Protokoll der Sitzung vom 09.11.2016

Ich schließe Tagesordnungspunkt 13 und rufe Tagesordnungs punkt 14 auf:

Besonders gefährdete Flüchtlinge in Erstaufnahme einrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften stär ker schützen

Antrag

der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 6/3317

Beschlussempfehlung und Bericht

des Ausschusses für Inneres und Kommunales

Drucksache 6/5382

Die Aussprache eröffnet die Abgeordnete Fischer für die SPDFraktion. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werte Gäste! „Besonders gefährdete Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften stärker schützen.“ Erlauben Sie mir dazu eine Vorbemerkung, meine sehr geehrten Damen und Herren, werte Kollegen: Jeder Fall von Gewalt, Kindesmissbrauch und Vergewaltigung ist ei ner zu viel.

(Allgemeiner Beifall)

Und wir alle haben eine menschenrechtliche Verpflichtung zum Schutz vor Gewalt. Das gilt für alle Menschen überall in unserem Land, natürlich auch in unseren Flüchtlingsunterkünf ten, werte Kolleginnen und Kollegen,

(Vereinzelt Beifall SPD, DIE LINKE, B90/GRÜNE und AfD)

und selbst in Ausnahmesituationen. Die überfüllten Erstauf nahmeeinrichtungen und Flüchtlingsheime waren sicherlich eine solche Ausnahmesituation. Selbst bzw. gerade in solchen Situationen dürfen wir Menschen, die besonders schutzbedürf tig sind, nicht aus den Augen verlieren.

Über welche Menschen reden wir, wer ist besonders schutzbe dürftig? Zur Beantwortung muss man nur in die EU-Aufnah merichtlinie gucken: Wir reden über Minderjährige, Ältere, Schwangere, Alleinerziehende, Opfer von Gewalt und auch die LSBTI-Flüchtlinge - Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexu elle, Transgender und Intersexuelle. Ich glaube, alleine diese Aufzählung vermittelt, dass es notwendig ist, auf besondere Lebenslagen einzugehen und zu achten und auch auf diese schrecklichen Lebensereignisse zu reagieren, zumal all diese Menschen - das sind viele Frauen und viele Kinder, das wurde auch in der Anhörung gesagt - monatelang auf der Flucht wa ren, Tausende von Kilometern zurückgelegt haben mit einem festen Ziel vor Augen: in einem Land mit mehr Sicherheit an zukommen.

Sicherheit kann trügerisch sein. Geflüchtete Frauen und allein reisende Kinder, Minderjährige, aber auch die LSBTI-Geflüch teten werden nicht selten Opfer von Gewalt. Und leider, meine sehr geehrten Damen und Herren, laufen Ermittlungen wegen mutmaßlicher Übergriffe. Nach meinem Sachstand ermittelt die Staatsanwaltschaft noch wegen Vorfällen auch bei uns in Brandenburg, Stichwort DRK. Das hat uns veranlasst zu fra gen: Wie sieht es denn mit dem Schutz vor Gewalt aus? Denn nochmals: Jeder Fall ist ein Fall zu viel.

Wir haben uns vorgenommen, hier noch einmal genau hinzu schauen, und haben das auch getan. Ich möchte an der Stelle den Grünen, Frau Nonnemacher, für die Initiative und ihre Ge duld - wir bewegen das Thema etwas länger -, aber auch für die Größe danken, den eigenen Antrag zu ändern - das haben wir im Ausschuss gemeinsam getan -, sodass wir heute über einen fachlich fundierten Antrag reden können.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Was ist in der Zwischenzeit passiert? Was wurde zusätzlich zu dem, was das Land in den Einrichtungen bereits vorgehalten hat, erreicht? Hier gab es viele Gespräche zwischen der ZABH und dem DRK - auch da allen Beteiligten ein Dank für den Prozess, der etwas schwierig war. Wir haben es mehrmals im Ausschuss begleiten dürfen und müssen.

Wir haben aber auch einiges erreicht, angeschoben, was Kinder und Frauen betrifft, die schon Opfer von sexueller Gewalt oder Gewalt im Allgemeinen geworden sind, zum Beispiel ein Haus in Frankfurt (Oder). Insbesondere war uns die Arbeit von psy chosozialen Diensten und Psychologen wichtig. Sie unterstüt zen die Betroffenen, aber auch das Personal vor Ort. Wir haben eine gesonderte Betreuung von LSBTI-Flüchtlingen durch Be treuer mit Spezialausbildung. Und neben der Schaffung und Umsetzung von Gewaltschutzkonzepten haben wir auch einen Fokus auf das Thema Weiterbildung von Haupt- und Ehren amtlichen gelegt.

Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass auch die kommunale Ebene in ihren Einrichtungen tut, was sie kann. Das sollte an dieser Stelle gesagt und mit einem herzlichen Dankeschön an die vielen Akteure vor Ort in den Kreisen verbunden werden.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu einer Personen gruppe sagen, die mir besonders am Herzen liegt und mir be sonders wichtig ist. Das sind die Kinder. Meine sehr geehrten Damen und Herren, werte Kollegen, Kindeswohl muss eine zentrale Bedeutung haben. Wir brauchen eine kindgerechte Ausstattung. Neben Spiel- und Lernangeboten brauchen wir - das steht auch in dem Antrag; dafür bin ich dankbar - die Spra che.

