Protokoll der Sitzung vom 08.06.2000

Nun die letzte Zusatzfrage zu diesem Thema – Herr Abgeordneter Berger, bitte sehr!

Frau Staatssekretärin! Die müde Stimmung entspricht nicht der Festlichkeit und der Faszination dieses Ereignisses, das auf Berlin zukommt. Ich erinnere mich – ich komme sofort zur Frage –, dass bei der Love-Parade, die im Unterschied zum Karneval der Kulturen in mancherlei Hinsicht etwas umstritten ist, auch Senatorinnen und Senatoren – gerade Sie, Herr Branoner, Sie gucken mich an, oder Herr Radunski – mitgelaufen sind. Wird der Senat durch Anwesenheit einiger seiner Mitglieder die Bedeutung des Karnevals der Kulturen für diese Stadt am Wochenende bekunden?

[Beifall bei den Grünen]

Wer soll nun diese Frage beantworten? – Frau Staatssekretärin, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, warum Sie angesichts des Karnevals der Kulturen der Welt eine müde Stimmung haben. Ich kann das jedenfalls nicht empfinden und sehe Ihnen auch an, dass Sie sich darauf freuen, so wie sich Berlin auf den Karneval der Kulturen der Welt freut.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Ich kann in diesem Haus natürlich nicht für die Senatorinnen und Senatoren sprechen, aber ich bin sicher, dass viele von ihnen – wenn sie nicht beim Bundesrat oder an irgendeiner anderen wichtigen Stelle sind – den Karneval der Kulturen ebenso wie die Abgeordneten dieses Hauses und die Berlinerinnen und Berliner genießen werden.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Nun kommen wir zur vierten Mündlichen Anfrage der Frau Abgeordneten Ströver von der Fraktion der Grünen über

ein Denkmal zum Gedenken an den Völkermord gegenüber Sinti und Roma

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Warum missachtet der Senat das frühere Versprechen gegenüber Vertretern der Sinti und Roma, an zentraler Stelle in Berlin ein Denkmal für die während des Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma zu errichten und damit einer Verantwortung für die Erinnerung an eine oft vergessene Opfergruppe nachzukommen? 2. Wird der Senat dem konstruktiven Verhalten des Bezirksamtes Tiergarten folgen und auf der vom Bezirk bereit gestellten Fläche im Tiergarten südlich des Reichstages für die Errichtung eines Denkmals sorgen, oder hält er diese Opfergruppe für unbedeutend, so dass weiterhin nichts passiert?

Zur Beantwortung hat Herr Senator Dr. Stölzl das Wort – bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Ströver! Ich antworte zu 1: Im Senat ist bislang kein Beschluss über ein Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma gefasst worden. Demgemäß existiert auch kein verbindliches Versprechen des Senats. Allerdings ist sich der Senat seit längerem einig, dass auch für die Sinti und Roma als Völkermordopfer ein Denkmal errichtet werden sollte. Eine Konkretisierung war erst vorgesehen, nachdem ein Beschluss zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas gefallen wäre. Dies ist nun durch das Bundesgesetz zur Gründung einer Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ geschehen. Ich erinnere daran, dass in dessen § 2 Absatz 3 der Stiftung zusätzlich die Aufgabe übertragen wurde, einen Beitrag „zur Erinnerung an alle Opfer des Nationalsozialismus und ihre Würdigung“ zu leisten. Es erscheint sinnvoll, dass zunächst ein Gesamtkonzept zur Würdigung aller Opfergruppen erarbeitet wird, ehe einzelne Entscheidungen getroffen werden. Insbesondere wird zu prüfen sein, ob neben den Denkmalen für die Völkermordopfer andere Formen des Gedenkens für weitere Opfergruppen vorzuziehen sind, um die Wirkung des schon beschlossenen Denkmals für die ermordeten Juden und eines künftigen Denkmals für die ermordeten Sinti und Roma nicht zu beeinträchtigen.

Zu 2: Über einen Standort für ein Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma wird der Senat einen Beschluss erst dann fassen, wenn dieses eben zitierte Gesamtkonzept von der Bundesstiftung erarbeitet und öffentlich diskutiert worden ist. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz hat schon 1994 insgesamt zehn mögliche Standorte benannt, von denen einige nach wie vor diskussionswürdig bleiben.

Die Fragestellerin mit der ersten Zusatzfrage – bitte sehr!

Herr Senator Stölzl! Sie können sich vorstellen, dass ich mit dieser Antwort nicht zufrieden bin. Vor allen Dinge höre ich heraus – und deswegen möchte ich nachfragen: Gehen Sie davon aus, dass es unterschiedliche Qualitäten – wenn ich das so sagen darf – von Opfergruppen gibt, insbesondere im Vergleich von Juden und Sinti und Roma?

