I. Lesung des Antrags der Fraktion der Grünen über Auskunftsrecht im Krankenhaus für unverheiratete Paare – Gesetz zur Änderung des Landeskrankenhausgesetzes
Hier ist eine Beratung nach unserer Geschäftsordnung mit bis zu fünf Minuten vorgesehen. Ich eröffne die I. Lesung. Für die Fraktion der Grünen beginnt der Abgeordnete Weinschütz!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen das Berliner Krankenhausgesetz ändern. Dabei geht es jedoch nicht primär um Gesundheitspolitik, sondern um etwas, was bei Einteilung in die klassischen Politikfelder am ehesten noch zur Familienpolitik zählen würde, was wir – moderner ausgedrückt – als Lebensweisenpolitik verstehen. Das Berliner Krankenhausgesetz stammt von 1974. Das war eine Zeit, in der der Gesetzgeber noch davon ausging, dass Paare, bevor sie zusammenleben, erst heiraten. Wir alle wissen, dass die Realität anders ist. Ich füge hinzu, Gott sei Dank besteht Berlin nicht aus einer geschlossenen Gesellschaft von Normalbürgern. Berlin ist offen und tolerant für vielfältige Lebensstile und Wertvorstellungen. Das begrüßen wir.
Es reicht aber nicht, wenn Politiker in Sonntagsreden die Offenheit und Toleranz unserer Stadt loben und anpreisen. Wir fordern, dass die verschiedenen Lebensentwürfe auch vom Gesetz anerkannt werden. Kein Mensch darf wegen seiner Lebensweise diskriminiert werden.
Werfen wir einen kurzen Blick in die Statistik. In Berlin stieg die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften von 110 000 im Jahr 1995 auf 125 000 im Jahr 1998, wobei das Statistische Jahrbuch wohl nur heterosexuelle nichteheliche Lebensgemeinschaften erfasst. Dieser deutliche Trend gilt aber nicht nur bei uns in der Großstadt. In Brandenburg – wir wollen auch einmal über den Tellerrand schauen – stieg die Zahl noch stärker an, von 76 500 in 1996 auf 96 200 in 1999. Was steckt hinter diesen trockenen Zahlen? – In Lebensgemeinschaften übernehmen Menschen füreinander Verantwortung. Sie stehen füreinander ein und sind oft die ersten Ansprechpartner für die Sorgen und Nöte des anderen. Was geschieht nun, wenn jemand einen Autounfall hat und nicht mehr in der Lage ist, im Krankenhaus anzugeben, wem über den Gesundheitszustand Auskunft erteilt werden darf? Soll das Krankenhauspersonal sagen: „Pech gehabt! Wir dürfen nichts sagen.“? Für uns alle ist es selbstverständlich: Wenn Menschen in Partnerschaften zusammenleben, sollen sie in solchen Notfällen auch Auskunft erhalten dürfen. Diese menschliche Selbstverständlichkeit fehlt bislang im Gesetz. Deshalb muss sie dort hinein!
Wir wollen dabei auch klarstellen, dass dies nicht nur für Heteros und Heteras, sondern auch für Lesben und Schwule gilt, die in einer Lebensgemeinschaft Verantwortung füreinander übernehmen. Diese sind bisher doppelt diskriminiert. Zum einen können sie gar nicht heiraten, selbst wenn sie es wollten. Zum anderen kommt es auch heute noch vor, das zwei Männer oder zwei Frauen, die sich lieben, auf Unverständnis und Ablehnung stoßen. Gerade in Notfällen, am Krankenbett, trifft so etwas besonders hart. Was das erste angeht, die fehlende Möglichkeit für Lesben und Schwule, ihre Partnerschaft mit Rechten und Pflichten auszustatten, wie es verschiedengeschlechtliche Paare durch Heirat tun können, wird die rot-grüne Bundesregierung bald einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen, der diese schlimme Diskriminierung endlich beseitigt. Für den zweiten Punkt, die immer noch möglichen kleinen Diskriminierungen im Alltag, brauchen wir ein Antidiskriminierungsgesetz auch auf Landesebene. Dieses fordern wir schon lange. Angeblich arbeitet der Senat daran. Berlins Lesben und Schwule warten und warten. Für eine besonders schwierige Lebenslage, die Notfallaufnahme im Krankenhaus, wollen wir hier vorweg Abhilfe schaffen und das Auskunftsrecht im Krankenhaus im Gesetz klarstellen.
