Protokoll der Sitzung vom 09.11.2016

Trotzdem haben sich bei der Umsetzung dieses neuen Systems Probleme gezeigt, einerseits, weil sehr viele Geflüchtete zu uns kamen und die Hilfsangebote nicht immer in der notwendigen Schnelligkeit zur Verfügung gestellt werden konnten, und an dererseits, weil die EU-Aufnahmerichtlinie in ihrer Anwen dung ausgelegt werden musste, auch übrigens, weil bis heute eine bundesgesetzliche Regelung fehlt.

Die Beschlussempfehlung des Sozialausschusses hat schon den deutlichen Fingerzeig gegeben, dass weiterer Handlungsbedarf besteht. Ich denke, mit dem jetzt vorliegenden Antrag haben wir diese Bedarfe weiter präzisiert.

Dabei möchte ich zwei Punkte hervorheben, die aus meiner Sicht besonders wichtig sind. Das ist erstens die Implementie rung und Umsetzung eines umfassenden Verfahrens zur Er

mittlung der Schutzbedürftigkeit und zur Feststellung der not wendigen weiteren Schritte. Nur mit einem solchen Verfahren kann die Versorgung dieser Personengruppe in der notwendi gen Qualität geleistet werden. Zweitens ist dies der Ausbau der Fachberatung gegen häusliche und sexualisierte Gewalt sowie der Beratung von Traumatisierten und LSBTTI-Geflüchteten. Die Entwicklung der vergangenen Monate zeigt diesen Bedarf sehr deutlich, und wir tun gut daran, weitere Anstrengungen zu unternehmen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt davon, dass wir in Brandenburg auf einem guten Weg sind, um den besonders schutzbedürftigen Geflüchteten den Schutz und die Hilfestel lung zu gewähren, die notwendig sind, um ihnen ein angstfrei es und selbstbestimmtes Leben in unserem Land zu ermögli chen. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu der vorlie genden Beschlussempfehlung. - Ich danke Ihnen.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Für die AfD-Fraktion spricht die Abgeordnete Bessin.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Kollegen! Lie be Brandenburger! Die Grünen beantragen hier: „Besonders gefährdete Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen und Ge meinschaftsunterkünften stärker schützen“. Das ist ein An tragsziel, das sich gut anhört.

Bei der Feststellung der Situation haben die Grünen auf das Lagebild des Bundeskriminalamtes und hierbei auf Zahlen von 2015 im Vergleich zu 2014 verwiesen. Allerdings liegen bereits heute die Zahlen aus dem 1. Quartal 2016 vor. Das Kriminal amt hat in der Lageübersicht „Kriminalität im Kontext von Zu wanderung“ die Zahlen für das 1. Quartal 2016 herausgegeben. Darin heißt es, dass zwischen dem 01.01.2015 und dem Ende des 1. Quartals 2016 1 265 601 Asylbegehrende im EASY-Sys tem des BAMF registriert wurden. 173 707 Asylbegehrende davon wurden im 1. Quartal 2016 registriert. Zur Kriminalität von Zuwanderern im 1. Quartal 2016 kann man sagen, dass be reits ca. 69 000 Fälle bekannt sind. Damit wird ein Rückgang um 18 % verzeichnet. In dem Bericht wird auch aufgeführt, dass es Straftaten von Zuwanderern gegen Zuwanderer gibt - das ist Teil Ihres Antrags, über den wir sprechen wollen -, ins besondere in Erstaufnahmeeinrichtungen und Sammelunter künften. Im Bericht wird erklärt, dass es ein steigendes Straftataufkommen innerhalb der Flüchtlingsunterkünfte gibt - und zwar aus allgemeinkriminellen, ethnisch-kulturellen und insbe sondere religiösen Motiven.

An der Stelle weise ich darauf hin, dass unsere Fraktion bereits im November 2015 im Plenum den Entschließungsantrag „Asylbewerbern den schnellen Zugang zu unserem Grundge setz ermöglichen“ eingebracht hat, der leider mehrheitlich ab gelehnt wurde. Wir haben damals schon darauf hingewiesen, dass viele Asylbewerber mit unseren Rechten, Gesetzen, Ge bräuchen und Traditionen in ihren Herkunftssprachen bekannt gemacht werden sollten, dass wir es als notwendig ansehen,

schnellstmöglich darüber zu informieren, damit genau solche kriminellen Aktivitäten gerade in den Erstaufnahmeeinrichtun gen vermieden werden.

