Protokoll der Sitzung vom 08.06.2000

Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Meine Damen und Herren! Ob es sich um Befürchtungen handelt oder die Aussicht auf bessere Regelungen, ist der persönlichen Meinung überlassen. Die Kultusministerkonferenz hat ja sehr zahme, in meinen Augen sehr vorsichtige Beschlüsse gefasst, die Studiendauer zu verkürzen, was im Interesse aller Studenten ist, vor allem derjenigen, die nachdrängen. Wir werden im Austausch mit den Hochschulen darüber nachdenken, welche Schlüsse aus diesem Kulturministerkonferenzbeschluss zu ziehen sind. Bei vernünftiger Betrachtung handelt es sich um Ermunterungen und Anreize für Studen

ten, mit dem Zeitbudget sorgsamer umgehen zu können. Es ist kein Zwang, auch keine Bestrafung, sondern es ist ein Appell an alle Beteiligten – die Lehrenden, die Verwaltungen und die Studenten selber –, die Zeit, die an der Hochschule verbracht werden muss, möglichst abzukürzen, um möglichst gut ausgestattet und schnell ins Leben treten zu können.

Sie haben mich nach meiner persönlichen Meinung gefragt. Die weicht ab von dem, was Konsens bei den Kultusministern ist: Ich glaube, dass das angelsächsische Beispiel, ein Geben und Nehmen zwischen Lehrenden und Lernenden zu schaffen, auch um die Lehrenden mehr in die Verantwortung zu bringen, etwas sehr Vernünftiges ist. Dort gibt es eine Vielzahl von sozial gestaffelten Modellen, die eine Rückkehr zu einer sozialen Ungleichheit im Bildungswesen ausschließen.

Ich glaube, die Beteiligten täten gut daran, dies nicht emotional, sondern rational zu sehen.

Zusatzfrage – der Fragesteller!

Ich möchte das ja gerne rational sehen. Deswegen möchte ich nachfragen: Wie beurteilen Sie denn die Gründe und Hintergründe für die langen Studienzeiten? – Die Hintergründe sind doch folgende:

[Frau Grütters (CDU): Wenn Sie’s wissen, brauchen Sie doch nicht zu fragen!]

Die Studierenden müssen alle jobben, weil sie für ihren Lebensunterhalt sonst nicht aufkommen können. Sie müssen Kinder betreuen, – –

Also bitte, fragen Sie!

Ich frage ja, wie der Herr Senator diese Hintergründe beurteilt. – Die Ausbildung ist teilweise schlecht, die Hörsäle sind überfüllt, die Seminare auch; daran ändert sich durch die Studiengebühren nichts. Es wird nichts verbessert, es wird nur verschlimmert. Die Leute müssen noch mehr jobben und brauchen noch länger. Wieso können Sie daran etwas Positives erkennen?

[Landowsky (CDU): Für viele ist es das einzige Mal, dass sie arbeiten!]

Herr Senator – bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter! Die Spontane Fragestunde ist sicherlich nicht der Ort, die Soziologie des Hochschulstudiums auszubreiten. Aber nur ein Faktum: Im Lande Baden-Württemberg ist die Zahl der Prüfungen nach Einführung der Langzeitstudiengebühren, der Antwort auf das unbegrenzte Studieren sprunghaft angestiegen. Das ist eine gute Sache; die Studenten waren ersichtlich in der Lage, abzuschließen. Die Zahl der langzeitig Eingeschriebenen – aus Gründen, die man sozialpolitisch verstehen kann, die aber mit der Hochschule nichts zu tun haben –, die die sozialen Vorteile des Hochschulstudiums in Anspruch nehmen mussten oder in Anspruch nehmen wollten, ohne zugleich einen festen Studienwunsch noch mittragen zu können, ist dramatisch zurückgegangen, nämlich um 15 %. Wir alle wollen, dass auf Hochschulen studiert wird. Die Hochschulen sind kein Teil der Sozialpolitik.

[Beifall bei der CDU]

Die letzte spontane Frage in dieser halben Stunde stellt Frau Abgeordnete Grütters. Bitte sehr!

Meine Frage zu einem Verkehrs- und Besucherleitsystem zu den Berliner Museen geht an den Senator für Stadtentwicklung. – Herr Senator Strieder, ich frage Sie, warum Sie das Schreiben des Präsidenten der Stiftung

Preußischer Kulturbesitz, Professor Lehmann, vom 3. März 2000 noch nicht beantwortet haben, in dem er Sie bittet, Stellung zu nehmen zu einem bisher fehlenden Verkehrs- und Besucherleitsystem und zur Ausschilderung zu den Museen in Berlin. Was wollen Sie generell tun, um dem bekannten Mangel an Hinweisschildern in U-Bahnhöfen, an Bushaltestellen in Dahlem, in Mitte und vor allem am Kulturforum und jetzt am Sony-Komplex zu begegnen? Denn das würde schließlich nicht nur Berlinern, sondern auch auswärtigen Besuchern die Orientierung zu den Museen erleichtern.