Wir haben auch das wichtige Thema Kinderehe aufgenommen. Es ist ein sehr schwieriges Thema, über das wir morgen anhand Ihres Antrages, Frau Richstein, ausführlicher diskutieren wer den. Ich glaube trotzdem, dass das Thema Kinderehe auch in diesem Antrag genau richtig ist. Denn die Anzahl der verheira teten Minderjährigen ist durch die Flüchtlingsaufnahme gestie gen. Auf Bundesebene - das wissen Sie - wird gerade an einer Änderung zur schnellen Aufhebung von Kinderehen gearbei tet - immer im Sinne und zugunsten des Kindeswohls.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser Anspruch, wie wir als Gesellschaft zusammenleben wollen, basiert auf gegen seitigem Respekt, Achtung, Toleranz und Wertschätzung - und das gegenüber jedem Menschen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion spricht die Abgeordnete Richstein.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn etwas Gutes dabei herauskommt, lasse ich mich gerne eines Besseren belehren. Ich hatte bei der ersten Debatte über diesen Antrag die Befürchtung, dass dessen Überweisung an die Aus schüsse vonseiten der Regierungskoalition eher fadenscheinig sei. Ich bin froh, dass ich trotzdem eine sehr konstruktive De batte erleben durfte.

Aber es zeigt auch wieder, dass Sie leider nicht die Größe haben - das richte ich sowohl an die SPD als auch die Linke -, guten Anträgen der Opposition gleich im ersten Durchgang zuzustim men. Sondern Sie meinen immer, es noch verändern zu müssen.

Fakt ist: Zehn Monate sind jetzt ins Land gegangen. Es wäre schön gewesen, wenn wir dem Antrag der Grünen bereits im Januar hätten zustimmen können.

(Beifall CDU)

Ich danke aber auch den Angehörten. Sie haben noch viele gute Aspekte in die Debatte eingebracht, so das Bekenntnis, dass ei ne Clearingstelle in der Erstaufnahme eingerichtet wird, dass auch die Belange von Flüchtlingen mit Behinderung expliziert im Beschluss aufgeführt werden, ebenso der Hinweis auf die Koordinierungsstelle für die Zufluchts- und Beratungsangebo te für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder, die am 1. Juli 2016 die Arbeit aufgenommen hat.

Aber im Gegenzug sind andere Dinge aus dem Antrag geflo gen. So weiß ich nicht, warum wir jetzt doch keine Ombuds stelle mehr in der Erstaufnahmeeinrichtung haben sollen und warum Sie nicht mehr bei den Gemeinschaftsunterkünften und den größeren Wohnverbünden darauf hinwirken wollen, dass eine kindgerechte Ausstattung bereitgestellt wird.

Auch das Projekt - der Projektname ist etwas länger - „Leben und Arbeiten ohne Gewalt - Anti-Gewalt und Deeskalations trainings für Bewohnerinnen und Bewohner von Gemein schaftsunterkünften, für Asylsuchende und Flüchtlinge sowie für das Personal der Gemeinschaftsunterkünfte“ sollte auf Erst aufnahmeeinrichtungen erweitert werden. Aber jetzt gibt es nur noch den Auftrag zu prüfen, ob das Projekt erweitert werden soll. Das finde ich ein bisschen schade.

Auch bleiben Sie, zumindest nach meiner Lesart des Landes aufnahmegesetzes, hinter diesem zurück, wenn Sie sagen, dass sich die Landesregierung bei den Kommunen für separate Un terkünfte für Frauen und LSBTTI-Geflüchtete einsetzt. Das ist bereits im § 9 Abs. 4 des Landesaufnahmegesetzes enthalten. Deswegen weiß ich nicht, warum Sie hier so zögerlich sind.

Positiv ist, dass Sie auch explizit traumatisierte Flüchtlinge be nennen. Leider ist es mir zu schwammig, wenn Sie sagen, hier müsse ein Beratungsangebot bereitgestellt werden. Es war schon immer unsere Forderung und ist sowohl für Geflüchtete als auch generell für Menschen, die mit Gewalttaten in Berüh rung gekommen sind, wichtig, dass in Brandenburg Trau maambulanzen eingerichtet werden. Es wäre schön, wenn sich die Koalitionsfraktionen dieser Forderung auch einmal an schließen würden.

Auch die minderjährigen Verheirateten - Frau Fischer hat es schon erwähnt - wurden in diesen Antrag aufgenommen. An dieser Stelle ist der Bericht des Innenausschusses leider nicht ganz korrekt. Ich habe es schon in der Beratung des Ausschus ses gelobt, habe aber auch ganz explizit gesagt, dass unser An trag, den wir morgen im Landtag debattieren werden, dadurch nicht obsolet ist, denn es geht weiter. Wir brauchen nicht nur eine psychosoziale und psychiatrische oder psychologische Betreuung für minderjährige Verheiratete, sondern wir müssen das Problem generell angehen. Da ist die Aufnahme in diesen Antrag leider nicht ausreichend.