(Beifall AfD)

Gewalt gegen und Übergriffe auf Asylbewerber in Übergangs wohnheimen erreichen leider Negativrekorde. Auch Bundesin nenminister de Maizière stellte eine Verschlimmerung der Situ ation fest. Ein erheblicher Anteil der Tatverdächtigen sei bisher nicht mit einschlägigen Straftaten in Erscheinung getreten:

„Wenn unbescholtene Bürger plötzlich Gewalt anwen den, gibt das umso mehr Anlass zur Sorge.“

Er sagte weiter: Wir müssen feststellen, dass es in der Gesell schaft eine Tendenz gibt, sich vom Konsens einer friedlich frei heitlichen Grundordnung zu verabschieden.

Die Grünen kommen auf der zweiten Seite ihres Antrags end lich einmal auf den Punkt und geben direkt vor, wohin es ge hen soll. Die innere Sicherheit hat nämlich Schaden genom men, und de Maizière sagte zu Recht, dass sich ein solches ge sellschaftliches Phänomen allein mit Polizei und Justiz nicht bekämpfen lasse. Wenn wir jetzt allerdings von LSBTTI im Zusammenhang mit Erstaufnahmeeinrichtungen sprechen - Anlaufstellen für Frauen und Mädchen sind grundsätzlich kein Problem, die gibt es in einigen Unterkünften schon -, wie ich es die ganze Zeit gehört habe, muss ich sagen, liebe Vertreter der Grünen, haben Sie leider die weiteren Formen vergessen. Es würde zweieinhalb Minuten dauern, alle - außer Bi- und Trans sexuellen - aufzuzählen. Wie viele sind denn davon betroffen? Das ist eine ganz geringe Zahl.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Wenn Sie hier eine Zahl nennen könnten, wie viele Personen betroffen sind, wären wir Ihnen sehr dankbar dafür, denn es handelt sich um eine sehr kleine Gruppe.

(Frau Johlige [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)

Wir können auch nicht Ihre Forderungen hinsichtlich Schlich tungsstellen, Ombudsstellen und des Projektes „Leben und Ar beiten ohne Gewalt sowie Anti-Gewalt- und Deeskalationstrai nings für Bewohnerinnen und Bewohner von Gemeinschafts unterkünften“ umsetzen. Das setzt es doch voraus: Wer hier herkommt und Schutz sucht, hat unsere Gesetze zu befolgen, Rechte, Traditionen und Werte zu achten und sich entsprechend zu verhalten. Dafür muss nicht Geld in weitere links-grün ori entierte Projekte investiert werden.

(Beifall AfD)

Wer in ein anderes Land kommt - ganz gleich, ob als Tourist, Arbeiter oder jemand, der vor Gewalt und Verfolgung flieht -, hat sich dort entsprechend zu benehmen, sich dortigen Verhält nissen, Gesetzen und Traditionen anzupassen. Wer das nicht will - das wissen auch die Herrschaften von den Linken -, hat sein Gastrecht verwirkt. Das hat Ihre Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht treffend formuliert.

(Domres [DIE LINKE]: Falsch, sie ist nicht Bundesvor sitzende!)

Was leider mit keinem Wort erwähnt wird, ist die religiöse Komponente. Gerade was Christen in deutschen Flüchtlings unterkünften angeht, hört man mittlerweile viele negative Din ge. Christen werden von Moslems in Übergangswohnheimen drangsaliert, weil sie eine andere Religion haben - daher auch der Punkt in der Statistik des Bundeskriminalamtes.

Ich sehe, meine Redezeit ist um - leider.

(Frau Lieske [SPD]: Gut so!)

Es fehlt die politische Aktivität im Vorfeld. Wir brauchen kein Reagieren auf Situationen, die man sich eingebrockt hat, weil man die Grenzen geöffnet hat. Nun wird man der Sache nicht mehr Herr. An der Stelle werden wir uns enthalten. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Das Wort erhält nun für die Landesregierung Herr Minister Schröter.

(Minister Schröter: Frau Nonnemacher will auch noch sprechen!)

- Entschuldigung, Frau Nonnemacher.

(Minister Schröter: Ich will doch das letzte Wort haben!)

- Damit bin ich sehr einverstanden.

Herzlichen Dank, Herr Präsident. Mit einer Größe von 1,58 m kann man schon einmal übersehen werden.

(Heiterkeit SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist spät. Ich möchte nicht auf Frau Bessin antworten, die wenig zum Antrag, vor allem nicht in der vorliegenden Beschlussempfehlung, gesprochen hat.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wir kommen jetzt zum eigentlichen Thema.

Anfang des Jahres haben wir unseren Antrag „Besonders ge fährdete Flüchtlinge in der Erstaufnahme und in den Gemein schaftsunterkünften stärker schützen“ in den Landtag einge bracht. Damit haben wir uns für eine vollumfängliche Umset zung der Rechte besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge aus der EU-Aufnahmerichtlinie eingesetzt. Hierzu gehören Frauen und Kinder, Menschen mit schweren Gewalterfahrungen, LSBTTI-Geflüchtete sowie Menschen mit Behinderungen.