Herr Senator, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Ströver! Dies ist ganz sicher aus dieser Antwort weder herauszuhören noch „zwischen den Zeilen“ herauszulesen. Es ist doch sehr vernünftig, dass der Senat von Berlin in einer Frage, die ersichtlich die ganze Nation betrifft, zunächst das Verfahren mitträgt, das vom Bundesparlament gewählt worden ist. Es ist sicher keine Angelegenheit des Landes Berlin allein, sondern etwas, das im Konsens, der auch vor Beginn dieser Fragestunde beschworen wurde, zwischen Bundesregierung und Land Berlin zu erörtern ist. Sicher gibt es in der Frage, wo, an welcher Stelle, in welcher Größe den Opfern des Nationalsozialismus Denkmale zu setzen sind, keine vorgegebene Rangordnung. Aber wir suchen eine Antwort auf spezifische Fragen, z. B. ob – wie bei der Wannseevilla – der historische Ort das Richtige ist oder die Nähe zu Bundeseinrichtungen. Das kann in ausgiebigen Diskussionen und – wie man hoffen kann – in friedlichem Konsens gemeinsam gelöst werden.

Weitere Zusatzfrage der Fragestellerin – bitte sehr!

Wie wollen Sie denn den Zustand der jetzt sechs Jahre dauernden Stagnation zu diesem Thema der Sinti und Roma als Opfergruppe aufheben? Gibt es von Seiten des Senats die Bereitschaft, an dem Gesamtkonzept für Denkmale oder Erinnerungsformen für alle Opfergruppen mitzuwirken, und wenn ja, wie sieht diese Bereitschaft aus?

(A) (C)

(B) (D)

Herr Senator, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ströver! Was ich eingangs gesagt habe, beschreibt doch klar, dass der Senat durchaus bereit ist, hier konstruktiv mitzuwirken. Dass die Antwort auf die Verbrechen des Nationalsozialismus in Formen des öffentlichen Gedenkens etwas ist, was sich den normalen parlamentarischen Zeitläufen entzieht, weil die öffentliche Meinung dabei eine gewaltige Rolle spielt, haben wir nun in der Auseinandersetzung mit dem von Berlin ausgegangenen Projekt für das große Denkmal für die ermordeten Juden erlebt. Ich glaube nicht, dass man den Beteiligten irgendeinen Hintersinn in Bezug auf eine Rangordnung der Opfer unterstellen sollte. Ich erinnere daran, dass die Schaffung der zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik für alle Opfer des Nationalsozialismus in der Neuen Wache auch im Zusammenwirken des Bundes, der Bundesinstitutionen und des Landes Berlin geschehen ist. Dass das Antworten in symbolischen Formen nichts am Missverhältnis heutiger Politik und unseren Möglichkeiten gegenüber dem Geschehenen ändert, ist eine Erfahrung, die alle Beteiligten bei diesen Diskussionen gemacht haben. Das sollte uns zu Bescheidenheit und – ich sage es offen – auch zu Freundlichkeit untereinander, die wir diskutieren und unsere Meinungen austauschen, bringen.

Nächste Zusatzfrage – Herr Abgeordneter Berger!

Herr Senator! Ich bitte Sie um eine offene Stellungnahme und nicht um so verklausulierte, bürokratisierte Wendungen wie in dieser Sache. Darum frage ich Sie ganz direkt: Halten Sie es als jetziger Kultursenator dieser Stadt nicht auch für einen schlimmen Skandal, dass es 55 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft mit ihrem unglaublichen Völkermord auch an den Sinti und Roma in dieser Stadt – mit einer Ausnahme – noch kein einziges Denkmal, auch keine Dauerausstellung zum Los der Sinti und Roma unter jener Gewaltherrschaft gibt? Meinen Sie nicht, dass allein deshalb – wegen dieses 55-jährigen Versäumnisses – ein zentraler Platz für das Erinnern an die Verfolgung und Ermordung der Angehörigen dieser Völkergruppe in Berlin angemessener ist? Und meinen Sie nicht, dass der Senat sich dazu jetzt deutlich äußern müsste?

[Beifall bei den Grünen]

Herr Senator, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! – Herr Abgeordneter! Im Gegensatz zu Ihnen meine ich, dass sich der Senat hier sehr deutlich geäußert hat,

[Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

es gilt nämlich den Prozess mitzutragen, der gemeinsam mit dem Bund – ich sage es ganz deutlich – auch durchgestanden werden muss. Als Skandal anzumahnen, wie lang es dauert, bis symbolische Formen nach einem solchen Menschheitsverbrechen im Stadtbild der Bundeshauptstadt, aber auch der Bundesrepublik insgesamt zu sehen sind, heißt an dem vorbeigehen, was Sache ist. Was 1933 bis 1945 geschehen ist, werden die Generationen nach uns als genauso aktuell empfinden wie wir. Ich glaube, wir sollten uns alle Zeit nehmen, in Ruhe die richtigen Formen des Gedenkens zu finden.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Noch 55 Jahre warten, oder wie?]