In Kürze, am 24. Juni, findet in Berlin wieder die alljährliche Demonstration zum Christopher-Street-Day statt. Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle weisen dabei mit berechtigtem Stolz auf die bisherigen Fortschritte ihrer Emanzipation hin und kämpfen für ihre vollständige Gleichstellung. Wir unterstützen diesen Kampf aus voller Überzeugung. Aber auch von der konservativen Seite dieses Hauses erwarten wir zumindest, dass sie die Sorgen und Nöte der Menschen in Berlin – wie sie nun einmal sind – ernst nimmt. Stimmen Sie dem Auskunftsrecht im Krankenhaus für lesbische und schwule Paare zu!
Zum Schluss möchte ich noch eine Anmerkung anbringen. Mit dem Gesetzesantrag soll keineswegs gesagt werden, dass in Berlin tätige Ärztinnen und Ärzte und Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger kein Verständnis für die Lebensrealität der Berlinerinnen und Berliner hätten. Im Gegenteil! In der Praxis sind die Probleme zum Glück nicht ganz so häufig. Das Personal in den Berliner Krankenhäusern ist überwiegend verständnisvoll und weiß natürlich schon jetzt, mit unverheirateten Paaren umzugehen. In Einzelfällen gibt es aber doch hin und wieder Schwierigkeiten. Vor allem werden die Auskünfte an unverheiratete Partnerinnen und Partner am Rande der Legalität erteilt. Hier sollten wir die Menschen, die in unseren Krankenhäusern arbeiten, nicht allein lassen und für Rechtssicherheit sorgen.
In der Berliner Verfassung wird die Ehe geschützt, aber unsere Verfassung schreibt auch vor, dass andere auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften nicht diskriminiert werden dürfen. Setzen wir dies um! – Vielen Dank!
Für die Fraktion der CDU spricht jetzt der Abgeordnete Ulrich Eichler. Herr Eichler, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Weinschütz! Wollten Sie vielleicht mit der Verwirrung in Ihrem Antrag Aufmerksamkeit erregen, oder haben Sie diesen Antrag aus der falschen Schublade gezogen?
Sie beziehen sich auf das Landeskrankenhausgesetz von 1974. Sie wissen doch genau, dass wir 1994 ein neues Gesetz, eine große Novelle des Landeskrankenhausgesetzes verabschiedet haben. Der Kollege Köppl hätte Ihnen helfen können, er war sehr engagiert dabei. Wir hätten die ganze Problematik auch schon im Jahr 1994 behandeln können.
Hören Sie doch einmal zu. Im Übrigen haben wir eine neue Fassung des Landeskrankenhausgesetzes vom 1. Dezember 1999 vorliegen, veröffentlicht am 25. Januar 2000 im Gesetzund Verordnungsblatt des Landes Berlin. Sie sind doch sonst immer so gut informiert und geben sich immer gut informiert. Warum haben Sie solche falschen Informationen auf Ihren Antrag geschrieben?
Und es geht um § 27 statt § 26. Aber ich schließe mich Ihnen an, dass wir uns nicht an den Formalien festhalten sollten, sondern über inhaltliche Fragen debattieren sollten.
Inhaltlich geht es um die Information über die Aufnahme von Patienten und über die Weitergabe von Patienteninformationen an Angehörige. Ihnen geht es vor allem darum, diesen Kreis der Angehörigen zu erweitern. Im letzten Teil Ihrer Rede, Herr Weinschütz, haben Sie selbst ausgeführt, dass dies eigentlich gar kein Problem darstellt, weil die Ärzte und Pflegekräfte in den Krankenhäusern dies problemlos handhaben. Deshalb verstehe ich Sie nicht, wenn Sie hier diesen Antrag einzubringen.
Wir wissen, dass jeder Mensch bei der Aufnahme in ein Krankenhaus eine Kontaktperson oder mehrere Kontaktpersonen seines Vertrauens benennen kann. Jeder kann auch bei sich eine Information tragen, damit im Falle einer Nichtbefragbarkeit das Krankenhaus eine Kontaktmöglichkeit erhält. Ich nennen noch einmal das Stichwort „Patientenverfügung“. Wir präferieren die eigenverantwortliche Selbstbestimmung, und dabei sollte es bleiben. In der Praxis funktioniert es – wie von Ihnen selbst gesagt – gut, und es ist keine Gesetzesänderung erforderlich, unabhängig von den datenschutzrechtlichen Problemen, die ich hier gar nicht anschneiden möchte.