Herr Senator Strieder – bitte sehr!

Ich kann mich derzeit nicht an den Brief erinnern, Frau Abgeordnete. Deswegen kann ich Ihnen auch nicht bestätigen, dass es einen solchen Brief gibt.

Zu der Frage, wie man zu einem touristischen Leitsystem kommt, kann ich sagen, dass mein Vorgänger Anfang Dezember des vergangenen Jahres einen Vertrag mit der Firma Wall unterschrieben hat, wonach die Firma Wall berechtigt ist, das in einem Designwettbewerb gefunde System der Tourismusinformation in Berlin aufzustellen, und für entsprechende Aufstellungen auch weitere Werbemöglichkeiten im öffentlichen Raum bekommt. Dies nach unserem Zuständigkeitskatalog von den Bezirken ist umzusetzen. Die Bezirke müssen die entsprechenden Stellplätze für die Werbeanlagen genehmigen. Dann ist die Firma Wall auch in der Lage, dieses Leitsystem aufzubauen und zu finanzieren. Einen ersten Entwurf für dieses Leitsystem können Sie auf dem Mittelstreifen Unter den Linden bewundern.

Wünschen Sie eine Zusatzfrage? – Nein. Dann sind wir am Ende der Spontanen Fragestunde und kommen zu

lfd. Nr. 1 A:

Aktuelle Stunde zum Thema „Kürzungen bei der Deutschen Bahn – Berlin auf dem Abstellgleis?“

Dies haben wir vorhin auf Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der SPD so beschlossen. In der Debatte hat zuerst der Abgeordnete Gaebler von der Fraktion der SPD das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die aktuelle Probleme der Bahn beim Aufbau des Knotens Berlin sind auch eine Nagelprobe für die Bahnreform aus dem Jahre 1993. Deshalb möchte ich eingangs zwei Berichte der Deutschen Bahn AG zitieren, die die Zielrichtung dieser Bahnreform und den eigenen Anspruch der Bahn AG deutlich machen:

Mit der zum Januar 1994 vollzogenen Bahnreform werden im Wesentlichen drei Ziele verfolgt:

−die Wirtschaftlichkeit des Systems Eisenbahn durch umfassende Modernisierung, kostengünstige Strukturen und attraktive Angebote verbessern,

−den Staatshaushalt entlasten sowie

−mehr Verkehr auf die Schiene holen.

Die Bahn hat ihre Produktivität seitdem deutlich gesteigert. Wesentlich dafür war, dass die DB AG dank der gewonnenen unternehmerischen Eigenverantwortung ihre Geschäftsprozesse beschleunigen und auch flexibel auf den Absatz- und Beschaffungsmärkten agieren konnte.

So weit ein Zitat aus dem Bericht der Deutsche Bahn AG von Anfang 1999.

Die Wettbewerbsfähigkeit der Eisenbahn und das übergeordnete Ziel der Bahnreform, mehr Verkehr auf die Schiene zu holen, hängen entscheidend von einem leistungsfähigen und kostengünstigen Streckennetz ab.

Das ist ein Zitat aus dem Geschäftsbericht des Konzernbereichs „Netz“ der Deutsche Bahn AG. Das ist insoweit erst einmal zu unterstreichen und wird sicherlich von allen in diesem Hause geteilt.

Die Deutsche Bahn hat in den vergangenen Jahren viel in das Streckennetz und in die Fahrzeuge investiert. Ob dabei immer die richtigen Prioritäten gesetzt worden sind, darüber lässt sich sicher trefflich streiten. Fakt ist, dass die Bauvorhaben im Knoten Berlin ein Gesamtvolumen von 9,5 Milliarden DM umfassen. Hinzu kommen noch einmal 2,5 Milliarden DM aus den Berlin berührenden Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“. Die Beschaffung neuer Fahrzeuge für S-Bahn und Regionalbahn hat noch einmal rund 2,5 Milliarden DM Investitionsvolumen in die Region gebracht und sichert Arbeitsplätze in Hennigsdorf und bei den Zulieferern.

Bei aller aktuellen Kritik: Diese Leistung der Bahn und der Bundesregierung darf nicht kleingeredet werden. Ohne ein leistungsfähiges Schienennetz für den Fern-, Regional- und S-Bahnverkehr ist die Stadt nicht lebensfähig. Der Aufstieg Berlins zur Metropole wurde wesentlich mitgestaltet durch den Ausbau des Bahnnetzes. Der städtische Nahverkehr mit der S-Bahn als Rückgrat war Vorbild für andere Städte in Europa und weltweit.