Wir hätten schon dem Ursprungsantrag der Grünen damals zu gestimmt. Wenn die Grünen mit der veränderten Form einver standen sind, werden wir unsere Zustimmung nicht verweigern und natürlich unsere Hände bei Ja heben. - Vielen Dank.

(Beifall CDU und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abge ordnete Johlige.

Herr Vizepräsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Ich habe in der ersten Behandlung dieses Antrags im Plenum gesagt, dass die Koalition ihn überweisen und ernsthaft prüfen wird. Selbstverständlich, Frau Richstein, wenn ich sage, wir werden ernsthaft prüfen, dann meine ich das auch so.

(Frau Richstein [CDU]: Ich werde Sie beizeiten daran er innern!)

Ich denke, mit Blick auf die vergangenen Monate können wir feststellen, dass wir diesen Antrag mit großer Ernsthaftigkeit gemeinsam weiterqualifiziert haben. Die Anhörung im feder führenden Ausschuss für Inneres und Kommunales war sehr ergiebig und brachte einige Hinweise zu sinnvollen Ergänzun gen.

Frau Richstein, wir waren in der Zeit auch nicht untätig. Zwar hat die Behandlung des Antrags im Ausschuss eine Weile ge dauert. Allerdings ist in der Zeit auch etwas passiert. Das Land und die Kommunen haben in den vergangenen Monaten zahl reiche Anstrengungen unternommen, damit besonders schutz bedürftige Flüchtlinge in unserem Land ohne Angst und Ge walt ankommen und leben können und ihnen die notwendige Hilfestellung gewährt wird.

Dazu gehört das neue Landesaufnahmegesetz, in dem viele Punkte bereits geregelt sind, die die Belange der besonders Schutzbedürftigen ebenfalls betreffen. Insbesondere die Ein

führung der Migrationssozialarbeit als Fachberatungsdienst und die Schaffung von landesweit 54 Stellen dafür stellen eine deutliche Verbesserung auch und gerade für die besonders Schutzbedürftigen dar.

Auch die Möglichkeit der unbürokratischen landesinternen Umverteilung von Geflüchteten zum Schutz in besonderen Si tuationen ist gerade für diese Personengruppe eine spürbare Verbesserung.

Weitere Maßnahmen wurden bereits in Angriff genommen. So gibt es seit dem 1. Juli 2016 eine Koordinierungsstelle für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder, und es gibt die Möglich keit der Unterbringung in Frauenhäusern für von Gewalt be troffene Frauen. Die brandenburgischen Frauenberatungen kön nen diese Frauen mitberaten und in Frauenschutzeinrichtungen unterbringen.

Hervorheben möchte ich die besondere Aufmerksamkeit ge genüber Flüchtlingen mit Behinderungen. Bundesweit einma lig ist beispielsweise das Projekt, das spezifische Schulungen anbietet, beispielsweise zum Erlernen der Deutschen Gebär densprache für gehörlose Geflüchtete und der Schriftsprache für Menschen, die auf Unterstützende Kommunikation ange wiesen sind.

Auch in den Erstaufnahmeeinrichtungen wurden in den ver gangenen Monaten bereits zahlreiche Maßnahmen zur Umset zung der EU-Aufnahmerichtlinie ergriffen. Dazu gehören zum Beispiel die Einrichtung eines Sozialpsychiatrischen Dienstes, die Ergänzung einer psychiatrischen Sprechstunde in Koopera tion mit dem städtischen Krankenhaus in Eisenhüttenstadt, die Errichtung einer migrationsspezifischen Sozialberatung, die gesonderte Betreuung von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transidenten, trans- und intersexuellen Geflüchteten durch eine Betreuungsperson mit Spezialausbildung, die Einrichtung nied rigschwelliger Sozialbetreuung durch sogenannte Hausbetreuer, die Schaffung und Umsetzung von Gewaltschutzkonzepten für alle Gruppen schutzbedürftiger Personen, die Durchführung re gelmäßiger Weiterbildungsveranstaltungen für haupt- und eh renamtlich Tätige zur Arbeit mit besonders schutzbedürftigen Gruppen zu Themen wie Trauma, Gewalt, sexualisierte Ge walt, Sucht und Gesundheit, die Schaffung separater Wohnhei me für alleinreisende Frauen mit Kindern, im Bedarfsfall die schnelle und sichere Unterbringung in Frauenhäusern und die Etablierung standardisierter Verfahren bei besonderen Vorfäl len mit Handlungsanweisungen und Meldewegen.

Trotzdem haben sich bei der Umsetzung dieses neuen Systems Probleme gezeigt, einerseits, weil sehr viele Geflüchtete zu uns kamen und die Hilfsangebote nicht immer in der notwendigen Schnelligkeit zur Verfügung gestellt werden konnten, und an dererseits, weil die EU-Aufnahmerichtlinie in ihrer Anwen dung ausgelegt werden musste, auch übrigens, weil bis heute eine bundesgesetzliche Regelung fehlt.