Ihnen geht es also in Wirklichkeit darum – das haben Sie auch sehr deutlich und umfassend ausgeführt –, durch die Hintertür, durch die „kalte Küche“, alternative Lebensformen durchzusetzen und diesen zur offiziellen Anerkennung zu verhelfen. Dazu ist aber das Landeskrankenhaus denkbar ungeeignet. Sie können die Debatte an anderer Stelle gerne führen. Wir machen das an dieser Stelle nicht mit. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Eichler! – Für die Fraktion der PDS soll nun nicht Frau Simon, sondern Herr Klemm sprechen. Ist das richtig? – Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor Herr Eichler sprach, wollten wir uns eigentlich hierzu nur sehr kurzfassen, aber ich werde nun doch noch einige Anmerkungen dazu machen müssen. Herr Eichler! Sie haben zutreffend darauf geschlossen, dass Herr Weinschütz durch die Hintertür alternative Lebensformen zur Anerkennung bringen möchte. Gerade im Vorfeld des Christopher-Street-Day wäre solch ein Zeichen von diesem Parlament auch durchaus vernünftig. Sie haben die Frage nicht beantwortet, wie Sie zu diesen alternativen Lebensformen, also zu Lebensgemeinschaften von Lesben und Schwulen stehen. Es ist aber schwierig, wenn Sie sich immer wieder vor dieser Frage drücken.
Wir sagen klar und deutlich, dass wir für diese gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften die Anerkennung wollen. Wir wollen, dass diese Grundsätze nicht nur in der Berliner Verfassung stehen, sondern dass sie sich auch in den Gesetzen des Landes Berlin widerspiegeln, also auch im Krankenhausgesetz. Wir unterstützen daher den Antrag.
Aber Herr Eichler hat in einem Sinne Recht – da spreche ich an die Adresse der Grünen und der SPD –, dass hier eine Hintertür genutzt werde, um unter anderen gleichgeschlechtliche Lebensformen und auch auf Dauer angelegte Partnerschaften von Heterosexuellen anzuerkennen, weil Sie die Vordertür in fast 2 Jahren Regierungsverantwortung auf Bundesebene bisher
noch nicht aufbekommen haben. Da haben Sie bisher Ihre Aufgabe nicht erfüllt. Insofern ist es schade, dass wir heute diese Hintertür benutzen müssen. Ich appelliere an Sie, in Zusammenarbeit mit Ihren Gremien auf Bundesebene endlich die Vordertür aufzustoßen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin jetzt etwas über die Debatte verwundert, denn sie scheint mir überzeichnet. Wir sollten vielleicht auf den Antrag und das eigentliche Anliegen zurückkommen.
Die Änderung des Landeskrankenhausgesetzes ist wohl nicht der geeignete Tagesordnungspunkt, um grundsätzlich über die Anerkennung von alternativen Lebensformen zu diskutieren. Ich habe ohnehin Probleme damit, in diesem Zusammenhang von „alternativen Lebensformen“ zu sprechen. Wenn ich mir die Berliner Wirklichkeit angucke, dann ist das weitgehend Normalität, dieser Personenkreis, der hier benannt wird.
Das einzige, was ich aus Sicht meiner Fraktion ärgerlich zu diesem Antrag anmerken kann, ist, dass wir nicht selbst auf die Idee gekommen sind.
Wir können uns auch nicht darauf zurückziehen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Krankenhäusern heute weitgehend den Realitäten Rechnung tragen und dem Informationsbedürfnis von Menschen in Notlagen nachkommen. Für diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter muss Rechtssicherheit geschaffen werden. Ich hoffe, dass wir in den Ausschussberatungen dann gemeinsam einen Weg finden werden, fraktionsübergreifend den Bedürfnissen von Menschen in wirklich schwierigen Lagen Rechnung zu tragen. Die SPD-Fraktion wird das Begehren dieses Antrags unterstützen.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss für Gesundheit, Soziales und Migration. Wer dieser Empfehlung folgen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen! – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Beides sehe ich nicht. Damit ist die Überweisung so angenommen.