Betriebe, die sich in Brandenburg mit Milchherstellung befassen; davon sind 96 % in der Leistungskontrolle. Wir hatten im letzten Jahr 449 und haben in diesem Jahr 425 Betriebe.

Ich sage Jörg Vogelsänger großen Dank dafür, dass er es im letzten Jahr geschafft hat, gemeinsam mit den Landkreisen die Direktzahlungen so weit auf den Weg zu bringen, dass die Li quidität zum 31. Dezember gesichert war. Die Kernforde rungen sind bereits genannt worden. Ich würde mich freuen, wenn die CDU dem Thema Risikoausgleichsrücklage zustim men würde. Der Bundeszuschuss für die landwirtschaftliche Unfallversicherung ist aus unserer Sicht unerlässlich; denn es muss hier mehr Geld in die Hand genommen werden, um die Krise zu bewältigen.

Die rote Lampe leuchtet; ich höre daher an dieser Stelle auf. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. Wir werden den Antrag der CDU natürlich an den Ausschuss überweisen. - Danke schön.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Ab geordnete Raschke.

Sehr geehrte Gäste! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol legen! In den letzten sechs Monaten haben über 100 000 Bran denburgerinnen und Brandenburger das Volksbegehren gegen Massentierhaltung unterschrieben. Sie haben damit für eine andere Agrarpolitik gestimmt - für eine regionalere, bäuerliche, eine tiergerechte Art der Landwirtschaft. Sicherlich schauen heute einige dieser 100 000 Menschen zu und überlegen: Was macht denn der Landtag in der ersten Debatte, während der Grünen Woche, zum Thema Landwirtschaft? Wie verhalten sich die Fraktionen dazu?

Machen wir also einmal den Check: Schauen wir doch einmal auf den CDU-Antrag und anschließend auf den SPD-Antrag. Die CDU hat einen Antrag mit der Formulierung „regionalver trägliche, artgerechte und flächengebundene Nutztierhaltung“ vorgelegt. Das ist eine schöne Formulierung!

(Frau Lieske [SPD]: Sehr optimistisch formuliert!)

Tatsächlich verbirgt sich dahinter auch etwas Gutes.

(Oh! bei der CDU)

Die CDU will erstens den Ausverkauf des Landes stoppen und etwas gegen Landgrabbing unternehmen, will ein Vorkaufs recht für ortsansässige Landwirte einführen. Das ist keine For derung des Volksbegehrens, aber das hätten sicherlich viele unterstützt, die das Volksbegehren unterschrieben haben. Das ist eine Forderung, die auch wir Grüne haben. Mein Kollege Vogel nervt die Regierung damit bei jeder sich bietenden Gele genheit.

(Vogel [B90/GRÜNE]: Ich nerve nicht, ich weise darauf hin!)

Das Zweite, was die CDU fordert, ist mehr Akzeptanz für die Tierhaltung. Das will sie erreichen, indem die Kommunen mehr Mitspracherecht erhalten und sagen können: Nur wenn es einen Bauleitplan gibt, dürfen hier auch große Anlagen gebaut werden. - Kollege Gliese hat das bereits ausgeführt. Das ist ei ne Forderung, die explizit im Volksbegehren steht. Dafür also herzlichen Dank von uns Grünen und sicherlich auch vom Volksbegehren!

(Vereinzelt Beifall B90/GRÜNE)

Apropos Akzeptanz schaffen: Das ist das Ziel dieser Forde rung. Liebe SPD, das ist natürlich auch die Idee beim Ver bandsklagerecht: Wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, dass die Tierschutzverbände ein Verbandsklagerecht haben, die Ställe angesehen und geprüft und alles für in Ord nung befunden haben, dann haben sie auch Vertrauen und Ak zeptanz für diese Art der Tierhaltung.

(Beifall B90/GRÜNE)

Dritter Punkt: Die CDU fordert faire Milchpreise. Sie möchte das System kippen, dass die Molkereien sagen, wo es langgeht. Das finden wir sehr richtig; das ist eine sehr gute Forderung. Auch wenn diese nicht im Volksbegehren steht, können wir das alle unterstützen, denke ich.

Ferner hat die CDU noch zwei weitere Forderungen, mit denen sie die Landwirte schützen will, diesmal nicht vor dem Biber, sondern vor dem Wolf und vor regulierungswütigen Grünen. Ich denke, da können wir uns auf die Debatte im Ausschuss freuen.

(Vereinzelt Heiterkeit bei der Fraktion B90/GRÜNE - Vereinzelt Lachen bei der Fraktion CDU)

Fazit also für die CDU: Drei der fünf Punkte sind sicher im Sinne des Volksbegehrens und im Sinne der 100 000, die da abgestimmt haben.

Wie sieht es bei der SPD aus? Auch Rot-Rot hat heute einen Antrag vorgelegt, und der erste Eindruck ist auch hier nicht schlecht. Der Minister glänzt ja gerade auf der Grünen Woche mit - sagen wir mal - „kulinarischer Durchhaltefähigkeit“ und präsentiert sich vor einer leckeren regionalen Spezialität nach der anderen. Vielleicht kämen die 100 000 Unterstützer unseres Volksbegehrens auf die Idee: Ja, die SPD hat das Signal ver standen; sie will eine regionale, tiergerechte bäuerliche Land wirtschaft. - Leider hat das mit der realen Politik der SPD nichts zu tun. Schauen wir uns einmal den Antrag an, der heute vorliegt: Da gibt es zwar die Forderung nach Milchlieferverträ gen - das fordert auch die CDU. Das ist sehr gut, aber da hört es auch schon auf. Ansonsten geht es im gesamten Antrag da rum, ein System zu unterstützen, das die Überproduktion noch fördert. Frau Schwarzenberg hat es ausgeführt: Wir haben ei gentlich zu viel Milch auf dem Markt. Es geht darum, immer mehr Geld in ein System zu stecken.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wer fragt denn? - Herr Folgart! Sehr gerne!

(Heiterkeit)

Herr Raschke, stimmen Sie mir zu, dass der Antrag, den wir zu der aktuellen Krise in der Milchwirtschaft gestellt haben, nicht zwingend etwas mit dem Volksbegehren zu tun hat? Der Bezug muss aus meiner Sicht nicht zwingend hergestellt werden; es geht um die Bewältigung einer aktuellen Marktkrise.