Wir erkennen an, dass seitdem viel passiert ist und unser An trag offensichtlich einiges ausgelöst hat. Für den Bereich der Erstaufnahme hat das Deutsche Rote Kreuz, das die Einrich tungen betreibt, im Juni ein umfassendes Gewaltschutzkonzept vorgelegt sowie Gewaltschutzbeauftragte in Eisenhüttenstadt und den Zweigstellen ernannt. Zu Themen wie Trauma, Gewalt und sexualisierte Gewalt finden regelmäßige Weiterbildungs veranstaltungen für Haupt- und Ehrenamtliche statt. Die zent

rale Ausländerbehörde hat separate Wohneinheiten für allein reisende Frauen mit Kindern eingerichtet. Mittlerweile gehört eine Betreuung von Flüchtlingen durch Spezialisten einerseits und Hausbetreuern andererseits zu ihren Standards. Hiervon konnte ich mich auch auf meiner Sommertour in der Außen stelle der Erstaufnahmeeinrichtung in Wünsdorf überzeugen. Klar ist, dass die erreichten Standards insbesondere bei der So zialbetreuung trotz angekündigter Schließung von Unterkünf ten der Erstaufnahme erhalten bleiben müssen.

Für den Bereich der kommunalen Gemeinschaftsunterkünfte ist am 1. April 2016 das Landesaufnahmegesetz in Kraft getre ten, das Mindeststandards für die Unterkünfte festlegt. Es ent hält einen Passus, wonach die besonderen Belange schutzbe dürftiger Personen gemäß EU-Aufnahmerichtlinie zu berück sichtigen sind. Seit Juli gibt es auch eine Koordinierungsstelle für die Zufluchts- und Beratungsangebote für gewaltbetroffene geflüchtete Frauen. Etwas bedauerlich finde ich, dass die Mig rationssozialarbeit nur zögerlich ins Laufen kommt, aber da ist vielleicht noch Luft nach oben.

Im Juni fand zudem eine sehr interessante und aufschlussreiche Anhörung im Innenausschuss zu unserem Antrag statt, zu dem wir von den Anzuhörenden viel Zustimmung erhalten haben. Ich freue mich sehr, dass es nun mit dem Änderungsantrag zu sammen mit Rot-Rot gelungen ist, sowohl das zwischenzeit lich Erreichte als auch Anregungen aus der Anhörung aufzu greifen. So machten uns zum Beispiel Katte e. V. und der Les ben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg darauf auf merksam, dass es für homo- und transsexuelle Flüchtlinge kei ne eigenen Fluchtwohnungen gibt, diese aber dringend nötig sind. Mit unserem überarbeiteten Antrag fordern wir daher se parate Unterkünfte für Frauen und LSBTTI-Geflüchtete auch in den Kommunen.

Hervorheben möchte ich auch die Aufforderung an die Landes regierung im gemeinsamen Antrag, ein Clearingverfahren in der Erstaufnahme durchzuführen, damit die speziellen Schutzbe darfe überhaupt erst erkannt werden können - das ist zentral. Diese Maßnahmen hatten wir insbesondere für traumatisierte Flüchtlinge mehrfach gefordert. Sie ist nicht nur eine Vorgabe der EU-Aufnahmerichtlinie an den Bund und das Land, sondern ergibt sich auch aus dem Landesintegrationskonzept von 2014.

Die Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Integrations beauftragten und der Bundesfachverband Unbegleitete Min derjährige Flüchtlinge wiesen uns in der Anhörung darauf hin, dass die Frage des Clearings unbedingt zu klären sei. In der Vergangenheit seien es genau die besonders schutzbedürftigen Personen gewesen, die die Behörden intensiv beschäftigten, weil sie in der Regel keine adäquate soziale oder medizinische Versorgung oder eine geschützte Unterbringung erhielten.

Zudem haben wir in den Antrag aufgenommen, dass die Lan desregierung eine sorgfältige Einzelfallprüfung von Ehen mit Minderjährigen im Sinne des Kindeswohls und des Jugend schutzes gewährleistet, einschließlich der rechtlich gebotenen Inobhutnahme von Minderjährigen, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Insgesamt ist das also eine gute Fassung des Antrags, sodass wir der Beschlussempfehlung des Innenausschusses mit Freu de zustimmen werden.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank. - Für die Landesregierung spricht Minister Schröter.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Ab geordnete! Verehrte Gäste! Es ist schön, als letzter Redner an einem Plenartag noch einen gut gefüllten Plenarsaal vorzufin den. Herzlichen Dank für diese Disziplin, meine sehr verehrten Damen und Herren.