Klar ist also: Berlin braucht die Bahn, aber die Bahn braucht auch Berlin. Die Baumaßnahmen in Berlin sind keine Almosen für die notleidende Hauptstadt, sondern im Interesse des Bundes und des Wirtschaftsunternehmens Bahn. Mit einer Bevölkerung von 6 Millionen in der Region, den Bundesinstitutionen, Vereinen und Verbänden und internationalen Einrichtungen ist Berlin ein interessanter Verkehrsmarkt im Fern- und Nahverkehr. Die Bahn muss ein ureigenes Interesse haben, die Voraussetzung für einen störungsfreien, leistungsfähigen Betrieb zu schaffen. Davon hängt letztendlich die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Verkehrsträgern und ihre Wirtschaftlichkeit ab.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Nun hat die Bahn ein Problem. Nach jahrelangem Unter-denTeppich-Kehren holen sie die Sünden der Vergangenheit ein. Viele Projekte in Berlin liegen weder im Kosten- noch im Zeitrahmen. Konsequenz jetzt: eisernes Sparen ohne Rücksicht auf Verluste. So kann es aber nicht gehen. Die Bahn kann nicht die Berlinerinnen und Berliner dafür büßen lassen, dass sie ihre selbst gesteckten Ziele im Unternehmen nicht umsetzt.

Seit fünf Jahren ist in breiten Fachkreisen bekannt, dass im Bereich der Projektgesellschaft „Knoten Berlin“ Chaos, Unfähigkeit und Verschwendung in einem Ausmaß herrschen, das alle Vorstellungskraft der durchaus skandalgewohnten Berliner übertrifft. Drei Jahre lang wurde das ausgesessen. Wo war denn das moderne Management, die Projektsteuerung, die Beschleunigung der Prozesse, ein Kostencontrolling, wie es die Ziele der Bahnreform, die ich vorhin zitiert habe, nahe legen würden? Stattdessen wird beschönigt, dementiert oder kommentarlos gestrichen und geschoben. Allein die Chronologie des Zeitplanes für den Nord-Süd-Tunnel zeigt, wie zuverlässig das selbst ernannte Unternehmen Zukunft in dieser Hinsicht ist. Aus einer Information von Senat und Deutsche Reichbahn 1992 ging hervor: Inbetriebnahme der Fernbahn im Nord-Süd-Tunnel Mitte 2000. [Cramer (Grüne): Heute!]

Das wäre also heute oder morgen. Information von Senat und Deutscher Reichsbahn im Mai 1993: Inbetriebnahme Anfang 2002. Bei der Grundsteinlegung des Lehrter Bahnhofes im September 1998 nannte der Bahnvorstand die Inbetriebnahme im Jahr 2003. Bei der Tunneltaufe im November 1999 war die Inbetriebnahme dann im Jahr 2005 vorgesehen. Heute wird bereits offen über das Jahr 2007 gesprochen, jedenfalls auf den Fluren der Deutschen Bahn.

[Cramer (Grüne): Seid froh, wenn das 2010 kommt!]

Ich kann mich da Herrn Cramer nur anschließen, dass wir vermutlich schon fast froh sein könnten, wenn es 2010 käme. Bleibt also als Trost nur der Werbeslogan: „Die Bahn kommt.“ – Wann, das wird vorsichtshalber nicht gesagt.

[Niedergesäß (CDU): Wie immer zu spät!]

Vorstandschef Ludewig, später assistiert vom in Berlin gut bekannten Herrn Nawrocki, hat sich jahrelang mit der Frage der Standorte einzelner Gebäude auf dem Vorplatz des Lehrter Bahnhofs befasst, als auf eine termin- und kostengerechte Abwägung der Baumaßnahmen zu achten. Dieses duo infernale ist Sinnbild für die gefährliche Mischung aus Unfähigkeit und Arroganz, die in den für den Knotenausbau verantwortlichen Managementbereichen vorherrscht: die Unfähigkeit, Prioritäten auf die Verkehrsfunktion zu setzen und Kostenbewusstsein vor Geltungsdrang, und die Arroganz, für alle Verzögerungen, Pannen und Kostensteigerungen dann alle anderen verantwortlich zu machen – vom bösen Berliner Baugrund über den bösen Berliner Senat bis hin zu Eisenbahnunglücken in aller Welt. Der unbefangene Beobachter fragt sich natürlich, warum die Bauprojekte von Daimler-Benz, Sony und selbst das Straßentunnel-Projekt des Berliner Senats im gleichen Baugrund im Zeit- und Kostenrahmen geblieben sind.

[Frau Matuschek (PDS): Das stimmt ja nicht!]

Wir lassen uns von dieser Mischung aus Drohgebärden – „dann gibt es halt gar nichts mehr“ – und Wehleidigkeit – „wir können doch nichts dafür“ – nicht beeindrucken. Berlin braucht das Pilzkonzept als Grundlage für den Knotenpunkt im europäischen Netz. Hier liegen tatsächlich Gefahren für die Zukunft Berlins, die wesentlich schwerwiegender sind als das, was der Regierende Bürgermeister gestern in seiner Tunneltour beschworen hat und die auch verkehrlich und betrieblich nachweisbar sind.

[Niedergesäß (CDU): War aber gut, die Tunneltour!]