Wer mit verfolgt hat, wie der Prozess um die Schaffung des Denkmals für die ermordeten Juden, ausgehend von einer privaten Bürgerinitiative Berlins, am Schluss dieses ganze Land und auch die Welt bewegt hat und wie am Schluss im nationalen Parlament beschlossen wurde, was am Anfang niemand so vorhersehen konnte, der kann doch nicht leugnen, dass das ein guter

Vorgang war. Vielleicht sollten wir uns deutlicher in Erinnerung rufen, dass in der Tat nicht das Land Berlin Rechtsnachfolger und auch moralischer Nachfolger des Dritten Reiches ist, sondern das ganze Land.

Ich halte es für gut und richtig, dass hier auch das Land Berlin sich die Zeit nimmt, um eine richtige Antwort zu finden und sich nicht in eine Hektik hineindrängen lässt. Ich glaube, dass die Dinge auf einem guten Wege sind. Sie wissen alle, dass dieses Gesetz der Bundesstiftung klare Aktivitäten vorsieht, auch vorsieht, dass man bald zusammenkommt, und dass es nicht weitere 55 Jahre dauern wird.

Letzte Zusatzfrage – Herr Abgeordneter Wieland, bitte sehr!

Herr Senator Stölzl! Sie haben Bescheidenheit und Freundlichkeit im Umgang miteinander angemahnt, und beide Eigenschaften habe ich in der Regel.

[Heiterkeit]

Man kann sich täuschen. – Im Jahr 1994 haben sowohl der damalige Kultursenator mit Namen Roloff-Momin – möglicherweise erinnert sich die eine oder der andere noch an ihn – als auch der damalige Bausenator und die Bürgermeisterin Frau Bergmann dem Zentralrat der Sinti und Roma zugesichert, Berlin werde ein derartiges Mahnmal errichten – weil sie nämlich zu Recht gefragt haben: Wo bleiben wir, wenn nur über ein Mahnmal für die Ermordung der europäischen Juden gesprochen und gestritten wird? – Können Sie uns bitte erklären, wer das dann im Senat boykottiert hat, so dass wir keinen Zentimeter weiter gekommen sind? Wollen Sie tatsächlich den Zynismus aufbringen und sagen: Diesen ewig-quälend langen Prozess, den wir bei dem Holocaust-Mahnmal haben, machen wir jetzt mit den anderen Opfergruppen noch weiter ad infinitum? – Meinen Sie nicht auch, dass die Opfer, die überlebt haben und noch leben, oder ihre Verwandten einen Anspruch darauf haben, dass dieses Zeichen demnächst einmal gesetzt wird?

[Beifall bei den Grünen]

Herr Senator, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter! Die Frage, ob es ein quälend langer oder ein notwendiger Prozess ist, muss ich dem Hohen Hause selbst überlassen.

[Zurufe von den Grünen: Was sagen Sie denn? – Weinschütz (Grüne): Keine eigene Meinung!]

Seit Beginn der Bundesrepublik sprechen die Bundespräsidenten am Volkstrauertag eine Formel, die alle Opfergruppen einbezieht und auch benennt. Wie immer Sie zur Neuen Wache als Gedenkstätte der Bundesrepublik stehen, wer dort vor sie hintritt, wird auf den Tafeln lesen können, dass dort der Opfer, und zwar sehr genau, gedacht wird. Dass darüber hinaus einzelne Opfergruppen – –

[Frau Künast (Grüne): Die Mischung ist der Mangel!]

Das ist eine philosophische und, wenn Sie gestatten, auch eine religiöse Frage, die sicher diskutiert werden kann, aber nicht Gegenstand dieser Fragestunde ist. – Zu sagen, dass die Bundesrepublik in ihrer Hauptstadt nicht gedenkt, ist falsch. Wenn Sie mit den Formen des Gedenkens nicht zufrieden sind, ist das vollkommen legitim, aber zu sagen, der Opfer werde nicht gedacht, ist nicht richtig.

Ich glaube, dass die Frage, um die es doch im Eigentlichen hier geht – an welchem Ort in der Hauptstadt der Opfer gedacht wird –, in aller Ruhe bedacht werden soll. Die Frage, ob die zentralen Orte – also an der „Mall“ dieser Stadt – oder ob die historischen Orte – wie bei der Topographie des Terrors gewählt – die richtigen sind, ist doch durchaus diskussionswürdig. Ich kann allen nur empfehlen, dies nicht in den normalen Prozess politischer Auseinandersetzung zu ziehen – erst recht nicht der partei

(A) (C)

(B) (D)

Sen Dr. Stölzl